Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.02.2023, Az.: 15 UF 14/23

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.02.2023
Aktenzeichen
15 UF 14/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 21896
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Celle - 30.12.2022 - AZ: 51 F 51016/22

Fundstelle

  • NZFam 2023, 765

In der Familiensache
betreffend die Herausgabe von
pp.
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 27. Februar 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Celle vom 30. Dezember 2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

  2. II.

    Der Beschwerdewert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kindeseltern streiten um die Rückführung ihrer am 25. Januar 2017 in C., ..., geborenen Tochter L. T.. Die aus S. stammenden Kindeseltern heirateten am 30. Juli 2016 in H., F.. Dort lebten sie zusammen mit dem aus einer vorangegangenen Beziehung der Kindesmutter stammenden Sohn F., als am 25. Januar 2017 ihre Tochter L. geboren wurde. L. hat die f. Staatsangehörigkeit und besuchte seit September 2020 in H., F., die Grundschule.

Am 8. Juni 2022 reiste die Kindesmutter mit L. und ihrem Sohn F. nach S., um dort Urlaub zu machen. Die Rückreise war mit dem Kindesvater für die letzte Augustwoche vereinbart.

Anstatt jedoch nach F. zurückzukehren reiste die Kindesmutter mit L. und F. am 30. August 2022 nach Deutschland und teilte dem Kindesvater am 2. September 2022 mit, dass sie mit den Kindern dortbleiben und nicht nach F. zurückkehren werde.

Mit Antrag vom 21. November 2022 hat der Kindesvater bei dem für B. als den jetzigen Wohnort des Kindes zentral zuständigen Amtsgericht - Familiengericht - Celle die Rückführung seiner Tochter nach F. geltend gemacht. Das Amtsgericht hat L. einen Verfahrensbeistand bestellt und alle Beteiligten, einschließlich des betroffenen Kindes, persönlich angehört. Auf das Terminsprotokoll vom 21. Dezember 2022 (Bl. 51-54 d.A.) nebst Anhörungsvermerk (Bl. 55-57d.A.) wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 30. Dezember 2022 hat das Amtsgericht sodann die Rückführung des Kindes angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 HKÜ für die Anordnung einer Rückführung des Kindes lägen vor. Die Kindesmutter habe das Kind Ende August 2022 widerrechtlich nach Deutschland verbracht. Dadurch habe sie das Mitsorgerecht des Kindesvaters verletzt. Zu dem Zeitpunkt, als die Kindesmutter das Kind nach Deutschland verbracht habe, habe L. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in F. gehabt. Dort habe sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder gelebt, wo sie auch seit September 2020 die Grundschule besucht habe. Dadurch, dass sich die Kindesmutter mit L. in den Monaten Juni, Juli und August 2022 in S. aufgehalten habe, sei ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in S. nicht begründet worden. Dem stehe die Kürze der Dauer des Aufenthalts entgegen sowie der Umstand, dass sich die Kindesmutter mit L. dort nur aufgehalten habe, um Urlaub zu machen.

Der Erlass einer Rückführungsanordnung verbiete sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 13 Abs. 1b HKÜ, wonach eine Rückführung nicht anzuordnen sei, wenn diese mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden sei oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht werde. Soweit die Kindesmutter anführe, dass die Trennung L.s von ihr eine große Beeinträchtigung für das Kind darstelle, reiche dies nicht aus. Denn mit der Rückführung L.s nach F. müsse nicht notwendigerweise eine Trennung von der Kindesmutter einhergehen. Die Kindesmutter habe es vielmehr selbst in der Hand, die Rückführung L.s nach F. in einer das Kind wenig belastenden Art und Weise durchzuführen. Es sei vorrangige Intention der gerichtlichen Entscheidung, die Rückführung des Kindes so zu bewerkstelligen, dass L. zusammen mit ihrer Mutter nach F. zurückkehre. Die Rückführungsanordnung habe zum Ziel, sicherzustellen, dass das zuständige f. Gericht in die Lage versetzt werde, die für L. anstehenden Entscheidungen zu treffen. Eine Rückführung L.s nach F. müsse auch nicht notwendigerweise zur Folge haben, dass die Kindesmutter zusammen mit L. in den gemeinsamen Haushalt mit dem Kindesvater zurückkehre, auch nicht, dass diese an ihrem früheren Wohnort Wohnung nehme. Es stehe der Kindesmutter frei, mit L. in F. an einem von ihr gewählten Ort zu wohnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung (Bl. 212 ff. d.A.) verwiesen.

