Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.10.1992, Az.: 4 L 2706/92

Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung nach dem Schwerbehindertengesetz; Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung; Zustimmung zu einer Kündigung nach dem Schwerbehindertengesetz; Unbefugtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz als Kündigungsgrund; Kündigung aus verhaltensbedingten Kündigungsgründen; Grundlage für die Feststellung des Grades der Behinderung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.10.1992
Aktenzeichen
4 L 2706/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 13419
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1992:1028.4L2706.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 02.04.1992 - AZ: 1 A 90/91

Verfahrensgegenstand

Zustimmung zu einer Kündigung nach dem Schwerbehindertengesetz

Amtlicher Leitsatz

Der in § 21 Abs. 4 Schwerbehindertengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I, S. 1421) bezeichnete Zusammenhang muß zwischen den vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründen und den Behinderungen bestehen, die im Verfahren nach § 4 SchwbG festgestellt worden sind.

In der Verwaltungsrechtssache
hat der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 1992
durch
den Richter am Oberverwaltungsgericht Atzler als Vorsitzenden,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Zeisler und Claus sowie
die ehrenamtliche Richterin Bratsch und den ehrenamtlichen Richter Bock
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer - vom 2. April 1992 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme derjenigen der Beigeladenen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Mit den angefochtenen Bescheiden stimmte der Beklagte der von der Beigeladenen mittlerweile ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung der Klägerin zu.

2

Die am 10. Dezember 1938 geborene Klägerin ist seit 1959 als Krankenschwester, seit dem 22. Februar 1965 bei der Beigeladenen beschäftigt. Sie ist wegen einer Leberzirrhose und einer Beckenvenenthrombose zu 60 vom Hundert schwerbehindert. Unter dem 4. Oktober 1983 forderte die Beigeladene sie auf, künftig bei allen krankheitsbedingten Ausfällen, und dauerten sie auch nur einen Tag, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung umgehend bei der Pflegedienstleitung vorzulegen. Unter dem 4. Juli 1988 wurde sie abgemahnt, da sie infolge Alkoholkonsums ihren Arbeitsvertragspflichten nur unzureichend nachgekommen sei. Nachdem sie am 7. Oktober 1988 dem Dienst ferngeblieben war, ohne eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt zu haben, sprach die Beigeladene unter dem 18. Oktober 1988 eine weitere "strenge Abmahnung" aus. Am 24. Oktober 1988 blieb die Klägerin dem Dienst fern. Die Beigeladene forderte sie daraufhin unter dem 26. Oktober 1988 auf, sich in ärztliche Behandlung zu begeben und eine Entgiftung durchführen zu lassen. Dieser Aufforderung kam sie in der Zeit vom 8. November 1988 bis Mitte Januar 1989 nach. Nachdem sie seit dem 16. Mai 1989 nicht zum Dienst erschienen war, beantragte die Beigeladene beim Beklagten am 22. Mai 1989 zum ersten Mal, einer außerordentlichen Kündigung zuzustimmen. Diesen Antrag zog sie Ende Mai 1989 zurück, nachdem sich die Klägerin wegen ihrer Alkoholprobleme in eine Therapie begeben hatte.

3

Am 3. September 1990 beantragte die Beigeladene zum zweiten Mal, einer außerordentlichen Kündigung der Klägerin zuzustimmen, die sie wegen Fernbleibens vom Dienst aussprechen wolle. Dem Antrag waren (u. a.) zwei Vermerke der Pflegedienstleitung vom 20. und 21. August 1990 beigefügt. In diesen wurde u. a. ausgeführt: Die Klägerin sei seit dem 16. August 1990 nicht mehr zur Arbeit erschienen. Für diesen Tag habe sie sich bei einem unzuständigen Mitarbeiter, Herrn ... morgens gegen 5.00 Uhr zu entschuldigen versucht und dabei einen sehr verwirrten und teilweise desorientierten Eindruck gemacht. Die darauffolgenden Tage sei sie ohne Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Dienst ferngeblieben; mehrere Versuche seien fehlgeschlagen, mit ihr telefonisch in Kontakt zu treten. Erst am 20. August 1990 habe sie (wiederum Herrn ...) angerufen und mitgeteilt, sie sei bis zum 22. August 1990 krankgeschrieben. Bereits in den Tagen vor dem 16. August 1990 habe die Klägerin ihre Arbeit nicht mehr ordentlich versehen und nach Alkohol gerochen.

