Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 23.02.2023, Az.: 13 U 15/22

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.02.2023
Aktenzeichen
13 U 15/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 16298
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 22.02.2022 - AZ: 26 O 76/20

In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 9. Februar 2023 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. Februar 2022 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung einer Aufbrauchsfrist wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind für den Kläger ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs durch Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 € und im Übrigen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beklagte produziert das Mittel "P." und vertreibt dieses als "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement bei Helicobacter pylori-assoziierter Gastritis". Das Produkt enthält inaktivierte Bakterien des Lactobacillus reuteri DSM 17648, Zink und Vitamin B12. Die Beklagte verwendete für die Werbung des Produkts die im Unterlassungsantrag wiedergegebenen Werbeaussagen (Anlage K3).

Der Kläger, ein eingetragener Verein, der sich nach seiner Satzung mit der Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder und dabei insbesondere mit der Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs befasst, hat vor dem Landgericht geltend gemacht, das Produkt "P." sei als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nicht verkehrsfähig und dürfe auch nicht mit den streitgegenständlichen Aussagen beworben werden. Es liege eine Irreführung der Verbraucher vor. Zudem handele es sich um unzulässige gesundheitsbezogene bzw. krankheitsbezogene Angaben. Nach den Aussagen der Beklagten sei das Produkt nicht als Lebensmittel, sondern als Funktions- und Präsentationsarzneimittel einzustufen, wofür es aber an einer arzneimittelrechtlichen Zulassung fehlte. Die Vorgaben der VO (EU) 609/2013 erfülle das Produkt der Beklagten nicht, weil richtigerweise ein enger Ernährungsbegriff anzuwenden sei. Ebenso fehle ein Wirksamkeitsnachweis.

Der Kläger hat, soweit in der Berufungsinstanz noch von Interesse, beantragt,

  1. I.

    die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen am Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr

    1. 1.

      das Mittel "P." als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement bei Helicobacter pylori-assoziierter Gastritis in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben,

    2. 2.

      für das Mittel "P." wie folgt zu werben:

      1. 2.1

        "P. ist eine besondere Kombination aus inaktivierten Bakterien des Lactobacillus reuteri DSM 17648 in hoher Konzentration (1010 Bakterien), Zink und Vitamin B12 und dient dem Diätmanagement bei H. pylori-assoziierter Gastritis",

      2. 2.2.

        "Mit P. können die Wirksamkeit und die Verträglichkeit der gängigen H. pylori- Therapien (Eradikationstherapien, vollständige Abtötung von H. pylori) verbessert und Symptome der Gastritis gemindert werden",

      3. 2.3

        "Bakterien des Lactobacillus reuteri DSM17648 in P. heften sich hochspezifisch an H. pylori-Bakterien und nehmen ihnen dadurch die Möglichkeit, sich in der Schleimhaut des Magens anzusiedeln. Der gebildete Komplex kann weiter transportiert und ausgeschieden werden. Eine Besiedelung mit H. pylori wird dadurch vermindert",

      4. 2.4.

        "Da eine H. pylori-assoziierte Gastritis ein erhöhtes Risiko eines Vitamin B12-Mangels mit sich bringt, beinhaltet P. Vitamin B12 zur besseren Versorgung",

      5. 2.5.

        "Das Zink in P. erhöht zudem die Wirksamkeit der Eradikation bzw. vollständigen Abtötung von H. pylori",

      6. 2.6.

        "Klinische Studien ergaben, dass die tägliche Einnahme von 2 x 1010 KBE Lactobacillus reuteri DSM 17648 (entspricht 2 Kapseln P.) über mindestens 14 Tage die Besiedelung mit H. pylori verringert",

      dies jeweils sofern es geschieht wie in Anlage K 3 wiedergegeben.

