Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.10.2019, Az.: 6 A 5999/17
alleinstehende Frau; bestimmte soziale Gruppe; geschlechtsspezifische Verfolgung; Irak; Kurdische Autonomieregion; Rechtsschutz; Sulaimaniyya
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 07.10.2019
- Aktenzeichen
- 6 A 5999/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 69807
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Alleinstehende bzw. alleinerziehende Frauen, welche nicht auf den Schutz eines Familienverbandes zurückgreifen können, stellen im Irak eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar, deren Angehörigen nach der jeweiligen Lage des Einzelfalls geschlechtsspezifi-sche Verfolgung drohen kann.
2. Zur Lage alleinstehender Frauen auf dem Gebiet der Kurdi-schen Autonomieregion, insbesondere der Möglichkeit, poli-zeilichen und gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. Juni 2017 wird aufgehoben, soweit er dem vorgenannten Verpflichtungsausspruch entgegensteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand:
Die Kläger, irakische Staatsangehörige kurdischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Eigenen Angaben zufolge reiste die im Jahr 1984 geborene Klägerin zu 1. gemeinsam mit ihrem im Jahr 2014 geborenen Sohn, dem Kläger zu 2., zu einem ihr unbekannten Monat des Jahres 2015, vermutlich im Dezember, aus dem Irak aus und im Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte sie in einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Zu ihren persönlichen Verhältnissen erklärte die Klägerin zu 1. im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt, sie stamme aus der Stadt Sulaimaniyya in der gleichnamigen Provinz. Seit August 2015 sei sie geschieden; ihr Ex-Mann lebe noch im Irak. Ihr leiblicher Vater sei bereits verstorben. Zu ihrem im Jahr 1937 geborenen Stiefvater, der wechselnden Aufenthalts sei und als Rentner nur über ein geringes Einkommen verfüge, habe sie nur noch sporadischen, mittelbaren Kontakt über Verwandte. Zu ihrer leiblichen Mutter, deren einziges Kind sie sei und die sie zuletzt im Alter von drei Jahren gesehen habe, habe sie ebenfalls sporadischen telefonischen Kontakt; diese lebe irgendwo in Großbritannien. Ihre Stiefmutter sei bereits verstorben. Sie habe auch noch Stiefgeschwister, die aber nicht von ihrer Mutter seien, sondern von einer weiteren Frau. In Sulaimaniyya hielten sich zudem weitere Angehörige ihrer Großfamilie auf. Zu ihrem Werdegang erklärte die Klägerin zu 1., sie habe die Schule bis zur fünften Klasse besucht und könne Kurdisch lesen und schreiben. Gearbeitet habe sie in einer Schulkantine, wo sie Essen ausgegeben habe.
Auf die Gründe ihrer Ausreise angesprochen, schilderte die Klägerin zu 1., sie habe den Irak verlassen, weil ihr Ex-Mann sie fortwährend bedrängt, bedroht und misshandelt habe. Dieser sei drogenabhängig, nehme bzw. spritze die Drogen Taryak (Opium) und Kokain und sei deshalb fortwährend auf Geld angewiesen. Bereits vor der Scheidung habe er sie sehr häufig geschlagen, wovon sie zum Teil bleibende Narben davongetragen habe, und sie mit Messern bedroht. Getan habe er dies, wenn er wütend gewesen sei, insbesondere, wenn er keine Drogen besessen habe. Wenn sie Hausarbeit verrichtet habe, habe er beispielsweise das Kabel des Staubsaugers herausgerissen und sie damit misshandelt. Vor der Geburt ihres Sohnes, des Klägers zu 2., sei sie bereits zweimal schwanger gewesen, habe jedoch jeweils eine Fehlgeburt erlitten, weil sie ihr Ex-Mann massiv misshandelt habe. Außerdem habe er sie erniedrigt und auf offener Straße als Hure beschimpft. Er habe nicht nur Haushaltsgegenstände entwendet und verkauft, sondern auch ihren Goldschmuck. Sich selbst habe er oft mit scharfen Gegenständen verletzt, bis er geblutet habe.