4

Nach schriftlicher Anhörung der Klägerin erteilte der Beklagte mit Bescheid vom 17. September 1990 die beantragte Zustimmung. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er - sein Widerspruchsausschuß - durch Bescheid vom 2. Mai 1991 mit folgender Begründung zurück: Zu Recht habe die Hauptfürsorgestelle angenommen, es bestehe ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund. Die Entscheidung sei daher nicht an die Sollvorschrift des § 21 Abs. 4 SchwbG gebunden, sondern unter Abwägung der Interessen der Beigeladenen und der Klägerin nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Diese Abwägung gehe wegen der beharrlichen Nichtbeachtung der bereits im Jahre 1983 auferlegten Pflicht, Gründe für das Fernbleiben vom Dienst nachzuweisen, zum Nachteil der Klägerin aus. Der Beigeladenen sei zuzustimmen, wenn sie ausführe, der Einsatz des Krankenhauspflegepersonals bedürfe einer sorgfältigen organisatorischen Planung, um die jederzeitige Versorgung der Patienten zu sichern. Das sei durch das Verhalten der Klägerin nicht mehr gewährleistet.

5

Die Klägerin hat ihre Klage u. a. damit begründet: Der Beklagte habe bereits dadurch einen Ermessensfehler begangen, daß er den von der Beigeladenen behaupteten Sachverhalt zugrundegelegt habe. Deren Vortrag sei unrichtig; sie habe nicht unentschuldigt gefehlt. Außerdem habe sie die Darstellung der Beigeladenen bestritten, ihre krankheitsbedingte Abwesenheit habe bereits zu einer nicht mehr hinzunehmenden Mehrbelastung des übrigen Stationspersonals geführt; das hätte der Beklagte aufklären müssen. Unrichtig sei schließlich die weitere Behauptung, sie habe bereits am 14. und 15. August 1990 nach Alkohol gerochen.

6

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 17. September 1990 und dessen Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1991 aufzuheben.

7

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Durch Urteil vom 2. April 1992 hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer Stade - die Klage mit folgenden Erwägungen abgewiesen: Die Erteilung der Zustimmung habe im Ermessen des Beklagten gestanden, weil die Behinderung jedenfalls in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem ihr vorgeworfenen Fehlverhalten stehe; denn die Leberzirrhose sei mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit auf die Alkoholkrankheit der Klägerin zurückzuführen. Die der Ermessensausübung gezogenen Grenzen habe der Beklagte eingehalten. Er habe insbesondere berücksichtigt, daß die Beigeladene der Klägerin im Jahre 1989 eine weitere Chance gegeben habe, das Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten, indem sie ihren ersten Zustimmungsantrag zurückgenommen habe. Die Fürsorgepflicht nötige die Beigeladene indes auch angesichts der Interessen der Klägerin nicht, nach deren neuerlichem Fehlverhalten wiederum von einer Kündigung abzusehen.

9

Mit der Berufung bestreitet die Klägerin nach wie vor, ihre Arbeit unter Alkoholeinfluß nicht mehr richtig versehen zu haben. Der Beklagte habe bei seiner Ermessensentscheidung nicht ausreichend berücksichtigt, daß sie sich in eine Festigungstherapie begeben habe. Angesichts der Dauer des Arbeitsverhältnisses sei es der Beigeladenen zuzumuten gewesen, deren Ergebnis abzuwarten. Insoweit gereiche ihr auch die Angabe im Gutachten der ...-Stiftung vom 15. Februar 1991 nicht zum Nachteil, bei ihr könne ein Rückfall nicht ausgeschlossen werden. Das sei bei allen Alkoholikern so. Ein weiterer Ermessensfehler liege darin, daß der Beklagte nicht geprüft habe, welche anderen Mittel und Möglichkeiten bestünden, um einen reibungslosen Dienstbetrieb bei der Beigeladenen zu ermöglichen und dabei zugleich ihre Interessen als Schwerbehinderte zu schützen.

