Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.10.2010, Az.: 12 A 3322/08

Emmissionskontingent; Gebot der Rücksichtnahme; Nachträgliche Anordnung; Prioritätsprinzip

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.10.2010
Aktenzeichen
12 A 3322/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 48009
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein im Außenbereich privilegierter Betrieb, dessen Emissionen die Gefahrenschwelle bei weitem überschreiten, kann die einem anderen privilegierten Emittenten - der die Grenzwerte einhält - erteilte Genehmigung nicht unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB angreifen, um ein ansteigendes Risiko nachträglicher Anordnungen zu Lasten seines Betriebs zu verhindern.
2. Konkurrieren im Außenbereich zwei gleichermaßen privilegierte Betriebe um das zur Verfügung stehende Emissionskontingent, gilt in ihrem Verhältnis das Prioritätsprinzip.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Änderungsgenehmigung zur Erweiterung einer Geflügelschlachterei.

Der Kläger ist Landwirt und betreibt auf dem Grundstück H. Straße 150 in I. Intensivtierhaltung. In mehreren Stallgebäuden werden mehr als 40.000 Junghennen aufgezogen, rund 450 Sauen und Ferkel gehalten und rund 450 Schweine gemästet. Der Kläger verfügt über Genehmigungen nach (altem) Baurecht. Unmittelbar nördlich und östlich des Betriebs des Klägers befindet sich in rund 50 m Entfernung ein Wohngebiet, das überwiegend mit Einfamilienhäusern bebaut ist. Südlich und südwestlich des Betriebs liegen drei weitere Betriebe, die ebenfalls Tierhaltung betreiben. Südlich des Betriebs des Klägers befindet sich in einem Abstand von etwa 350 m die Geflügelschlachterei der Beigeladenen mit einer bislang genehmigten Schlachtleistung von 119.000 kg/d bei einem Einschichtbetrieb von 5:00 Uhr bis 14:00 Uhr.

Vor allem oder allein aufgrund der Emissionen des klägerischen Betriebs ist das Wohngebiet, das von dem Betrieb der Beigeladenen etwa 400 m entfernt liegt, ganz erheblich mit Geruchsimmissionen belastet. Die Anzahl der Geruchsstunden nach der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) überschreitet in weiten Teilen 15 % der Jahresstunden und erreicht für einzelne entlang der H. Straße gelegene Wohngebäude Werte von 30 % und darüber.

Unter dem 20.09.2007 beantragte die Beigeladene bei dem Beklagten eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung zur Erhöhung der Schlachtleistung auf 270.000 kg/d durch Einführung einer zweiten Schicht von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Dem Antrag beigefügt war eine gutachterliche Stellungnahme des J. Umweltschutz vom 02.08.2007 zu Geruchs-, Staub- und Ammoniakemissionen und nachbarschaftlichen Geruchsimmissionen des erweiterten Geflügelschlachthofs. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Immissionswerte der GIRL auf allen Beurteilungsflächen eingehalten würden, weil entweder die Gesamtimmissionsbelastung unter den Immissionswerten der GIRL lägen oder aber die zusätzliche Immissionsbelastung als unerheblich anzusehen sei, weil sie zwei Prozent der Jahresstunden nicht überschreite.

Im Rahmen des förmlichen Genehmigungsverfahrens erhob der Kläger Einwendungen gegen das Vorhaben. Das Gutachten des J. weise methodische Fehler auf. Es sei davon auszugehen, dass das geplante Vorhaben zu Immissionen führe, die die Irrelevanzgrenzen der GIRL überschritten. Für diesen Fall müsse er, der Kläger, mit Auflagen zur Emissionsminderung und mit nachträglichen Anordnungen gemäß § 17 BImSchG rechnen. Überdies habe er im Oktober 2007 einen Architekten mit der Umplanung seiner Stallanlagen beauftragt. Er müsse nun befürchten, dass im Rahmen der Prüfung seines Antrages auf Genehmigung einer Nutzungsänderung eine höhere als vom J. festgestellte Vorbelastung zugrunde gelegt und eine Genehmigung versagt werde, da es in der Umgebung seines Betriebes tatsächlich zu unzumutbaren Geruchsimmissionen komme.