In diesem Zusammenhang überreichte die Klägerin zu 2. zur Verfahrensakte des Bundesamts eine ärztliche Bescheinigung der Gesundheitsdirektion Sulaimaniyya, Zentrum für Psychotherapie, der zufolge der Ex-Mann der Klägerin zu 1. im März und April 2012 mehrere Male ins Krankenhaus eingewiesen worden sei wegen einer Sucherkrankung und einer Depression, sein Zustand sich aber nicht gebessert habe; ferner, dass das Ärztekomitee eine Behandlung der Suchterkrankung im Ausland empfehle. Hierzu ergänzte die Klägerin zu 2., auch der anschließende Therapieaufenthalt im Iran habe nicht zur Genesung ihres Ex-Mannes oder zur Änderung seines Verhaltens geführt. Im Jahr 2013 sei er wegen seines Drogenkonsums für ein Jahr inhaftiert worden. Nachdem er freigelassen worden sei, habe er sie weiter geschlagen, bedroht und belästigt. Ihr Ex-Mann habe ihr auch immer wieder damit gedroht, dass er das gemeinsame Kind, welches zum damaligen Zeitpunkt noch sehr klein gewesen sei, mitnehmen und an Dritte verkaufen werde. Zur Verfahrensakte überreichte die Klägerin zu 2. außerdem eine Abschrift eines im August 2015 verkündeten Urteils des Familiengerichts des Oberen Landesgerichts der Provinz Sulaimaniyya. Mit diesem Urteil schied das Gericht die Ehe der Klägerin zu 2. unter Hinweis auf die Drogenabhängigkeit ihres Ehemannes. Diese sei nach Auffassung des zuständigen Richters erwiesen durch eine (rechtskräftige)) Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, das Ergebnis einer Blutuntersuchung, welche Spuren von Amphetaminen nachgewiesen habe, sowie schließlich durch die Auskunft eines psychologischen Sachverständigen.
Nach der Scheidung, so die Klägerin zu 1. im weiteren Verlauf der Anhörung, habe ihr Ex-Mann sie weiterhin bedroht. Sie sei deswegen viermal bei der Polizei gewesen, welche ihren Ex-Mann dann für maximal einen Tag inhaftiert und ihn dann wieder laufen lassen habe. Auch in den Wochen vor der Ausreise sei er immer wieder zu ihr gekommen und sei beispielsweise über das Dach oder über offene Fenster in das Haus eingestiegen, um sie zu belästigen, bedrängen und zu beschimpfen. Sie, die Klägerin zu 1., habe dann versucht, bei ihrer Schwiegermutter unterzukommen, aber diese habe selbst Probleme mit ihrem drogenabhängigen Sohn gehabt. Auch Angehörige ihrer eigenen Großfamilie hätten sich geweigert, sie aufzunehmen, u.a. wegen ihres Sohnes. Sie hätte auch nicht gewusst, wie sie in diesem familiären Umfeld ihren Lebensunterhalt hätte finanzieren können. Sie habe sich deshalb entschieden, auszureisen, namentlich aus Angst um ihr eigenes Leben, vor allem aber um das ihres Sohnes, da sie befürchtet habe, dass ihr Ex-Mann ihre Drohung wahrmache und den gemeinsamen Sohn entführe. Von Sulaimaniyya aus seien sie mit dem Bus in die Türkei gefahren, wobei sie die Ausreise durch ihre Ersparnisse finanziert habe. Sie beide seien illegal ausgereist und hätten ihren Reisepass nicht mitnehmen können. Ihre Schwiegermutter habe sich geweigert, ihr die Pässe auszuhändigen. Im Falle ihrer Rückkehr in den Irak, so die Klägerin zu 1. abschließend, fürchte sie ebenso um das Leben ihres Kindes wie um ihr eigenes Leben.
