Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 11.06.2010, Az.: 12 A 3137/09

Internationaler Reiseausweis; Reiseausweis für Flüchtlinge

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.06.2010
Aktenzeichen
12 A 3137/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 48000
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Reiseausweises für Flüchtlinge.

Der am 08.01.1975 geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger und gehört dem jüdischen Glauben an. Er reiste am 03.03.1997 mit einem Touristenvisum erstmals in das Bundesgebiet ein und beantragte seine Aufnahme als jüdischer Emigrant außerhalb des geregelten Aufnahmeverfahrens als Härtefall. Zur Begründung führte der Kläger aus, ihm drohe in Russland die Einziehung zum Wehrdienst. Wehrdienstleistende jüdischen Glaubens würden dort besonders schikaniert und misshandelt, ihnen drohe zudem der Einsatz in kriegerischen Auseinandersetzungen. Das gelte gerade für ihn, den Kläger, weil er in seiner jüdischen Gemeinde aktiv sei. Die Aufnahme im geregelten Verfahren habe er deshalb nicht abwarten können.

Am 20.11.1998 erkannte die Beklagte den Kläger daraufhin als Härtefall an und bescheinigte ihm unter dem 24.11.1998, dass er ausländischer Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22.07.1980 (BGBl. I, S. 1057 - HumHAG) sei. Der Kläger erhielt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 01.01.2005 als Niederlassungserlaubnis fort gilt.

Zum Zeitpunkt der Einreise verfügte der Kläger über einen bis zum 12.07.2001 gültigen russischen Pass. Dessen Gültigkeit verlängerte der Kläger nicht. Auf seinen Antrag vom 21.07.2001 stellte ihm die Beklagte - wie es der damaligen Verwaltungspraxis in Niedersachsen entsprach - einen Internationalen Reiseausweis gemäß Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 II, S. 560 / BGBl. 1954 II, S. 619 - GFK) aus, der bis zum 22.07.2003 gültig war und bis zum 22.07.2005 verlängert wurde.

Mit Schreiben vom 09.02.2006 forderte die Beklagte den Kläger auf, einen Heimatpass vorzulegen. Der Kläger entgegnete, er könne einen Pass nur in Moskau erhalten. Daraufhin erhielt er am 10.04.2006 einen Reiseausweis für Ausländer mit einer Gültigkeit bis zum 09.10.2006. Nachdem der Kläger aus finanziellen Gründen nicht nach Moskau gereist war, beantragte unter dem 07.05.2007 erneut die Ausstellung eines Reiseausweises. Die Beklagte stellte dem Kläger daraufhin unter dem 01.10.2007 einen Reiseausweis für Ausländer mit einer Gültigkeit bis zum 01.04.2008 aus. Nach Moskau reiste der Kläger nicht.

Mit Schreiben vom 28.04.2009 beantragte der Kläger einen Reiseausweis für Flüchtlinge nach Art. 28 GFK. Er sehe keine Möglichkeit, sich einen russischen Pass zu beschaffen, weil er seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Osnabrück könne er als Kontingentflüchtling einen solchen Reiseausweis beanspruchen. Dieser ermögliche ihm die Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Die Beklagte bot dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 22.06.2009 die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer an.

Nachdem der Kläger dies abgelehnt und erneut auf seinen Status als Kontingentflüchtling verwiesen hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31.07.2009 die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge ab. Der Kläger sei lediglich in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge aufgenommen worden. Dieses Gesetz sei allerdings zum 01.01.2005 außer Kraft getreten, sodass schon deshalb die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge nicht in Betracht komme. Tatsächlich seien zwar in der Vergangenheit derartige Ausweise ausgestellt worden; ein ausdrücklicher Anspruch darauf habe aber nicht bestanden. Nach der geltenden Erlasslage komme die Ausstellung eines Reiseausweises nicht mehr in Betracht.

Der Kläger hat am 06.08.2009 Klage erhoben. Dem Kläger stehe unter Vertrauensschutzgesichtspunkten sowie unter dem Gesichtspunkt der passrechtlichen Gleichbehandlung in Orientierung an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Osnabrück ein Anspruch auf Wiedererteilung des Reiseausweises für Flüchtlinge zu. Verwaltungsvorschriften seien insofern nicht maßgeblich.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 31.07.2009 aufzuheben und sie zu verpflichten, dem Kläger einen Reiseausweis für Flüchtlinge zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge gemäß Art. 28 GFK i.V. mit § 1 Abs. 3 AufenthV. Ein derartiger Anspruch folgt nicht unmittelbar aus Art. 28 GFK (dazu unter 1.), nicht aus § 1 Abs. 1 HumHAG i.V. mit Art. 28 GFK in direkter (dazu unter 2.) oder entsprechender Anwendung (dazu unter 3.) und nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit einer ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten (dazu unter 4.).