10

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer Stade - vom 2. April 1992 zu ändern und nach ihren in erster Instanz gestellten Anträgen zu erkennen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Er und die Beigeladene verteidigen die angegriffene Entscheidung.

13

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

14

Die Berufung ist nicht begründet. Der Beklagte hat ohne Rechtsverstoß gemäß §§ 15 i.V.m. 21 SchwbG die Zustimmung zur Kündigung der Beigeladenen erteilt.

15

Der Zustimmungsantrag wahrte die Zweiwochen-Frist des § 21 Abs. 2 SchwbG. Dies gilt selbst dann, wenn (nur) auf das Datum des ersten Vermerkes vom 20. August 1990 abzustellen wäre. Denn erst durch diesen Vermerk erhielt die Person, die nach der Organisation des ... Krankenhauses zu deren Erklärung befugt ist, Kenntnis von dem eine Kündigung (möglicherweise) rechtfertigenden Sachverhalt (vgl. BAG AP, § 626 BGB, Ausschlußfrist Nr. 13). Auf die Kenntnis dieser Person kommt es an. Die möglicherweise schon zu einem früheren Zeitpunkt gewonnene Erkenntnis des Stationspersonals, die Klägerin bleibe ihrem Arbeitsplatz unbefugt (weil ohne Nachweis der Krankheit) fern, ist dieser Person und damit der Beigeladenen nicht nach § 242 BGB zuzurechnen (vgl. BAG, NJW 78, 723, 724). Im übrigen beginnt die Ausschlußfrist im Fall unbefugten Fernbleibens von der Arbeit erst dann zu laufen, wenn dieser Zustand beendet wird (vgl. BAG, BB 83, 1922). Das war hier erst mit dem 22. August 1990 der Fall, an dem die (erste) Krankmeldung der Klägerin bei der Beigeladenen einging.

16

Die angefochtene Zustimmung ist - aus zwei selbständig tragenden Gründen - auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Sie ist schon deshalb rechtmäßig, weil der Beklagte sie nach § 21 Abs. 4 SchwbG auszusprechen hatte (dazu unter 1.). Außerdem sind die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden (dazu unter 2.).

17

1.

Nach § 21 Abs. 4 SchwbG ist die Zustimmung zu erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht, und seine atypische nicht Fallgestaltung vorliegt (BVerwG, Urt. v. 2.7.1992, 5 C 31.91, S. 6 f. des Urteilsabdrucks). Beides ist hier der Fall.

18

a)

Der Beurteilung sind die verhaltensbedingten Kündigungsgründe zugrunde zu legen, welche die Beigeladene dem Beklagten gegenüber zur Rechtfertigung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung angegeben hat. Durch die neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 2.7.1992, 5 C 31.91, S. 9 ff. des Urteilsabdrucks) ist geklärt, daß die Hauptfürsorgestelle die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe grundsätzlich nicht auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen, sondern als gegeben anzunehmen hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dessen Vortrag offensichtlich nicht zutrifft. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Die vom Beigeladenen zur Stützung der fristlosen Kündigung vorgebrachten Tatsachenbehauptungen sind nicht offensichtlich aus der Luft gegriffen.

19

Die Klägerin bestreitet nicht, entgegen der Aufforderung vom 8. Oktober 1983 für die Zeit vom 16. bis 19. August 1990 eine Krankmeldung nicht vorgelegt zu haben. Es ist auch außerordentlich lebenswahrscheinlich, zumindest erst durch eine umfangreiche Beweiserhebung zu widerlegen, daß ihr wiederholter Ausfall eine sorgfältige organisatorische Planung des Pflegedienstes erschwert und angesichts seiner Häufigkeit zu Engpässen in der Patientenversorgung bzw. zu einer nicht mehr hinnehmbaren Mehrbelastung des übrigen Stationspersonals geführt hat. Es wäre gleichfalls erst durch eine Beweisaufnahme zu klären, ob die Darstellung der Kolleginnen (nicht) zutrifft, die Klägerin habe nach Alkohol gerochen, unter Alkoholeinfluß ihre Arbeit mangelhaft verrichtet und darüber hinaus aggressives Verhalten an den Tag gelegt.