Mit Bescheid vom 22. Juni 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) ab und erkannte den Klägern den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 2). Zudem stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 3) und drohte die Abschiebung der Kläger in den Irak an (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) befristete es auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 5). Zur Begründung führte der zuständige Entscheider im Wesentlichen aus, der Klägerin zu 1. drohe weder Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts noch ein ernsthafter körperlicher Schaden. Die geschilderte familiäre Situation sei lediglich „emotional belastend“ gewesen. Außerdem sei die Klägerin zu 1. an die örtlichen Sicherheitsbehörden zu verweisen, die in dieser Sache ja bereits auch tätig geworden seien. Schließlich stünden den Klägern innerstaatliche Fluchtalternativen auf dem Gebiet der Kurdischen Autonomieregion zur Verfügung.
Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 29. Juni 2017 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft ihr Prozessbevollmächtigter ihr bisheriges Vorbringen. Die andauernden Gewalttätigkeiten des Ex-Mannes seien Ursache für ihre Flucht gewesen, ohne dass die staatlichen Stellen im Nordirak oder eine etwaige Kernfamilie hätten Schutz bieten können. Der Klägerin zu 1. sei mit ihrem Ehemann zwangsverheiratet worden und im Anschluss Opfer permanenter häuslicher Gewalt gewesen; zudem habe er sie zur Prostitution gezwungen. Ihr drohe auch im Fall einer Rückkehr in den Irak geschlechtsspezifische Verfolgung.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. Februar 2019 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen; dieser hat den Klägern mit Beschluss vom selben Tag Prozesskostenhilfe bewilligt.
Die Kläger haben sich mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2019 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beklagte hat bereits mit Generalerklärung des Bundesamts vom 25. Februar und 24. März 2016 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni 2017 zu verpflichten,
1. den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
2. hilfsweise, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
3. hilfsweise, festzustellen, dass in ihrer Person Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die im Hauptantrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anstelle der Kammer als Einzelrichter sowie im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 22. Juni 2017, mit dem dieses Begehren abgelehnt worden ist, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist aufzuheben, soweit er dem vorgenannten Anspruch entgegensteht (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
1.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt dazu, dass ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind in der Person der Kläger erfüllt.
Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Zu begutachten ist hierbei die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 – 9 C 14.89, juris). Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 29).
Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs sowie der substantiierten Angaben der Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt, deren Glaubhaftigkeit dieses auch nicht bestritten hat, ist das Gericht im vorliegenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass den Klägern im Falle ihrer Rückkehr in den Irak aus individuellen, an ihre Person anknüpfenden Gründen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, d.h. wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Die hierfür sprechenden Umstände haben bei einer zusammenfassenden Bewertung größeres Gewicht als die dagegensprechenden Umstände.
Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 HS 1 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten (lit. a), und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (lit. b). Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter HS AsylG). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln bilden alleinstehende oder alleinerziehende Frauen im Irak, welche nicht auf den Schutz eines Familienverbandes zurückgreifen können, eine derartige bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Derart in ihrer Identität durch ihren Familienstand bzw. ihre familiäre Situation geprägte Frauen teilen sowohl einen unveränderbaren gemeinsamen Hintergrund als auch bedeutsame Merkmale (lit. a)). Sie werden überdies wegen ihrer deutlich abgegrenzten Identität von der irakischen Gesellschaft als andersartig betrachtet (lit. b)), nach verbreiteter Einschätzung sogar als gesellschaftlicher Fremdkörper.
An dieser Rechtsprechung (VG Hannover, Urteil vom 26.02.2018 – 6 A 5751/16, juris Rn. 38 ff.; Urteil vom 26.02.2018 – 6 A 6292/16, juris Rn. 34 ff.; Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18 –, juris Rn. 31 ff., jeweils m.w.N. auf Erkenntnismittel; ähnlich für alleinstehende, an westlichen Werten orientierte Frauen: VG Aachen, Urteil vom 03.05.2019 – 4 K 3092/17.A, juris Rn. 32 ff.; Urteil vom 06.03.2019 – 4 K 2386/17.A; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.06.2017 – 8a K 1971/16.A, juris LS 1 f., Rn. 32 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 18.01.2011 – A 6 K 615/10, juris LS, Rn. 30 ff.; für eine Gruppenverfolgung der bestimmten sozialen Gruppe alleinstehender Frauen: VG Münster, Urteil vom 02.10.2018 – 6a K 5132/16.A, juris Rn. 36 ff.; Urteil vom 06.02.2019 – 6a K 3033/18.A, www.asyl.net, S. 16 f.; a.A., allerdings ausschließlich auf eine fehlende Gruppenverfolgung abstellend: VG Berlin, Urteil vom 15.07.2019 – 5 K 393.18 A, juris Rn. 47) hält der Einzelrichter fest. Die Frage, ob Personen eine bestimmte soziale Gruppe bilden, lässt sich auch inhaltlich trennen von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Angehörigen dieser Gruppe im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland Verfolgung droht (vgl. zur Verfolgungsgefahr alleinstehender afghanischer Frauen ohne Unterstützung eines Familienverbandes: Nds. OVG, Beschluss vom 21.01.2014 – 9 LA 60/13, juris LS, Rn. 5).
