Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.09.2006, Az.: 6 W 43/06

Anfechtung einer Entscheidung über die Erteilung eines Erbscheins wegen Rechtsverletzung durch mangelnde Tatsachenfeststellung und Beweisermittlung zur Testierunfähigkeit des Erblassers; Voraussetzungen der Testierunfähigkeit eines Erblassers und Anforderungen an ihre Ermittlung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.09.2006
Aktenzeichen
6 W 43/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 35729
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2006:0926.6W43.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 07.03.2006 - AZ: 12 T 64/05

Fundstellen

  • FGPrax 2006, 268-269 (Volltext mit amtl. LS)
  • FamRZ 2007, 417-418 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2007, 185-186
  • ZEV 2006, VIII Heft 12 (amtl. Leitsatz)
  • ZEV 2007, 127-129 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Erteilung eines Erbscheins nach dem am 28. November 2003 verstorbenen A. W., zuletzt wohnhaft gewesen in S.

In der Nachlasssache
...
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 bis 3 vom 10. April 2006
gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 7. März 2006
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .......,
die Richterin am Oberlandesgericht ....... und
den Richter am Amtsgericht .......
am 26. September 2006
beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 34.030 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Das Rechtsmittel ist begründet.

2

I.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG). Das Landgericht hat seine Pflicht verletzt, die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen (§ 2358 Abs. 1 BGB, § 12 FGG).

3

Seine Überzeugung davon, dass der Erblasser, der am 28. November 2003 in S. verstorbene A. W., im Zeitpunkt der Errichtung seines notariellen Testaments am 8. Januar 2003 testierfähig gewesen ist, findet in dem Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere in dem vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie O. keine ausreichende Stütze.

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a)

Die Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit nach § 2229 Abs. 4 BGB gegeben sind, ist im Wesentlichen tatsächlicher Natur. Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Feststellung des Landgerichts, Testierfähigkeit des Erblassers bei Errichtung der letztwilligen Verfügung lasse sich feststellen, nur daraufhin überprüfen, ob das Landgericht bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze verstoßen und die zu stellenden Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt hat (BayObLG, FamRZ 2000, S. 701 ff.; Senat, NJW-RR 2003, S. 1093 ff. m.w.N.; Bumiller/Winkler, § 27 Rn., 15). Die Würdigung eines Sachverständigengutachtens kann lediglich darauf geprüft werden, ob der Tatrichter das Ergebnis des Gutachtens kritiklos hingenommen oder unter Nachvollziehung der Argumentation des Sachverständigen dessen Feststellungen und Schlussfolgerungen selbständig auf ihre Tragfähigkeit geprüft und sich eine eigene Überzeugung gebildet hat (BayObLG, FamRZ 1999, 817, 818; Keidel/Meyer-Holz, § 27 Rn. 43).

5

Das Landgericht hat hierzu dargelegt:

"...In sich nachvollziehbar führt der Sachverständige aus, dass der Erblasser zwar familiäre und später auch betreuungsrechtliche Hilfe in Anspruch genommen habe, aber unter Zugrundelegung der Aussagen der den Erblasser behandelnden Ärzte keine ausreichenden Hinweise auf eine aufgehobene Testierfähigkeit zu finden seien, mithin von Testierfähigkeit auszugehen sei..."

6

b)

Diese Beweiswürdigung hält hinsichtlich der zentralen Frage der Testierfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt seiner Erklärung vor dem Notar einer Nachprüfung im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht stand.

7

Nach § 2229 Abs. 4 BGB ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Das Gesetz verbindet danach nicht mit jeder Geisteskrankheit oder -schwäche die Testierunfähigkeit, sondern sieht die Fähigkeit, die Bedeutung der letztwilligen Verfügung zu erkennen und sich bei seiner Entschließung von normalen Erwägungen leiten zu lassen, als maßgebend an (BayObLG FamRZ 2002, 1066, 1067; NJW-RR 2002, 1088; Palandt-Edenhofer, BGB, 62. Aufl., § 2229 Rdnr. 7). Testierunfähig ist danach derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen die sittliche Berechtigung einer letztwilligen Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von Wahnideen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwa interessierter Dritter zu handeln (BayObLG FamRZ 2001, 55; 2000, 701, 703; OLG Frankfurt NJW-RR 1998, 870). Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen zustande gekommen ist und von einem klaren Urteil über die Bedeutung seiner Anordnungen, das frei von Einflüssen Dritter zustande ekommen ist, getragen wird (BGH, FamRZ 1958, 127; BayObLG, FamRZ 1986, 728; Palandt/Edenhofer, § 2229 Rn.1; Staudinger/Baumann, § 2229 Rn. 11; MünchKomm/Hagena, § 2229, Rn. 1).

8

c)

Zu Recht rügen die Beteiligen zu 1 bis 3, das Landgericht habe es unterlassen, den Sachverständigen mit den gegen sein Gutachten erhobenen Einwendungen zu konfrontieren.