1. Ein Anspruch auf die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge folgt nicht aus Art. 28 GFK. Nach Art. 28 Abs. 1 GFK werden die vertragschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise ausstellen, die ihnen Reisen außerhalb dieses Gebietes gestatten, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen. Die vertragschließenden Staaten können einen solchen Reiseausweis jedem anderen Flüchtling ausstellen, der sich in ihrem Gebiet befindet; sie werden ihre Aufmerksamkeit besonders jenen Flüchtlingen zuwenden, die sich in ihrem Gebiet befinden und nicht in der Lage sind, einen Reiseausweis von dem Staat zu erhalten, in dem sie ihren rechtmäßigen Aufenthalt haben. Ein Anspruch auf einen derartigen Reiseausweis setzt daher voraus, dass der Betreffende Flüchtling ist, er also seitens des Bundesamtes als Asylberechtigter anerkannt oder ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.1992 - 1 C 21/87, juris). Das ist nicht der Fall. Der Kläger ist weder Asylberechtigter gemäß Art. 16a GG i.V. mit § 2 Abs. 1 AsylVfG, noch ist ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG i.V. mit § 3 Abs. 1 AsylVfG zuerkannt worden. Ob dem Kläger bei seiner Ausreise politische Verfolgung gedroht hat oder ihm nunmehr bei einer möglichen Rückkehr nach Russland droht, bedarf deshalb keiner Vertiefung.

2. Ein Anspruch des Klägers folgt nicht aus § 1 Abs. 1 HumHAG i.V. mit Art. 28 GFK. Nach dieser Vorschrift genießt ein Ausländer, der im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland auf Grund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks oder auf Grund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs. 1 des Ausländergesetzes im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgenommen worden ist, im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention. Ein nach § 1 Abs. 1 HumHAG aufgenommener Ausländer kann sich mithin auch auf Art. 28 GFK berufen. Auf den Kläger trifft dies jedoch nicht zu.

Die Anwendung dieser Vorschriften scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht bereits daran, dass § 1 Abs. 1 HumHAG mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 01.01.2005 außer Kraft getreten ist (vgl. Art. 15 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzes vom 30.07.2004, BGBl. I, S. 1950). Denn das Außerkrafttreten der Vorschrift hat lediglich zur Folge, dass in Zukunft eine Aufnahme als Kontingentflüchtling nach § 1 HumHAG nicht mehr möglich ist. Die mit einer früheren Aufnahme nach § 1 Abs. 1 HumHAG erworbene Rechtsstellung als Kontingentflüchtling bleibt demgegenüber gemäß § 102 Abs. 1 AufenthG auch über den 01.01.2005 hinaus erhalten (vgl. BayVGH, Beschl. v. 07.08.2008 - 19 B 07.1777, juris; a.A. VG Osnabrück, Urt. v. 10.07.2006 - 5 A 53/06, juris). Dies lässt sich auch § 103 Satz 1 AufenthG entnehmen. Die in dieser Vorschrift angeordnete Fortgeltung der Erlöschens- und Widerrufstatbestände der §§ 2a, 2b HumHAG über den 01.01.2005 hinaus belegt, dass der Status eines Kontingentflüchtlings durch die Rechtsänderung nicht berührt wird.

Nach dem Gesetzeswortlaut begründet allein die Aufnahme nach § 1 Abs. 1 HumHAG die entsprechende Rechtsstellung. Ein Anerkennungs- oder Feststellungsverfahren ist im Gesetz nicht vorgesehen, sodass die dem Kläger erteilte Bescheinigung vom 24.11.1998 keine konstitutive Bedeutung zukommt. Vielmehr entsteht die Rechtsstellung im Sinne von § 1 Abs. 1 HumHAG kraft Gesetzes, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 09.07.2001 - A 6 S 2218/99, juris, m.w.N.). Das ist bei dem Kläger nicht der Fall.