Der Befund, dass alleinstehende oder alleinerziehende Frauen, welche nicht auf den Schutz eines Familienverbandes zurückgreifen können, eine bestimmte soziale Gruppe bilden, deren Angehörigen nach der jeweiligen Lage des Einzelfalls geschlechtsspezifische Verfolgung drohen kann, entspricht darüber hinaus weiterhin der geltenden Erkenntnismittellage zum Irak. Dies gilt auch für die Kurdische Autonomieregion (siehe zum Nachfolgenden: ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage alleinstehender Frauen; Sicherheitslage [a-11064], 12. August 2019, m.w.N. auf die angeführten Erkenntnismittel).
Nach einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO) aus Juni 2019 ist es allgemein nicht üblich, dass eine Frau im Irak allein lebt, da dies als Fehlverhalten gilt. Alleinlebende Frauen seien, auch auf dem Bericht der kurdischen Autonomieregion, oft mit negativen bzw. diskriminierenden Einstellungen der Behörden und Gesellschaft konfrontiert und einem besonders hohen Risiko von Gewalt ausgesetzt. Weibliche Haushaltsvorstände, geschiedene Frauen und Witwen seien in einer verletzlichen Position in Bezug auf ihre wirtschaftliche Lage und würden Gefahr laufen, Opfer von Belästigung zu werden. Sie hätten Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, insbesondere, wenn ihnen der Schutz eines männlichen Verwandten und die notwendigen Beziehungen zum Finden einer Anstellung fehlen würden. Die wirtschaftliche Diskriminierung erstrecke sich nicht nur auf den Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch auf Kredit und Lohngleichheit. In der Autonomen Region Kurdistan sei es alleinstehenden Frauen aus kulturellen Gründen nicht möglich, selbst Eigentum zu mieten; in den meisten Hotels sei ihnen der Aufenthalt zudem nicht erlaubt. Korrespondierende Feststellungen finden sich in einem Länderbericht des australische Außen- und Handelsministerium (Department of Foreign Affairs and Trade – DFAT) aus Oktober 2018.
In seinen im Mai 2019 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak führt das Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees – UNHCR) des Weiteren aus, alleinstehende Mütter und ihre Kinder seien Berichten zufolge mit gesellschaftlicher Ausgrenzung und Stigmatisierung konfrontiert. Frauen ohne männliche Unterstützung durch ihre Familie oder Stammesgruppen, d.h. insbesondere Witwen, Geschiedene und vor häuslicher Gewalt, Ehrverbrechen oder Zwangs- beziehungsweise Kinderheirat geflohene Frauen, seien besonders gefährdet, Opfer weiterer Misshandlung, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Auch in der Kurdischen Autonomieregion sei die geschlechtsspezifische Gewalt hoch, denn neu eingeführte, rechtliche und institutionelle Reformen würden durch die Behörden lediglich mangelhaft umgesetzt, insbesondere aufgrund der vorwiegend patriarchalischen Geschlechternormen. Dieser Befund deckt sich mit Erkenntnissen eines im März 2019 veröffentlichten Menschenrechtsberichts des US Department of State (USDOS, Berichtszeitraum: 2018).
