Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.06.2010, Az.: 8 C 1581/10 U.A.

Berechnung des patientenbezogenen Engpasses anhand der historischen Bemessungsformeln i.R.d. Studienplatzvergabe für Humanmedizin

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.06.2010
Aktenzeichen
8 C 1581/10 U.A.
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 17531
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2010:0608.8C1581.10U.A.0A

Amtlicher Leitsatz

Es bedarf weiterhin eines gewissen Zeitraums, um in Bezug auf die Eignung, Bereitschaft und Belastbarkeit der Patienten aus dem stationären und den ambulanten Behandlungsbereichen Kriterien zu entwickeln, die den besonderen Verhältnissen in der Krankenversorgung des Universitätsklinikums der Medizinischen Hochschule Hannover Rechnung tragen und an die Stelle der historischen Bemessungsformeln des § 17 Abs. 1 KapVO treten können.

Eine vorläufige, an der Grundstruktur der § 17 Abs. 1 Nr. 1 KapVO zugrunde liegenden Formel ausgerichtete Berechnung des patientenbezogenen Engpasses führt zu einer Kapazitätsgrenze von 236 (gegenüber 270 festgesetzten) Studienplätzen.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin und die Antragsteller haben bei der Antragsgegnerin beantragt, sie außerhalb der mit einer Zulassungszahl von 270 festgesetzten Ausbildungskapazität im Sommersemester 2010 mit dem 2. Fachsemester im Studiengang (Human-) Medizin zum Studium zuzulassen. Mit ihren Zulassungsanträgen haben sie zur Glaubhaftmachung ihres jeweiligen Ausbildungsstandes Anrechnungsbescheide deutscher Behörden vorgelegt. In diesen ist ihnen jeweils die Ausbildung an einer anderen Hochschule im Umfang eines Studienhalbjahres auf ein Studium der Humanmedizin angerechnet worden. Die Antragsgegnerin hat die Zulassungsanträge bisher nicht beschieden.

2

Die Antragstellerin zu 5. und die weiteren Antragsteller haben um einstweiligen Rechtschutz zur vorläufigen Sicherung eines Studienplatzes im 2. Fachsemester der Medizin außerhalb der festgesetzten Kapazität nachgesucht, die Antragsteller zu 2. und 3. beanspruchen darüber hinaus hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie vorläufig innerhalb der durch die festgesetzte Zulassungszahl bestimmten Aufnahmekapazität zum Studium im 2. Fachsemester zuzulassen.

3

Zur Antragsbegründung machen die Antragstellerin und die Antragsteller geltend, dass die Ausbildungskapazität der Antragsgegnerin im 2. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin durch die auf Grundlage ihrer Berechnung festgesetzte Zulassungszahl von 270 Studienplätzen nicht erschöpft werde.

4

Die Antragstellerin und die Antragsteller beantragen,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, sie im Sommersemester 2010 außerhalb der festgesetzten Kapazität vorläufig zum Studium der Humanmedizin im 2. Fachsemester zuzulassen.

5

Die Antragsteller zu 2. und 3. beantragen ferner,

6

hilfsweise

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, sie im Sommersemester 2010 innerhalb der festgesetzten Kapazität vorläufig zum Studium der Humanmedizin im 2. Fachsemester zuzulassen.

7

Die Antragstellerin zu 5. und die Antragsteller zu 1. und 6. beantragen,

8

hilfsweise

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, sie im Sommersemester 2010 außerhalb der festgesetzten Kapazität vorläufig zum Studium der Humanmedizin im 1. Fachsemester zuzulassen.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge abzulehnen.

10

Die Antragsgegnerin verweist auf ihren Vortrag im Verfahren 8 C 1577/10, wonach ausweislich der beigefügten Immatrikulationsliste derzeit im 2. Fachsemester 304 Studierende im Studiengang Humanmedizin eingeschrieben sind. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe in seinen Beschwerdeentscheidungen zu den Rechtsverhältnissen im Wintersemester 2008/2009 und Sommersemester 2009 die festgesetzte Kapazität von 270 Studienplätzen bestätigt. Diese Kapazität sei durch die tatsächlichen Zulassungen im Vorsemester bei weitem überbucht.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

12

II.

