Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.09.2000, Az.: 5 K 299/95

Bildung einer Ersatzbeschaffungsrücklage wegen Vernichtung einer Scheune durch einen Brandschaden, wenn anstelle einer neuen Scheune der Bau von Mietwohnungen geplant wird; Notwendigkeit einer Reinvestitionsabsicht bei Bildung einer Rücklage; Rechtsweg für Klage gegen die Kirchensteuerfestsetzung; Errichtung und Nutzung eines funktionsgleichen Wirtschaftsgutes als Vorausetzung zur Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung bei land- und forstwirtschaftlichem Betrieb

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
07.09.2000
Aktenzeichen
5 K 299/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21991
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0907.5K299.95.0A

Fundstelle

  • EFG 2001, 210-211 (Volltext mit red. LS)

Tatbestand

1

Die Kläger sind Ehegatten. Der Kläger betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb. Im Jahresabschluss zum 30. Juni 1991 bildete er eine Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe von 383.357,00 DM. Grundlage hierfür war die Vernichtung einer Scheune durch einen Brandschaden. Die Rücklage löste der Kläger zum 30. Juni 1992 in Höhe von 170.000,00 DM und zum 30. Juni 1993 in Höhe von 68.890,00 DM gewinnerhöhend auf.

2

Nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen einer beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfung, plante der Kläger zum 30. Juni 1991 statt der Errichtung einer neuen Scheune die Erstellung einer Halle für 130.000,00 DM. Im Zeitpunkt der Erstellung des Jahresabschlusses 1991/92 sollte auch die Halle nicht mehr gebaut werden. Stattdessen errichtet der Kläger in der Folgezeit drei Wohnungen.

3

Im Anschluss an die Ergebnisse der Betriebsprüfung erkannte der Beklagte im Wirtschaftsjahr 1990/91 die Rücklage für Ersatzbeschaffung nur in Höhe von 130.000,00 DM für die geplante Errichtung einer Halle an und löste die Rücklage in Höhe von 253.357,00 DM im selben Wirtschaftsjahr gewinnerhöhend auf. Die vom Kläger vorgenommenen gewinnerhöhenden Auflösungen (170.000,00 DM 1991/92 und 68.890,00 DM für 1992/93) machte der Beklagte rückgängig. Daraus ergab sich in den Streitjahren 1990 und 1991 für die Kläger eine Erhöhung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 126.678,50 DM (1990) und 106.678,50 DM (1991). Für das Streitjahr 1992 verringerten sich die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft um 54.445,00 DM.

4

Unter Berücksichtigung auch anderer Prüfungsfeststellungen erhöhte der Beklagte die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft um 134.581,00 DM (1990) und 124.561,00 DM (1991) und verminderte sie um 57.526,00 DM für 1992.

5

Gegen die geänderten Bescheide richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Zu deren Begründung tragen die Kläger vor, die vom Kläger vorgenommene Rücklage sei zulässig gewesen. Eine Reinvestitionsabsicht sei für die Rücklagenbildung nicht erforderlich.

6

Im Falle der Errichtung eines Ersatzobjektes komme es nicht darauf an, ob dieses die gleiche Funktion wie das ersetzte Wirtschaftsgut habe. Eine Übertragung der Rücklage auf ein Reinvestitionsobjekt, das einer anderen Funktion diene, sei durchaus zulässig.

7

Dieses Ergebnis ergebe sich insbesondere unter Berücksichtigung der veränderten Situation in der Landwirtschaft. In der derzeitigen Wirtschaftslage sei kaum ein Landwirt in der Lage, die Landwirtschaft aus eigenen Mitteln weiter zu betreiben. Es müsse ihm deshalb ermöglicht werden, zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten zu finden. Das umfasse auch die Möglichkeit der Umwandlung von Katen und Scheunen in Mietwohnungen. Soweit die Rechtsprechung für die Zulässigkeit der Ersatzbeschaffungsrücklage von dem Erfordernis einer Funktionsgleichheit der Wirtschaftsgüter ausgehe, führe das im Bereich der Landwirtschaft zu einem Verstoß gegen Art. 12 Grundgesetz (GG). Das Grundrecht auf freie Berufswahl und freie Berufsausübung werde verletzt, weil das Betreiben eines landwirtschaftlichen Betriebes vereitelt werde.

8

Außerdem führe die Versagung der Rücklagenbildung und -übertragung auch zu einem Verstoß gegen Art. 14 GG, weil sie einen nicht gerechtfertigten Eigentumseingriff darstelle.

9

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteuer 1990 um 30.334,00 DM,

die Kirchensteuer 1990 um 2.730,05 DM,

die Zinsen 1990 um 4.242,00 DM

die Einkommensteuer 1991 um 37.936,00 DM,

die Kirchensteuer 1991 um 3.414,25 DM,

den Solidaritätszuschlag um 1.422,60 DM,

die Zinsen 1991 um 3.040,00 DM

herabzusetzen.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung seines Antrags verweist er auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid vom 30. Juni 1995.