Dem EASO-Bericht aus Juni 2019 zufolge ist es für geschiedene Frauen im Irak zudem üblich, in die Obhut ihrer Familien zurückzukehren. Witwen könnten entweder von ihren eigenen Familien oder der Familie des verstorbenen Ehemannes beherbergt werden. Unter diesen Umständen würden männliche Verwandte jeweils als Aufsichtspersonen agieren. Von ihren Familien verstoßene Frauen ohne soziales Netzwerk zur Unterstützung seien demgegenüber erheblich schlechter gestellt.
Nach einem im November 2018 veröffentlichten gemeinsamen Bericht der dänischen Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) und des norwegischen Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, basierend auf einer im April 2018 durchgeführten Fact-Finding Mission, gilt es nach wie vor als schwierig und stigmatisierend, als geschiedene Frau in der kurdischen Gesellschaft zu leben. Eine gut ausgebildete Frau mit eigenem Einkommen könne, soweit sie keinen Ehrenkonflikt mit ihrer Familie habe, unter Berücksichtigung der konkreten Rahmenumstände in der Stadt alleine leben. Eine geschiedene Frau, die außerhalb der Städte lebe, sei nicht in der Lage, alleine zu leben.
Die dargestellte Erkenntnismittellage findet zudem ihre sachliche Entsprechung in den glaubhaften Angaben der Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt. Die diesbezügliche Aussage der Klägerin zu 1. enthielt hinreichende Realkennzeichen, welche nach den Grundsätzen der psychologischen Aussageanalyse für die Wiedergabe eines real erlebten Geschehens sprechen. Sie schilderte das Geschehen insbesondere im Kerngeschehen logisch konsistent, mit einem erheblichen quantitativen Detailreichtum nebst Nennung ungewöhnlicher Details, im Zuge einer unstrukturierten Erzählweise nebst spontaner Ergänzungen sowie unter Angabe räumlich-zeitlicher Verknüpfungen nebst Schilderung der Motivations- und Gefühlslage der Beteiligten. Diesbezüglich wird im Einzelnen auf das ausführliche Anhörungsprotokoll des Bundesamts Bezug genommen.
Bei der Beurteilung der Frage, ob ihnen (weiterhin) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren im Irak drohen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11 - juris Rn. 12), kommt den Klägern die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Der Nachweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie liegt dabei der Gedanke zugrunde, dass es einem vor seiner Ausreise unmittelbar von Verfolgung bedrohten Ausländer grundsätzlich nicht zuzumuten ist, das Risiko einer Verfolgungswiederholung zu tragen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 07.03.2013 – A 9 S 1873/12, juris Rn. 26; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.03.2017 – 15a K 5929/16.A, juris Rn. 38).
Als Verfolgungen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss des Weiteren zwischen den in § 3 Abs.1 Nr. 1, § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen (oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen) eine kausale Verknüpfung bestehen. Auf eine etwaige subjektive Motivation des Verfolgers kommt es dabei nicht entscheidend an (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3a AsylG, Rn. 7). Maßgebend ist vielmehr die objektive Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 – 10 C 52.07, BVerwGE 133, 55, Rn. 22, 24, Marx, AsylG, 2017, § 3a Rn. 50 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678). Für eine erkennbare objektive Zielrichtung der Maßnahme genügt es, wenn ein Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG einen wesentlichen Faktor für die Verfolgungshandlung darstellt (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3a AsylG, Rn. 7). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn die Täter die Verfolgungsmaßnahme gegen den Ausländer als Instrument zur Verfolgung politisch missliebiger Dritter einsetzen, etwa als Druckmittel oder zur Informationserlangung, d.h. weil sie den Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zurechnen, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. In diesem Fall geschieht die Verfolgung zugleich wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, etwa der Familie des Betroffenen (BVerfG, Beschluss vom 22.11.1996 – 2 BvR 1753/96, juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 27.04.2017 – 1 B 63.17, 1 PKH 23.17, juris; Nds. OVG, Urteil vom 27.6.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 28).
Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs sind die Kläger vorverfolgt aus dem Irak ausgereist.
