Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 30.05.1995, Az.: 5 U 38/95
Fehlgeschlagener Schwangerschaftsabbruch als Grundlage eines schadensersatzrechtlichen Anerkenntnisses; Rechtliche Qualifikation des Daseins eines ungewollten Kindes als Schadensquelle bei fehlerhaftem Schwangerschaftsabbruch; Schadensersatz im Fall des Ablaufs der Frist zur Unterbrechung einer Schwangerschaft im Fall eines unvollständigen Abbruchs einer Zwillingsschwangerschaft; Grundlagen eines rechtsgeschäftlichen Anerkenntnisses unter dem Aspekt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 30.05.1995
- Aktenzeichen
- 5 U 38/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 29072
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1995:0530.5U38.95.0A
Rechtsgrundlage
- § 781 BGB
Amtlicher Leitsatz
Fehlgeschlagener Schwangerschaftsabbruch als Grundlage eines schadensersatzrechtlichen Anerkenntnisses trotz BVerfG NJW 1993, 1751 ff.
Tatbestand
Die Klägerin war in den Städtischen Kliniken vom 25. bis 29. Januar 1989 mit dem Ziel eines Schwangerschaftsabbruchs in stationärer Behandlung. Am 26. Januar 1989 wurde der operative Eingriff mittels Saugcürettage vorgenommen und anschließend eine gleichzeitig geplante Tubensterilisation durchgeführt. Gemäß Arztbericht vom 31. Januar 1989 wurde die Klägerin nach komplikationslosem postoperativen Verlauf bei Wohlbefinden am 29. Januar 1989 entlassen. Hinweise darauf, daß bei der Klägerin eine Zwillingsschwangerschaft bestanden hatte, die möglicherweise nicht vollständig abgebrochen war, gaben die Städtischen Kliniken dem für die ambulante Weiterbetreuung verantwortlichen Arzt Dr. K. nicht. Insbesondere fehlte es an einer konkreten und dringenden Empfehlung der sorgfältigen Nachbeobachtung zum Ausschluß einer fortbestehenden Schwangerschaft.
Tatsächlich war der Schwangerschaftsabbruch unvollständig. Eine gynäkologische Untersuchung am 05. April 1989 ergab das Fortbestehen einer ungestörten Schwangerschaft. Am 14. Juli 1989 wurde von der Klägerin in der 33. Schwangerschaftswoche der Sohn ... geboren.
Entscheidungsgründe
Die Beklagte lehnte die von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche zunächst mit Schreiben vom 16. August 1989 ab.
Am 12. November 1990 wurde in dem in dieser Sache eingeleiteten Schlichtungsverfahren ein Gutachten erstattet, in dem der Sachverständige zu dem Ergebnis kam, daß in diesem Fall einer Schwangerschaftsunterberechung bei bekannter Zwillingsschwangerschaft eine dringende Empfehlung an den einweisenden Arzt hätte gegeben werden müssen, damit er das Fortbestehen einer Schwangerschaft früher hätte erkennen können. Es hätte dann die Möglichkeit bestanden, die Schwangerschaft noch rechtzeitig abzubrechen. Mit Schreiben vom 08. Januar 1992 teilte die Beklagte der Klägerin mit, nach einer abschließenden Stellungnahme ihres Haftpflichtrückdeckungsverbandes ergäbe sich, daß der Gesamtunterhaltsschaden bis zum 13. Juli 2007 sich auf insgesamt 105.840,00 DM belaufe. Der Schaden solle jedoch nicht durch eine Gesamtabfindung, sondern durch regelmäßige Zahlungen abgegolten werden. Der Schmerzensgeldanspruch sei nicht begründet. Die geltend gemachten Anwaltskosten reduzierten sich auf den Betrag von 1.767,00 DM, deren Überweisung angeordnet worden sei.
Mit Schreiben vom 07. Oktober 1993 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige, die Unterhaltszahlungen für die Zeit ab 01.01.1994 einzustellen, weil die Geschäftsgrundlage für den Vergleich entfallen sei. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 sei ein ungewolltes Kind nicht als Schaden anzusehen. Die Beklagte stellte zunächst ihre Zahlungen ein und leistete dann noch für das Jahr 1994 Unterhalt in Höhe von 382,00 DM monatlich.