Nach Erörterung der Einwendungen erteilte der Beklagte mit Bescheid vom 15.02.2008 der Beigeladenen die beantragte Änderungsgenehmigung. Die von dem Kläger vorgetragenen Bedenken seien unbegründet. In der Umgebung des Betriebs des Klägers seien die Immissionswerte der GIRL bereits durch Emissionen aus der von ihm betriebenen Tierhaltung erheblich überschritten. Für eine geplante Veränderung des Betriebs des Klägers spiele die von dem Schlachthof der Beigeladenen ausgehende Belastung keine Rolle, wenn der Kläger die Geruchssituation seines eigenen Betriebs deutlich verbessere. Eine Veränderung komme weiter dann in Betracht, wenn der Kläger die derzeitigen Werte von 30 % der Jahresstunden halbiere. Wenn das der Fall sei, dürfte die Zusatzbelastung durch die Schlachtanlage, die bei ca. 1 % der Jahresstunden liege, nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Immissionsprognose des J. sei nicht zu beanstanden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller unter dem 17.03.2008 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.

Am 03.07.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er unter Vorlage einer Stellungnahme des Ingenieurs K. vom 12.02.2010, auf die Bezug genommen wird, sein bisheriges Vorbringen. Auch die von der Beigeladenen in Auftrag gegebene erneute Begutachtung der L. Ingenieurgesellschaft sei fehlerhaft. Generell seien die Bestimmung der Geruchsimmissionen nach der GIRL sowie das verwendete Programm AUSTAL2000 unzulänglich. Unzulässigerweise sei nicht an der Quelle gemessen worden, sondern die zur Grundlage der Ausbreitungsberechnung erforderlichen Emissionsdaten seien durch Rückrechnung anhand der Ergebnisse einer Fahnenbegehung ermittelt worden. Das eingesetzte Computerprogramm AUSTAL2000 sei für diese Rückrechnung ungeeignet. Das Programm AUSTAL2000 liefere die Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr. Das Ergebnis der Fahnenbegehung seien hingegen Geruchszeitanteile in Zehn-Minuten-Intervallen. AUSTAL2000 biete keine Verknüpfung zwischen diesen beiden Daten. Unzulässigerweise seien ferner Mittelungswerte für den Volumenstrom der Abluftanlagen angesetzt worden. Richtigerweise hätte eine Messung des Volumenstroms erfolgen müssen. Tatsächlich seien daher die anzusetzenden Emissionswerte um den Faktor 10 höher als angenommen. Das führe dazu, dass die Immissionen des Schlachtbetriebs in den relevanten Bereichen nicht mehr unter das Irrelevanzkriterium der GIRL fielen. Hinzu komme, dass der tierartspezifische Faktor für Geflügel von 1,5 nicht berücksichtigt worden sei. Dieser führe dazu, dass die Immissionen noch einmal höher anzusetzen seien. Es sei nicht Aufgabe des Klägers, Angaben zu den konkret von dem Betrieb der Beigeladenen verursachten Geruchsimmissionen zu tätigen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des C. vom 15.02.2008 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt der Beklagte Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides. Ergänzend trägt er vor, nach Nummer 5.4.7.2 der TA Luft habe ein Schlachtbetrieb einen Mindestabstand von 350 m zur nächstgelegenen Wohnbebauung einzuhalten. Der Betrieb des Klägers und die nördlich und östlich gelegene Wohnbebauung lägen 350 m und weiter entfernt. Überdies habe die L. Ingenieurgesellschaft während des laufenden Verfahrens und nach erfolgter Erweiterung des Schlachtbetriebs eine weitere Begutachtung vom 25.06.2009 und 30.06.2009 mit Ergänzungen vom 22.09.2009 und vom 18.08.2010 vorgenommen. Diese Begutachtung, auf die das Gericht Bezug nimmt, habe ergeben, dass der Schlachtbetrieb die Immissionswerte einhalte. Nachträgliche Anordnungen gegenüber dem Kläger könnten nur aus Gründen erfolgen, deren Ursachen in seinem Betrieb lägen.