Voraussetzung ist zunächst, dass die Aufnahme aufgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks oder auf Grund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs. 1 AuslG (i.d.F. vom 09.07.1990, BGBl. I, S. 1354 - a.F.) erfolgt ist. Beides ist nicht gegeben Der Kläger ist mit einem Touristenvisum für einen Besuchsaufenthalt eingereist. Erst in Deutschland hat er einen Aufenthaltstitel als Härtefall (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urt. v. 18.01.2006 - 13 LC 467/03, juris) beantragt. Auch fehlt es an einer Aufnahme aufgrund einer Übernahmeerklärung gemäß § 33 Abs. 1 AuslG a.F. Nach dieser Vorschrift konnte das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle einen Ausländer zum Zwecke der Aufenthaltsgewährung in das Bundesgebiet übernehmen, wenn völkerrechtliche oder humanitäre Gründe oder politische Interessen des Bundes es erfordern. Ob die politische Entscheidung, Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in einem geregelten Verfahren in Deutschland aufzunehmen, generell als Übernahmeerklärung im Sinne des § 33 Abs. 1 AuslG a.F. gelten kann, kann hier offen bleiben. Jedenfalls im Fall des Klägers, der außerhalb des geregelten Verfahrens und dementsprechend ohne eine vorangegangene Übernahmezusage nach Deutschland eingereist ist, fehlt es an einer Aufnahme aufgrund einer Übernahmeerklärung. Denn eine Übernahme nach § 33 Abs. 1 AuslG a.F. musste vor der Einreise erklärt werden; eine Übernahme nach der Einreise kam nicht in Betracht (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 67 f.).

Hinzu kommt, dass § 1 Abs. 1 HumHAG nicht allgemein für Ausländer, sondern nur für ausländische Flüchtlinge gilt, also für Ausländer, die sich in einer Verfolgungssituation befinden, wobei die Verfolgung nicht notwendig politischer Art sein muss, oder deren Lage durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.02.1996 - 9 C 145/95, juris). Der Kläger hat seinen Aufenthalt jedoch weder aufgrund einer Verfolgungssituation noch aufgrund eines Flüchtlingsschicksals, sondern vielmehr aus übergeordneten politischen Gründen erlangt. Hintergrund der politischen Entscheidung zur Aufnahme von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die durch Beschluss der Innenministerkonferenz vom 15.12.1990 und Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 erfolgte und in Kooperation des Bundesinnenministeriums mit den Ländern umgesetzt wurde, war vielmehr die historische Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Aus diesem Grund stand die Bundesregierung dem Wunsch sowjetischer Juden, in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Heimat zu finden, aufgeschlossen gegenüber. Bestimmend waren die Überlegungen, die jüdischen Gemeinden in Deutschland zu stärken und zu einer Revitalisierung des jüdischen Betrags zum Kultur- und Geistesleben in Deutschland beizutragen (vgl. BT-Drs. 11/8439, S. 3 f.). Zwar sah auch die Bundesregierung einen wachsenden Antisemitismus in der ehemaligen Sowjetunion. Zugleich betonte sie jedoch, dass die sowjetische Führung dem Antisemitismus nicht tatenlos gegenüber stehe und die Reformpolitik Gorbatschows auch für die jüdische Minderheit zahlreiche Erleichterungen und neue Möglichkeiten mit sich gebracht habe (vgl. BT-Drs. 11/8439, S. 2 f.). Von einer politischen Verfolgung der sowjetischen Juden als Gruppe war demnach nicht auszugehen; sie war für die Aufnahmeentscheidung nicht ausschlaggebend (vgl. zu den Motiven ausführlich auch VG Osnabrück, Urt. v. 10.07.2006 - 5 A 53/06, juris; BayVGH, Beschl. v. 07.08.2008 - 19 B 07.1777, juris). Konsequenterweise erfolgte die Aufnahme der sowjetischen Juden deshalb lediglich in entsprechender Anwendung des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (vgl. das Ergebnisprotokoll des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991, Bl. 19 d.A.).

3. Ein Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus § 1 Abs. 1 HumHAG i.V. mit Art. 28 GFK in entsprechender Anwendung. Zwar haben die jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion mit der Aufnahme aufgrund der vorangegangenen politischen Entscheidung einen Status entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG erlangt. Der politische Hintergrund dafür war allerdings wie erläutert nicht ein Verfolgungsschicksal. Für die entsprechende Anwendung von § 1 Abs. 1 HumHAG war vielmehr entscheidend, dass nur eine Aufnahme nach diesem Gesetz eine finanzielle Beteiligung des Bundes an den erforderlichen Eingliederungsmaßnahmen mit sich brachte und überdies ein Verteilungsverfahren auf die Länder vorhanden war (vgl. Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 10.08.1993, A2-125341-ISR/1, Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung). Deshalb ist zwar im Grundsatz davon auszugehen, dass den jüdischen Emigranten die Rechte aus Art. 2 bis 34 GFK zustehen (vgl. § 1 Abs. 1 HumHAG). Aufgrund der nur entsprechenden Anwendung bleibt allerdings die Notwendigkeit bestehen, jeweils zu überprüfen, ob eine entsprechende Anwendung der einzelnen Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention sachgerecht und vor dem Hintergrund der besonderen Situation der Gruppe der jüdischen Emigranten geboten erscheint. Mit anderen Worten ist entscheidend, ob die jeweilige Interessenlage im Fall der jüdischen Emigranten der Interessenlage entspricht, die zu der entsprechenden Regelung in der Genfer Flüchtlingskonvention geführt hat. Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention, deren Sinn darin liegt, einen menschenwürdigen Aufenthalt des Flüchtlings im Aufnahmestaat zu sichern, finden danach typischerweise entsprechende Anwendung, weil es um die allgemeinen Lebensbedingungen von aufgenommenen Ausländern geht. Regelungen, die in der Verfolgungssituation im Heimatstaat begründet sind, sind demgegenüber typischerweise auf die nicht aufgrund einer Verfolgung aufgenommenen jüdischen Emigranten nicht anzuwenden. Um eine derartige Regelung handelt es sich bei Art. 28 GFK.