Gegen diese Entscheidung hat die Kindesmutter Beschwerde eingelegt. Darin rügt sie, dass die Entscheidung nicht dem Kindeswohl entspreche. Bei der Entscheidung über die Herausgabe sei das Gericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass sie gemeinsam mit L. und F. nach F. zurückkehren könne. Dies sei jedoch tatsächlich nicht der Fall. Sie habe keine Aufenthaltserlaubnis mehr in F.. Eine Rückkehr nach F. sei ihr daher unmöglich. Seit November 2022 besuche L. den Kindergarten F. in B.. Dort habe sich L. inzwischen gut eingelebt. L. habe eine enge Bindung zu ihr; das Kind benötige eine feste konstante Bindung, gleichbleibende Bezugspersonen und einen festen Tagesablauf. Auch während des Zusammenlebens in F. habe sie - die Kindesmutter - die Betreuung und Erziehung L.s im überwiegenden Maß übernommen und gewährleiste diese auch weiterhin kontinuierlich. Der Kindesvater sei hingegen Vollzeit beschäftigt und könne diese Betreuung gar nicht übernehmen. Ein Wechsel nach F. sei für L. mit einer übermäßigen psychischen Belastung verbunden; eine alleinige Rückkehr sei für das "vierjährige" Kind unzumutbar. L. befinde sich seit fünf Monaten in Deutschland, was für ein fünfjähriges Kind eine lange Zeit sei. Sie spreche kaum noch f.. Die Grundschule in F. habe sie wegen der Corona-Pandemie kaum besucht. Zu berücksichtigen sei auch die enge Bindung zu dem Bruder F.. Zwischen den Geschwistern bestehe eine enge und herzliche Verbindung. F. besuche in B. inzwischen das Gymnasium. Sie selbst habe einen Arbeitsplatz als medizinische Fachangestellte gefunden. Ihr Aufenthalt mit den Kindern im Frauenhaus sei in absehbarer Zeit beendet. Zum 1. Februar 2023 habe sie in B. eine Wohnung gefunden.

Der Kindesvater ist der Beschwerde entgegengetreten. Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere formgerecht und innerhalb der Zweiwochenfrist des § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Anordnung der Rückführung dient im Wesentlichen dazu, die Sorgerechtsfrage zwischen den Eltern vor dem international zuständigen Gericht in F. zu klären. Gegenstand des anhängigen Rückführungsverfahrens ist gerade nicht die Entscheidung darüber, in welchem Haushalt das Kind seinen dauerhaften Aufenthalt haben soll (vgl. Art. 19 HKÜ). Zu diesem Zweck ist die Kindesmutter zur Zurückführung von L. nach F. verpflichtet.

1. Die Voraussetzungen für ein Rückführungsverfahren nach dem HKÜ liegen vor.

Die Kindeseltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Das in F. geborene Kind hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei den Kindeseltern in F., wo L. auch die Grundschule besuchte.

Zutreffend führt das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung aus, dass der Umstand, dass sich L. für drei Monate im Zeitraum Juni bis August 2022 mit der Kindesmutter und ihren Bruder in S. aufhielt, nicht dazu geführt hat, dass sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätte. Zwar war der mitsorgeberechtigte Kindesvater insofern mit diesem vorübergehenden Aufenthalt L.s in S. einverstanden, als dass es sich um einen Urlaubsaufenthalt handeln und eine Rückkehr Ende August 2022 erfolgen sollte. Mit einem dauerhaften Verbleib des Kindes in S. hat sich der Kindesvater jedoch zu keiner Zeit einverstanden erklärt, ebenso wenig wie mit einer Weiterreise nach Deutschland.