Das Gericht ist zum einen zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin zu 1. vor ihrer Ausreise als geschiedene Frau ohne schützenden Familienverband unmittelbar von geschlechtsspezifischer Verfolgung durch ihren Ex-Mann bedroht war. Sie hat substantiiert dargelegt, wie ihr drogenabhängiger Ex-Mann sie bereits in den Jahren vor der Scheidung im August 2015 so schwer misshandelt hatte, dass sie bleibende körperliche Narben davontrug und zwei Fehlgeburten erlitt, ferner, wie er sie immer wieder massiv bedrohte, um die Herausgabe von Geld und Wertgegenständen zu erpressen. Die Klägerin zu 1. hat ebenso nachvollziehbar dargetan, wie sich ihr Ex-Mann auch nach der Scheidung gewaltsam und widerrechtlich Zugang zu ihrer Wohnung verschaffte und sie mit der Ausübung körperlicher Gewalt ebenso bedrohte wie mit der Entführung und dem „Verkauf“ des Klägers zu 2. Dass es sich hierbei nicht lediglich um leere Drohungen handelte, sondern um die Ankündigung unmittelbar bevorstehender schwerer Straftaten zum Nachteil der Kläger, zeigt die vorangegangene langjährige Ausübung häuslicher Gewalt gegenüber der Klägerin zu 1. mit den von ihr dargetanen Folgeschäden. Soweit diese Handlungen zum Nachteil der Klägerin zu 1. im streitgegenständlichen Bescheid als lediglich „emotional belastend“ abgetan werden, wäre es aus Sicht des Einzelrichters im Übrigen interessant, zu erfahren, ab welcher Intensität von Gewaltmaßnahmen der zuständige Entscheider des Bundesamts die Schwelle zur Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG einmal überschritten sähe. Ebenso hat die Klägerin zu 1. glaubhaft geschildert, dass sie in der Zeit bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak als geschiedene, alleinerziehende Frau keinen familiären Schutz bzw. Rückhalt genoss, da sie zu ihren Eltern keine belastbaren Kontakte mehr hat und Angehörige ihrer Großfamilie sich ebenso weigerten, sie bei sich aufzunehmen, wie ihre Schwiegermutter dies tat. Insbesondere die Letztgenannte kommt als Schutzgarantin nicht in Betracht, was sich auch daran zeigt, dass sie der Schutz suchenden Klägerin zu 1. die Herausgabe ihrer Reisepässe verweigerte. Die der Klägerin zu 1. widerfahrene Verfolgung knüpfte auch objektiv an die Zugehörigkeit zur bestimmten sozialen Gruppe alleinerziehender, geschiedener Frauen ohne schützenden Familienverband an, da ihr Ex-Mann ihre weitgehende Wehrlosigkeit ausnutzte.
Zum anderen steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger zu 2. über einen originären, d.h. nicht erst aus § 26 Abs. 2, Abs. 5 S. 1 AsylG abzuleitenden Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verfügt. Aus den glaubhaften Schilderungen der Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt wurde nämlich ersichtlich, dass ihr Ex-Mann dem Kläger zu 2. Gewalt bzw. Entführung und „Veräußerung“ androhte, um Druck auf die Klägerin zu 1. auszuüben, womit die dem Kläger zu 2. drohende Verfolgung im Einklang mit der dargestellten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Gestalt der Kernfamilie der Klägerin zu 1. anknüpfte.
Die den Klägern widerfahrene (Vor-)Verfolgung ist auch rechtlich beachtlich im Sinne des § 3c AsylG. Hiernach kann die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder die in Nummer 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 AsylG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (§ 3d Abs. 2 AsylG). Letzteres setzt voraus, dass die Betroffenen einen realistischen Zugang zu den Schutzmaßnahmen haben (Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand: August 2019, § 3d AsylG, Rn. 3). Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben steht den Klägern nach der geltenden Erkenntnismittellage kein effektiver staatlicher Schutz gegen die Bedrohung durch den Ex-Mann der Klägerin zu 1. zur Verfügung.
