Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 23.06.2005, Az.: 14 U 25/05
Anerkennen einer zusätzlichen Vergütungspflicht durch die Ausführung der Arbeiten und die anschließende Abnahme der Leistung; Anspruch auf Zahlung des restlichen Werklohns für Straßenbauarbeiten; Bewusste Staffelung von Nebenangeboten im Verhältnis zum ursprünglichen Leistungsverzeichnis in einem Werkvertrag als Hinweis auf Erfolgung der Herstellung der Asphalttragschicht abhängig von der technischen Ausführbarkeit; Unwirksamkeit eines privatrechtlich geschlossenen Vertrages auf Grund eines Verstoßes gegen die Vergabeordnung und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) im Ausschreibungsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 23.06.2005
- Aktenzeichen
- 14 U 25/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 32922
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0623.14U25.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 13.01.2005 - AZ: 2 O 50/04
Rechtsgrundlagen
- § 2 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B
- § 97 Abs. 1 ZPO
- § 108 Abs. 1 ZPO
- § 708 Nr. 10 ZPO
- § 711 ZPO
Fundstellen
- BauR 2006, 1755-1756
- BauR 2005, 1631-1632 (Volltext mit red./amtl. LS)
- BauR 2005, 1681 (amtl. Leitsatz)
- BauRB 2005, VI Heft 9 (Kurzinformation)
- BrBp 2005, 503
- OLGReport Gerichtsort 2005, 535-536
Amtlicher Leitsatz
Wird in einem Nebenangebot, auf das der Zuschlag erteilt wird, statt der im Leistungsverzeichnis des Hauptangebots vorgesehenen Herstellung einer neuen Asphalttragschicht unter Mitverwendung von Asphaltgranulat bis max. 30 % eine Beimischung von 70 % angeboten, wobei das Asphaltgranulat ausschließlich aus den Trag und Bindeschichten der alten, aufzubrechenden Fahrbahn gewonnen werden sollte und den Vertragsparteien die Qualität des Altasphalts nicht bekannt war, und stellt sich später während der Bauausführung heraus, dass das Ausbaumaterial nur wie im Hauptangebot vorgesehen zu verwenden ist, steht dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Zahlung der Mehrkosten zu, die sich aus dem Leistungsverzeichnis zum Hauptangebot ergeben. Denn in diesem Fall durfte der Auftraggeber das Angebot nur so verstehen, dass der Auftragnehmer das Asphaltgranulat der alten Fahrbahn (lediglich) so weit wie tatsächlich möglich wiederverwenden wollte, um so den im Leistungsverzeichnis des Hauptangebots angebotenen Einheitspreis zu reduzieren.
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2005
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. Januar 2005 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 119.999,51 EUR.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohns für Straßenbauarbeiten.
Mit Zuschlagsschreiben vom 21. April 1997 (Bl. 7 ff.) beauftragte die Beklagte die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die Straßenbau B. H. B. GmbH & Co. KG, mit Erd-, Straßenbau- und Entwässerungsarbeiten in einem knapp 6 km langen Streckenabschnitt auf der Nordseite der A 2. Bei der Auftragserteilung berücksichtigte die Beklagte das Nebenangebot Nr. 2 vom 24. Februar 1997 (Bl. 12), mit dem die B. GmbH & Co. KG statt der im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Herstellung der neuen Asphalttragschicht unter Mitverwendung von Asphaltgranulat bis max. 30 % (Bl. 14 f.) eine Beimischung von 70 % angeboten hatte. Das Asphaltgranulat sollte ausschließlich aus den Trag und Bindeschichten der alten, aufzubrechenden Fahrbahn gewonnen werden. Dadurch reduzierte sich der von der B. GmbH & Co. KG angebotene Einheitspreis. Keine Berücksichtigung durch die Beklagte fand das Nebenangebot Nr. 1, mit dem alternativ die Verwendung von 50 % Altasphalt angeboten worden war. Mit weiterem Schreiben vom 25. März 1997 (Bl. 13) wies die B. GmbH & Co. KG die Beklagte darauf hin, dass für die Zugabe von 70 % Altasphalt höhere Anforderungen an die Qualität des wieder zu verwertenden Materials zu stellen seien, und bat um Übersendung bekannter Materialkennwerte. Der Beklagten lagen diesbezüglich jedoch keine Werte vor.