  2. II.

    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 232 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das Landgericht hat der Klage weitgehend, nämlich hinsichtlich des vorstehend genannten Klageantrages stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Produkt "P." dürfe nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement bei Helicobacter pylori-assoziierter Gastritis bezeichnet werden. Dies folge aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 lit. c), 2 Abs. 2 lit. g) und 4 Abs. 1 der VO (EU) 609/2013. "P." sei kein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, weil es nicht zum Ausgleich eines medizinisch bedingten Nährstoffdefizites diene. Dies sei aber gem. Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 erforderlich, denn die Norm spreche ausdrücklich von "Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf". Entsprechend dürften nach Art. 9 Abs. 5 der VO (EU) 609/2013 Kennzeichnung und Aufmachung sowie Werbung solchen Lebensmitteln keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaft erwecken. Selbst unter Berücksichtigung der von der Beklagten in Bezug genommenen Rationale lasse sich nicht feststellen, dass "P." zum Ausgleich eines medizinisch bedingten Nährstoffdefizites diene. Eine Helicobacter pylori-assoziierte Gastritis werde nicht durch ein Nährstoffdefizit ausgelöst, sie lasse sich auch nicht durch eine Zufuhr besonderer Nährstoffe heilen. Auch die sonstigen Behauptungen der Beklagten in Bezug auf die einzelnen Bestandteile von "P." rechtfertigten keine Bezeichnung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. Für die einzelnen streitgegenständlichen Werbeaussagen heiße das, dass sie irreführend und daher zu unterlassen seien. Dies führt das Landgericht weiter aus.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihren Klagabweisungsantrag weiterverfolgt und ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Das Erfordernis eines Nährstoffdefizites oder -mangels lasse sich weder den Vorgaben der VO (EU) 609/2013 noch der VO (EU) 2016/128 entnehmen. In der Begriffsbestimmung des Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 werde ein "Mangel" oder ein "Defizit" nicht gefordert. Darüber hinaus sei die Definition des Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke keinesfalls auf den Fall eines krankheitsbedingten Nährstoffbedarfs beschränkt; vielmehr handele es sich dabei nur um einen von mehreren möglichen Anwendungsfällen. Aufgrund seiner rechtsfehlerhaften Auslegung der Definition der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke überspanne das Landgericht die Anforderungen an die diesbezügliche Beweislast der Beklagten. Die Beklagte habe anhand der Rationale dargelegt, dass die Infektionen mit H. pylori die Hauptursache für die Entstehung einer atrophischen Gastritis darstelle. Infolge der Gastritis werde die Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Nährstoffen beeinträchtigt. Die Betroffenen hätten daher einen besonderen diätischen Nährstoffbedarf, insbesondere auch bezüglich Zink und Vitamin B12.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Gericht hat mit Zustimmung der Parteien beschlossen, dass die Entscheidung gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren ergeht. Kurz vor Ablauf der Schriftsatzfrist hat die Beklagte beantragt, ihr eine Aufbrauchsfrist von vier Monaten ab Verkündung des Urteils zu gewähren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Aus der Berufungsbegründung der Beklagten vom 19. Juni 2022 ergibt sich auch ohne einen förmlichen Berufungsantrag, dass die Beklagte mit der Berufung die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und die Klageabweisung erreichen will. Das folgt u. a. daraus, dass die Beklagte in der Berufungsbegründung ausdrücklich den erstinstanzlichen Schriftsatz vom 17. Februar 2021, in dem sie ausführt, dass die Klage "abweisungsreif" sei, zum Gegenstand ihres Berufungsvorbringens macht.

2. Das Landgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, es zu unterlassen, das Mittel "P." als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement bei Helicobacter pylori-assoziierter Gastritis in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben.

Gemäß Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 der VO (EU) 609/2013 dürfen Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie dieser Verordnung genügen. Das ist hier nicht der Fall.

a)

(1) Nach der Definition in Art. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 sind "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke" unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten, die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden; sie sind zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht.

Diese Vorschrift und insbesondere der Begriff "sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dahin auszulegen, dass ein Erzeugnis ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke darstellt, wenn krankheitsbedingt ein erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf besteht, der durch das Lebensmittel gedeckt werden soll; es reicht für eine Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nicht aus, dass der Patient allgemein aus der Aufnahme dieses Lebensmittels deswegen Nutzen zieht, weil darin enthaltene Stoffe der Störung entgegenwirken oder deren Symptome lindern (EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - C 418/21). Die Merkmale und Funktionen der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke unterscheiden sich von denen der Arzneimittel. Wie sich aus den Erwägungsgründen 9 und 10 der VO (EU) Nr. 609/2013 ergibt, soll die Verordnung unter anderem den in der Richtlinie 2009/39/EG genannten Begriff "Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind" klarstellen und eine einheitliche und angemessene Auslegung und Anwendung der verschiedenen Kategorien von Lebensmitteln, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, innerhalb der Union gewährleisten. Ein solches Ziel setzt unter anderem voraus, dass der Begriff "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke" in Bezug auf bestimmte Erzeugnisse nicht so weit ausgelegt wird, dass es zu Überschneidungen mit anderen Kategorien von Erzeugnissen käme, für die im Unionsrecht Sonderregelungen gelten. Mit einer Auslegung, der zufolge es für die Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ausreichte, dass der Patient allgemein aus der Aufnahme eines Erzeugnisses Nutzen zöge, weil darin enthaltene Stoffe einer Störung entgegenwirkten oder deren Symptome linderten, würden die Besonderheiten der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke verkannt und insbesondere die Unterscheidung zwischen solchen Lebensmitteln und Arzneimitteln infrage gestellt (EuGH a. a. O. Rn. 54 bis 56).

