Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 04.06.2010, Az.: 10 B 2575/10
Verlegung einer Versammlung zum Schutze der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 04.06.2010
- Aktenzeichen
- 10 B 2575/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 34740
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:0604.10B2575.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 1 VersG
- Art. 8 Abs. 1 GG
Verfahrensgegenstand
Versammlungsrecht
Antrag nach §80 Abs. 5 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover -10. Kammer -
am 04.06.2010
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 03.06.2010 wiederherzustellen,
hilfsweise,
den Rechtsschutz in der Weise wiederherzustellen, dass mit gerichtlicher Maßgabe der Versammlungsort vom Kröpcke auf den ZOB verlegt wird,
ist mit Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.
Nach §15 Abs. 1 Versammlungsgesetz kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.
Die im pflichtgemäßen Ermessen der Ordnungsbehörde stehende Beschränkung der in Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch die Erteilung von Auflagen bis hin zur Untersagung der Versammlung setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung voraus. Aus der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgt, dass nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung das Verbot einer Versammlung rechtfertigt. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat vielmehr eine Güterabwägung stattzufinden mit der Folge, dass ein Verbot nur zulässig ist, wenn es zum Schutz anderer, dem Versammlungsrecht mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Zur Annahme einer Gefährdung im Sinne von§15 Abs. 1 VersG genügt nicht eine abstrakte Gefahr; die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen erkennbare Umstände dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus, bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.06.2006 - 1 BvR 1429/06 -; auch bereits BVerfGE 69, 315, 353).
Auch gemessen an diesen hohen Anforderungen an die Rechtsgüterabwägung ist hinsichtlich der vom Antragsteller für den heutigen Abend in Hannover angemeldeten Versammlung festzustellen, dass zumindest nach der nur mehr möglichen summarischen Prüfung - insbesondere der Verfügung selbst und der aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlichen Lagebeurteilung durch die Antragsgegnerin von gestern - mit der Versammlung des Antragstellers eine solche unmittelbare Gefährdung deröffentlichen Sicherheit droht, welche das Verbot der Versammlung rechtfertigt, um gleichwertige Rechtsgüter zu schützen.
Nach summarischer Prüfung bleibt dahingestellt, ob es wahrscheinlich erscheint, dass Gefahren auch von der Versammlung des Antragstellers selbst auszugehen. Sollten diese Gefahren nicht wahrscheinlich oder aber - durch Auflagen wie beispielsweise einer Verlegung des Versammlungsortes - minimierbar sein, so rechtfertigt sich das Verbot unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands.
Polizeilicher Notstand bedeutet, dass es der Polizei auf andere Weise nicht möglich erscheint, eine gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anders als durch die Inanspruchnahme eines Nichtstörers abzuwehren.
Eine gegenwärtige und erhebliche Gefährdung deröffentlichen Sicherheit liegt vor, weil aufgrund der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung davon ausgegangen werden muss, dass sich sowohl unter die Versammlung des Antragstellers als auch unter die vom Deutschen Gewerkschaftsbund angemeldeten vier Gegenkundgebungen militante Teilnehmer mischen werden, welche gewalttätige Auseinandersetzungen suchen und Versammlungsteilnehmer, Polizisten und unbeteiligte Passanten erheblich gefährden.
Diese Gefahr lässt sich auch nicht allein mit einem Verbot der Gegenkundgebungen begegnen, denn auch für diesen Fall ist zu befürchten, dass militante Gegner der Versammlung des Antragstellers in der Innenstadt erscheinen und versuchen werden, die Versammlung des Antragstellers - wo auch immer sie stattfinden sollte - auf gewalttätige Weise zu stören.
Der Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen lässt sich nach der summarischen Prüfung des Gerichts nicht anders begegnen als durch das ausgesprochene Verbot, denn mit polizeilichen Einsatzkräften lässt sich die Lage am heutigen Abend, wie aus der Lagebeurteilung der Polizei ersichtlich, nicht beherrschen.
Dabei muss die Kammer von der Richtigkeit der Angaben über die verfügbaren Einsatzkräfte in diesem Eilverfahren ausgehen, da die verbleibende Zeit eine weitere Aufklärung der Tatsachen nicht zulässt. Die Zweifel des Antragstellers an dem für Hannover benötigten Kräfteansatz lassen sich heute nicht mehr klären.
Ausweislich der Lagebeurteilung gibt es sowohl im Raum Hannover (Aufstiegsspiel Regionalliga Nord, Expo-Plaza Fest, Maschpark Flash-Mob Abiparty, Gerichtstermin Firma Böhringer, und mündlich mitgeteilt, seit heute verstärkter Personen- und Objektschutz für den Ministerpräsidenten wegen seiner Kandidatur zum Bundespräsidenten) erheblichen anderweitigen Personalbedarf der Polizei als auch in den Bereichen der anderen Polizeidirektionen in Niedersachsen. Insbesondere werden in Gorleben 1200 Einsatzkräfte benötigt und bedarf es morgen früh bis zu 1600 Beamte in Hildesheim. Auch ist hinsichtlich des Einsatzes in Hildesheim sehr wohl nachvollziehbar, dass die dort benötigten Beamten nicht am Abend vorher sämtlich in Hannover zur Verfügung stehen. Außer den notwendigen Ruhezeiten ist auch zu berücksichtigen, dass nicht sämtliche Kräfte erst morgen früh nach Hildesheim aufbrechen werden.
Dass sich die Antragsgegnerin erfolglos um Kräfte aus anderen Bundesländern bemüht hat - was der Antragsteller ebenfalls bezweifelt -, lässt sich schließlich dem Erlass des Ministeriums für Inneres vom 02.06.2010 an die Antragsgegnerin entnehmen, der ebenfalls Inhalt des vorgelegten Verwaltungsvorgangs ist. Darin wird die Bitte der Antragsgegnerin nach behörden- bzw. länderübergreifender Kräftegestellung abgelehnt und ausgeführt, dass alle niedersächsischen Einsatzkräfte gebunden seien und Bremen und Berlin ihre bereits zugesagte Unterstützung aufgrund eigener Einsatzlagen hätten zurückziehen müssen. Das Land Brandenburg hatte ein eigenes Ersuchen um Unterstützung gestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §53 Abs. 3 Nr. 2, §52 Abs. 1 GKG. Der bei einem Versammlungsverbot anzusetzende Auffangstreitwert ist für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht zu reduzieren, da mit der Entscheidung eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache einhergeht.
Schulz-Wenzel
Wendlandt-Stratmann