Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.12.2011, Az.: 10 W 11/11
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei unrichtiger Rechtsmittelbelehrung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 22.12.2011
- Aktenzeichen
- 10 W 11/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 35495
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2011:1222.10W11.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 17 Abs. 2 FamFG
- § 17 HöfeO
- § 15 HöfeVfO
Fundstellen
- FamRZ 2012, 1829-1831
- JurBüro 2012, 334-335
Amtlicher Leitsatz
Ist in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Rechtsmittelbelehrung inhaltlich fehlerhaft (hier: Angabe einer falschen Rechtsmittelfrist), kommt auch bei einer anwaltlichen Vertretung die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 17 FamFG in Betracht.
Die Ursächlichkeit der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung für die Fristversäumung kann hier nicht verneint werden, wenn der anwaltliche Verfahrensbevollmächtigte von der Richtigkeit der in der Rechtsmittelbelehrung genannten Rechtsmittelfrist ausgegangen ist.
Die Verschuldensvermutung nach § 17 Abs. 2 FamFG ist widerlegbar.
Sie kann bei fehlerhafter Angabe der Rechtsmittelfrist in der gerichtlichen Rechtsmittelbelehrung nur dann als widerlegt angesehen werden, wenn die Fehlerhaftigkeit der gerichtlichen Angaben für den Rechtsanwalt ohne weiteres, also auch ohne nähere Rechtsprüfung, erkennbar war und insoweit von einem seitens des Gerichts gesetzten Vertrauenstatbestand nicht ausgegangen werden kann.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 1 wendet sich mit der Beschwerde gegen Auflagen, die mit einer Genehmigung eines Hofübergabevertrags verbunden worden sind.
Durch notariellen Vertrag vom 11.11.2010 vereinbarte der Beteiligte zu 1 mit dem Beteiligten zu 3 die Übertragung des im Beschlusseingang bezeichneten Hofs auf den Beteiligten zu 3. Der Beteiligte zu 1 behielt sich in dem Vertrag zu seinen Gunsten und zugunsten seiner Ehefrau, der Beteiligten zu 2, ein Altenteilsrecht vor, bestehend aus einem Wohnungsrecht und einer monatlichen Rente von 3250 € bzw. von 1750 € beim Tod eines Elternteils. Nach der notariellen Vereinbarung sollen von der Übertragung des Hofes, der eine Größe von ca. 53,3 ha hat, einige Waldgrundstücke zur Größe von ca. 2 ha sowie Ackerland zur Größe von 2,7671 ha ausgenommen werden. hinsichtlich der Waldgrundstücke ist eine schenkweise Übertragung auf den Beteiligten zu 3 im Zeitpunkt des Todes des Beteiligten zu 1 vorgesehen, hinsichtlich der nicht mit übertragenen Ackerfläche ist der Beteiligte zu 1 keine vertragliche Bindung eingegangen. Die Ackerfläche ist bis auf weiteres dem Beteiligten zu 3 zur Bewirtschaftung überlassen worden.
Gegen diese Entscheidung des Landwirtschaftsgerichts, die mit einer Rechtsmittelbelehrung dahingehend versehen war, dass das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig ist und diese innerhalb einer Frist von einem Monat beim Amtsgericht V... einzulegen sei, und die dem Beteiligten zu 1 am 11.5.2011 zugestellt worden ist, hat der Beteiligte zu 1 mit einem am 10.6.2011 beim Amtsgericht V...eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt.
Nach einem Hinweis des Berichterstatters des Senats auf die hier eventuell geltende Beschwerdefrist von zwei Wochen gemäß § 63 Abs. 2 FamFG stellt der Beteiligte zu 1 vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist.
Er führt hierzu aus, dass er bzw. seine Verfahrensbevollmächtigten auf die Richtigkeit der erteilten gerichtlichen Rechtsbehelfsbelehrung vertraut hätten und die Versäumung der Frist aus § 63 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ausschließlich auf der inhaltlich falschen Rechtsbehelfsbelehrung des Amtsgerichts beruht habe.