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aa)

Denn die Beteiligten zu 1 bis 3 hatten mit Schriftsatz vom 14. Februar 2006 zum einen beanstandet, dass zentrale Annahmen des Sachverständigen zu den Vorstellungen des Erblassers über das Vererben im allgemeinen keine Grundlage im Vortrag der Beteiligten und in den Angaben der Zeugen finden. In der Tat ist der gegen Ende des Gutachtens gezogene Schluss des Sachverständigen, der Erblasser sei sich "mit Sicherheit" der Größe seines Vermögens bewusst gewesen und "gut vorstellbar" sei von daher, dass ihm der Gedanke gekommen sei, ihm nahestehende Menschen später nach seinem Tode zu belohnen bzw. andere "zu bestrafen", nicht nachvollziehbar. Wie der - aufgrund einer krankhaften Veränderung der Marksubstanz des zentralen Nervensystems und einer Hirnsubstanzminderung seit Kindesalter her deutlich minderbegabte, des Lesens, Schreibens und Rechnens unkundige - Erblasser in der Lage gewesen sein sollte,

  • sich über sein Vermögen in der Größenordnung von bis zu 100.000 EUR in Bank- und Wertpapierguthaben und
  • zu der für ihn überaus abstrakten Frage, wie dieses Vermögen unter seinen nächsten Angehörigen nach seinem Tode angemessen verteilt werden sollte,

10

tragfähige Vorstellungen zu machen, lässt sich weder dem Inhalt der Akten noch den Ausführungen des Sachverständigen entnehmen. Dabei geht der Sachverständige auch nicht auf den Umstand ein, dass der Erblasser keinen Anlass gehabt hätte, ihm nahestehende Angehörige in der im Testament zu Papier gebrachten Weise zu bevorzugen oder zurückzusetzen.

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bb)

Zum anderen hatten die Beteiligten zu 1 bis 3 mit demselben Schriftsatz vom 14. Februar 2006 aber auch zu Bedenken gegeben, dass der Sachverständige aus den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. H.-R. Rückschlüsse gezogen habe, die von diesen Angaben offensichtlich nicht mehr gedeckt seien. Tatsächlich lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen, warum die Angaben des sachverständigen Zeugen "ein plastischeres und schlüssigeres Bild des Erblassers entstehen" lassen, zumal der sachverständige Zeuge, wie schon die behandelnden Ärzte im LKH W., die genannten - erheblichen - krankhaften Veränderungen von Gehirn und zentralem Nervensystem diagnostiziert hatte. Weder der Sachverständige noch das Landgericht sind auf diese Unstimmigkeit in dem für die Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Umfang eingegangen.

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d)

Zu Recht rügen die Beteiligten zu 1 bis 3 vor allem, dass das Landgericht die Aufklärung der Frage unterlassen habe, ob der Erblasser fähig gewesen sei, selbstbestimmt und frei von den Einflüssen ihm nahestehender Dritter einen Willen zu bilden. Zutreffend verweisen sie nicht nur auf die Mitteilung des beurkundenden Notars, dass der Erblasser in Begleitung der Beteiligten zu 4 zu der Beurkundung erschienen sei und "nicht allzu viele Worte von sich gegeben hätte". Sie folgern daraus auch mit nachvollziehbaren Gründen, auf die das Landgericht nicht eingeht, dass erstens die Beteiligte zu 4 (die durch das notarielle Testament entscheidend bevorzugt wird) beim Notar das Wort geführt haben dürfte und dass zweitens die Annahme des Sachverständigen, Hinweise auf eine Einflussnahme dritter Person seien nicht zu finden, einer Grundlage entbehre.

13

An dieser Stelle drängte sich auf, einen Sachverständigen dazu zu hören, ob der Erblasser - wenn er überhaupt in der Lage gewesen sein sollte, sich ohne Anlass einen "natürlichen Willen" zu der für ihn komplexen Regelung seines Nachlasses zu bilden - fähig und in der Lage war, sich im Zuge dieser Entscheidungsfindung einer Einflussnahme oder Manipulation Dritter zu entziehen.

14

Anlass, die Urteilsfreiheit und Unabhängigkeit des Erblassers näher auszuleuchten, bestand sowohl für den Sachverständigen als auch für das Landgericht deshalb, weil die sachverständigen Zeugen Dres. B. und S. in ihrem Entlassungsbericht vom 22. November 2002 und Dr. Hamann-Roth in seiner zeugenschaftlichen Befragung vom 18. Juli 2005 übereinstimmend berichtet hatten, dass der Erblasser gegenüber der Beteiligten zu 4 durch zunehmende Distanzlosigkeit (zärtliche Berührungen) aufgefallen sei. Dass der Erblasser aber, obwohl er sich zu der Beteiligten zu 4 offensichtlich hingezogen fühlte, in der Lage gewesen wäre, einer Einflussnahme von ihrer Seite auf die Regelung seines Nachlasses zu widerstehen, lässt sich den Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen.

15

II.

Eine abschließende Entscheidung vermag der Senat trotz der Indizien, die gegen die Annahme der Testierfähigkeit sprechen, im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht zu treffen. Das führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, das den Sachverhalt unter Berücksichtigung der vorstehenden Punkte weiter wird aufzuklären haben.

16

III.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 30 Abs. 1 Hs. 1, § 131 Abs. 2 KostO. Das Interesse der Beteiligten zu 1 bis 3 ist darauf gerichtet, einen Erbschein zu erhalten, der den mittlerweile verstorbenen E. W. als Erben zu 1/2 ausweist, anderenfalls würden sie überhaupt nicht am Nachlass beteiligt. Den Wert des Nachlasses schätzt der Senat unter Berücksichtigung des sich bei den Nachlassakten befindlichen Wertermittlungsbogens (AG Hannover, 54 IV 75/04, Bl. 12f d.A.) auf 102.090 EUR (30 EUR Bargeld + 31.551,87 EUR Bankguthaben + 75.000 EUR Wertpapiere + 525 EUR Sterbegeld + 348,07 EUR Sterbegeldversicherung abzüglich 5.364,94 EUR Beerdigungskosten), hiervon war ein Drittel wegen der eingeschränkten Funktion des Erbscheins (nur Legitimationswirkung) abzuziehen. Danach errechnet sich der Beschwerdewert von 34.030 EUR (102.090,- EUR x 1/2 x 2/3).