(2) Nach diesem Maßstab handelt es sich bei "P." nicht um ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. Das Produkt ist nach den Angaben der Beklagten zum Diätmanagement bei Helicobacter pylori-assoziierter Gastritis bestimmt. Die Beklagte hat aber nicht durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten belegt, dass die Zusammensetzung von "P." den Ernährungsanforderungen von Patienten entspricht, die unter einer "Helicobacter pylori-assoziierten Gastritis" leiden (vgl. Art. 9 Abs. 1 VO (EU) Nr. 609/2013).

(a) Soweit "P." nach Behauptung der Beklagten inaktivierte Bakterien Lactobacillus reuteri enthält, die Nebenwirkungen einer antibiotischen Therapie wie Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung verringern, kann dies - die Richtigkeit des Vortrags unterstellt - von vornherein keine Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke begründen. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit - im Hinblick auf die inaktivierten Bakterien - krankheitsbedingt ein erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf bestehen könnte. Dass nach dem Beklagtenvortrag durch die inaktivierten Bakterien die Nebenwirkungen einer antibiotischen Therapie gelindert werden und, wie die Beklagte mit der Berufungsbegründung vorträgt, der Bakterienstamm Lactobacillus reuteri eine positive Auswirkung bei der Therapie einer Gastritis haben kann, reicht nach der obengenannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für eine Einstufung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nicht aus.

(b) Die Beklagte hält die Anforderungen an ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ferner deshalb für erfüllt, weil die Infektion mit H. pylori die Hauptursache für die Entstehung der atrophischen Gastritis darstelle; infolge der Gastritis sei die Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Nährstoffen beeinträchtigt; die Betroffenen hätten daher einen besonderen diätischen Nährstoffbedarf auch bezüglich Zink und Vitamin B12.

Auch dieser Vortrag greift nicht durch. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die von ihr behaupteten Zusammenhänge zwischen einer Infektion mit H. pylori einerseits und dem Bedarf an Zink und Vitamin B12 andererseits gemäß allgemein anerkannten wissenschaftlichen Daten gegeben sind. Die Beklagte bezieht sich insoweit nur auf die offenbar von dem pharmazeutischen Dienstleister D. erstellte Unterlage "Rationale für die Verwendung von P.® als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Diätmanagement der Helicobacter pylori-assoziierten Gastritis". Dort wird ausgeführt, die Ergebnisse einer Studie zeigten, dass H. pylori scheinbar die Ursache für die Entwicklung eines Vitamin B12-Mangels bei Erwachsenen sei. Die Befunde einer weiteren Untersuchung seien starke Belege dafür, dass die H. pylori-Infektion mit einem Mangel an Cobalamin einhergehe (Seite 22 f.). Eine Analyse von 60 Patienten habe gezeigt, dass H. pylori am Zustandekommen eines Vitamin B12-Mangels offenbar beteiligt sei. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass gemäß allgemein anerkannten wissenschaftlichen Daten die hier in Rede stehenden Patienten einen solchen Nährstoffbedarf an Vitamin B12 haben, dass die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht.