Einem Bericht des EASO aus November 2018 zufolge stellt Gewalt gegen Frauen im Irak weiterhin ein ernsthaftes und weitverbreitetes Problem dar. Durchschnittlich eine von fünf irakischen Frauen (21,2 Prozent) sei körperlicher Gewalt ausgesetzt; nach Auskunft des Innenministeriums seien die Fallzahlen häuslicher Gewalt in den Jahren zwischen 2010 und 2016 kontinuierlich angestiegen. Mehrere hundert Frauen und Mädchen würden jedes Jahr Opfer sogenannter Ehrverbrechen, wobei die Dunkelziffer wegen der unzureichenden Dokumentation dieser Straftaten noch höher liege. Häusliche Gewalt oder Ehrenmorde würden kaum jemals bestraft; Vergewaltigung in der Ehe sei straffrei. Insbesondere Frauen stünden vor erheblichen Hürden, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, was mit der diskriminierenden Grundhaltung von Polizisten und sonstigen Behördenvertretern ebenso zusammenhänge wie mit einer unzureichenden Information über ihre individuellen Rechte (EASO, Country of Origin Information Report. Iraq Actors of Protection, November 2018, S. 84 f. m.w.N.).
Im Kontrast zum restlichen Irak steht häusliche Gewalt in der Kurdischen Autonomieregion gesetzlich unter Strafe; die Autonomieregierung verfügt zudem über mehrere Organe, darunter einen „High Council for Women’s Affairs“, der sich für die Rechte von Frauen einsetzt (EASO, Country of Origin Information Report. Iraq Actors of Protection, November 2018, S. 85 m.w.N.). Nach Erkenntnissen des britischen Innenministeriums erweist sich die Strafverfolgungspraxis in der kurdischen Autonomieregion überdies grundsätzlich als effektiver im Vergleich zum Süd- bzw. Zentralirak, wobei das Niveau nochmals von Gebiet zu Gebiet variiere. Nach Angaben örtlicher Auskunftspersonen hätten die kurdischen Behörden das Potential, in den von ihnen kontrollierten Territorien sehr effektive Sicherheit zu gewährleisten. Sofern sie allerdings eine bestimmte Person nicht schützen wollten, könnten sie diese Entscheidung ebenfalls sehr effektiv durchsetzen. Hiermit korrespondierend hänge die Möglichkeit, staatlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, davon ab, wer der Verfolger sei, denn die Polizei und das Gerichtssystem seien anfällig gegenüber dem Einfluss politischer Akteure sowie bekannter Familien und Stämme (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.1; ebenso: DIS, Honour Crimes against Men in Kurdistan Region of Iraq (KRI) and the Availability of Protection, März 2010, S. 9).
Nach Aussage des Danish Immigration Service, die sich auf Erkenntnisse des Hohen Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen stützt, bringt die örtliche Bevölkerung den kurdischen Strafverfolgungsbehörden außerdem wenig Achtung entgegen. Trotz einiger ausgezeichneter Gesetze, die internationalen Standards entsprächen, reagierten die Gerichte oft nicht auf Rechtschutzgesuche. Der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz sei abhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, dem jeweiligen Stamm, Beziehungen, Familie und Verwandten. Für den Einzelnen sei es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, selbst für seine Rechte einzutreten (Danish Refugee Council (DRC) and Danish Immigration Service (DIS), ‘The Kurdistan Region of Iraq (KRI) – Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation – Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015’, April 2016, S. 45). Zahlreiche Beispielsfälle, so auch das britische Innenministerium, würden die Unfähigkeit des Gerichtssystems verdeutlichen, einen Abschreckungseffekt gegenüber Straftaten zum Nachteil von Frauen zu entfalten (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.1 ff.; weitergehend hierzu: VG Hannover, Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18, juris Rn. 65 ff.).
Der im März 2019 veröffentlichte Menschenrechtsbericht des USDOS (Beobachtungzeitraum: 2018) beschreibt schließlich die Knappheit von Plätzen in Schutzunterkünften für Frauen in der Autonomen Region Kurdistan. Auch dem EASO-Bericht aus Juni 2019 zufolge erweist sich die Anzahl der Plätze in Schutzunterkünften in der Autonomieregion als unzureichend. Dort sei es Organisationen zwar erlaubt, Schutzunterkünfte zu betreiben, Behörden hätten jedoch Berichten zufolge aufgrund von Vorwürfen der Prostitution Lizenzen für deren Einrichtung verwehrt. Schutzunterkünfte seien zudem oftmals Angriffen ausgesetzt, da sie als unmoralisch gelten würden. Die kurdische Regionalregierung müsse sie in derartigen Fällen schließen und an einem neuen geheimen Ort wiedereröffnen. Zur Aufnahme in einer Schutzunterkunft bedürfe es überdies einer gerichtlichen Anordnung, was Frauenberichten zufolge abschrecken würde (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage alleinstehender Frauen; Sicherheitslage [a-11064], 12. August 2019, m.w.N.; siehe hierzu auch: VG Hannover, Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18, juris Rn. 68).