20

Es gereicht der Beigeladenen auch nicht zum Nachteil, daß sie diese Gründe nicht in aller Ausführlichkeit in dem Antragsschreiben vom 31. August 1990 aufgeführt hat. Denn der Beklagte hatte der zitierten neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge nur, aber immerhin all diejenigen Behauptungen zugrunde zu legen, welche die Beigeladene zur Stützung ihrer außerordentlichen Kündigung vorbrachte. Die genannten Gründe hatte sie im Schriftsatz vom 12. November 1990 (Bl. II 32 ff der Beiakte A) zusammengefaßt, den sie im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses an das Arbeitsgericht Stade gerichtet hatte. Durchschriftlich zu diesem Verfahren eingereicht, waren sie daher dessen Bestandteil und Tatsachengrundlage für die begehrte Zustimmung geworden. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die nunmehr vorgebrachten Tatsachen nicht mehr dem im Antragsschreiben vom 31. August 1990 individualisierten Kündigungsgrund zugeordnet werden könnten. Das ist indes nicht der Fall. Die im Schriftsatz vom 12. November 1990 aufgezählten Tatsachen füllen den im Schreiben vom 31. August 1990 individualisierbar konkretisierten Kündigungsgrund lediglich aus, ohne einen neuen Kündigungsgrund einzuführen.

21

Diese Gründe stehen nicht im Zusammenhang mit der Behinderung der Klägerin. Der Senat läßt offen, ob bei § 21 Abs. 4 SchwbG (zugunsten des Schwerbehinderten) jeder auch nur mittelbare Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung ausreicht (vgl. Neumann/Pahlen, SchwbG, 8. Aufl., § 21 RdNr. 23, sowie BAG, Urt. v. 17.5.1956, AP § 19 SchwBeschG Nr. 1) oder ob die Behinderung nur dann im Sinne des § 21 Abs. 4 SchwbG mit dem verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Zusammenhang steht, wenn nach ihrer Eigenart ein bestimmtes Verhalten zu erwarten oder jedenfalls nicht auszuschließen ist. Auch auf der Grundlage der ersten, für die Klägerin günstigeren, Auffassung fehlte es hier an einem Zusammenhang zwischen den körperlichen Behinderungen, deretwegen die Schwerbehinderung der Klägerin festgestellt worden ist, und ihrem zum Anlaß der Kündigung genommenen Verhalten.

22

Abzustellen ist dabei allein auf die Behinderungen, welche die Fürsorgestelle festgestellt hat. Deren Feststellungen binden andere Behörden nicht nur dann, wenn Landes- oder sonstiges Bundesrecht Rechtsfolgen (insbesondere Vergünstigungen) an die Schwerbehinderteneigenschaft bzw. einzelne von den Fürsorgestellen festzustellenden Merkmale (§ 4 Abs. 4 SchwbG) knüpft (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.7.1985, DVBl. 1985, 1317 f.). Die - positiven und negativen - Feststellungen, welche die Fürsorgestellen nach § 4 SchwbG treffen, entfalten vielmehr auch dann Bindungswirkung, wenn das Schwerbehindertengesetz selbst anzuwenden ist. Von den hier nicht gegebenen Fällen des § 4 Abs. 2 SchwbG abgesehen, hat das Schwerbehindertengesetz das Feststellungsverfahren konzentrieren und den Fürsorgebehörden ein Monopol zur Feststellung aller Umstände einräumen wollen, die sich auf regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustände beziehen (vgl. Regierungsentwurf zu einem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtengesetzes, BT-Drucks. 7/656, S. 25 zu Nr. 4; Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß), BT-Drucks. 7/4960, S. 6).

23

Bindungswirkung entfaltet danach nicht nur die Feststellung (das Ergebnis), daß jemand überhaupt schwerbehindert ist, sondern auch die der Leiden, aus denen sich dies ergibt. Das folgt schon daraus, daß erst die Ermittlung, welche der geltend gemachten regelwidrigen Zustände im Sinne des § 3 Abs. 1 SchwbG tatsächlich vorliegen, die Grundlage für die Feststellung des Grades der Behinderung darstellen kann. Dementsprechend heißt es auch im zitierten Regierungsentwurf (aaO), trotz der Ausnahmeregelung des (jetzigen) § 4 Abs. 2 SchwbG solle die Entscheidungszuständigkeit bei den Fürsorgebehörden konzentriert sein, wenn andere Behörden zwar einzelne Behinderungen festgestellt hätten, nunmehr jedoch die Feststellung getroffen werden solle, welche Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit daraus folge.