II. 1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist nach §§ 9 LwVG, 58 Abs. 1 FamFG zulässig.
a) Es ist allerdings die Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 2 Nr. 2 FamFG nicht eingehalten worden.
Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen, wenn sie sich gegen einen Beschluss richtet, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat. Dies ist bei dem hier angegriffenen Beschluss über die Genehmigung des Hofübergabevertrags ersichtlich der Fall.
Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1 kann es hier nicht darauf ankommen, ob die vom Gesetzgeber für maßgebend gehaltenen Gründe für die Verkürzung der Beschwerdefrist, nämlich der Gesichtspunkt eines wünschenswerten schnellen Eintritts der Rechtskraft, auch in der konkreten Rechtsanwendung eingreifen. Im Rahmen der aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit gebotenen Typisierung muss die Sonderregelung nach ihrem insoweit klaren Inhalt - ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalls - alle Beschlüsse erfassen, die eine (erteilte oder versagte) Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand haben.
Danach galt hier eine Beschwerdefrist von zwei Wochen, die der Beteiligte zu 1 unzweifelhaft nicht eingehalten hat.
b) Wegen der Versäumung der Beschwerdefrist ist dem Beteiligten zu 1 jedoch auf seinen vorsorglich gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 9 LwVG, 17, 18 FamFG zu gewähren.
Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Beteiligte zu 1 - wie in § 17 Abs. 1 FamFG vorausgesetzt - ohne eigenes oder ihm zuzurechnendes Verschulden seines anwaltlichen Vertreters an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war.
Nach § 17 Abs. 2 FamFG wird ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn die nach §§ 9 LwVG, 39 FamFG vorgesehene Rechtsbehelfsbelehrung fehlte, unvollständig oder fehlerhaft war. Hier war die vom Landwirtschaftsgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung im entscheidenden Punkt der einzuhaltenden Rechtsmittelfrist fehlerhaft. Denn nach der Belehrung sollte die bei Beschwerden nach dem FamFG grundsätzlich geltende Frist von einem Monat einzuhalten sein, während hier jedoch - wie zuvor ausgeführt - nach der Sonderregelung des § 63 Abs. 2 Nr. 2 FamFG eine verkürzte Beschwerdefrist von zwei Wochen galt.
Die erforderliche Ursächlichkeit der hier fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung für die Fristversäumung kann nicht verneint und die Vermutung fehlenden Verschuldens kann auch nicht als widerlegt angesehen werden, weil der Beteiligte zu 1 als Verfahrensbevollmächtigten einen Rechtsanwalt hatte, von dem die notwendige Kenntnis und insbesondere die Kenntnis der hier einzuhaltenden Beschwerdefrist zu erwarten war und dessen evtl. Verschulden sich der Beteiligte zu 1 zurechnen lassen muss.
In der Literatur und Rspr. wird allerdings bei anwaltlicher Vertretung des Beteiligten teilweise die erforderliche Kausalität einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung für die Fristversäumung verneint, weil eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung auf Seiten des Beteiligten nur den Kenntnisstand hätte vermitteln können, der bei einem anwaltlichen Vertreter (regelmäßig) als vorhanden unterstellt werden kann und unterstellt werden muss (vgl. OLG Karlsruhe NJWRR 2010, 1223. Keidel/Sternal, § 17 FamFG Rn. 37. MKZPO/Papst, 3. Aufl., § 17 FamFG Rn. 9. Musielak/Borth, FamFG, 2. Aufl., § 17 FamFG Rn. 3). Diese Auffassung geht jedoch - so auch im vorliegenden Fall - vielfach an der Realität vorbei, wenn auf Seiten eines Beteiligten trotz anwaltlicher Vertretung tatsächlich eine falsche, längere Rechtsmittelfrist zugrunde gelegt wird. Auch bei einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt kann nicht generell eine zutreffende Fristenkenntnis unterstellt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es - wie hier - nicht um eine Standardfrist, sondern um eine Sonderregelung geht und es überdies nicht fern liegt, dass der anwaltliche Verfahrensbevollmächtigte sich auf die Rechtsmittelbelehrung des Gerichts verlassen hat.