Die gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässigen Anträge sind nicht begründet.

13

Die Antragstellerin und die Antragsteller haben weder einen auf vorläufige Zulassung zum Studium noch auf Teilnahme an einem Vergabeverfahren zur Verteilung eines außer- oder innerkapazitären Studienplatzes im 2. Fachsemester Humanmedizin bei der Antragsgegnerin gerichteten Anordnungsanspruch (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht.

14

Einem auf vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin im 2. Fachsemester oder auf Teilnahme an einem Vergabeverfahren gerichteten Anordnungsanspruch steht entgegen, dass die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Wahl einer Berufsausbildung zur Ärztin durch die nach Art. 7 Abs. 1 des Staatsvertrages über die Vergabe von Studienplätzen und gemäß § 4 Abs. 2 Niedersächsisches Hochschulzulassungsgesetz - NHZG - eingeführte Zulassungsbeschränkung für den Studiengang Humanmedizin wirksam beschränkt worden ist. Aus diesem Grund kommt auch eine bis zum Eintritt eines Kapazitätsengpasses befristete vorläufige Zulassung nicht in Betracht.

15

§ 2 Satz 1 der Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2009/2010 und zum Sommersemester 2010 - ZZ-VO 2009/2010 - (vom 17.7.2009, Nds. GVBl. S. 293) regelt, dass ein im ersten Semester zulassungsbeschränkter Studiengang auch in höheren Semestern zulassungsbeschränkt ist. Sind - wie es im Fall des Studiengangs Humanmedizin bei der Antragsgegnerin für das zweite Fachsemester der Fall ist - für höhere Semester keine besonderen Zulassungsbeschränkungen nach § 4 Abs. 2 NHZG festgesetzt worden, ergibt sich die jeweilige Zulassungszahl für jedes höhere Semester aus der Differenz zwischen der Zulassungszahl für Studienanfängerinnen und Studienanfänger einerseits und der Zahl der Studierenden nach Ablauf der Rückmeldefrist für das entsprechende höhere Semester andererseits, § 2 Satz 2 ZZ-VO 2009/2010. Für Studienbewerber, die wie die Antragstellerin und die Antragsteller zum Sommersemester 2010 mit dem zweiten Fachsemester zugelassen werden wollen, gilt dabei nach § 2 Satz 3 Nr. 2 b) ZZ-VO 2009/2010 die Zulassungszahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger des vorangegangenen Wintersemesters, also des Wintersemesters 2009/2010.

16

Folglich bestimmt sich die Aufnahmekapazität für das zweite Fachsemester des Studienjahres 2009/2010 ausschließlich nach der für die Studienanfängerinnen und -anfänger dieses Studienjahres im Wintersemester anzuwendenden Zulassungszahl. Diese ist in der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 ZZ-VO 2009/2010 für den Studiengang Humanmedizin bei der Antragsgegnerin mit 270 festgesetzt worden. Die dadurch gekennzeichnete Anzahl von Studienplätzen ist im Sommersemester 2010 vollständig ausgeschöpft worden, wie die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 4. Mai 2010 im Verfahren 8 C 1577/10 vorgelegte Immatrikulationsliste mit 304 eingeschriebenen Studierende im 2. Fachsemester ausweist. Somit ist auch keine innerkapazitäre Restkapazität frei geblieben, so dass die diesbezüglichen Hilfsanträge der Antragsteller zu 2. und 3. abgelehnt werden müssen.

