Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.09.2000, Az.: 5 K 360/97

Rechtmäßigkeit einer Vorsteuerberichtigung, bei Nutzung eines Gebäudes als Wohnung; Anwendung der Grundsätze zur Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) beiÄnderung der rechtlichen Beurteilung in den Folgejahren bei sog. "Zwischenvermietung", oder wenn eine rechtsirrtümliche Beurteilung des Erstjahres festgestellt wurde

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
13.09.2000
Aktenzeichen
5 K 360/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21993
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0913.5K360.97.0A

Fundstellen

  • NWB DokSt 2001, 795
  • UStB 2001, 142

Tatbestand

1

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform der GmbH den Bau von Leichtmetallbehältern und Maschinen. Im Jahr 1989 errichtete sie eine Wohnung, die nach der Fertigstellung von ihrem Hausmeister zu Wohnzwecken genutzt wurde. Eine Jahressteuererklärung für 1989 hatte die Klägerin nicht abgegeben. Mit Bescheid vom 26. März 1991 schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen. Im Jahr 1991 führte er bei der Klägerin eine Umsatzsteuersonderprüfung durch, wobei der Prüfungsauftrag auch dieÜberprüfung des Vorsteuerabzugs umfasste. Die aus der Buchhaltung der Klägerin ermittelten Vorsteuern beliefen sich auf 148.800,87 DM. Die Prüferin erhöhte diese um 32.499,13 DM auf 181.300,00 DM. Feststellungen zur Vorsteuerabzugsberechtigung aus den im Rahmen der Errichtung der Wohnung bezogenen Leistungen traf die Prüferin nicht. Wegen der Prüfungsergebnisse im Einzelnen wird auf den Prüfungsbericht vom 28. Februar 1992 Bezug genommen.

2

Auf der Grundlage der Prüfungsergebnisse änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung mit Bescheid vom 30. März 1992, wobei er nur die aus der Buchführung ersichtlichen Vorsteuern in Höhe von 148.800,87 DM anerkannte. Die Klägerin legte keinen Einspruch gegen den Bescheid ein, gab aber am 28. August 1992 die Umsatzsteuerjahreserklärung ab, mit der sie Vorsteuern in Höhe von 169.891,98 DM beanspruchte. Der Beklagte teilte der Klägerin darauf hin mit, dass der Bescheid vom 30. März 1992 bestandskräftig sei und er die Steuererklärung zu den Akten nehme.

3

In den Jahren 1992 bis 1995 führte der Beklagte eine steuerliche Außenprüfung bei der Klägerin durch, in deren Zuge sich eine Fahndungsprüfung anschloss. Das wesentliche Ergebnis der Fahndungsprüfung gelangte in Kopie zur Gerichtsakte 5 K 403/97 (Bl. 32 ff.), auf die hiermit Bezug genommen wird. Im Rahmen der Prüfungen wurde auch die Errichtung der Hausmeisterwohnung erkannt und der Vorsteuerabzug aus der Anschaffung von Einrichtungsgegenständen und Mobiliar versagt. Der Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten in Höhe von 63.089,29 DM blieb unberührt. Hinsichtlich der Einzelheiten der Prüfungsfeststellungen wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 27. Februar 1992 verwiesen. Mit Bescheid vom 27. März 1995änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung für 1989 auf der Grundlage der Prüfungsfeststellungen erneut.

4

Beim Niedersächsischen Finanzgericht ist unter dem Aktenzeichen 5 K 403/97 ein Gerichtsverfahren wegen Umsatzsteuer 1989 anhängig gewesen, das durch Klagerücknahme vom 7. August 2000 zum Abschluss gelangt ist.

5

Für die im vorliegenden Verfahren im Streit befindlichen Veranlagungszeiträume 1993 und 1994 gab die Klägerin zunächst wiederum keine Umsatzsteuerjahreserklärungen ab. Der Beklagte schätzte die Besteuerungsgrundlagen, wobei er in den Umsatzsteuerbescheiden vom 2. Dezember 1996 der Besteuerung jeweils die Voranmeldungen der Klägerin zugrunde legte und einen Unsicherheitszuschag berücksichtigte. Im Klageverfahren reichte die Klägerin die Umsatzsteuerjahreserklärung ein, ohne allerdings die nach§ 22 UStG vorgesehenen Unterlagen beizufügen. Mit Bescheiden vom 11. September 2000 änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1993 und 1994. Dabei ging er von den Steuererklärungen der Klägerin aus, änderte aber verschiedene Positionen zu ihren Ungunsten. Über die Änderungen besteht zwischen den Beteiligten im Wesentlichen Einvernehmen. Im Streit befindet sich lediglich eine vom Beklagten nach § 15a UStG durchgeführte Vorsteuerkorrektur in Höhe von jeweils 6.308,00 DM hinsichtlich der 1989 aus der Errichtung der Hausmeisterwohnung gezogenen Vorsteuern. Die Klägerin hat die Umsatzsteuerbescheide vom 11. September 2000 gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens erklärt.