12

Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Steuerakten zu Steuer-Nr. ... sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

13

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage wegen Einkommensteuer 1992 ist unzulässig. Die Klage ist auch unzulässig soweit sie sich gegen die Kirchensteuerfestsetzungen richtet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

15

Die Klage gegen die Kirchensteuerfestsetzung ist unzulässig, weil hierfür nicht der Finanzrechtsweg, sondern gemäß § 10 Abs. 2 Niedersächsisches Gesetz über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften (Kirchensteuerrahmengesetz - KiStRG -) der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Soweit sich die Klage gegen die Kirchensteuerfestsetzung auf die prozentuale Korrektur im Rahmen der beantragten Einkommensteuerherabsetzung beschränkt, ist sie automatisch von der Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzung mit umfasst.

16

Die Klage wegen Einkommensteuer 1992 ist schon deshalb unzulässig, weil die Kläger keinen Klageantrag gestellt haben. Die Stellung eines bezifferten Klageantrags ist zwar gemäß § 65 Abs. 1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) nur ein Soll-Erfordernis der Klage. Die Kläger müssen aber mit der Klageschrift den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO), d.h. inhaltlich festlegen, was sie mit dem Klagebegehren erreichen wollen. Das ist für das Streitjahr 1992 nicht geschehen.

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Die Klage wegen Einkommensteuer 1992 ist darüber hinaus auch unzulässig, weil es an der gemäß § 40 Abs. 2 FGO erforderlichen Beschwer fehlt. Im dem auf der Grundlage der Betriebsprüfungsergebnisse ergangenen angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 24. Mai 1995 sind die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft mit 105.655,00 DM um 60.331,00 DM niedriger angesetzt als in dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1992 vom 20. Juli 1994. Diese Herabsetzung beruht in Höhe von 54.445,00 DM auf der Rückabwicklung der vom Kläger selbst vorgenommenen Auflösung der von ihm gebildeten Rücklage in den Wirtschaftsjahren 1991/92 und 1992/93. Auf die Feststellungen zu Tz. 21 des Betriebsprüfungsberichtes vom 2. Dezember 1994 wird insoweit Bezug genommen.

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Im Übrigen ist die Klage unbegründet, weil der Beklagte die Rücklage für Ersatzbeschaffung zu Recht nicht anerkannt und die Gewinnermittlungen des Klägers im Zuge der Betriebsprüfung insoweit berichtigt hat. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten (ständige Rechtsprechung seit Urteil des RFH vom 2. April 1930 VI A 514/30, RStBl 1930, 313) und von der Finanzverwaltung in Abschn. 35 Abs. 1 und 4 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) in den für die Streitjahre geltenden Fassungen der EStR 1987/1990 (jetzt R 35 Abs. 1 EStR)übernommenen Grundsätzen zur sog. Rücklage für Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut u.a. aufgrund höherer Gewalt gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird (Urteile des BFH 29. April 1999 IV R 7/98, BStBl II 1999, 488; vom 12. März 1969 I 97/65, BFHE 95, 178, BStBl II 1969, 381; vom 18. September 1987 III R 254/84, BFHE 151, 70 [BFH 17.09.1987 - IV R 31/87], BStBl II 1988, 330, und vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392). An dem Tatbestandsmerkmal der Anschaffung und Nutzung eines funktionsgleichen Wirtschaftsgutes fehlt es vorliegend. Dass die zu Wohnzwecken errichteten Wohnungen nicht der selben Funktion zu dienen bestimmt waren wie die durch Brand vernichtete Scheune, bedarf keiner besonderen Begründung. Eine solche Funktionsgleichheit wird von den Klägern auch nicht vorgetragen. Die vom Kläger steuerneutral behandelten stillen Reserven waren gewinnerhöhend aufzulösen, als erkennbar wurde, dass der Kläger für die zerstörte Scheune kein funktionsgleiches Wirtschaftsgut errichten und nutzen wollte. Das war in Höhe des vom Betriebsprüfer angesetzten Differenzbetrages zwischen 383.357,00 DM und 130.000,00 DM (253.357,00 DM) bereits am 30. Juni 1991 der Fall, weil der Kläger zunächst eine Halle für nur 130.000,00 DM errichten wollte. Folgerichtig hätte der Prüfer die von ihm im Jahresabschluss zum 30. Juni 1991 anerkannten 130.000,00 DM im Folgewirtschaftsjahr auflösen müssen, weil bis dahin klar war, dass auch die Halle nicht gebaut werden sollte. Diese Korrektur ist unterblieben. Der Senat hat insoweit keine Berichtigungsmöglichkeit, weil er an einer verbösernden Entscheidung gehindert ist.

19

Für eine Ausdehnung der Grundsätze zur Rücklagenbildung für Ersatzbeschaffung auf den vorliegenden Fall ist kein Raum. Allein der Gesetzgeber ist zu einer Ausweitung des Ausnahmetatbestandes "Ersatzbeschaffungsrücklage"befugt (Urteil des BFH vom 29. April 1999 IV R 7/98, BStBl II 1999, 488). Außerdem würde der Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der Funktionsgleichheit die Möglichkeit derÜbertragung stiller Reserven auf beliebige Wirtschaftsgüter eröffnen und damit im Widerspruch zu den Zielen der durch Rechtsfortbildung entwickelten Rücklage stehen.