24

Ein Zusammenhang im Sinne des § 21 Abs. 4 SchwbG zwischen Kündigungsgrund (alkoholabhängigkeitsbedingtes Verhalten) und Behinderung läge hier daher nur dann vor, wenn das Versorgungsamt. Verden Alkoholsucht als geistige oder seelische Behinderung im Sinne des § 3 Abs. 1 SchwbG festgestellt hätte. Das ist nicht der Fall. In dessen Feststellungsbescheid sind als Art. der Behinderung vielmehr nur aufgeführt Leberzirrhose und Beckenvenenthrombose. Diese weisen einen Zusammenhang zum Kündigungsgrund nicht auf. Das gilt nicht nur für die Beckenvenenthrombose, sondern auch für die Leberzirrhose. Denn die Klägerin konsumiert Alkohol nicht wegen, sondern trotz dieses regelwidrigen Zustandes.

25

Die Alkoholabhängigkeit, in welche die Klägerin im hier maßgeblichen Zeitraum geraten war, dürfte im übrigen auch nicht als Behinderung im Sinne des § 3 Abs. 1 SchwbG anzusehen sein. Darunter sind nur Auswirkungen von regelwidrigen "Zuständen" zu verstehen; "Zustände" sind von "Krankheiten" zu unterscheiden. Solange die Aussicht auf Heilung besteht, liegt "nur" eine Krankheit vor.

26

Danach hatte die "Alkoholneigung" der Klägerin im hier interessierenden, durch den Widerspruchsbescheid begrenzten Zeitraum die Schwelle zum regelwidrigen Zustand nicht überschritten. Die Klägerin wies noch zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides darauf hin, sie absolviere eine erfolgversprechende Festigungstherapie. In der mündlichen Verhandlung ließ sie ergänzend erklären, sie habe diese Therapie mit Erfolg abgeschlossen. Die Klägerin kann demgegenüber auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, daß die Disposition zur Alkoholsucht lebenslang andauere. Dies mag zwar zutreffen. Die Disposition allein begründet jedoch noch nicht die Schwerbehinderteneigenschaft; diese ist nur bei einer schon vorhandenen (nicht nur drohenden) Funktionsbeeinträchtigung zu bejahen, die sich zu einem (über die Krankheit hinausgehenden) regelwidrigen Zustand entwickelt hat.

27

b)

Es liegt auch nicht ein atypischer Fall vor, in dem der Beklagte trotz § 21 Abs. 4 SchwbG nur auf der Grundlage pflichtgemäß ausgeübten Ermessens über das Zustimmungsbegehren hätte entscheiden dürfen. Atypisch wäre der Fall der Klägerin (Rechts-, nicht Ermessensfrage) nur dann, wenn die außerordentliche Kündigung sie in einer die Schutzzwecke des Schwerbehindertengesetzes berührenden Weise besonders hart träfe, d. h. ihr im Vergleich zu den der Gruppe der Schwerbehinderten im Falle außerordentlicher Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen ein Sonderopfer abverlangte (BVerwG, Urt. v. 2.7.92, 5 C 31.91, S. 7). Das kommt nur dann in Betracht, wenn die Klägerin nach Art. und Schwere in besonderer Weise behindert wäre und die Schwierigkeiten, sie auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln, das Maß dessen überschritten, was mit jeder Schwerbehinderung verbunden ist (vgl. BVerwG, aaO, S. 18). Das fortgeschrittene Alter und die langjährige Zugehörigkeit zum Betrieb der Beigeladenen allein begründen solche außergewöhnlichen Umstände nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.7.1992, 5 C 39.90, S. 12/13 des Urteilsabdrucks). Gleiches gilt für den Leberschaden, Diese Art. der Behinderung führt nicht zu einer Verringerung der Vermittelbarkeit, die im Vergleich zu anderen Schwerbehinderten außergewöhnlich wäre. Die Neigung zum Alkoholkonsum mit nachfolgender Vernachlässigung arbeitsvertraglicher Pflichten teilt die Klägerin mit einer Vielzahl von alkoholgefährdeten oder -abhängigen, nicht als Schwerbehinderte anerkannten Arbeitnehmern, die deswegen gleichfalls berufliche Nachteile erleiden. Ein schwerbehindertenspezifischer Nachteil liegt darin nicht.