6

Mit der Klage richtet sie sich gegen die vom Beklagten durchgeführte Vorsteuerkorrektur. Sie vertritt die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung seien nicht erfüllt, weil keine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a Abs. 1 UStG vorliege. Das im Streit befindliche Gebäude habe von vornherein Wohnzwecken gedient. Hieran habe sich zu keinem Zeitpunkt etwas geändert. Dieser Sachverhalt sei von der Betriebsprüfung auch erkannt worden, allerdings ohne dass vom Beklagten hieraus für das Jahr 1989 die erforderlichen Folgerungen gezogen worden seien. Der Beklagte könne diesen Fehler nicht über die Vorschrift des § 15a Abs. 1 UStG korrigieren.

7

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuer 1993 und 1994 um jeweils 6.308,00 DM herabzusetzen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er ist der Meinung, der im Jahr 1989 von der Klägerin aus der Errichtung der Hausmeisterwohnung in Anspruch genommene Vorsteuerabzug könne in den Streitjahren 1993 und 1994 gemäß § 15a Abs. 1 UStG anteilig berichtigt werden. Da im Erstjahr der Verwendung der Vorsteuerabzug zu Unrecht gewährt worden sei und diese Veranlagung nicht mehr änderbar sei, könne für alle noch änderbaren Folgejahre eine Korrektur des Vorsteuerabzugs erfolgen. Die falsche Rechtsanwendung für 1989 und die richtige für die Folgejahre stelle eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a UStG dar.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist begründet. Die vom Beklagten durchgeführte Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 1 UStG ist rechtswidrig, weil die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm nicht erfüllt sind. Nach § 15a Abs. 1 UStG sind u.a. die auf die Herstellungskosten der Errichtung eines Gebäudes entfallenden Vorsteuern zu berichtigen, wenn sich innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend gewesen sind,ändern.

11

Eine derartige Änderung liegt nicht vor. Für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus der Errichtung eines Gebäudes ist, neben anderen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG, dessen Nutzung maßgebend. Grundsätzlich führt die Vermietung eines Grundstücks zum Ausschluss der Vorsteuerabzugsberechtigung. Allerdings kann der Unternehmer gemäß § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG verzichten mit der Folge, dass der sich gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG aus der Steuerbefreiung ergebende Vorsteuerausschluss nicht zum Tragen kommt. Das aber setzt nach § 9 Abs. 2 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung voraus, dass das Grundstück weder Wohnzwecken diente noch zu dienen bestimmt war. Diese für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug maßgebende Nutzung der Hausmeisterwohnung auf der Endstufe hat sich zu keinem Zeitpunkt geändert. Der Vorsteuerabzug hätte bereits für das Jahr 1989 nicht gewährt werden dürfen.

12

Allerdings hat der BFH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung entschieden, dass eine Änderung der für die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG "maßgebenden Verhältnisse" auch dadurch eintritt, dass sich bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung der Verwendung im Erstjahr, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs zugrunde lag, in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Erforderlich ist allerdings, dass die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist (Urteile des BFH vom 16. Dezember 1993 V R 65/92, BStBl II 1994, 485; vom 12. Juni 1997 V R 36/95, BStBl II 1997, 589; vom 8. Januar 1998 V R 5, 6/97, BFH/NV 1998, 890; vom 24. Februar 2000 V R 33/97, UR 2000, 386). Der BFH hat damit seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, derzufolge bei gleichbleibender Verwendung und unveränderter gesetzlicher Regelung eine spätere andere rechtliche Beurteilung als im Erstjahr nicht zur Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG führt (Urteile des BFH vom 27. Juni 1991 V R 106/86, BStBl II 1993, 411; vom 3. Dezember 1992 V R 87/90, BStBl II 1993, 411; vom 21. Januar 1993 V R 15/91, BFH/NV 1994, 347). Dieser Beurteilung folgt der BFH im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 1 UStG ausdrücklich noch heute (Urteil des BFH vom 16. Dezember 1993 V R 65/92, BStBl II 1994, 485). Lediglich bei einer Fehlbeurteilung der Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 und 3 UStG soll die Vorsteuerkorrektur möglich sein. Diese Auslegung des§ 15a Abs. 1 durch die neuere Rechtsprechung des BFH hat sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur Widerspruch gefunden (Urteil des FG Berlin vom 22. Oktober 1996, VII 172/93, EFG 1997, 577; des FG Köln vom 17. Dezember 1996, 7 K 1078/91, EFG 1997, 915; Cissee in Bunjes/Geist, UStG, 6. Auflage, § 15a Rz. 11; Heidner, UR 1994, 298). Der Senat kann es aber dahingestellt bleiben lassen, ob er sich der neueren Rechtsprechung des BFH anschließt, weil auch diese Auslegung des§ 15a Abs. 1 UStG im vorliegenden Fall zum Klageerfolg führen würde.