Im vorliegenden Fall hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 sich ausweislich seiner Ausführungen in der Beschwerdebegründung (Seite 2) auf die Angaben des Landwirtschaftsgerichts zur hier angeblich anwendbaren Rechtsmittelfrist von einem Monat verlassen und auf deren Richtigkeit vertraut. Misstrauen soll nicht entstanden sein, weil die genannte Frist der nach dem FamFG geltenden Regelfrist entsprochen habe. Die in der gerichtlichen Rechtsmittelbelehrung enthaltene Frist sei dann auch für die Eintragungen im Fristenkalender übernommen worden.
Nach den dargelegten und ersichtlichen Umständen erscheint es glaubhaft, dass die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1 zur Versäumung der (hier anwendbaren kürzeren) Rechtsmittelfrist veranlasst hat und dies bei zutreffender Belehrung vermieden worden wäre.
Bei wertender Betrachtung kann auch von einer Widerlegung der aus § 17 Abs. 2 FamFG folgenden Vermutung fehlenden Verschuldens nicht ausgegangen werden.
Allerdings ist entsprechend dem Gesetzeswortlaut (der von der vergleichbaren, aber als Fiktion formulierten Regelung in § 44 S. 2 StPO deutlich abweicht), den für die Vermutung geltenden allgemeinen Grundsätzen, wie sie in § 292 ZPO zum Ausdruck kommen, und mangels anderer Anhaltspunkte in der Gesetzessystematik davon auszugehen, dass es sich bei § 17 Abs. 2 FamFG um eine widerlegbare Vermutung handelt (vgl. OLG Rostock FamRZ 2011, 986, 987. Hartmann in BLAH, ZPO, 69. Aufl., § 17 FamFG Rn. 5. SchulteBunert/Weinreich/Brinkmann, § 17 FamFG Rn. 37. abweichend Keidel/Sternal, § 17 FamFG Rn. 37. Prütting/Helms/AhnRoth, § 17 FamFG Rn. 29. die für die abw. Auffassung teilweise herangezogene Entstehungsgeschichte der Norm - BTDrucks 16/6308, Seite 183 - lässt keine hinreichenden, zumindest keine zwingenden Schlüsse zu, dort wird zwar die Regelung in § 44 S. 2 StPO erwähnt, auf die deutlich abweichende Formulierung des § 17 Abs. 2 FamFG als Vermutung und die Frage ihrer Widerlegbarkeit wird jedoch nicht eingegangen).
Die Vermutung fehlenden Verschuldens kann im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung aller Umstände nicht als widerlegt angesehen werden.
Zwar wird regelmäßig von einem Rechtsanwalt zu erwarten sein, dass er das Rechtsmittelsystem sowie die anwendbare Rechtsmittelfrist kennt und die fehlerhafte Annahme einer zu langen Frist wird danach grundsätzlich ein Verschulden begründen, das sich der vertretene Beteiligte zurechnen lassen muss. Die Vermutung fehlenden Verschuldens wird danach insbesondere widerlegt sein, wenn die Rechtsmittelbelehrung unvollständig ist. hier muss die erforderliche Kenntnis hinsichtlich des unvollständigen Teils bei einem Rechtsanwalt regelmäßig erwartet werden (vgl. hierzu BGH FamRZ 2010, 1425, 1426. OLG Köln FGPrax 2011, 261). Hat hingegen - wie hier - das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung mit einer inhaltlich fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung versehen, wird jedoch auch für einen Rechtsanwalt ein gewisser Vertrauenstatbestand geschaffen (ebenso OLG Rostock FamRZ 2011, 986, 987). Der Rechtsanwalt wird hier - wenn die Unrichtigkeit der Belehrung nicht offensichtlich ist - den gerichtlichen Angaben vertrauen und mangels konkreter entgegenstehender Umstände keine Veranlassung haben, sich mit der einschlägigen gesetzlichen Regelung und ihrer Interpretation durch Rspr. und Literatur näher zu befassen. Dies gilt insbesondere, wenn - wie hier - in der gerichtlichen Rechtsmittelbelehrung die im Regelfall anwendbare, dem Rechtsanwalt geläufige Rechtsmittelfrist genannt wird.