17

Zwar hat die Kammer mit Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 8 C 2754/09 u.a. - auf die zum Studienbeginn im Wintersemester 2009/2010 gestellten Rechtsschutzanträge entschieden, dass der mit der Einführung des Modellstudiengangs zu berücksichtigende Übergangszeitraum zur Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen einer Kapazitätsermittlung inzwischen verstrichen ist. Die Kammer hat daher mangels normativ festgelegter Berechnungsgrundlagen die Ausbildungskapazität im Wege einer Interessenabwägung zwischen dem inArt. 12 Abs. 1 GG verbürgten Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte und dem ebenfalls von Art. 12 Abs. 1 GG vorgegebenen Interesse an einer Aufrechterhaltung des Ausbildungsbetriebes der Hochschule bestimmt und die festgesetzte Zulassungszahl um einen Sicherheitsaufschlag von 15 vom Hundert auf 311 erhöht. Damit ist die Kammer ihrer insoweit inhaltsgleichen Entscheidung vom 6. Januar 2009 - 8 C 3704/08 u.a. - zu den Rechtsverhältnissen im Studienjahr 2008/2009 gefolgt.

18

Allerdings hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit seinem Beschluss vom 26. März 2010 - 2 NB 20/09 u.a. - den genannten Beschluss der Kammer vom 6. Januar 2009 auf die Beschwerden der Antragsgegnerin geändert und die Rechtschutzanträge der aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung vorläufig zum Medizinstudium im Wintersemester 2008/2009 Zugelassenen abgelehnt.

19

Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu die Auffassung vertreten, dass die normative Festsetzung von Berechnungskriterien für die Ermittlung der Ausbildungskapazität für das Studienjahr 2008/2009 nicht verlangt werden könne, weil der Antragsgegnerin eine Übergangszeit mindestens bis Ende des Jahres 2011 einzuräumen sei. Um die Eignung des Modells HannibaL für das Medizinstudium zureichend beurteilen und sachgerechte Kriterien für die Berechnung von zukünftigen Zulassungszahlen für dieses Modellstudium entwickeln zu können, hält das Oberverwaltungsgericht mindestens den vollständigen Durchlauf der zum Studienjahr 2005/2006 erstmals begonnenen Kohorte einschließlich der Abschlussprüfung für angemessen (fünf Studienjahre, ein praktisches Jahr zzgl. Zeit für die Prüfung). Frühestens erst nach einem vollständigen Durchlauf der ersten Kohorte (Beginn des Modellstudienganges 2005/2006), also Ende 2011, kann nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts eine belastbare Evaluation des Modellstudienganges stattfinden, weil erst dann zureichende Erkenntnisse dafür vorliegen, wie die endgültige Gestaltung des neuen Medizinstudiengangs aussehen soll und welche Berechnungsgrößen für die Kapazität daraus folgend festzulegen sind. Erst wenn die Ausbildungsinhalte des Modellstudiengangs feststünden, könnten - darauf aufbauend - verbindliche Berechnungsgrundlagen ermittelt und normiert werden.

20

Die Kammer schließt sich dieser Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für das Studienjahr 2009/2010 nur insoweit an, als es weiterhin eines gewissen Zeitraumes bedarf, um in Bezug auf die Eignung, Bereitschaft und Belastbarkeit der Patienten aus dem stationären und den ambulanten Behandlungsbereichen Kriterien zu entwickeln, die den besonderen Verhältnissen in der Krankenversorgung des Universitätsklinikums der Antragsgegnerin Rechnung tragen und an die Stelle der historischen Bemessungsformeln des § 17 Abs. 1 KapVO treten können. Die Grenze der Kapazität des Modellstudiengangs HannibaL ist angesichts der praxisbezogenen Ausbildungsinhalte während des gesamten Verlaufs des sich auf fünf Studienjahre erstreckenden integrierten Studienabschnitts zweifelsfrei dort anzunehmen, wo Eignung und Belastbarkeit der Patienten der Medizinischen Hochschule Hannover der Umsetzung des Curriculums Grenzen setzen. Dies ist auch die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin, wie ihre Ausführungen in ihrem, das vorliegende Studienjahr betreffenden Generalschriftsatz vom 27. Oktober.2009 in den Verfahren 8 C 3799/09 u.a. (Seiten 4 ff.), insbesondere zur Entstehung der in ihrer "Diktion missglückten" Einführung der auf dem Modellstudiengang bezogenen Regelung in § 17 Abs. 2 KapVO durch Verordnung vom 23. Juni 2009 (Nds. GVBl. S. 288), zeigen. Ein ununterbrochenes Studium der Medizin im Modellstudiengang ist danach nur möglich, wenn die Eignung und Belastbarkeit der Patienten der Medizinischen Hochschule Hannover dies ermöglichen. Diese Faktoren wiederum können mögliche Auswirkungen auf die von der Antragsgegnerin gewählten Gruppengrößen für die Lehrveranstaltungen mit Patientenbeteiligung und die Zahl der Lehrveranstaltungsstunden mit Patientenbeteiligung haben.