28

2.

Die Berufung wäre allerdings auch dann unbegründet, wenn ein Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigung bestünde oder ein atypischer Fall vorläge. Denn der Beklagte hat die dann erforderlichen Ermessenserwägungen ohne Rechtsfehler angestellt.

29

Wie oben dargelegt, waren diese nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 2.7.1992, 5 C 31.91, S. 9 ff des Urteilsabdrucks) auf der Grundlage derjenigen Gründe anzustellen, welche die Beigeladene zur Rechtfertigung ihrer außerordentlichen Kündigung angeführt hat. Diese Kündigungsgründe waren mit den Schutzinteressen der Klägerin abzuwägen. Hierbei war diese fürsorgerisch mit dem Ziel in Schutz zu nehmen, die aus ihrer Behinderung resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten - in Abwägung mit den widerstreitenden Interessen der Beigeladenen - wiederherzustellen.

30

Dabei hatte der Beklagte insbesondere den das Schwerbehindertenrecht beherrschenden Fürsorgegedanken zu berücksichtigen, der einen Arbeitgeber unter Umständen in sehr weitgehendem Umfang verpflichten kann, Störungen des Betriebsablaufes hinzunehmen (vgl. BVerwGE 39, 36, 38) [BVerwG 27.10.1971 - V C 78/70]. Außerdem hatte er zu beachten, daß es dem Arbeitgeber in aller Regel zuzumuten ist, dem Schwerbehinderten einen anderen geeigneten Arbeitsplatz zuzuweisen, soweit ein solcher vorhanden ist; "durchschleppen" muß er ihn allerdings nicht (vgl. ... BVerwGE 29, 140, 143) [BVerwG 28.02.1968 - V C 33/66].

31

All diese Grundsätze wurden durch die angegriffenen Entscheidungen gewahrt. Dies hat das Verwaltungsgericht auf Seite 13 f seines Urteils zutreffend dargelegt, auf das der Senat gemäß § 130 b VwGO deshalb verweist. Maßgeblich ist insbesondere, daß die Beigeladene ihrer Fürsorgepflicht dadurch bereits in ganz erheblichem Umfange nachgekommen war, daß sie den ersten Zustimmungsantrag aus dem Jahre 1989 zurückgenommen hat, obwohl die Klägerin bereits durch ihr damaliges Verhalten bewiesen hatte, trotz neurologischer Behandlung und stationärer körperlicher Entgiftung ihren Alkoholkonsum nicht in einer Weise steuern zu können, die gravierende Störungen ihres Arbeitsverhaltens ausschloß. Angesichts dessen konnte der Beigeladenen nicht mehr angesonnen werden, den Ablauf einer weiteren Entgiftungskur abzuwarten. Sie durfte vielmehr nunmehr ihre Belange über diejenigen der Klägerin stellen, welche - was wohl zuzugeben ist - sehr geringe Chancen haben dürfte, angesichts ihrer Schwerbehinderung einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Die mit dem zu erwartenden weiteren Verhalten der Klägerin einhergehende Unsicherheit machte es der Beigeladenen auch unzumutbar, der Klägerin Ersatzarbeitsplätze anzubieten. Denn auch dort wäre eine regelmäßige Präsenz erforderlich. Der Beklagte brauchte daher nicht zu prüfen, ob im Bereich des ... Krankenhauses überhaupt andere, der Klägerin angemessene, Arbeitsplätze vorhanden waren.

32

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3, 167 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil diese zur Vermeidung eigenen Kostenrisikos einen Antrag nicht gestellt hatte.

33

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), bestehen nicht.

Atzler
Zeisler
Claus