Die Weiterreise mit L. nach Deutschland am 30. August 2022 führte die Kindesmutter sodann eigenmächtig durch, sodass sie das Kind widerrechtlich im Sinne des Artikels 3 HKÜ nach Deutschland verbracht hat.

Durch das Verbringen nach Deutschland hat die Kindesmutter das Mitsorgerecht des Kindesvaters, der der Ausreise des Kindes nach Deutschland nicht zugestimmt hat, verletzt. Das Mitsorgerecht wurde durch den Kindesvater auch tatsächlich ausgeübt. Insoweit sind keine hohen Anforderungen zu stellen (OLG Dresden, FamRZ 2002, 1136; OLG Zweibrücken, DAVorm 2000, Sp. 1151 und JAmt 2001, 250; OLG Rostock, NJW-RR 2001, 1448 = FamRZ 2002, 47). Der Kindesvater hat mit L. in einem Haushalt gelebt. Dies ist für eine Ausübung des mit Sorgerechts in jedem Fall ausreichend.

2. Der sofortigen Rückgabe des Kindes steht auch nicht Art. 13 HKÜ entgegen.

Es lässt sich nicht feststellen, dass die Rückführung des Kindes deswegen nicht erfolgen darf, weil diese mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind in eine unzumutbare Lage gebracht würde (Art. 13 Ib HKÜ). Nach dieser Vorschrift, die im Hinblick auf den Zweck des HKÜ - Bekämpfung internationaler Kindesentführung und Verwirklichung der Sorgerechtsregelung der Vertragsstaaten - restriktiv auszulegen ist (BVerfG, NJW 1996, 3145; OLG Schleswig Beschl. v. 15.4.2020 - 15 UF 7/20, BeckRS 2020, 18802; OLG Hamm, FamRZ 2002, 44; OLG Rostock, NJW-RR 2001, 1448), ist das Gericht nicht verpflichtet, die Rückgabe anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist, dass die vorgenannten Gefahren bestehen. Dabei ist zu bedenken, dass eine Rückführungsanordnung nicht unmittelbar in das Sorgerecht eingreift, durch die Rückführung soll erst die tatsächliche Voraussetzung für eine Sorgerechtsentscheidung durch ein Gericht des Herkunftsstaates ermöglicht werden. Die vom BVerfG entwickelten strengen Anforderungen zum Schutz des Kindeswohls finden deshalb grundsätzlich keine Anwendung auf Entscheidungen nach dem HKÜ (BVerfG, NJW 1997, 3301 [BVerfG 18.07.1997 - 2 BvR 1126/97]).

An das Vorliegen einer Gefährdung i.S.d. Vorschrift sind daher strenge Anforderungen zu stellen. Die Vorschrift greift nur ein bei absoluten, zwingenden Gründen für eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Art. 3, 12 HKÜ die Rückführung anzuordnen ist. Auch unter Berücksichtigung des Alters des Kindes - L. ist im Januar dieses Jahres sechs Jahre alt geworden - und dessen Betreuung und Versorgung durch die Kindesmutter sowie die von der Kindesmutter angeführten Verhaltensweisen des Kindesvaters, hat das Amtsgericht mit überzeugenden Argumenten einen schwerwiegenden Grund im Sinne von Art. 13 HKÜ nicht für gegeben erachtet. Soweit die Kindesmutter darauf verweist, dass L. ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt der Kindesmutter habe, so wird die Kindesmutter erneut daran erinnert, dass sie selbst die Verpflichtung trifft, gemeinsam mit L. nach F. zurückzukehren. Auch in F. wird das Kind daher seinen Lebensmittelpunkt im Haushalt der Kindesmutter haben können. Eine Trennung von der Kindesmutter ist mit der Rückführung des Kindes nach F. daher nicht zwingend verbunden. Soweit die Kindesmutter in der Beschwerdebegründung darauf verweist, dass sie keine Aufenthaltserlaubnis mehr für F. habe und diese auch nicht erhalten könne, obwohl sowohl ihr Ehemann als auch ihre Tochter f. Staatsangehörige seien, ist ihr Vortrag hierzu weder hinreichend substantiiert noch belegt. So wird nicht einmal dargestellt, dass sich die Kindesmutter um eine Aufenthaltserlaubnis bemüht hätte. Die Gründe für eine etwaige Versagung der Aufenthaltserlaubnis werden nicht vorgetragen. Die Kindesmutter hat daher nicht hinreichend dargelegt, dass ihr eine Rückkehr nach F. nicht möglich wäre.