Soweit in der "Rationale" angegeben ist, eine 17 Studien umfassende Metaanalyse zeige, dass Patienten, die H. pylori-positiv seien, signifikant niedrigere Cobalaminkonzentrationen aufgewiesen hätten als H. pylori-negative Patienten, und insbesondere bei Vitamin B12 werde der besondere Bedarf durch die Gabe von PPI, die Teil der Eradikationstherapie bei einer Gastritis sei, verstärkt, hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass niedrige Vitamin B12-Konzentrationen noch keinen Nährstoffmangel belegten und die Beklagte nicht dargelegt habe, dass die Aufnahme zu niedrig für ordnungsgemäße Körperfunktionen sei. Die Berufung der Beklagten bringt hiergegen nichts Erhebliches vor. Sie wiederholt insoweit nur den erstinstanzlichen Vortrag, es ergebe sich aus der Rationale, dass Patienten signifikant niedrigere Vitamin B12-Konzentrationen aufwiesen als solche, die nicht mit Helicobacter pylori infiziert seien. Ferner zitiert die Berufung Passagen aus der Rationale ("H.pylori (ist) scheinbar die Ursache für die Entwicklung des Vitamin B12 Mangels bei Erwachsenen"; "...dass ... die Resorption von Mikronährstoffen, insbesondere Zink ebenfalls beeinträchtigt sein kann"), denen sich gerade nicht entnehmen lässt, dass die Behauptung, die von einer Helicobacter pylori-assoziierten Gastritis betroffenen Patienten hätten einen besonderen diätischen Nährstoffbedarf bezüglich Zink und Vitamin B, allgemein anerkannten wissenschaftlichen Daten entspricht. Im Hinblick auf Zink hat das Landgericht im Übrigen zutreffend ausgeführt, dass die von der Beklagten in Bezug genommenen Studien Magen-Darm-Erkrankungen wie beispielsweise Magenkrebs-Erkrankungen zusammenfassen, d.h. nicht nur Patienten mit Gastritis betreffen.

Soweit die Beklagte das landgerichtliche Urteil dahingehend angreift, die Einordnung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke setze entgegen der dort zugrunde gelegten Auffassung keinen "Mangel" bzw. kein "Defizit" an Nährstoffen voraus, verhilft auch dies der Berufung nicht zum Erfolg. Begriffsnotwendig ist nach den vorstehenden Erwägungen ein krankheitsbedingt erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf, den die Beklagte nicht unter Bezugnahme auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten dargelegt hat.

b) Das Mittel "P." ist aus einem weiteren Grund nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement bei Helicobacter pylori-assoziierter Gastritis verkehrsfähig, soweit die Beklagte auf dessen Inhaltsstoffe Vitamin B12 und Zink verweist.

Nach der Definition des Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) Nr. 609/2013 sind Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten bestimmt, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht. Ein Erzeugnis darf deshalb nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement von Patienten, die an speziellen Krankheiten/Störungen/Beschwerden leiden, in Verkehr gebracht werden, wenn der Ernährungsbedarf dieser Patientengruppe durch den ausschließlichen Verzehr anderer Lebensmittel gedeckt werden kann, d. h. durch eine Modifizierung der normalen Ernährung (Bekanntmachung der Kommission über die Einordnung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke [2017/C 401/01], Rn. 56). Bei der Prüfung, ob für die diätetische Behandlung der Patienten eine Modifizierung der normalen Ernährung oder andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beidem ausreicht, sind auch die auf dem Markt erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel zu berücksichtigen (Senat, Urteil vom 1. Juli 2021 - 13 U 21/20, juris Rn. 136; vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2011 - I ZR 8/11, juris Rn. 10 zu § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV).

Dass bei den von einer Gastritis betroffenen Patienten für die Deckung eines etwaigen besonderen Bedarfs an Zink und Vitamin B12 eine Modifizierung der normalen Ernährung im Sinne einer zumutbaren, üblichen und praktikablen Ernährungsweise nicht ausreicht, lässt sich aufgrund des Vortrags der Beklagten, die auch insoweit darlegungs- und beweisbelastet ist, nicht feststellen. Nach dem nicht bestrittenen Klagevortrag handelt es sich bei den in "P." enthaltenen Stoffen Zink in einer Tagesdosis von 10 mg und Vitamin B12 in einer Tagesdosis von 2,5 µg um übliche Mineralstoffe bzw. Vitamine, die in Form von Nahrungsergänzungsmitteln in Drogerien bereitgestellt werden.

c) Der Unterlassungsanspruch ergibt sich ferner aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. §§ 3, 3a UWG, Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013.

