Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.02.2023, Az.: 9 U 102/22

Nichtigkeit einer kompetenzwidrigen Abberufung des (Fremd)-Geschäftsführers einer GmbH; Selbstwiderlegung eines vermeintlich wichtigen Grundes für die Abberufung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.02.2023
Aktenzeichen
9 U 102/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 17639
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0207.9U102.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 11.10.2022 - AZ: 32 O 119/22

Fundstelle

  • GmbHR 2023, 742-745

Amtlicher Leitsatz

Zur Nichtigkeit einer kompetenzwidrigen Abberufung des (Fremd)-Geschäftsführers einer GmbH im Streitfall. Zur Selbstwiderlegung eines vermeintlich wichtigen Grundes für die Abberufung

In dem Rechtsstreit
X GmbH, ...,
Beklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
...,
gegen
..., ...,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 7. Februar 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 11. Oktober 2022 verkündete Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

  2. 2.

    Die Beklagte erhält gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme und gegebenenfalls Rücknahme der Berufung aus Kostengründen binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

  3. 3.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Wertstufe bis € 50.000,- festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist im Handelsregister als Geschäftsführer der in der Rechtsform einer GmbH organisierten Beklagten eingetragen. Er wendet sich gegen einen seiner Ansicht nach nichtigen Beschluss des Alleingesellschafters (eines Vereins) der Beklagten vom 25. Juli 2022, der seine sofortige Abberufung vom Geschäftsführeramt aus wichtigem Grund zum Inhalt hat (vgl. Anlage K 16, wie alle nicht anders gekennzeichneten, vom Kläger vorgelegten Anlagen im gesonderten Anlagenband "K").

1.) Alleiniger Gesellschafter der Beklagten ist der X e.V. (im Folgenden auch: Verein). Die Beklagte wiederum ist Komplementärin der X GmbH & Co. KGaA (im Folgenden nur: KGaA), die ihrerseits die am Ligabetrieb teilnehmende Fußballmannschaft "X" unterhält. Kommanditaktionärin der KGaA ist die X S. & S. GmbH & Co. KG (im Folgenden nur: S & S KG), deren Mehrheitskommanditistin die XY GmbH ist (vgl. Anlage K 11). Alleiniger Gesellschafter der XY GmbH ist der Kläger.

In § 5 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten (Anlage K 14) ist Folgendes bestimmt:

"Organe der Gesellschaft sind:

a) die Geschäftsführung,

b) der Aufsichtsrat und

c) die Gesellschafterversammlung."

§ 7 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten lautet auszugsweise:

"(1) Die Geschäftsführer werden vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen.

(2) (...)"

Aus § 8 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten ergibt sich, dass deren Aufsichtsrat aus vier Mitgliedern besteht, die zur Hälfte vom Alleingesellschafter der Beklagten (also dem X e.V.), zur anderen Hälfte vom Aufsichtsrat der KGaA (der sogenannten "Kapitalgeberseite") entsandt werden.

2.) Am 23. August 2019 kamen der Verein (Alleingesellschafter der Beklagten), die KGaA und die S & S KG in einem sogenannten "X-Vertrag" (Anlage K 12) unter dessen Ziffer 3 u.a. wie folgt überein:

"(...) X e.V. [i.e. der Alleingesellschafter der hiesigen Beklagten] verpflichtet sich, die Satzung der X GmbH [i.e. die hiesige Beklagte] nicht bzw. nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der X S&S [i.e. die S & S KG] zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen. Die vorstehende Regelung gilt insgesamt, insbesondere aber für den Passus der Satzung, der Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der Gesellschaft) und Besetzung des Aufsichtsrats der X GmbH regelt. Durch die jetzige Regelung hat X S&S, vermittelt durch den Aufsichtsrat, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung der X GmbH. Der Erhalt dieser Mitentscheidungsrechte und die künftige Kooperation der Parteien bei der Ernennung und Abberufung der Geschäftsführung der X GmbH unter Berücksichtigung des Zwei-Säulen-Modells ist Grundlage und essentieller Bestandteil dieser Vereinbarung, insbesondere im Hinblick auf die sich für X e.V. [i.e. den Alleingesellschafter der hiesigen Beklagten] ergebenden Pflichten. (...)"

3.) Am 25. Juli 2022 suchten Mitglieder des Vorstands des Alleingesellschafters der Beklagten, also des X e.V., einen Notar in ... auf, hielten unter Verzicht auf die Einhaltung aller Frist- und Formvorschriften eine außerordentliche Gesellschafterversammlung ab und beschlossen, den Kläger "mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer" der Beklagten abzuberufen (vgl. Anlage K 16).