21

Die Kammer hält daher an ihrer im Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 8 C 3884/07 u.a. - für das Studienjahr 2007/2008 geäußerten Rechtsauffassung fest, wonach sich die in der Zielvereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur festgelegte Art der Kapazitätsermittlung auf der Grundlage der patientenbezogenen Aufnahmekapazität übergangsweise noch mit einheitlichen Berechnungsmustern der KapVO in Einklang bringen lässt, weil im Modellstudiengang zweifelsfrei ein die Obergrenze der Ausbildungskapazität bestimmender patientenbedingter Engpass eintritt.

22

Abweichend von der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts in dem Beschluss vom 26. März 2010 (S. 16 f. des Beschlussabdrucks) handelt es sich bei den Überlegungen der Antragsgegnerin zur "eigenständigen Kapazitätsberechnung" nicht um ein in tatsächlicher Hinsicht nachvollziehbares Berechnungsmodell, das den Berechnungsmustern der KapVO Rechnung trägt. Außerdem liegen für die in diesem Modell enthaltenen Ansätze für Abschläge und Erhöhungen greifbare Erfahrungssätze zur Bewertung der beabsichtigten Einbindung von Lehrkrankenhäusern und zum "Verzahnungsgewinn", die im Rahmen der Kapazitätsabschätzung Grundlage einer richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sein könnten, nicht vor.

23

Auch ist die Kammer weiterhin der Auffassung, dass die Vorschriften des Zweiten und Dritten Abschnitts der KapVO für die Kapazitätsbestimmung des Modellstudiengangs weiterhin nicht anwendbar sind. § 17 Abs. 2 KapVO in der mit Wirkung vom 30. Juni 2009 in Kraft getretenen Fassung des Art. 1 Nr. 1 der Verordnung vom 23. Juni 2009 (Nds. GVBl. S. 288) hat daran nichts geändert, weil diese Rechtsvorschrift sowohl nach ihrer systematischen Stellung innerhalb der in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 15 Abs. 2 Studienplatzstaatsvertrag übereinstimmenden Kapazitätsverordnungen für den in das Verfahren der Zentralstelle einbezogenen Studiengang Humanmedizin, als auch angesichts der in § 17 Absatz 2 Satz 1 KapVO sprachlich zweifelsfrei verfassten Tatbestandsvoraussetzung auf den Modellstudiengang "HannibaL" keine Anwendung findet (Beschluss der Kammer vom 8.12.2009 - 8 C 2754/09 u.a. -, S. 15 f. des Beschlussabdrucks).

24

Entscheidend ist nach Überzeugung der Kammer vielmehr, dass die dem Wert des § 17 Abs. 1 Nr. 1 KapVO zugrunde liegende Berechnungsformel - modifiziert durch die curricularen Vorgaben des Modellstudiengangs und die von der Antragsgegnerin praktizierten Gruppengrößen -vorübergehend ein rechtlich legitimiertes Berechnungsmodell für die Ermittlung des patientenbezogenen Kapazitätsengpasses im Modellstudiengang liefern kann.