20

Auch die von den Klägern vorgetragene besondere Lage der Landwirtschaft führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen würde das von den Klägern angestrebte Ergebnis der Förderung der Landwirtschaft gerade zuwiderlaufen. Mit der Möglichkeit der Übertragung von im landwirtschaftlichen Betrieb gebildeten stillen Reserven auf nicht der Landwirtschaft dienende Wirtschaftsgüter würde das Zurückziehen von Landwirten aus der Landwirtschaft gefördert. Die von den Klägern vertretene Auffassung würde außerdem zu dem Ergebnis führen, dass jede Form der Kapital- und Vermögensbildung allein deshalb steuerlich gefördert werden müsste, weil der Steuerpflichtige Landwirt ist. Eine derartige Förderung hat der Gesetzgeber bisher nicht gesetzlich verankert. Sie könnte auch nur durch den Gesetzgeber eingeführt werden, nicht aber im Wege der extensiven Auslegung eines durch Richterrecht geschaffenen steuerlich begünstigenden Tatbestandes.

21

Dem stehen auch nicht die von den Klägern vorgetragenen verfassungsrechtlichen Erwägungen entgegen. Eine unmittelbare Regelungüber den Zugang zum Beruf des Landwirts oder zur Ausübung dieses Berufes enthält der Tatbestand der Ersatzbeschaffungsrücklage nicht. Allerdings sind auch mittelbare Regelungen und Vorschriften, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen, am Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, wenn sie in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen (Beschlüsse des BVerfG vom 19. Juni 1985, 1 BvL 57/79, BVerfGE 70, 191, 214; vom 18. Juli 1979, 2 BvR 488/76, BVerfGE 52, 42, 54). Derartige Vorschriften können durchaus auch Steuernormen sein (Beschlüsse des BVerfG vom 30. Oktober 1961, 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181, 184; vom 1. April 1971, 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8, 26). Der Tatbestand der Ersatzbeschaffungsrücklage steht aber weder in einem engen noch in einem sonstigen Zusammenhang mit der Wahl oder Ausübung des Berufs des Landwirts. Es handelt sich vielmehr um eine steuerliche Vergünstigung, die für alle Steuerpflichtigen gleichermaßen gilt. Die Ausdehnung dieses Tatbestandes auf bisher nicht von ihm erfasste Sachverhalte lässt sich nicht auf Art. 12 Abs. 1 GG stützen.

22

Auch eine Verletzung von Art. 14 GG ist nicht gegeben, weil stille Reserven nicht zum grundrechtlich geschützten Eigentum gehören. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz umfasst zwar auch alle vermögenswerten Privatrechte, die ihrem Inhaber von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf (Beschluss des BVerfG vom 9. Januar 1991, 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201, 208). Stille Reserven stellen aber kein derartiges Privatrecht dar. Neben ihrer Eigenschaft als Kriterium für die Bewertung des wirtschaftlichen Wertes eines Betriebes sind sie ein steuerrechtliches Phänomen, dessen Bedeutung sich in seinem Einfluss auf die Gewinnsituation des Unternehmens erschöpft.

23

Ob und inwieweit auch subjektive Rechte des öffentlichen Rechts "Eigentum" im Sinne des Art. 14 GG sein können, ist umstritten (vgl. hierzu Papier in Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 14 Rz. 124). Die Frage braucht vom Senat aber nicht beantwortet zu werden, weil die durch Abschreibungen gebildeten stillen Reserven auch kein vermögenswertes Recht in diesem Sinne darstellen. Ein Eigentumsschutz hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsposition der eines Eigentümers entspricht und so stark ist, dass ihre ersatzlose Entziehung dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes widersprechen würde. Das kommt insbesondere bei Rechtspositionen in Frage, die als Äquivalent eigener Leistungen des Rechtsinhabers anzusehen sind (Beschlüsse des BVerfG vom 9. Juni 1975, 1 BvR 2261, 2268/73, BVerfGE 40, 65, 83 [BVerfG 09.06.1975 - 1 BvR 2268/73]; vom 12. Februar 1986, 1 BvL 39/83, BVerfGE 72, 9, 18, 19; Urteil des BVerfG vom 16. Juli 1985, 1 BvL 5/80, 1 BvR 1023, 1052/83 und 122/84, BVerfGE 69, 272 ff.). Diese Voraussetzungen werden von stillen Reserven nicht erfüllt.

24

Soweit die Kläger sich mit Ihrem Antrag gegen den Solidaritätszuschlag wenden, ist eine gesonderte Entscheidung entbehrlich, weil sich dessen Höhe zwingend aus der Einkommensteuerfestsetzung errechnet. Weder die Akten noch der Klägervortrag bieten Anhaltspunkte dafür, dass sich die Kläger gegen die Regelung des Solidaritätszuschlages als solchen wenden wollen.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).