Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.05.2014, Az.: 7 W 24/14 (L)

Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Einlegung der Beschwerde beim unzuständigen Beschwerdegericht auf Grund unrichtiger Rechtsmittelbelehrung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.05.2014
Aktenzeichen
7 W 24/14 (L)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 17926
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0522.7W24.14L.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim

Fundstellen

  • AUR 2014, 313-314
  • ArbR 2015, 139

Amtlicher Leitsatz

1. Ist die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts inhaltlich falsch und legt ein Verfahrensbevollmächtigter in Befolgung der falschen Belehrung und im Vertrauen auf diese die Beschwerde statt beim Amtsgericht als Ausgangsgericht beim Oberlandesgericht als Beschwerdegericht ein, so gilt auch heute noch - viereinhalb Jahre nach Inkrafttreten des FamFG - trotz anwaltlicher Vertretung die Vermutung des § 17 Abs. 2 FamFG.

2. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Senats, an der er aus Gründen des Vertrauensschutzes für Beschwerden, die im laufenden Kalenderjahr eingelegt werden, aber vorübergehend noch festhält, muss nicht nur binnen 2 Wochen seit Wegfall des Hindernisses der Wiedereinsetzungsantrag beim Beschwerdegericht gestellt, sondern auch gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG die versäumte Prozesshandlung nachgeholt, also die Beschwerde beim Amtsgericht als Ausgangsgericht eingelegt werden.

Tenor:

1. Der Antragstellerin wird - wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung - antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die versäumte rechtzeitige Einlegung der Beschwerde beim Ausgangsgericht (Amtsgericht) gewährt.

2. Damit bleibt der Senat aus Gründen des Vertrauensschutzes zunächst noch bei seiner Rechtsprechung, wonach die Nachholung der versäumten Rechtshandlung entbehrlich ist.

3. Für Rechtsmittel, die von einer anwaltlich vertretenen Partei nach dem 1. Januar 2015 eingelegt werden, behält der Senat sich vor, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, insbesondere entsprechend dem Gesetzeswortlaut (§ 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG) eine Nachholung der Beschwerdeeinlegung beim Amtsgericht als formale Voraussetzung der Wiedereinsetzung zu verlangen.

Gründe

I.

Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hat gegen den ihrem Bevollmächtigten am 19.02.2014 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts - Landwirtschaftsgericht - Hildesheim am 19.03.2014, also am letzten Tag der Rechtsmittelfrist, Beschwerde beim hiesigen Senat eingelegt. Dies entsprach der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses, wonach die Beschwerde entweder beim Ausgangsgericht oder beim Beschwerdegericht eingelegt werden könne. Mit gerichtlicher Verfügung vom 21.03.2014 ist die Antragstellerin darauf hingewiesen worden, dass ihre Beschwerde zu verwerfen sei, weil diese nach § 64 FamFG (allein) beim Amtsgericht hätte eingelegt werden können. Die Antragstellerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 04.04.2014, eingegangen beim Oberlandesgericht am 09.04.2014, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und sich darauf berufen, die Nichteinlegung des Rechtsmittels beim Amtsgericht als Ausgangsgericht sei in Befolgung der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung unverschuldet erfolgt. Der Antragsgegner hat demgegenüber unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH FamRZ 2010, 1425) den Standpunkt vertreten, die Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung sei bei einer anwaltlich vertretenen Partei kein ausreichender Entschuldigungsgrund, sodass dem Antrag nicht stattzugeben sei.

II.

Der Senat gewährt der Antragstellerin die nachgesuchte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus Gründen des Vertrauensschutzes, obwohl die formalen Voraussetzungen nach § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht erfüllt sind.

1. Formale Voraussetzung für die Wiedereinsetzung ist nach § 18 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 FamFG, dass binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses beim Beschwerdegericht, also beim Oberlandesgericht, ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt wird (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 19, Rn. 3) und zusätzlich, dass binnen derselben Frist die versäumte Prozesshandlung gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG nachgeholt wird. Das erfordert in den Fällen wie dem vorliegenden, dass die Einreichung der Beschwerdeschrift gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG beim Ausgangsgericht, also dem Amtsgericht, binnen 2 Wochen nachgeholt werden muss.

Hier hat die Antragstellerin zwar am letzten Tag der Frist und damit rechtzeitig den Wiedereinsetzungsantrag beim Senat gestellt, nicht hingegen die bislang versäumte Einlegung der Beschwerde beim Amtsgericht nach § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG nachgeholt. Der Senat hat jedoch in seiner bisherigen Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, dass dies unschädlich sei. So heißt es im Senatsbeschluss vom 13.01.2014 auszugsweise (7 W 81/13 (L) -, juris, Rn. 9):

"Zulässig war es auch, den Wiedereinsetzungsantrag, über den ohnehin der Senat zu entscheiden hatte, ohne Umweg über das Landwirtschaftsgericht und ohne erneute Beschwerdeeinlegung dort direkt an den Landwirtschaftssenat zu richten (vgl. OLG Dresden FGPrax 2011,103, Rn. 9; ... zitiert nach juris; nicht veröffentlichter Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2012 - 7 W 44/12 -)."

Indes widerspricht diese Sichtweise dem Gesetzeswortlaut und hat, soweit ersichtlich, in der Rechtsprechung keine Gefolgschaft gefunden (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 19 UF 398/13 - NZFam 2014, 372, Rn. 13 und OLG Celle, Beschl. v. 16. Januar 2014 - 10 UF 248/13 -, JurBüro 2014, 210, Rn. 13; jew. zit. n. juris).