Die Beigeladene ist der Ansicht, die vorliegenden Gutachten belegten, dass von ihrem Betrieb kein relevanter Immissionsbeitrag ausgehe. Der Kläger beschränke sich demgegenüber auf eine Gutachtenkritik. Das sei nicht ausreichend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I. Die Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig. Dem Kläger fehlt nicht die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Der Kläger macht - noch - ausreichend geltend, in seinen Rechten verletzt zu sein. Denn nach seinem Vorbringen erscheint eine Verletzung eigener Rechte - hier in Form des Gebots der Rücksichtnahme - zumindest nicht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt von vornherein ausgeschlossen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat ein im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierter Betrieb wie der Betrieb des Klägers (§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB) einen Abwehranspruch gegen ein im Außenbereich unzulässiges Nachbarvorhaben dann, wenn das in § 35 Abs. 3 BauGB enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot verletzt ist (vgl. zuletzt etwa BVerwG, Beschl. v. 05.09.2000 - 4 B 56/00, juris, stRspr.). Unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme kann der Inhaber eines privilegierten Betriebs seine Privilegierung gegen weitere heranrückende Bebauung verteidigen. Das gilt unabhängig davon, ob die heranrückende Bebauung - wie in diesem Fall der Schlachtbetrieb der Beigeladenen gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB - ihrerseits privilegiert ist oder nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.1982 - 4 C 28/81, juris; Beschl. v. 01.09.1993 - 4 B 93/93, juris).

Keine Klagebefugnis begründet auf dieser Basis das Vorbringen des Klägers, das Vorhaben der Beigeladenen behindere seine Erweiterungsabsichten. Die vorgeblichen Erweiterungsabsichten sind schon nicht hinreichend konkretisiert. Der Kläger hat seinen am 09.06.2008 bei dem Landkreis M. eingegangenen Antrag mit Schreiben vom 07.05.2010 zurückgenommen. Ein bereits im Mai 2010 angekündigter neuer Antrag liegt dem Landkreis nach dessen telefonischer Auskunft vom 04.10.2010 nicht vor.

Überdies wären die Erweiterungsabsichten des Klägers gegenüber dem Betrieb der Beigeladenen auch dann rechtlich nicht geschützt, wenn diese hinreichend konkretisiert wären. Denn der Sache nach konkurrieren die Erweiterungspläne des im Außenbereich privilegierten Klägers mit den bereits realisierten Erweiterungsplänen der ebenfalls privilegierten Beigeladenen im Hinblick auf das zur Verfügung stehende Emissionskontingent. In derartigen Fällen gilt das Prioritätsprinzip (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.08.2000 - 1 M 760/00, juris) mit dem Ergebnis, dass der Kläger es hinnehmen muss, wenn die in der Realisierung ihrer Planungen schnellere Beigeladene die Umsetzung der Planungen des Klägers erschwert oder sogar unmöglich macht. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass andere Anlagenbetreiber ihre Emissionen in einer Weise gestalten, die ihm selbst Raum für eine Erweiterung oder Veränderung seiner Anlagen lässt.

Nicht unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt von vornherein ausgeschlossen erscheint eine Rechtsverletzung aber im Hinblick auf die Befürchtung des Klägers, er könne mit nachträglichen Anordnungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz konfrontiert werden, wenn die schon jetzt kritische Immissionsbelastung des Wohngebiets weiter zunimmt. Denn es erscheint immerhin nicht schlechthin unmöglich, dass das Risiko nachträglicher Anordnungen zu Lasten seines Betriebs ansteigt und daraus ein rechtlich geschütztes Interesse folgt, ein neu hinzutretendes emittierendes Vorhaben zu verhindern.