25

Die Kammer hatte schon in ihrem Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 8 C 3884/07 u.a. - für das Studienjahr 2007/2008 eine studiengangsbezogene Berechnung der patientenbezogene Ausbildungskapazität für die seinerzeit vorhandenen Studierenden des 1. bis 3. Studienjahres vorgenommen und war dabei auf das Ergebnis von 158 Studienplätzen gelangt. Diese Berechnung hatte eine anteilige Kapazitätsforderung des seinerzeit noch im 4. und 5. Studienjahr durchgeführten Regelstudiengangs mit zwei Dritteln an der Zahl von 1.093,0273 tagesbelegten Betten nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 KapVO berücksichtigt. Für das 1. bis 3. Studienjahr hatte die Kammer als kapazitätsgünstigste Annahmen unterstellt, dass aufgrund von empirischen Erhebungen im Jahre 1987 insgesamt 46 von 100 stationär aufgenommenen Patienten grundsätzlich die persönliche Eignung für einen Unterricht am Krankenbett aufwiesen und dass seinerzeit noch eine - für die Formel des § 17 Abs. 1 Nr. 1KapVO später reduzierte - wöchentliche Belastbarkeit der Patienten mit 2 Unterrichtsstunden angenommen worden war. Sie war dabei unter Ansatz der von der Antragsgegnerin geplanten Gruppengrößen und den sich aus der Studienordnung ergebenden Lehrveranstaltungsstunden mit Patientenbeteiligung zu dem Ergebnis gekommen, dass sich im 1. bis 3. Studienjahr des Modellstudiengangs insgesamt 229 Unterrichtsstunden (entsprechend 16,36 Semesterwochenstunden) unter Mitwirkung stationär versorgter Patienten und eine mittlere Gruppengröße von g = 3,25 ableiten ließen.

26

Nunmehr liegen die Ergebnisse der im Oktober 2009 abgeschlossenen 1. Stufe der für den Modellstudiengang HannibaL durchgeführten Studie "Patienteneignung und Belastbarkeit für den studentischen Unterricht im Rahmen des Modellstudiengangs" (UPPMK) der Firma Lohfert & Lohfert AS, Kopenhagen, bezogen auf die der Kapazitätsberechnung (Berechnungsbogen MED P) zugrunde gelegte Zahl von 1.268 tagesbelegten Betten vor. Die Studie hat nach Auswertung der von der Antragsgegnerin gemäß § 21 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) erhobenen Daten einen Durchschnittssatz geeigneter stationär aufgenommener Patienten ermittelt, indem zunächst verschiedene Ausschlusskriterien festgelegt worden sind, die sodann bezogen auf einzelne Patientengruppen (nach der Klassifizierung der Diagnosis Related Groups - DRG) einen Gesamtanteil nicht geeigneter Patienten ergaben. Dieser ist anschließend um die dem § 17 Abs. 1 Nr. 1 KapVO zugrunde liegenden Erfahrungssätzen von 9,2% für fehlende Mitwirkungsbereitschaft und 4,1% für Abwesenheit zum Unterrichtstermin erhöht worden. Die rechnerische Auswertung der Daten hat sodann zur Ermittlung einer statistischen Patienteneignungswahrscheinlichkeit von 42,4% geführt. Wenn ferner der in der Endfassung der Stufe 1 der Studie UPPMK auf der Grundlage der Planungen der Antragsgegnerin zutreffend ermittelte Mittelwert der Gruppengröße für Lehrveranstaltungen unter Patientenmitwirkung von 3,3855, der auch schon von der Kammer gewählte kapazitätsgünstigste Wert einer durchschnittlichen Belastbarkeit von 2,0 Stunden sowie die curricularen Besonderheiten (Lehrveranstaltungsstunden, Tertiale) des Modellstudiengangs in die dem § 17 Abs. 1 Nr. 1 KapVO zugrunde liegende Formel der patientengebundenen Ausbildungskapazität eingesetzt werden, errechnet sich daraus ein kapazitätsbestimmender Faktor von 12,41% der tagesbelegten Betten (3 * 100 * 0,424 * 2,0 * 3,3855 / (694/10) = 12,41%).

