Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.06.2005, Az.: 22 W 24/05

Abschiebehaftverfahren; Abschiebungshaft; Ausländer; Ehegattenanhörung; Freiheitsentziehungsverfahren; Sachaufklärungspflicht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.06.2005
Aktenzeichen
22 W 24/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50969
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 30.03.2005 - AZ: 28 T 143/04

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 30. März 2005 sowie der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 29. Oktober 2004 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die am 29. Oktober 2004 erfolgte Verlängerung der Abschiebehaft durch das Amtsgericht Hannover rechtswidrig war.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Auslagen des Betroffenen werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000,- € festgesetzt.

Gründe

1

1. Der im November 2004 in seine georgische Heimat abgeschobene Betroffene wendet sich mit seiner auf Feststellung gerichteten weiteren sofortigen Beschwerde vom 15. April 2005 gegen einen Beschluss des Landgerichts Hannover vom 30. März 2005, mit dem unter gleichzeitiger Zurückweisung der sofortigen Beschwerde festgestellt wurde, dass die Inhaftierung des Betroffenen rechtmäßig war. Der Betroffene bringt hiergegen vor, entgegen § 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG sei seine Ehefrau nicht angehört worden, weshalb die Anordnung der Auslieferungshaft rechtswidrig gewesen sei.

2

2. Die nach §§ 27, 29 FGG i.V.m. § 7 FrhEntzG zulässige weitere sofortige Beschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts sowie der die Abschiebehaft verlängernde Beschluss des Amtsgerichts beruhen auf einer Verletzung des Gesetzes.

3

a) Zu Recht rügt der Betroffene die unterbliebene Anhörung seiner Ehefrau. Nach 5 Abs. 3 Satz 2 FreihEntzG ist, sofern die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, auch der Ehegatte des Betroffenen zu hören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist (vgl. auch OLG Hamm vom 14.9.2001, 19 W 114/01). Kommt es in einem Abschiebungsverfahren auf die Art und die Intensität der familiären Bindungen an, bedarf es grundsätzlich der persönlichen Anhörung des Ehepartners (BayObLG vom 24.7.2000, 3Z BR 219/00). Die Anhörung hat mündlich zu erfolgen und ist ein wesentlicher Bestandteil der dem Gericht obliegenden Sachaufklärungspflicht (OLG Frankfurt/M. vom 30. Januar 2003, 20 W 10/03). Die Regelung des § 5 Abs. 3 FrhEntzG soll einen Mindeststandard der nach § 12 FGG gebotene Sachaufklärung sicherstellen und gehört zu denjenigen Vorschriften, ohne deren Beachtung eine Freiheitsentziehung nicht zulässig ist (OLG Düsseldorf vom 1.3.1995, 3 Wx 64/95, und vom 3.6.96, 3 Wx 191/96). Eine ohne Anhörung des Ehegatten erfolgte richterliche Entscheidung über die Anordnung oder die Fortdauer der Auslieferungshaft wird jedenfalls dann, wenn Gründe für ein Absehen der Anhörung nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 Satz 3 FreihEntzG nicht vorliegen, verfahrensfehlerhaft sein und zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen (OLG Düsseldorf vom 12. Juli 1996, 3 Wx 295/96; OLG Celle vom 18.10.2000, 17 W 77/98).

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b) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.

5

aa) Die angefochtene Entscheidung vom 30. März 2005 teilt hierzu mit, dem Amtsgericht sei eine zeitnahe Anhörung der Ehefrau nicht möglich gewesen, da der Antrag auf Verlängerung der am 29. Oktober 2004 endenden Abschiebehaft des Betroffenen dem Amtsgericht erst am 28. Oktober 2004 vorgelegen habe. Bis zu der auf den 29. Oktober 2004 auf 11.00 Uhr anberaumten Anhörung habe die Ehefrau zumindest mit Ladungsnachweis nicht mehr geladen werden können. Eine nachträgliche Anhörung der Ehefrau durch das Amtsgericht sei nicht erforderlich gewesen, da von dieser keine von den Angaben des Betroffenen abweichenden Angaben zu erwarten gewesen seien. Eine Anhörung der Ehefrau im Beschwerdeverfahren sei nicht möglich gewesen, da diese am 24. November 2004 bereits abgeschoben worden sei.

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bb) Diese Feststellungen sind nicht geeignet, ein Absehen von der Anhörung der Ehefrau zu rechtfertigen.

7

Dass eine Anhörung der Ehefrau überhaupt nur unter erheblichen Verzögerungen oder mit erheblichen Kosten möglich gewesen wäre, hat das Landgericht - erneut - nicht festgestellt. Das Landgericht teilt nach wie vor nicht einmal mit, wo überhaupt die Ehefrau sich zum Zeitpunkt der Anhörung des Betroffenen oder danach aufgehalten hatte - und mit welchem Aufwand deren Anhörung daher verbunden gewesen wäre. Allein dies hätte bereits durch einen Anruf bei der zuständigen Ausländerbehörde aufgeklärt werden können. Insofern liegt auch ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht im Sinne von § 12 FGG vor. Dessen ungeachtet erschließt sich nicht, weshalb der Antrag auf Verlängerung der erkennbar am 29. Oktober 2004 endenden Haft erst einen Tag zuvor dem Amtsgericht in Hannover vorlag. Dies kann eine nach § 5 Abs. 3 FreihEntzG grundsätzlich erforderliche Anhörung jedenfalls nicht entbehrlich machen oder zu Lasten des Betroffenen gehen.