Am 27. Juli 2022 fand sodann eine zuvor vom Kläger einberufene Gesellschafterversammlung der Beklagten statt, zu deren Beginn der vom Verein in den Aufsichtsrat der Beklagten entsandte Aufsichtsratsvorsitzende den Kläger fragte, ob er das Amt als Geschäftsführer zum 31. Dezember 2022 niederzulegen bereit sei. Nachdem der Kläger das verneint hatte, übergab der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten als Bevollmächtigter des Vereins dem Kläger das den Abberufungsbeschluss enthaltende Protokoll der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 25. Juli 2022.

4.) Der Kläger hat gemeint, der Abberufungsbeschluss des Vereinsvorstands für den Verein als Alleingesellschafter der beklagten GmbH vom 25. Juli 2022 sei nichtig, da Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers allein der Aufsichtsrat, nicht aber die Gesellschafterversammlung vornehmen könne; anderenfalls verstoße der Verein als alleiniger Gesellschafter der beklagten GmbH gegen den X-Vertrag vom 23. August 2019. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Abberufung auf einen wichtigen Grund gestützt werde, weil ein solcher nicht vorliege.

5.) Das Landgericht, auf dessen Urteil (Bl. 117 ff. Bd. I d.A.) wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen, der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses vom 25 Juli 2022 festgestellt.

Zur Begründung hat die Kammer im Wesentlichen ausgeführt, der Beschluss sei zwar nicht gemäß § 241 Nr. 4 AktG analog sittenwidrig. Seine Nichtigkeit ergebe sich jedoch aus dem Verstoß gegen die im Gesellschaftsvertrag der Beklagten geregelte Kompetenzverteilung. Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund der in dem X-Vertrag unter Ziffer 3 getroffenen Bestimmung, im Übrigen aber auch selbst dann, wenn man den X-Vertrag außer Acht lasse, weil die vom Verein als Alleingesellschafter der Beklagten vorgenommene Satzungsdurchbrechung nicht lediglich punktuell, sondern zustandsbegründend wirke. Eine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung jedoch sei unwirksam, wenn der Beschluss nicht gleichzeitig in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werde. Anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Beklagte das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Abberufung geltend mache. Denn im Streitfall sei auch die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund von der Delegation auf den Aufsichtsrat erfasst, weil anderenfalls der sich in der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats widerspiegelnden gleichgewichtigen Mitbestimmungsmöglichkeit der sogenannten Kapitalgeberseite nicht hinreichend Rechnung getragen werde.

Bereits zuvor hatte das Landgericht dem Kläger durch einstweilige Verfügung gestattet, das Amt des Geschäftsführers bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiter auszuüben, und es der Beklagten untersagt, die Löschung des Klägers als Geschäftsführer im Handelsregister zu betreiben (vgl. Bl. 127 ff. Bd. I der als Beiakte geführten Verfahrensakten zu 32 O 116/22 LG Hannover); die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 8. November 2022 (9 U 72/22, Bl. 318 ff. Bd. II der Beiakte) zurückgewiesen.

6.) Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen das vorerwähnte die Hauptsache betreffende Urteil. Sie macht im Wesentlichen geltend, der angefochtene Beschluss ihres Alleingesellschafters sei trotz Widerspruchs zum X-Vertrag wirksam. Dieser könne als lediglich schuldrechtliche Vereinbarung mit Gesellschaftsfremden keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses haben. Zudem könne sich der Kläger darauf nicht berufen, weil ihm seinerseits erhebliche (im Einzelnen näher ausgeführte) Pflichtverletzungen zur Last fielen, weshalb (im Sinne der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts) die in dem X-Vertrag festgehaltenen Rechte der S & S KG "suspendiert" seien und der S & S KG "kein durchsetzbares Recht auf Unterlassung einer Satzungsänderung" bei der Beklagten zustehe (vgl. Berufungsbegründung, dort S. 23 f., Bl. 199 f. Bd. I d.A.). Das vom Landgericht unter Verweis auf die gleichgewichtige Bestimmung der Mitglieder des Aufsichtsrats der Beklagten durch den Verein und die KGaA angenommene gleichgewichtige Mitbestimmungsrecht könne schon deshalb nicht bestehen, weil sich daraus ein Verstoß gegen die sogenannte "50+1-Regel" der Deutschen Fußballliga ergebe. Jedenfalls bestehe entgegen der Auffassung des Landgerichts eine Abberufungskompetenz der Gesellschafterversammlung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Schließlich fehle dem Kläger das erforderliche Feststellungsinteresse.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 7. Dezember 2022 (Bl. 177 ff. Bd. I d.A.) verwiesen.