Nach Art. 9 Abs. 5 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 der VO (EU) 609/2013 darf die Werbung für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke weder irreführend sein noch diesen Erzeugnissen Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaft erwecken. Das streitgegenständliche Inverkehrbringen und Vertreiben von "P." als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement erweckt bei dem angesprochenen Durchschnittsverbraucher jedoch den Eindruck, dass es sich bei dem Produkt um ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinne der geltenden Gesetzeslage handelt (vgl. OLG München, Urteil vom 22.04.2021 - 6 U 5746/20, juris Rn. 72). Dies ist jedoch nicht der Fall, weil "P." nicht als solches Lebensmittel einzustufen ist.

3. Das Landgericht hat auch richtig entschieden, dass die Beklagte die Werbung für das Mittel "P." mit den im Urteilstenor zu I. 2. genannten Aussagen zu unterlassen hat. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich insoweit aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. §§ 3, 3a UWG, Art. 4 Abs. 1, Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013.

Der im Berufungsverfahren noch in Rede stehende Teil der Aussage zu I.2.1 des Klageantrags, P. diene dem Diätmanagement bei H. pylori-assoziierter Gastritis, ist irreführend. Die Beklagte hat, wie oben ausgeführt, nicht durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten belegt, dass die Zusammensetzung von "P." den Ernährungsanforderungen von Patienten entspricht, die unter einer Helicobacter pylori-assoziierten Gastritis leiden, was hier aber Voraussetzung für ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Diätmanagement im Sinne eines Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke wäre. Der "Rationale", auf die die Beklagte ihre Behauptungen zu den Ernährungsanforderungen der unter einer Helicobacter pylori-assoziierten Gastritis leidenden Patienten und der Wirkweise des Mittels stützt, lässt sich im Übrigen nicht entnehmen, dass gerade die besondere Kombination aus den inaktiven Bakterien, Zink und Vitamin B12, also nicht nur die einzelnen Inhaltsstoffe, gemäß allgemein anerkannt wissenschaftlichen Daten den Ernährungsanforderungen der Patienten entspricht.

Aus den zutreffenden Gründen des landgerichtlichen Urteils sind auch die Aussagen zu 2.2 bis 2.6 des Klageantrags irreführend und daher zu unterlassen. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Hinsichtlich der Aussagen zu 2.2, 2.3, 2.4, 2.5 und 2.6 ist die Unterlassungsklage auch deshalb begründet, weil sie entgegen Art. 9 Abs. 5 der VO (EU) 609/2013 dem Mittel "P." Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit - einer Helicobacter pylori-assoziierten Gastritis - zuschreiben oder zumindest einen entsprechenden Eindruck erwecken ("Mit P. können die Wirksamkeit ... der gängigen H. pylori-Therapien ... verbessert und die Symptome der Gastritis gemindert werden"; "... Eine Besiedelung mit H. pylori wird dadurch vermindert ..."; "... erhöht zudem die Wirksamkeit der Eradikation bzw. vollständigen Abtötung von H. pylori ..."; "Klinische Studien ergaben, dass die tägliche Einnahme ... die Besiedelung mit H. Pylori verringert").

III.

Die Beklagte hat auch mit dem Antrag, ihr eine Aufbrauchsfrist von vier Monaten zu gewähren, keinen Erfolg.

Die Gewährung einer Aufbrauchfrist gem. § 242 BGB setzt voraus, dass dem Schuldner eines Unterlassungsanspruchs durch ein sofort mit der Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes nicht unzumutbar beeinträchtigt werden (BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19, juris Rn. 58). Bei der danach erforderlichen Interessenabwägung ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass der Beklagten jedenfalls seit ihrer Verurteilung durch das Landgericht am 22. Februar 2022 ein Verschulden vorzuwerfen ist. Für die Annahme eines zumindest fahrlässigen Verhaltens reicht es aus, dass sich der Verletzer erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt und deshalb eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit seines Verhaltens jedenfalls in Betracht ziehen muss (BGH a. a. O., juris Rn. 68). Eine Fahrlässigkeit der Beklagten ist erst Recht seit dem Urteil des EuGH vom 27. Oktober 2022 - C-418/21 anzunehmen (vgl. oben II. 2. a) (1)). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagten überhaupt durch ein sofort mit der Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen können. Die nicht weiter erläuterte Behauptung der Beklagten, dass bei ihr mit der Vernichtung des Produkts ein wirtschaftlicher Schaden einhergehen werde, reicht nicht aus.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.