II. Die Klage ist unbegründet.

Die der Beigeladenen erteilte Änderungsgenehmigung gemäß §§ 6, 16 BImSchG verstößt nicht gegen das in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB i.V. mit § 3 Abs. 1 BImSchG zum Ausdruck kommende Gebot der Rücksichtnahme und verletzt daher Rechte des Klägers nicht.

1. Eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger selbst die Immissionswerte der GIRL zu Lasten der angrenzenden Wohnbebauung ganz erheblich überschreitet.

Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dabei muss allerdings demjenigen, der sein eigenes Grundstück in einer sonst zulässigen Weise baulich nutzen will, insofern ein Vorrang zugestanden werden, als er berechtigte Interessen nicht deshalb zurückzustellen braucht, um gleichwertige fremde Interessen zu schonen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - IV C 22.75, juris).

In die nach den vorgenannten Maßgaben erforderliche Abwägung ist zu Gunsten des Klägers einzustellen, dass er mit seinem Betrieb bereits am Ort war, als die Beigeladene ihren Anlagenbetrieb geändert hat. Im Sinne des Prioritätsprinzips verlangt dies ein größeres Maß an Rücksichtnahme der Beigeladenen. Dem steht allerdings gegenüber, dass der Kläger zu den Immissionen zu Lasten der Wohnbebauung in einem weitaus höheren Umfang beiträgt als die Beigeladene. Wie aus der gutachterlichen Stellungnahme des J. vom 02.08.2007 hervorgeht, verursacht die Anlage des Klägers allein eine Geruchsbelastung der Wohnbebauung von bis zu 32,6 % der Jahresstunden. Diese Geruchsbelastung überschreitet die Gefahrenschwelle bei weitem und verursacht damit schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG. Demgegenüber liegt der Immissionsbeitrag der Anlage der Beigeladenen - ohne Berücksichtigung der Vorbelastung des Wohngebiets - jedenfalls unterhalb der Gefahrenschwelle. Denn die Anlage der Beigeladenen genügt den Anforderungen des Vorsorgeprinzips des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG. Nach Nummer 5.4.7.2 der Technischen Anleitung der Reinhaltung der Luft (TA Luft) sollen Anlagen zum Schlachten von Tieren einen Mindestabstand von 350 m zur nächsten vorhandenen oder in einem Bebauungsplan festgesetzten Wohnbebauung nicht unterschreiten. Die Anlage der Beigeladenen hält zu der in Rede stehenden Wohnbebauung einen Abstand von rund 400 m ein. Soweit ersichtlich setzt die Anlage darüber hinaus auch die weiteren Vorgaben zur Emissionsminderung um. Genügt eine Anlage aber den Anforderungen des Vorsorgeprinzips, das über das drittschützende Schutzprinzip des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG hinaus nicht bloß der Abwehr von Gefahren und der Vorbeugung gegenüber künftigen Schäden dient, sondern auch Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle minimieren will (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 - 7 C 19/02, juris), ist damit zugleich den Anforderungen des Schutzprinzips genügt, sodass - ungeachtet der Vorbelastung - keine schädlichen Umwelteinwirkungen von der Anlage ausgehen.

Überschreiten mithin die von dem Betrieb des Klägers ausgehenden Emissionen die Gefahrenschwelle, während die Emissionen des Betriebs der Beigeladenen bei isolierter Betrachtung sogar den Anforderungen des Vorsorgeprinzips genügen, ist das Vorhaben der Beigeladenen gegenüber dem Kläger jedenfalls nicht als rücksichtslos anzusehen. Denn die Beigeladene nimmt für sich keine weitergehende Rechtsposition in Anspruch als der Kläger selbst. Im Gegenteil erscheint es rechtsmissbräuchlich, wenn der Kläger, der die gesetzlichen Bestimmungen in eklatanter Weise nicht einhält und damit unabhängig von der Erweiterung des Betriebs der Beigeladenen Anlass zu einem Einschreiten gemäß den §§ 17, 22 BImSchG gibt, die Einhaltung eben dieser gesetzlichen Bestimmungen von der Beigeladenen verlangt.

