Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.03.2007, Az.: 6 W 1/07
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.03.2007
- Aktenzeichen
- 6 W 1/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 59319
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:0308.6W1.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 04.12.2006 - AZ: 5 OH 7/02
Fundstellen
- BauR 2008, 134-135 (Volltext mit amtl. LS)
- BauSV 2008, 69
- OLGReport Gerichtsort 2007, 875-876
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. H. R. wird für begründet erklärt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: bis 35 000 €.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist begründet.
1. Das Gesuch der Antragsgegnerin vom 11. Oktober 2006, den Sachverständigen Prof. Dr. Ing. H. R. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist fristgerecht am 12. Oktober 2006 beim Landgericht eingegangen, da die Antragsgegnerin gemäß § 294 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat, ohne ihr Verschulden verhindert gewesen zu sein, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Denn sie hat das Ablehnungsgesuch auf Tatsachen gestützt, die ihr erst beim Ortstermin am 9. Oktober 2006 bekannt geworden sind. Anschließend ist das Ablehnungsgesuch innerhalb einer angemessenen Überlegungszeit ab Kenntniserlangung angebracht worden.
2. Das Ablehnungsgesuch ist begründet, da ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen ( § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO ). Danach kommt es für eine Besorgnis der Befangenheit nicht darauf an, ob der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteilich ist oder ob das Gericht selbst Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen hat. Entscheidend ist vielmehr, ob vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu erregen ( BGH NJW 1975, 1363 [BGH 15.04.1975 - X ZR 52/75]). Solche Gründe können vorliegen, wenn Geschäftsbeziehungen zu einer der Parteien bestehen und der Sachverständige diese nicht bei Beginn seiner Tätigkeit offengelegt hat (vgl. Baumbach-Hartmann, ZPO, 64.Aufl., § 406 Rn. 11 m. w. N.).
a) Während des Ortstermins vom 9. Oktober 2006 hat sich für die Antragsgegnerin, wie unbestritten von ihr vorgetragen (Bl. 523 ff. d. A.), herausgestellt, dass der vom Sachverständigen R. hinzugezogene Mitarbeiter Dipl.-Ing. A. Sch. für die G.-P.-M.-Z. GmbH in N., deren Geschäftsführer der Geschäftsführer H. G. der Antragstellerin ist, "ca. 30 Statiken im Jahr" fertigt, also eine nicht unerhebliche Geschäftsbeziehung unterhält, die persönliche Verbindungen zur Antragstellerin aufweist.
b) Diese Geschäftsbeziehung seines Mitarbeiters hat der Sachverständige nicht bei Beginn seiner Tätigkeit offengelegt, sondern diese ist der Antragsgegnerin erst beim Ortstermin vom 9. Oktober 2006 durch die Äußerung des Geschäftsführers H. G. bekannt geworden.
c) Der Sachverständige war verpflichtet, seinen Mitarbeiter nach solchen Umständen zu befragen und diese den Parteien mitzuteilen. Denn die Tätigkeit des Mitarbeiters Sch. bei der Begutachtung war nicht nur von untergeordneter Bedeutung, so dass es erforderlich war, die Parteien über diese Geschäftsbeziehungen des Mitarbeiters in Kenntnis zu setzen, da solche wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen die Beurteilung der zu begutachtenden Fragen bewusst oder unbewusst beeinflussen können.
Ein Einwand des Sachverständigen, er habe seinen Mitarbeiter Sch. nur für Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung eingesetzt, selbst aber die volle Verantwortung sowohl beim Gutachten wie bei den Ortsbesichtigungen übernommen (Schreiben des Sachverständigen vom 20. Oktober 2006, Bl. 531 d. A.), kann den objektiven Eindruck für Außenstehende nicht entkräften, dass der Mitarbeiter nicht nur von untergeordneter Bedeutung war. Denn zum einen hat der Sachverständige ihn im Gutachten vom 26. Januar 2005 selbst als "Sachbearbeiter" bezeichnet und beim Ortstermin vom 9. Oktober 2006 erklärt, dass er mit dem Mitarbeiter Sch. "das Vier-Augen-Prinzip" pflege (Ablehnungsgesuch vom 11. Oktober 2006, Bl. 524 d. A.). Zum anderen hat die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde unbestritten vorgetragen, dass zu dem zunächst vom Sachverständigen anberaumten Ortstermin vom 12. November 2004 am Ort des Bauvorhabens nicht der Sachverständige selbst, sondern nur der Mitarbeiter Sch. erschienen sei, der nach seiner Darstellung auf Anweisung des Sachverständigen R. die Tatsachenfeststellungen vor Ort habe treffen sollen, so dass der Ortstermin von den Parteivertretern mit dem Hinweis abgebrochen worden sei, dass nicht der Mitarbeiter Sch., sondern der Sachverständige R. mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt worden sei (Bl. 564 d. A.). Der Einwand des Sachverständigen R. im Schreiben vom 10. Februar 2007 (Bl. 576 d. A.), dass sich für ihn kurzfristig die Notwendigkeit eines ambulanten, chirurgischen Eingriffs am 12. November 2004 ergeben habe und er daher beim Ortstermin nicht habe anwesend sein können, ändert nichts an dem Umstand, dass der Mitarbeiter Sch. den Ortstermin zur Feststellung der örtlichen Verhältnisse allein durchführen, diese Tätigkeit also nicht nur untergeordnete Bedeutung haben sollte.
Dieser Umstand war zu berücksichtigen, da die sofortige Beschwerde auf neue Tatsachen gestützt werden kann ( § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO ) und die Antragstellerin ihr Befangenheitsgesuch nicht allein auf diese Tatsache stützt, sondern diese Tatsache, die für sich allein keine Besorgnis der Befangenheit begründet hätte, erst zur Untermauerung ihres Befangenheitsgesuchs vom 11. Oktober 2006 ergänzend vorgetragen hat, nachdem das Landgericht den bisherigen Vortrag nicht hatte ausreichen lassen.
d) Für die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch ist unerheblich, ob dem Sachverständigen R. die Geschäftsbeziehung des Mitarbeiters Sch. persönlich bekannt war, da es nur auf den objektiven Eindruck für die Antragsgegnerin ankommt.
3. Die Mitteilung des Sachverständigen mit Schriftsatz vom 3. Januar 2007, dass mit Vollendung seines 68. Lebensjahres am 5. Dezember 2006 seine öffentliche Bestellung und Vereidigung als Sachverständiger der Industrie- und Handelskammer H. geendet habe, hat zu keiner Erledigung des Befangenheitsgesuchs geführt, da die Verwertbarkeit der bisher erfolgten Begutachtung von der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch abhängt.
4. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 3 ZPO und die Kostenentscheidung auf § 91 ZPO, der auch im Ablehnungsverfahren Anwendung findet ( BGH MDR 2005, 1016 [BGH 06.04.2005 - V ZB 25/04] i. V. m. Zöller-Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rn. 13 Stichworte "Richter" - und "Sachverständigenablehnung").