II.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 ZPO, unter denen der Senat die Berufung der Beklagten nach pflichtgemäßem Ermessen im schriftlichen Verfahren zurückweisen soll, dürften vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung ist auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich und eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Schließlich hat das Rechtsmittel auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, da das angefochtene Urteil nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 1. Alt., 546 ZPO) beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1, 2. Alt. ZPO).

Das Landgericht hat vielmehr zu Recht die Nichtigkeit des angegriffenen Beschlusses festgestellt (dazu sogleich unter 1). Aus der Beschlussnichtigkeit ergibt sich zudem ohne Weiteres das erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers (dazu unten unter 2). Im Einzelnen:

1.) Der angegriffene Beschluss ist zum einen nichtig gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog, weil er - wie das Landgericht zutreffend angenommen hat - kompetenzwidrig gefasst wurde und daher mit dem Wesen der GmbH nicht vereinbar ist, und zum anderen gemäß § 241 Nr. 4 AktG analog, weil er sich infolge Verstoßes gegen den X-Vertrag als sittenwidrig erweist.

a) Der angefochtene Beschluss des Alleingesellschafters ist kompetenzwidrig gefasst worden, weil sein Gegenstand - die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer - in § 7 Abs. 1 der Satzung der Beklagten deren Aufsichtsrat zugewiesen ist. Das hat im Streitfall die Nichtigkeit des Beschlusses nach § 241 Nr. 3 AktG analog zur Folge.

aa) Der Senat verkennt nicht, dass die regelmäßige Folge eines unter Überschreitung satzungsmäßiger Kompetenzen gefassten Gesellschafterbeschlusses lediglich dessen Anfechtbarkeit, nicht aber die Nichtigkeit des Beschlusses ist (vgl. Michalski/Römermann, GmbHG, 3. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 38; Scholz/K. Schmidt/Bochmann, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 45 Rn. 71).

bb) Der Streitfall ist indes durch Besonderheiten gekennzeichnet, die dem Senat die Annahme der Nichtigkeitsfolge zwingend geboten erscheinen lassen.

(1) Zum einen erschöpft sich die Kompetenzüberschreitung durch die Gesellschafterversammlung der Beklagten im Streitfall nicht in dem bloßen Verstoß gegen die Satzung der Beklagten. Vielmehr tritt auch ein Verstoß gegen den sogenannten X-Vertrag hinzu.

Mit diesem Vertrag ist der Verein als Alleingesellschafter der Beklagten eine rechtsgeschäftliche Beschränkung seiner Stimmrechtsmacht bezüglich der Veränderung der Satzung der Beklagten in Bezug auf die Kompetenz zur Besetzung des Geschäftsführeramtes eingegangen, so dass insoweit vom Vorliegen einer Stimmrechtsbindung, die auch gegenüber Dritten versprochen werden kann, auszugehen ist (vgl. allgemein Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 47 Rn. 35). Gegen diese gegenüber den weiteren Vertragspartnern des X-Vertrages, der KGaA und der S & S KG, eingegangene Stimmrechtsbindung hat der Verein als Alleingesellschafter der Beklagten mit dem von seinem Vorstand gefassten Gesellschafterbeschluss vom 25. Juli 2022 verstoßen. Zwar ist die Satzung durch den Beschluss nicht geändert worden, doch umfasst die Verpflichtung des Vereins, die Satzung der Beklagten insbesondere nicht ohne Zustimmung der S & S KG zu ändern, soweit es "Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der Gesellschaft) und Besetzung des Aufsichtsrats" betrifft, auch die Verpflichtung, die Satzung insoweit nicht durch einzelne Beschlüsse zu durchbrechen und insbesondere nicht zu unterlaufen. Denn anderenfalls liefe die Bindungsklausel leer.