Art. 28 GFK trägt der Tatsache Rechnung, dass ein Flüchtling eine Person ist, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, deren Staatsangehörigkeit sie besitzt und die den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will (Art. 1 A Nr. 2 GFK). Ein Flüchtling ist mithin aufgrund dieser begründeten Furcht gezwungen, seinen Heimatstaat zu verlassen, weil dieser den erforderlichen Schutz nicht vermittelt, sondern - im Regelfall - die Verfolgung gerade von diesem Staat ausgeht. Aus diesem Grund kann ein Flüchtling nicht damit rechnen, von seinem Heimatstaat einen Reisepass zu erlangen. Denn der Verfolgerstaat hat häufig keinerlei Interesse daran, einem Flüchtling durch Ausstellung eines Passes ein weltweites Reisen zu ermöglichen und ihm seinen konsularischen Schutz zu gewähren. Hinzu kommt, dass es einem Flüchtling typischerweise unzumutbar ist, in der Rolle des Bittstellers mit den Organen und Behörden des Staates in Kontakt zu treten, der ihn zuvor verfolgt hat. Derartige Kontakte könnten zum Anlass neuer Verfolgungs- und Einschüchterungshandlungen genommen werden. Die Verfolgungssituation rechtfertigt schließlich den mit der Ausstellung eines Reiseausweises verbundenen Eingriff in die Personalhoheit des Heimatstaates.

Die Bedeutung der Passausstellung für die Beziehung des Staates zu seinen Bürgern zeigt sich schließlich daran, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in Art. 1 C Nr. 1 ebenso wie der deutsche Gesetzgeber in § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG davon ausgeht, dass die Annahme eines Nationalpasses des Heimatstaates zu einem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führt (vgl. dazu Schäfer, in: GK-AsylVfG, § 72, Rn. 1 <Stand der Bearbeitung: Juni 2005>). Mit der freiwilligen Annahme des Passes unterstellt sich der Flüchtling dem Schutz des vormaligen Verfolgerstaates; die Schutzgewähr kommt in der Passausstellung zum Ausdruck.

Der Reiseausweis für Flüchtlinge nach Art. 28 GFK soll deshalb Flüchtlingen Reisen außerhalb des Staates ermöglichen, in dem sie Zuflucht gefunden haben. Zugleich hat der Reiseausweis nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GFK die Funktion, die Identität des Ausweisinhabers zu bescheinigen. Er wird nämlich zu dem Zweck ausgestellt, dem Inhaber als Reiseausweis an Stelle eines nationalen Reisepasses zu dienen, wie sich aus dem Text in dem Muster-Reiseausweis in der Anlage der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt. Zudem nehmen die Bestimmungen des Anhangs zu der Konvention auf nationale Pässe Bezug (vgl. § 3 und § 10). Damit soll der Konventions-Reiseausweis in weitem Umfang einen nationalen Reisepass ersetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.03.2004 - 1 C 1/03, juris), den der Flüchtling nicht erlangen kann.

Eine solche Interessenlage ist im Fall der jüdischen Emigranten nicht gegeben. Ihnen drohte und droht in ihrer Gesamtheit in ihrer Heimat keine politische Verfolgung; bei ihnen handelt es sich - von der fehlenden formalen Anerkennung abgesehen - auch in materieller Hinsicht nicht um Flüchtlinge. Ihr Heimatstaat hat sie nicht durch Verfolgung oder mangelnde Schutzgewähr zur Ausreise gezwungen, sondern hat ihre Ausreise in Kooperation mit den deutschen Behörden sogar befördert. Ihnen ist es als Gruppe deshalb möglich und zumutbar, einen Pass zu beantragen und den konsularischen Schutz der Nachfolgestaaten der Sowjetunion in Anspruch zu nehmen. Ein Anlass dafür, jüdischen Emigranten einen Reiseausweis für Flüchtlinge auszustellen, besteht vor diesem Hintergrund nicht.