13

Die Möglichkeit zur Vorsteuerkorrektur bei einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung des Erstjahres der Verwendung eines Wirtschaftsgutes ist vom BFH nur in Fällen der sog. Zwischenvermietung eröffnet worden. Ein Fall der Zwischenvermietung liegt aber nicht vor. Die Klägerin vermietet die Wohnung vielmehr selbst unmittelbar an ihren Hausmeister zu Wohnzwecken. Eine Ausdehnung der weiten Auslegung des § 15a Abs. 1 UStG auf diesen Sachverhalt ist nicht geboten. Hintergrund der Rechtsprechung des BFH zu § 15a Abs. 1 ist der Umstand, dass sich durch den langen Zeitablauf bis zu den ersten Urteilen des BFH zur Zwischenvermietung in den Jahren 1984 (vom 16. Mai 1984 V R 10/77, BStBl II 1984, 537 und vom 23. August 1984 V R 17/78, BStBl II 1984, 856) bereits eine gefestigte Verwaltungspraxis gebildet hatte, die in Verwaltungsanweisungen (vgl. BMF vom 27. Juni 1983, IV A 3-S 7198-21/83, BStBl I 1993, 347) und in einer Vielzahl bereits bestandskräftiger Steuerbescheide ihren Niederschlag gefunden hatte. Da der BFH dieser Verwaltungspraxis nicht gefolgt war und die Zwischenvermietung von Wohnraum nur in äußerst beschränkten Ausnahmefällen anerkannt hatte (vgl. hierzu grundlegend Urteile des BFH vom 22. Juni 1989 V R 34/87, BStBl II 1989, 1007; vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BStBl II 1992, 931), sollte der Finanzverwaltung aus Gerechtigkeitsgründen die Möglichkeit eröffnet werden, in Fällen bereits bestandskräftig gewährter Vorsteuerabzüge, wenigstens in noch offenen Folgejahren eine Korrektur über § 15a Abs. 1 UStG herbeizuführen. Dieser Gesichtspunkt greift im vorliegenden Verfahren nicht durch.

14

Schließlich wäre die Klage selbst dann begründet, wenn die vom BFH für Zwischenvermietungsfälle entwickelte Auslegung des § 15a Abs. 1 UStG auf den vorliegenden Sachverhalt auszudehnen wäre. Voraussetzung für eine Anwendung des§ 15a Abs. 1 UStG ist eine rechtliche Fehlbeurteilung im Erstjahr der Verwendung des Wirtschaftsguts. Für das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals trägt das Finanzamt die Darlegungs- und Beweislast, weil die Rechtsfolgen des § 15a Abs. 1 UStG für den Kläger nachteilig sind. Aus welchen Gründen der Vorsteuerabzug aus der Errichtung der Wohnung im Jahr 1989 anerkannt worden ist, ist unklar. Auch der Bericht über die Umsatzsteuersonderprüfung gibt hierüber keine Auskunft. Die Gewährung der Vorsteuern durch den Beklagten kann zwar auf eine unzutreffende Rechtsauffassung zurückzuführen sein. Gegen diese Möglichkeit spricht aber, dass die unmittelbare Vermietung zu Wohnzwecken an einen Nichtunternehmer zu keinem Zeitpunkt die Optionsmöglichkeit des § 9 Abs. 1 UStG eröffnet hat. Die Zugrundelegung einer derart abwegigen Rechtsauffassung durch den Beklagten ist kaum anzunehmen, jedenfalls aber nicht bewiesen. Möglich ist hingegen auch, dass die Anerkennung des Vorsteuerabzugs darauf beruht, dass der Sachverhaltskomplex "Hausmeisterwohnung" überhaupt nicht erkannt worden ist.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).