Zwar ist die entgegen einer Stimmbindung erfolgte Stimmabgabe grundsätzlich nicht unwirksam (vgl. nur BeckOK/Schindler, GmbHG, 54. Edition, Stand: 1. März 2022, § 47 Rn. 72). Doch gilt anderes dann, wenn alle Gesellschafter der GmbH untereinander eine konkrete Stimmbindung eingegangen sind, weil die gesonderte Durchsetzung der Verpflichtung, das durch die Stimmbindung vorgegebene Ergebnis herbeizuführen, bloße Förmelei wäre (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1983 - II ZR 243/81 -, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 27. Oktober 1986 - II ZR 240/85 -, juris Rn. 15; MünchKomm/Drescher, GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 47 Rn. 250). So liegt der Fall hier: Der Verein ist Alleingesellschafter der Beklagten und muss daher die eingegangene Bindung unmittelbar gegen sich gelten lassen.

Sofern die Beklagte in diesem Kontext darauf verweist, dass im Streitfall keine Stimmbindung von Gesellschaftern untereinander, sondern eine solche gegenüber gesellschaftsfremden Dritten gegeben sei (vgl. Berufungsbegründung vom 7. Dezember 2022, S. 16 f., Bl. 192 f. Bd. I d.A.), führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn ebenso wenig, wie ein Grund dafür besteht, stimmbindungswidrig überstimmte Mitgesellschafter auf den umständlichen Weg einer Klage gegen die Mitgesellschafter zu verweisen, um durch deren Verurteilung zu einer gegenteiligen Stimmabgabe einen bindungswidrig gefassten Beschluss aus der Welt zu schaffen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1983 - II ZR 243/81 -, juris Rn. 11), besteht ein solcher Grund dann, wenn die übrigen Parteien eines Stimmbindungsvertrages ihrerseits keine Gesellschafter der Gesellschaft sind, in welcher ein Beschluss stimmbindungswidrig gefasst worden ist. Es wäre vielmehr unnötige Förmelei, wollte man davon ausgehen, dass die übrigen Parteien des X-Vertrages den Verein erst darauf hätten in Anspruch nehmen müssen, den der in diesem Vertrag eingegangenen Stimmrechtsbindung zuwider gefassten Abberufungsbeschluss rückgängig zu machen. Hinzu tritt, dass der Kläger Mehrheitskommanditist eines der Vertragspartner des X-Vertrages, aus dem die Stimmbindung herrührt, nämlich der S & S KG, ist. Die mit diesem Vertrag eingegangene Bindung betreffend das Zustimmungserfordernis zu Änderungen der Satzung der Beklagten besteht mithin mittelbar auch gegenüber dem Kläger, was ebenfalls dafür spricht, die Nichtigkeit der bindungswidrigen Stimmabgabe bzw. Beschlussfassung des Alleingesellschafters anzunehmen

(2) Zum anderen muss Berücksichtigung finden, dass die Beklagte mit dem X e.V. nur einen Gesellschafter hat. Angesichts dessen wäre die Annahme bloßer Anfechtbarkeit des angegriffenen Beschlusses innergesellschaftlich wirkungslos und ließe das kompetenzwidrige Stimmverhalten des Alleingesellschafters sanktionslos, weil es an einem anfechtungsberechtigten Mitgesellschafter fehlt (vgl. zur Unbeachtlichkeit eines sittenwidrig herbeigeführten, an sich unanfechtbaren Gesellschafterbeschlusses und seiner Behandlung wie ein nichtiger Beschluss auch BGH, Urteil vom 1. Juni 1987 - II ZR 128/86 -, juris Rn. 7 a.E.).

cc) Die Kompetenzwidrigkeit des angefochtenen Beschlusses entfällt auch nicht unter dem von der Beklagten angeführten Aspekt der jedenfalls gegebenen Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für die Abberufung eines Geschäftsführers aus wichtigem Grund.

(1) Der Senat tritt insoweit der Auffassung des Landgerichts bei, wonach im Streitfall bereits nicht von einem - in der Literatur entgegen der Auffassung der Beklagten keineswegs einhellig bejahten (vgl. nur Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 38 Rn. 16 m.w.N., auch zur abweichenden Ansicht; Michalski/Terlau, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 38 Rn. 18; Scholz/Schneider, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 38 Rn. 22) - Verbleiben der Kompetenz für die Abberufung aus wichtigem Grund bei der Gesellschafterversammlung trotz ansonsten statuierter Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers ausgegangen werden kann.