Sofern ein jüdischer Emigrant im Einzelfall tatsächlich einen Pass des Heimatstaates nicht erlangen kann, führt dies zu keiner anderen Betrachtung. Individuellen Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Passes des Heimatstaates kann gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV durch die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer Rechnung getragen werden, worauf die Beklagte den Kläger wiederholt hingewiesen hat. Der Reiseausweis für Flüchtlinge trägt demgegenüber den generellen Schwierigkeiten der Gruppe der Flüchtlinge Rechnung, einen Heimatpass zu erlangen. Solche generellen Schwierigkeiten bestehen bei der Gruppe der jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion - wie der Kammer aus anderen ausländerrechtlichen Verfahren derartiger Emigranten bekannt ist - nicht.

4. Ein Anspruch auf die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge besteht schließlich nicht gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Der entsprechenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Osnabrück (Urt. v. 10.07.2006 - 5 A 53/06, juris) folgt das Gericht nicht.

Ein Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V. mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung kann dann bestehen, wenn eine Behörde bestimmte Sachverhalte regelmäßig zugunsten der Antragsteller in einer bestimmten Art und Weise behandelt hat. In einem solchen Fall darf sie von dieser Praxis in einem gleich liegenden Fall zu Lasten anderer Antragsteller nur bei genereller Aufgabe der bisherigen Praxis abweichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.08.2003 - 3 C 49/02, juris). Für eine Änderung der Praxis bedarf die Behörde - soweit Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen sind - grundsätzlich einen sachlichen Grund (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.04.1997 - 3 C 6/95, juris). Die vorgenannte Rechtsprechung bezieht sich allerdings ausschließlich auf Bereiche, in denen der Verwaltung auf Tatbestandsseite ein Beurteilungs- oder auf Rechtsfolgeseite ein Ermessensspielraum zusteht. Darüber hinaus vermögen weder Art. 3 Abs. 1 GG noch Vertrauensschutzgesichtspunkte eine Selbstbindung der Verwaltung zu vermitteln. Soweit es um die Auslegung von Tatbestandsmerkmalen geht, gilt vielmehr, dass eine Entscheidung richtig oder falsch ist und im Fall einer falschen Entscheidung ein Anspruch auf Fehlerwiederholung - also auf Gleichheit im Unrecht - nicht besteht (vgl. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11, Aufl. 1998, § 6, Rn. 47 ff. m.w.N.). Denn der Verwaltung ist es aufgrund ihrer Bindung an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG untersagt, eine rechtlich fehlerhafte Verwaltungspraxis fortzuführen. Das gilt auch für den Fall, in dem der Begünstigte auf die Fortsetzung dieser Praxis vertraut hat.

Auf dieser Basis scheiden Ansprüche des Klägers aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG i.V. mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung von vornherein aus. Denn tatbestandlich verlangt Art. 28 GFK - wie ausgeführt - für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge, dass es sich bei dem Betreffenden um einen Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention handelt. Das ist bei dem Kläger nicht der Fall. Auch liegen die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung von Art. 28 GFK nach den obigen Ausführungen nicht vor, sodass die tatbestandlichen Voraussetzungen auch nicht im Wege eines Analogieschlusses erfüllt werden können. Für eine Ermessensbetätigung, in deren Rahmen eine Bindung der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 1 GG hätte eintreten können, war und ist deshalb kein Raum.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte nicht befugt war und ist, ohne eine gesetzliche Grundlage und bloß gestützt auf entsprechende Erlasse einen Reiseausweis für Flüchtlinge auszustellen. Bei der Ausstellung von Pässen für ausländische Staatsangehörige handelt es sich schon aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Personalhoheit des Herkunftsstaates (vgl. dazu Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 24, Rn. 1 f.) um eine wesentliche Entscheidung, die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fällt. Hinzu kommt die erhebliche Grundrechtsrelevanz für den Betroffenen, die ebenfalls für das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage streitet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978 - 2 BvL 8/77, juris). Nach alledem war und ist die freihändige Ausstellung von Pässen unzulässig, sodass auch insofern eine Selbstbindung der Beklagten nicht eintreten konnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, betrifft der Fall auch unter Berücksichtigung der Bereitschaft der Beklagten, in vergleichbaren Fällen Reiseausweise für Ausländer auszustellen, eine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage mit Bedeutung über diesen Einzelfall hinaus.