Dass der Kindesmutter ihrerseits eine Rückkehr nach F. nicht zuzumuten ist, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht behauptet. Zwar hat die Kindesmutter seit Februar 2023 eine eigene Wohnung angemietet und eine berufliche Anstellung als medizinische Fachangestellte gefunden. Im Rahmen einer Rückführungsentscheidung nach dem HKÜ sind diese Umstände jedoch nicht ausreichend. Die unvermeidlichen Folgen einer erneuten Aufenthaltsänderung reichen nicht aus, um eine Rückführung des Kindes abzulehnen. Die Belastungen für die Kindesmutter, die mit einer Rückführung des Kindes und damit ihrer eigenen Rückkehr nach F. verbunden sind, sind von ihr zu tragen. Die Kindesmutter hat im Jahr 2016 in F. geheiratet und bis Ende Mai 2022 in F. gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Kindern gelebt, ihr sind die dortigen Verhältnisse also vertraut. Die sich durch die Rückführung für die Kindesmutter und das Kind ergebenden Veränderungen und die Unterbrechung der gegenwärtigen Lebenssituation in Deutschland sind als typische Folge der von der Kindesmutter einseitig und widerrechtlich herbeigeführten Lage als grundsätzlich unvermeidbar hinzunehmen (BVerfG, NJW 1996, 1402; OLG Hamm, FamRZ 2002, 44).

Ergänzend wird erneut darauf hingewiesen, dass die Kindesmutter lediglich verpflichtet ist, das Kind nach F. zurückzubringen. An einen bestimmten Ort, insbesondere in H., ist diese Verpflichtung nicht gebunden. Es kann vielmehr auch ein grenznaher Wohnort bis zum Abschluss des f. Sorgerechtsverfahrens gewählt werden. Insofern führt auch die von der Kindesmutter beschriebene in F. erlittene häusliche Gewalt und der Umstand, dass sie sich seit ihrem Umzug nach B. erholt habe, zu keiner anderen Einschätzung.

Gleiches gilt für die von der Kindesmutter angeführte, mit einer Rückführung verbundene Geschwistertrennung. Um diese zu vermeiden, bleibt es der Kindesmutter unbenommen, mit beiden Kindern nach F. zurückzukehren, um die Sorgerechtsfragen dort zu klären.

Der Schutz des Kindes und seiner Bedürfnisse ist im Hinblick auf die Ziele des Übereinkommens nach Auffassung des Senats dadurch zu gewährleisten, dass vor dem Gericht in F. eine Überprüfung der Sorgerechtsregelung erfolgen kann. Einen entsprechenden Antrag hat die Kindesmutter nach ihren Angaben bereits in F. anhängig gemacht.

Die Beschwerde war daher nach alledem zurückzuweisen.

3. Der Senat konnte über sie auch ohne erneute Durchführung einer persönlichen Anhörung, einschließlich einer erneuten Kindesanhörung, entscheiden, da das Amtsgericht bereits umfassende Ermittlungen durchgeführt und diese dokumentiert hat und von einer erneuten Durchführung einer persönlichen Anhörung der Beteiligten keine zusätzlichen entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Gegen den Beschluss des Senats findet die Rechtsbeschwerde nicht statt (§ 40 Abs. 2 Satz 4 IntFamRVG).