Dagegen spricht nämlich, dass der Verein als Alleingesellschafter die weitreichende Stimmrechtsbindung unter Ziffer 3 des X-Vertrages eingegangen ist. Dafür, dass er sich trotz des vom Landgericht zu Recht in den Fokus gerückten, mit dieser Bindung abgesicherten fein austarierten Gleichgewichts irgendwelche Kompetenzen zurückbehalten hat und dies den übrigen Vertragsschließenden vor Augen gestanden hätte, findet sich im Wortlaut dieses Vertrages keinerlei Anhaltspunkt; im Gegenteil wird dort die grundsätzliche Unverrückbarkeit der Kompetenz des Aufsichtsrats zu Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung und der Art und Weise seiner Zusammensetzung derart betont, dass auch für den Fall der Abberufung aus wichtigem Grund nicht von einer beim Alleingesellschafter verbliebenen Kompetenz der Gesellschafterversammlung ausgegangen werden kann.

(2) Des Weiteren ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der satzungsgemäß zuständige Aufsichtsrat auch nur ein einziges Mal mit den von dem Alleingesellschafter der Beklagten nunmehr geltend gemachten wichtigen Gründen und der Frage einer daraus resultierenden Abberufung des Klägers befasst worden wäre. Unter den Umständen des Streitfalls, in denen wie ausgeführt die Zuständigkeit des Aufsichtsrats durch dezidierte vertragliche Vereinbarungen abgesichert ist, wäre dies nach dem Dafürhalten des Senats Mindestvoraussetzung für ein etwaiges Wiederaufleben oder eine restliche Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung gewesen (vgl. zur Funktionsunfähigkeit des in der Satzung bestimmten Abberufungsorgans als Voraussetzung für den Rückfall der entsprechenden Kompetenz an die Gesellschafterversammlung auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1954 - II ZR 88/53 -, BGHZ 12, 337, juris Rn. 9; Scholz/Schneider, a.a.O., § 38 Rn. 26).

(3) Dessen ungeachtet fehlt es für das Wiederaufleben oder eine Restzuständigkeit der Gesellschafterversammlung aber im Streitfall zudem an einem dafür erforderlichen wichtigen Grund.

Ein solcher Grund ist regelmäßig (nur) dann gegeben, wenn ein Verbleib des Geschäftsführers in seinem Amt der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern bei Würdigung aller Umstände unzumutbar ist (vgl. nur Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, a.a.O., § 38 Rn. 20 m.w.N.). Dies war im Streitfall aus der insoweit maßgeblichen Perspektive der Beklagten offensichtlich nicht der Fall. Denn anderenfalls hätte der (vom Verein als Alleingesellschafter entsandte) Aufsichtsratsvorsitzende dem Kläger nicht anbieten können, sein Amt bis zum Jahresende 2022 und damit über einen fünf Monate über das Datum der Gesellschafterversammlung hinausreichenden Zeitraum weiter auszuüben. Die Unzumutbarkeit des Verbleibens des Klägers im Amt des Geschäftsführers und damit das Vorliegen eines wichtigen Grundes hat die Beklagte bzw. ihr Alleingesellschafter durch ihr auf ein Hinausschieben des Amtsendes auf das Jahresende 2022 hinauslaufendes Verständigungsangebot selbst widerlegt.

b) Der verfahrensgegenständliche Abberufungsbeschluss erweist sich des Weiteren - entgegen der Auffassung des Landgerichts - auch als sittenwidrig i.S.d. § 241 Nr. 4 AktG analog.

aa) Grundsätzlich ist zwar für die Frage des Vorliegens eines zur Nichtigkeit führenden Verstoßes eines Gesellschafterbeschlusses gegen die guten Sitten nur der Inhalt des Beschlusses entscheidend, während etwaige sittenwidrige Motive grundsätzlich unerheblich sind (vgl. nur MünchKomm/Wertenbruch, GmbHG, 3. Aufl. 2019, Anh. § 47 Rn. 88 m.w.N.).

bb) Jedoch ist anerkannt, dass sich die Beschlussnichtigkeit, auch wenn sie sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Beschlusses ableiten lässt, aus einer mit dem Beschluss verbundenen sittenwidrigen Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen ergeben kann, weil diese nicht in der Lage sind, die Beseitigung des rechtswidrigen Gesellschafterbeschlusses durch Anfechtungsklage zu erreichen (vgl. MünchKomm/Wertenbruch, a.a.O., Rn. 89). Eben dies hat der Bundesgerichtshof bereits für die - auch hier gegebene - Konstellation der Beschlussfassung in der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG zum Nachteil der außenstehenden Kommanditisten angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1954 - II ZR 291/53 -, BGHZ 15, 382, juris).