Bei der Ausführung der Arbeiten stellte sich heraus, dass das Ausbaumaterial nicht in dem geplanten Umfang zum Wiedereinbau geeignet war. Die B. GmbH & Co. KG meldete deshalb unter Hinweis auf diesen Umstand mit Schreiben vom 4. August 1997 (Bl. 16 f.) Mehrkosten an. Sie stellte die neue Asphalttragschicht sodann entsprechend dem ursprünglichen Leistungsverzeichnis der Beklagten unter Verwendung von nur 30 % Altasphaltgranulat her. Die Beklagte nahm die Leistung ab, leistete jedoch auf die Schlussrechnung vom 15. Februar 2002 (Bl. 22 ff.), die unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen eine Restforderung von 374.056,06 EUR auswies, keine Zahlung.
Mit der Klage hat die Klägerin als Teilbetrag aus dieser Rechnung die Mehrkosten in Höhe von 119.999,51 EUR geltend gemacht, die sich aus der vom Nebenangebot Nr. 2 abweichenden Herstellung der Asphalttragschicht bei Zugrundelegung der Einheitspreise ergeben, die sie in das von der Beklagten erstellte Leistungsverzeichnis bei der Wiederverwendung von nur 30 % des Altasphalts eingesetzt hatte (vgl. Bl. 14 f.). Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das Angebot habe erkennbar unter der Bedingung gestanden, dass der Asphalt der alten Fahrbahn nach seiner Qualität zur 70 %igen Wiederverwertung geeignet sei.
Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, eine Bedingung habe nicht vorgelegen. Vielmehr habe die Klägerin mit der Abgabe des Nebenangebots zugleich auch das Risiko seiner Ausführbarkeit übernommen, sodass ihr kein Anspruch auf eine Mehrvergütung zustünde.
Nachdem zunächst im schriftlichen Vorverfahren am 2. August 2004 ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil gegen die Beklagte ergangen war (Bl. 91), hat das Landgericht dieses Versäumnisurteil mit Urteil vom 13. Januar 2005 bis auf einen Teil der Zinsforderung aufrechterhalten.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die Auffassung weiterverfolgt, dass die B. GmbH & Co. KG das Nebenangebot Nr. 2 ausweislich seines klaren Wortlauts vorbehaltlos abgegeben habe. Eine Bedingung, wie sie von der Klägerin behauptet werde, sei im Übrigen vergaberechtlich unzulässig. Entscheidend sei, dass die Klägerin aus ihrer - der Beklagten - Sicht das volle Risiko für die technische Ausführbarkeit des Nebenangebots übernommen habe.
Die Beklagte beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils und unter vollständiger Aufhebung des Versäumnisurteils vom 2. August 2004 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ebenfalls im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat der Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Allerdings erscheint dem Senat die Auffassung der Kammer zweifelhaft, dass sich ein Vergütungsanspruch der Klägerin aus § 2 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B ergebe. Denn es ist durchaus fraglich, ob in der bloßen Ausführung der Arbeiten durch die B. GmbH & Co. KG sowie in der anschließenden Abnahme der Leistung durch die Beklagte ein von dieser abgegebenes Anerkenntnis gesehen werden kann. Dagegen spricht, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin aus Sicht der Beklagten nur die vertraglich geschuldete Asphalttragschicht hergestellt hat. Daher liegt es nicht gerade nahe, dass die Beklagte mit der bloßen Entgegennahme dieser Leistung eine zusätzliche Vergütungspflicht anerkennen wollte.
Dies kann aber letztlich dahingestellt bleiben, weil nach Auffassung des Senats bereits die Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages ergibt, dass der Anspruch der Klägerin auf die geltend gemachte Vergütung für die Herstellung der Asphalttragschicht begründet ist. Die Klägerin kann ihre diesbezügliche Forderung mit Erfolg auf die Einheitspreise stützen, die sie in das von der Beklagten erstellte Leistungsverzeichnis bei der Wiederverwendung von nur 30 % des Altasphalts eingesetzt hat (vgl. Bl. 14 f.) und braucht sich nicht auf die in ihrem Nebenangebot Nr. 2 angebotenen niedrigeren Einheitspreise verweisen zu lassen.