Die Klägerin kann die Beklagte aufgrund eines Schuldanerkenntnisses nach § 781 BGB auf Zahlung in Anspruch nehmen. Das Schreiben der Stadt vom 08. Januar 1992 stellt ein Angebot auf Abschluß eines Anerkenntnisvertrages hinsichtlich des materiellen Schadensersatzanspruchs dar, das von der Klägerin zumindest stillschweigend angenommen worden ist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt hier ein rechtsgeschäftliches Anerkenntnis i.S.v. § 781 BGB vor. Allerdings ist, wenn Haftpflichtversicherer sogenannte Schlußerklärungen abgeben, bei der Annahme eines Anerkenntnisses grundsätzlich Zurückhaltung geboten. Im Einzelfall kann aber eine entsprechende Bestätigungserklärung als Angebot für ein kausales Anerkenntnis verstanden werden, wenn zuvor zwischen den Beteiligten Streit oder Ungewißheit über Grund oder Höhe der Leistungspflicht herrschte und mit dem Anerkenntnis bezweckt war, diesen Streit oder diese Ungewißheit beizulegen (Soergel-Häuser, BGB, 11. Aufl., Rz. 191 zu § 780, 781 m.w.N.; BGH WM 1995, 402, 404) [BGH 01.12.1994 - VII ZR 215/93]. Für einen Vertragsschluß spricht insbesondere, wenn dem Anerkenntnis schon Regulierungsgespräche vorausgegangen sind und sich die Erklärung auf die Zahlung einer bestimmten Summe bezieht (Münchener Kommentar-Höffer, BGB, 2. Aufl., Rz 31 zu § 781). Vorliegend sind die Voraussetzungen für die Annahme eines Anerkenntnisses nach dem gesamten Verlauf gegeben. Zunächsteinmal ist der Umstand von Bedeutung, daß hier nicht unmittelbar die Haftpflichtversicherung, sondern die Beklagte selbst aufgrund einer Abschlußerklärung der Versicherung eine umfassende Erklärung zu den Ansprüchen der Klägerin abgegeben hat. Dieser Erklärung gingen eine streitige Korrespondenz und ein Schlichtungsverfahren voraus. Durch das Schreiben vom 08. Januar 1992 sollte erkennbar diese streitige Korrespondenz mit einer Verpflichtungserklärung abgeschlossen werden. Die Beklagte hat die Ansprüche, die sie im einzelnen erfüllen wollte, bis zum Jahre 2007 konkret beziffert. Sie hat darüber hinaus ihre Bereitschaft erklärt, einen Teil der Anwaltskosten zu zahlen und mitgeteilt, daß insoweit die Überweisung eines Betrages von 1.767,00 DM bereits angeordnet worden sei. Da dem Schreiben der Beklagten eine jahrelange Korrespondenz und ein Schlichtungsverfahren vorausgegangen sind, spricht alles dafür, daß durch ein Anerkenntnis einer sonst erforderlichen Klage vorgebeugt werden sollte. Das Antwortschreiben der Klägerin liegt nicht vor. Es ist aber davon auszugehen, daß sie dieses Angebot auf Abschluß eines Anerkenntnisvertrages zumindest stillschweigend angenommen hat.
Die Beklagte kann dem Anerkenntnis nicht erfolgreich die Einrede der ungerechtigten Bereicherung oder die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage entgegenhalten. Die Geschäftsgrundlage ist schon deshalb nicht entfallen, weil sich die höchstrichterliche Rechtsprechung, an der sich die Parteien orientiert haben, bislang nicht geändert hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 (NJW 1993, 1751, 1764) ausgeführt, bei einem fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch komme eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle von Verfassung wegen (Artikel 1 I Grundgesetz) nicht in Betracht. Die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst Willen zu achten, verbiete es, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Haftung für ärztliche Beratungsfehler oder für fehlgeschlagene Schwangerschaftsabbrüche sei im Hinblick darauf der Überprüfung bedürftig. Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts entfalten jedoch keine Gesetzeskraft. Sie stellen lediglich ein obiter dictum dar mit dem Hinweis, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überprüfungsbedürftig sei. Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung bislang nicht aufgegeben und in einem späteren Urteil sogar ausdrücklich für einen fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer oder kriminologischer Indikation entschieden, daß der ärztliche Vertragspartner auf Schadensersatz wegen der Unterhaltsbelastung der Eltern durch das Kind in Anspruch genommen werden könne. Dazu hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, auch wenn dem Leitsatz 14 des Bundesverfassungsgerichts sowie den Ausführungen unter D VI der Gründe keine Bindungswirkung beikomme, machten sie jedoch eine neuerliche eingehende Prüfung der Rechtslage erforderlich. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof offengelassen, ob bei einem Schwangerschaftsabbruch, der nicht aufgrund einer Indikation rechtmäßig ist, sondern aus den Gründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 nicht für gerechtfertigt erklärt werden dürfte, dem Schutz vor wirtschaftlichen Belastungen durch das Kind für die vertraglichen Beziehungen Überhaupt noch Bedeutung beikomme und ob er nach der Rechtsordnung noch Ansatz für einen Schadensersatzanspruch sein könnte. Der Bundesgerichshof hat danach zwar nach Erlaß des Bundesverfassungsgerichtsurteils die Streitfrage für den hier in Betracht kommenden Fall nicht nochmals entschieden. Es liegt aber auch keine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor, durch die die Geschäftsgrundlage weggefallen sein könnte oder die es rechtfertigen würde, gegenüber der anerkannten Forderung die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung durchgreifen zu lassen. Darauf, ob einige Oberlandesgerichte möglicherweise nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ihre Rechtsprechung zu dieser Frage geändert haben, kommt es ebensowenig an wie auf die Rechtsauffassung des Senats.