8

Soweit eine Ladung der Ehefrau zu der Anhörung am 29. Oktober 2004 tatsächlich nicht möglich gewesen sein sollte und eine Entscheidung des Amtsgerichts an diesem Tage gleichwohl erforderlich war, hätte hiermit die Anordnung der Sicherungshaft aber nicht von vornherein für einen Zeitraum von drei Monaten erfolgen müssen. Dem Amtsgericht hätte vielmehr die Möglichkeit offengestanden, die Haft bzw. deren Fortdauer für zunächst nur kurze Zeit anzuordnen, die Ehefrau zu einem späteren weiteren Termin vorzuladen und sodann die Haft zu verlängern. Aber auch bei dem erfolgten Anordnen der Haft für den Zeitraum von sogleich drei Monaten wäre ein Nachholen der Anhörung der Ehefrau durch das Amtsgericht grundsätzlich möglich - und entsprechend der insoweit klaren Bestimmung des § 5 Abs. 3 FreihEntzG auch nötig gewesen. Dies mag einen als lästig zu empfindenden Mehraufwand bedeuten. Eine unverhältnismäßige Verzögerung im Sinne von § 5 Abs. 3 Satz 4 FreihEntzG liegt hierin aber noch nicht.

9

Die Auffassung, eine nachträgliche Anhörung der Ehefrau durch das Amtsgericht sei wegen nicht zu erwartender erheblicher Angaben nicht erforderlich gewesen, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Auf die Frage der Erheblichkeit der Angaben des Ehegatten stellt § 5 Abs. 3 FreihEntzG nicht ab. Ob - wie bei der Anhörung eines Betroffenen selbst - von einer Anhörung des Ehepartners im Beschwerdeverfahren abgesehen werden kann, wenn diese gegenüber einer früheren Anhörung keine neuen Erkenntnisse erwarten lässt, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, weil schon das Amtsgericht die Ehefrau des Betroffenen entgegen § 5 Abs. 3 FreihEntzG nicht angehört hatte.

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Soweit das Landgericht schließlich ausführt, eine Anhörung der Ehefrau im Beschwerdeverfahren sei aufgrund ihrer am 24. November 2004 erfolgten Abschiebung nicht möglich gewesen, ist dies schon aus tatsächlichen Gründen nicht zutreffend. Die weitere sofortige Beschwerde teilt hierzu (zutreffend, vgl. Bl. 119 d.A.) mit, am 24. November 2004 sei der Betroffene abgeschoben worden, die Abschiebung der Ehefrau hingegen sei am 6. Dezember 2004 erfolgt. Die Akten lagen dem Landgericht am 3. November 2004 erstmals vor (vgl. Bl. 41 d.A.). Weshalb hiernach und bis zu deren Abschiebung eine Anhörung der Ehefrau durch das Landgericht nicht mehr möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht.

11

3. Der Senat hat nunmehr in der Sache selbst entschieden. Die Sache ist entscheidungsreif. Die erforderlichen Feststellungen sind getroffen, jedenfalls aber hat das Landgericht sich zum Treffen weiterer Feststellungen offenbar nicht in der Lage gesehen. Der hiernach festzustellende Verfahrensfehler ist infolge der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung des Betroffenen sowie seiner Ehefrau nunmehr auch unheilbar. Demzufolge kann der Senat auch nicht ausschließen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruht.

12

4. Gerichtskosten nach § 14 FrhEntzG waren wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht zu erheben, § 16 KostO. Dies gilt insgesamt, d.h. sowohl für das Verfahren über die weitere sofortige und die sofortige Beschwerde als auch für die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der Abschiebehaft.

13

Vom Auferlegen der Auslagen des Betroffenen auf den beteiligten Landkreis nach § 16 FrhEntzG hat der Senat abgesehen. Zwar hat das Rechtsmittel des Betroffenen Erfolg, weil die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft durch das Amtsgericht rechtsfehlerhaft war. Voraussetzung für den Auslagenersatz nach § 16 FrEntzG wäre aber, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrages auf Freiheitsentziehung durch die Verwaltungsbehörde nicht vorgelegen hätte. Dies aber ist nicht der Fall. Aus den im angefochtenen Beschluss insoweit zutreffend ausgeführten Gründen lagen die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft vor.

14

Eine Übernahme der notwendigen Auslagen des Betroffenen durch die Staatskasse sieht das Gesetz im Verfahren über die Anordnung der Abschiebehaft auch für den Fall einer erfolgreichen (weiteren sofortigen) Beschwerde nicht vor.