27

In dieser Formel kann nach Auffassung der Kammer vor Auswertung der Ergebnisse der Stufe 2 (Feldstudie) der Studien UPPMK und deren Umsetzung in einer KapVO vorübergehend ein rechtlich legitimiertes Berechnungsmodell gesehen werden, weil es abweichend von dem "Berechnungsmodell" der Antragsgegnerin nicht auf bloßen Vermutungen für Kapazitätszu- und -abschläge basiert. Insbesondere handelt es sich bei den von der Firma Lohfert & Lohfert AS dargestellten Kriterien für die Ausgliederung von Behandlungsfällen, nämlich der Altergrenze von 80 Jahren, den schweren Behandlungsfällen mit der Kennzeichnung eines Case Mix Index (CMI) von mehr als 2,5, der Verweildauer von weniger als 1,5 Tagen sowie bei den unter Nr. 9.4 der Studie UPPMK aufgezählten speziellen Tatbeständen der Fallgruppen (z.B. Polytraumata, Alkoholvergiftungen, Kleinstkinder usw.) um sach- und ausbildungsbezogene Kriterien, die Patienten für die Vorstellung in Lehrveranstaltungen generell als ungeeignet erscheinen lassen und der klinischen Ausbildung der Studierenden im Praktischen Jahr vorbehalten bleiben. Ob dabei ausweislich der tabellarischen Aufstellung auf Seite 28 des Untersuchungsberichts (Fassung Oktober 2009) auch Patienteneignung in der der Lehreinheit Zahnheilkunde zugeordneten ZMK-Klinik berücksichtigt worden ist, kann dahingestellt bleiben, denn die Auswertung des CMI für die ZMK-Klinik ergibt mit ca. 90% einen überdurchschnittlich hohen Wert von Behandlungsfällen mit einem (geringeren) Schwierigkeitsgrad bis 2,5, so dass sich die Einbeziehung dieser Behandlungsfälle nur kapazitätsgünstig auswirken kann.

28

Vor einer Verifizierung dieser Annahmen durch die beabsichtigte Primärerhebung (Stufe 2) im Rahmen der praktischen Untersuchung von Eignungswahrscheinlichkeit und Belastbarkeit der Patienten der Medizinischen Hochschule Hannover kann die so entwickelte Formel vorläufig der Berechnung der patientenbezogenen Ausbildungskapazität zugrunde gelegt werden, und zwar -bedingt durch das bisherige Fehlen neuerer Erkenntnisse - ergänzt um die Formel des § 17 Abs. 1 Nr. 2 KapVO, wonach sich zur Berücksichtigung der ambulant behandelten Patienten die Ausbildungskapazität pauschal um 50% auf 235,5, aufgerundet auf 236 Studienplätze erhöht.

29

Die Hilfsanträge der Antragstellerin zu 5. und der Antragsteller zu 1. und 6. die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, sie im Sommersemester 2010 vorläufig zum Studium der Humanmedizin im 1. Fachsemester zuzulassen, sind unzulässig.

30

Für die Durchsetzung eines Anordnungsanspruchs auf vorläufige Zulassung im 1. Fachsemester besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, denn die Ausbildung zur Ärztin oder zum Arzt findet im Sommer 2010 bei der Antragsgegnerin nicht in einem 1. Fachsemester statt. Deshalb sieht die ZZ-VO 2009/2010 eine Zulassungsbeschränkung vor, die in Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 für das Sommersemester keine Studienplätze für Erstsemester des Studiengangs Humanmedizin festsetzt, sondern insoweit die Zulassungszahl "Null" enthält. Durch das fortlaufend praktizierte Prinzip der Aufnahme von Studienanfängern nur zum Beginn eines Studienjahres können folglich in einem Sommersemester nur Bewerber in höheren Fachsemestern mit jeweils gerader Semesterzahl zugelassen werden.