Der Senat hält daher an seiner bisherigen Entscheidungspraxis nur aus Gründen des Vertrauensschutzes noch bis zum Jahresende fest, behält sich danach aber eine Änderung seiner Rechtsprechung ausdrücklich vor.

2. Des Weiteren ist sachliche Voraussetzung für die Gewährung der Wiedereinsetzung, dass der betreffende Beteiligte "ohne sein Verschulden verhindert" war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 17 Abs. 1 FamFG). Dabei wird das fehlende Verschulden nach Absatz 2 der genannten Vorschrift gesetzlich vermutet, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben, oder - so wie hier - fehlerhaft ist.

Nach der alten Rechtslage, also unter Geltung des FGG vor Inkrafttreten des FamFG zum 01.09.2009, konnte die Beschwerde alternativ entweder beim Ausgangsgericht oder beim Beschwerdegericht eingelegt werden. Hintergrund dieser alten Regelung war, dass bei landwirtschaftsgerichtlichen Hauptsacheentscheidungen eine Abhilfe durch das Amtsgericht als Ausgangsgericht nicht möglich war. Demgegenüber hat die Neuregelung durch § 68 Abs. 1 FamFG eine Abhilfeprüfung und -möglichkeit durch das Amtsgericht geschaffen und folgerichtig gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Einlegung des Rechtsmittels (nur noch) beim Ausgangsgericht vorgeschrieben. Diese gesetzliche Änderung ist von Anfang an bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sowohl von den Gerichten als auch von den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten nur ungenügend wahrgenommen und umgesetzt worden. So werden in landwirtschaftsgerichtlichen Beschlüssen des Amtsgerichts auch heute noch zum Teil, wie auch im vorliegenden Fall, Rechtsmittelbelehrungen verwendet, nach denen die Beschwerde vermeintlich auch beim Oberlandesgericht eingelegt werden kann, was tatsächlich aber nicht der Fall ist (s. o.). Ebenso wird die Beschwerde dann, auch von anwaltlich vertretenen Beteiligten, der insoweit falschen Rechtsmittelbelehrung folgend beim Landwirtschaftssenat des Oberlandesgerichts statt beim Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - eingelegt.

Der Senat hat daher seit Inkrafttreten des FamFG bei fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung stets Wiedereinsetzung gewährt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Januar 2014 - 7 W 81/13 (L) -, juris, Rn. 8; vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2011 - 10 W 11/11 -, juris, Rn. 7 ff.).

Im vorliegenden Fall wendet der Antragsgegner allerdings ein, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gelte die gesetzliche Vermutung des fehlenden Verschuldens bei falscher oder unvollständiger Rechtsmittelbelehrung nach § 17 Abs. 2 FamFG nicht (vgl. 12. Zivilsenat d. BGH FamRZ 2010, 1425, Rn. 11; ders. FamRZ 2011, 1649, Rn. 18). Der Wiedereinsetzungsantrag sei daher als unbegründet zurückzuweisen. Jedoch betraf die vom Antragsgegner unter Bezug genommene Entscheidung BGH FamRZ 2010, 1425 einen Sachverhalt, in dem die Rechtsmittelbelehrung betreffend die Möglichkeit der Einlegung einer Rechtsbeschwerde zum BGH nicht inhaltlich falsch, sondern nur unvollständig war, wobei die zugrunde liegenden Vorschriften, in dem Fall die §§ 71 und 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG, zutreffend zitiert waren. Ein Rechtsanwalt müsse aber einerseits ohnehin wissen, dass eine Rechtsbeschwerde zum BGH nur durch einen beim BGH zugelassenen Anwalt eingelegt werden kann, zum anderen müsse er die in der Rechtsmittelbelehrung zutreffend angegebenen Vorschriften, aus denen sich dies ergebe, nötigenfalls nachlesen, um sich auf diese Weise die erforderliche Kenntnis zu verschaffen. Gegenüber einem Rechtsanwalt sei daher ein vollständiger und zutreffender Hinweis auf die gesetzlichen Grundlagen des zulässigen Rechtsmittels ausreichend (BGH, aaO., Rn. 12, 15).

Im vorliegenden Fall enthielt die Rechtsmittelbelehrung dagegen keinen Hinweis auf die gesetzlichen Grundlagen; eine Angabe von Normen fehlte vollständig. Zudem war die textliche Belehrung nicht nur unvollständig, sondern inhaltlich falsch, indem es hieß, die Beschwerde könne nicht nur beim Amtsgericht Hildesheim, sondern auch beim Oberlandesgericht Celle eingelegt werden. Letzteres hat der Verfahrensbevollmächtigte in Befolgung der falschen Belehrung und im Vertrauen auf diese getan, wie glaubhaft dargelegt worden ist. Jedenfalls in einem solchen Fall muss es nach Auffassung des Senats - trotz anwaltlicher Vertretung - bei der Vermutung nach § 17 Abs. 2 FamFG bleiben und die Kausalität der falschen Belehrung für die Versäumung der betreffenden Frist auch 4 1/2 Jahre nach Inkrafttreten des FamFG noch angenommen werden (vgl. auch OLG Oldenburg, aaO., Rn. 15; Keidel/Sternal, aaO., § 17 FamFG, Rn. 36 ff.).