In der Rspr. des BGH und in der Literatur ist für die Wiedereinsetzung im Zivilprozess bereits anerkannt worden, dass eine unzutreffende, inhaltlich falsche Rechtsbehelfsbelehrung oder eine sonst unzutreffende Belehrung des Gerichts einen Vertrauenstatbestand schaffen kann, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumung berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der Partei hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht (vgl. BGH NJWRR 2004, 408. BGH NJW 1993, 3206 - fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung eines Landwirtschaftssenats. NJW 1981, 576, 577 [BGH 26.11.1980 - IVb ZR 592/80], MKZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl., § 517 ZPO Rn. 13. Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., Vor § 511 ZPO Rn. 36). Dabei darf auch eine anwaltlich vertretene Partei sich regelmäßig auf die Richtigkeit der Belehrung durch das Gericht verlassen (vgl. BGH NJWRR 2004,408. NJW 1993, 3206. Musielak/Ball, aaO.). Auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit ist - ohne dass es im ArbGG eine dem § 17 Abs. 2 vergleichbare Vermutungsregelung gibt - anerkannt, dass bei einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung und dadurch veranlasster Fristversäumung Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn der vom Gericht (mit)verursachte Irrtum des Rechtsanwalts (Rechtskundigen) nachvollziehbar und irgendwie verständlich erscheint (vgl. BAG NJW 2010, 3387 [BAG 10.06.2010 - 5 AZB 3/10]. 2007, 1485. 2005, 3515, stRspr des BAG).
Entsprechende Grundsätze müssen auch für die Widerlegung der Vermutung des § 17 Abs. 2 FamFG gelten, wobei vorhandene, verbleibende Zweifel hier eine Widerlegung der Vermutung ausschließen.
Ein entsprechender Vertrauenstatbestand mag entfallen, wenn die Unrichtigkeit der gerichtlichen Rechtsmittelbelehrung (für einen Rechtsanwalt) ohne weiteres, also auch ohne nähere Rechtsprüfung erkennbar ist. Ein solcher offensichtlicher Fehler kann im vorliegenden Fall jedoch nicht angenommen werden. Hier ist - wie bereits ausgeführt - den Rechtsanwälten geläufige, im Regelfall für Beschwerden nach dem FamFG geltende Beschwerdefrist genannt worden.
Schließlich stehen einer Widerlegung der Verschuldensvermutung und der Verneinung eines Wiedereinsetzungsgrundes hier auch verfassungsrechtliche Gründe entgegen.
Der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip untersagt dem Gericht nämlich, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern, Versäumnissen oder Unklarheiten Verfahrensnachteile für Beteiligte abzuleiten (BVerfGE 51, 188, 192 [BVerfG 22.05.1979 - 1 BvR 1077/77]. BVerfG NJW 2006, 1579 [BVerfG 17.01.2006 - 1 BvR 2558/05]). Danach kann ein Beteiligter nicht auf eine verschuldete Versäumung der Rechtsmittelfrist verwiesen werden, wenn die gerichtliche Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft war, der Beteiligte nachvollziehbar darauf vertraut hat und damit seitens der Gerichte bei wertender Betrachtung eine wesentliche Ursache für die Versäumung der Rechtsmittelfrist gesetzt worden ist (vgl. zu diesem auch bei § 17 Abs. 2 FamFG zu berücksichtigenden Gesichtspunkt Ulrici ZZP 2011, 219, 224 ff).
Nach alledem kann hier die aus § 17 Abs. 2 FamFG folgende Vermutung fehlenden Verschuldens nicht als widerlegt angesehen werden.
Dem Beteiligten zu 1 ist mithin wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
2. Die nach Gewährung der Wiedereinsetzung zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist in der Sache begründet.