Wie sich schon aus dem Wortlaut des Nebenangebots Nr. 2 vom 24. Februar 1997 (Bl. 12) ergibt, sollte der 70 %ige Altasphaltanteil, den die Klägerin bei gleichzeitiger Reduzierung der im ursprünglichen Leistungsverzeichnis diesbezüglich angebotenen Einheitspreise weiter verwenden wollte, "ausschließlich aus den Trag und Bindeschichten der alten Fahrbahn gewonnen" werden. Dieses Angebot kann bei natürlicher, lebensnaher Betrachtungsweise nur dahingehend verstanden werden, dass die B. GmbH & Co. KG die vorgeschlagene Wiederverwertung von der qualitativen Eignung des Altasphalts abhängig machen wollte. Hierfür spricht insbesondere auch das alternative Nebenangebot Nr. 1, das von einem geringeren Altasphaltanteil von nur 50 % ausging. Mit dieser bewussten Staffelung ihrer Nebenangebote im Verhältnis zum ursprünglichen Leistungsverzeichnis hat die B. GmbH & Co. KG deutlich gemacht, dass sie der Beklagten die Herstellung der Asphalttragschicht abhängig von der technischen Ausführbarkeit zu einem möglichst günstigen Preis anbieten wollte.
In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, dass beiden Vertragsparteien seinerzeit die Qualität des Altasphalts und damit seine mögliche Eignung für eine Wiederverwendung unstreitig nicht bekannt war. Die Beklagte konnte daher nicht davon ausgehen, dass sich die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit der Abgabe des Nebenangebots Nr. 2 gewissermaßen "ins Blaue hinein" binden wollte. Vielmehr durfte die Beklagte das Angebot nach seinem Sinn und Zweck nur so verstehen, dass die B. GmbH & Co. KG das Asphaltgranulat der alten Fahrbahn (lediglich) so weit wie tatsächlich möglich wiederverwenden wollte, um hierdurch die diesbezüglichen im Leistungsverzeichnis angebotenen Einheitspreise entsprechend zu reduzieren. Daraus folgt, dass die Klägerin berechtigt ist, nunmehr (wieder) auf der Grundlage der in das Leistungsverzeichnis eingesetzten Einheitspreise abzurechnen, nachdem sich herausgestellt hat, dass sich nicht mehr als 30 % des Altasphalts haben weiterverwenden lassen.
Die Beklagte kann sich demgegenüber auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Nebenangebot Nr. 2, wenn es so auszulegen ist, vergaberechtlich unzulässig sei. Denn ein möglicher Verstoß gegen die VOB/A im Ausschreibungsverfahren würde jedenfalls nicht zur Unwirksamkeit des unter Einbeziehung dieses Nebenangebots geschlossenen privatrechtlichen Vertrages führen. Hinzu kommt, dass es der Beklagten freigestanden hätte, auch von anderen Mitbietern vergleichbare Nebenangebote einzuholen. Hierfür bestand für sie allerdings offensichtlich schon deshalb kein Anlass, weil die B. GmbH & Co. KG auch bei Außerachtlassung der beiden Nebenangebote Nr. 1 und 2 unstreitig das insgesamt günstigste Angebot abgegeben hatte.
Aus alledem ergibt sich, dass der Klägerin für die Herstellung der Asphalttragschicht eine Vergütung auf der Grundlage der Einheitspreise zusteht, die sie in das ursprüngliche Leistungsverzeichnis der Beklagten eingesetzt hat. Das Landgericht hat der Klage daher im Ergebnis zu Recht mit der Folge stattgegeben, dass sich die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten als unbegründet erweist. Sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Vorliegend handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich ausschließlich mit der Auslegung der bei diesem Bauvorhaben seitens der Klägerin abgegebenen Nebenangebote befasst und nicht zu verallgemeinern ist.
Streitwertbeschluss:
Streitwert des Berufungsverfahrens: 119.999,51 EUR.