Dass die Kläger angesichts der dargestellten Erkenntnismittellage in der Lage wären, im Einklang mit den Vorgaben des § 3d AsylG polizeilichen bzw. gerichtlichen Rechtsschutz vor der Verfolgung durch den Ex-Mann der Klägerin zu 1. zu erlangen, erachtet der Einzelrichter als ausgeschlossen. Entgegen der Feststellungen im streitgegenständlichen Bescheid folgt nichts Anderes aus dem Umstand, dass die Polizei den Ex-Mann der Klägerin vor ihrer Ausreise mehrfach inhaftierte. Wie sie im selben Zusammenhang gleichsam dargelegt hat, haben die Behörden ihren Ex-Mann nämlich jeweils nur für einen Tag inhaftiert, wobei seine Nachstellungen und Bedrohungen nach der Freilassung aus Neue begonnen.
Schließlich steht den Klägern im Falle ihrer Rückkehr in den Irak vor der weiterhin drohenden Verfolgungsgefahr kein interner Schutz im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Hiernach wird einem Ausländer der Flüchtlingsstatus nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor der Verfolgung oder Zugang zu Schutz nach § 3d AsylG hat (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG), sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Ein anderer Ort auf dem Gebiet der kurdischen Autonomieregion, die allein als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommt (vgl. VG Hannover, Urteil vom 07.08.2019 – 6 A 1240/17, juris Rn. 33 m.w.N.), scheidet unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel aus. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Einzelrichter zum einen die schwierige humanitäre Lage in der kurdischen Autonomieregion generell (ausführlich hierzu: VG Aachen, Urteil vom 03.04.2019 – 4 K 1853/16.A, juris S. 9 ff.). Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, dass die Klägerin zu 1. im Falle einer Rückkehr selbst bei Umzug an einen anderen Ort in der Autonomieregion nicht in der Lage wäre, als alleinstehende Frau ohne familiären Rückhalt ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (siehe hierzu auch: ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von alleinstehenden Frauen, vor allem mit westlicher Gesinnung nach Rückkehr aus dem westlichen Ausland und Asylantragstellung [a-10899], 25. Februar 2019 m.w.N.). Das schweizerische Staatssekretariat für Migration teilt zudem unter Berufung auf Erkenntnisse der Nichtregierungsorganisation WADI mit, eine von Ehrverbrechen bzw. häuslicher Gewalt bedrohte Frau erhalte keine Hilfe seitens der kurdischen Regionalregierung, um in einen anderen Teil des Landes zu ziehen (Staatssekretariat für Migration, Report on Joint Finnish-Swiss Fact-Finding Mission to Amman and the Kurdish Regional Government (KRG) Area, May 10-22, 2011, 1. Februar 2012, S. 44; VG Hannover, Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18, juris Rn. 68). Dass die Klägerin zu 1. im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt angab, Ende 2015 in der Türkei einen „Freund“ gehabt zu haben, rechtfertigt hier keine andere Betrachtung, da sie zugleich angab, der Betreffende sei bei ihrer Ausreise in der Türkei zurückgeblieben. Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Verbindung noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht oder der Genannte bereit wäre, die Kläger im Falle einer Rückkehr in den Irak zu begleiten und zu unterstützen.
Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG liegen nicht vor.
2.
Die im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich der Bezeichnung Irak als Zielstaat gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufzuheben. Die Kläger haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, was nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG der Bezeichnung des Staates Irak in der Abschiebungsandrohung entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 – 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251).
Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1, S. 2 ZPO.