So liegt der Fall auch hier: Der vom Verein als Alleingesellschafter der Beklagten am 25. Juli 2022 gefasste Abberufungsbeschluss konterkariert das mit dem sogenannten X-Vertrag festgeschriebene Erfordernis der Zustimmung der S & S KG - einer Kommanditaktionärin der KGaA, deren Komplementärin die Beklagte ist - zu jedweder Satzungsänderung, namentlich jedoch zur Änderung der Satzung bezüglich der - gleichrangige Mitspracherechte des Vereins und der sogenannten Kapitalgeberseite sicherstellenden - Zuständigkeit betreffend Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers der Beklagten. Eben dies erweist sich auch als in besonderem Maße treuwidrig, weil sich der Verein seiner von ihm im X-Vertrag eingegangenen Bindung ersichtlich bewusst war und daher nicht etwa die Satzung geändert, sondern den Kläger ausdrücklich "im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses" (vgl. Anlage K 16) abberufen hat. Dass es dem Verein dabei um ein bewusstes Unterlaufen der satzungsmäßigen Kompetenzverteilung zu tun war, erhellt bereits daraus, dass eine vorherige Befassung des an sich zuständigen Organs - also des Aufsichtsrats der Beklagten - unterlassen wurde, obwohl die Beklagte selbst eine Entscheidungsunfähigkeit dieses Gremiums infolge einer Pattsituation in Abrede nimmt (vgl. Berufungsbegründung, S. 10 ff., Bl. 186 ff. Bd. I d.A.).

cc) Dem kann die Beklagte nicht die von ihr behaupteten Pflichtenverstöße des Klägers entgegenhalten. Denn die Pflicht einer Partei zur Vertragstreue entfällt nicht bereits deshalb, weil die andere Partei eine eigene Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzen mag (vgl. nur BeckOGK/Kähler, BGB, Stand: 15. September 2022, § 242 Rn. 455 m.w.N.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 242 Rn. 46). Diesem Grundsatz kann die Beklagte auch nicht durch Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht entgehen, zumal es im Streitfall nicht um den Austausch von Leistungen, sondern um die Einhaltung der in ihrer eigenen Satzung vorgesehenen Kompetenzordnung geht.

dd) Sofern die Beklagte schließlich meint, der KGaA stehe kein "Mitbestimmungsrecht" bezüglich der Besetzung des Aufsichtsrats der Beklagten zu, weil dies gegen die 50+1-Regel der Deutschen Fußballliga verstoßen würde, und daraus folgern zu wollen scheint, dass eine Verletzung der durch den X-Vertrag abgesicherten satzungsmäßigen Kompetenzordnung durch den angefochtenen Beschluss diesen nicht sittenwidrig mache, verkennt sie bereits den klaren Wortlaut des X-Vertrages, der ausdrücklich von "Mitentscheidungsrechten" spricht. Ob dies mit den Vorgaben der Deutschen Fußballliga vereinbar ist, hat der Senat im vorliegenden Streitfall nicht zu entscheiden: Die Frage der Vereinbarkeit des Konstrukts von Gesellschaften, die sich um die am Ligabetrieb teilnehmende Fußballmannschaft "X" ranken, mit der sogenannten 50+1-Regel ist nicht Prüfungsmaßstab für die Frage der Wirksamkeit der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer. Der Senat hat seiner Entscheidung die Kompetenzordnung der Beklagten und die von ihr im X-Vertrag eingegangenen Verpflichtungen in der Form zugrunde zu legen, wie sie bestehen. Ob die gewählte Konstruktion mit der 50+1-Regel vereinbar ist, ist für diese Entscheidung ohne Belang.

2.) Die nach alldem gegebene Nichtigkeit des angegriffenen Gesellschafterbeschlusses kann der Kläger auch ohne Weiteres geltend machen; insbesondere fehlt seiner Klage nicht das erforderliche Feststellungsinteresse. Denn anerkannt ist, dass der Fremdgeschäftsführer (wie jeder Dritte) die Nichtigkeit eines Abberufungsbeschlusses zum Gegenstand einer Feststellungsklage machen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2008 - II ZR 187/06 -, juris Rn. 34; Wiegand-Schneider, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrecht, Bd. VII, 6. Aufl. 2020, § 40 Rn. 168). Eben die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses vom 25. Juli 2022 macht der Kläger im Streitfall - zudem mit Erfolg, s.o. - geltend.

III.

Die Beklagte sollte nach alledem erwägen, ihr Rechtsmittel aus Kostengründen zurückzunehmen. Insoweit weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass sich im Falle einer Rücknahme der Berufung die anfallenden Gerichtskosten deutlich ermäßigen würden.