2. Darüber hinaus ist das Gebot der Rücksichtnahme auch deshalb nicht verletzt, weil von der Anlage der Beigeladenen keine schädlichen Umwelteinwirkungen zu Lasten der nördlich und östlich an den klägerischen Betrieb angrenzenden Wohnbebauung ausgehen.

Entgegen der Auffassung des Klägers gehen insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Gerüchen von der Anlage der Beigeladenen nicht aus. Die Anlage entspricht den Anforderungen der Geruchsimissionsrichtlinie (GIRL), die nach mittlerweile gefestigter Ansicht ein geeignetes Hilfsmittel für die Beurteilung von Geruchsimmissionen darstellt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.06.2007 - 12 LA 14/07, juris, mit umfangreichen Nachweisen). Diese findet in ihrer aktuellen Fassung aus dem Jahr 2008 Anwendung (Gem. RdErl. vom 23.07.2009, Nds. MBl. 2009, Nr. 36, S. 794). Denn das behördliche Verfahren ist mangels eines Widerspruchsbescheids noch nicht abgeschlossen, sodass der Entscheidung des Gerichts die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung zu Grunde zu legen ist. Die pauschale und nicht auf den Fall bezogene Kritik des Klägers an der Methodik der GIRL gibt keinen Anlass, von deren Anwendung abzusehen. Der Kläger legt schon nicht substantiiert dar, dass eine Bestimmung nach einer - von ihm nicht konkret bezeichneten - abweichenden Methodik zu ihm günstigeren Ergebnissen führen könnte.

Gemäß der Tabelle 1 zu Nummer 3.1 GIRL gilt hinsichtlich der von dem Kläger in Bezug genommenen Wohnbebauung nördlich und östlich seines Betriebs ein Grenzwert von zehn Prozent (bei Einstufung als Wohn-/Mischgebiet) bis maximal 15 Prozent (bei Einstufung als Dorfgebiet) Geruchsstunden pro Jahr. Wie genau das Gebiet einzustufen ist, kann dahinstehen, weil bereits aufgrund der von dem klägerischen Betrieb ausgehenden Emissionen auch der höhere der vorgenannten Immissionswerte bei weitem überschritten ist. Wie aus der gutachterlichen Stellungnahme des J. vom 02.08.2007 folgt, werden im südöstlichen Bereich der Bebauung Jahreswerte von bis zu 32,6 % erreicht. Vor diesem Hintergrund darf eine Genehmigung des Betriebs der Beigeladenen nur dann erfolgen, wenn der zusätzliche Immissionsbeitrag als irrelevant anzusehen ist.

Gemäß Nummer 3.3 GIRL soll die Genehmigung für eine Anlage auch bei Überschreitung der Immissionswerte der GIRL nicht wegen der Geruchsimmissionen versagt werden, wenn der von der zu beurteilenden Anlage in ihrer Gesamtheit zu erwartende Immissionsbeitrag (Kenngröße der zu erwartenden Zusatzbelastung nach Nummer 4.5) auf keiner Beurteilungsfläche, auf der sich Personen nicht nur vorübergehend aufhalten (vgl. Nummer 3.1), den Wert 0,02 überschreitet. Bei Einhaltung dieses Wertes ist davon auszugehen, dass die Anlage die belästigende Wirkung der vorhandenen Belastung nicht relevant erhöht (Irrelevanz der zu erwartenden Zusatzbelastung - Irrelevanzkriterium). Erhöht also die gesamte zu ändernde Anlage den Anteil der Geruchsstunden im Jahr um maximal zwei Prozent, stehen bisherige Überschreitungen einer Genehmigung nicht im Wege. Davon ist der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise ausgegangen.

Ausweislich des Gutachtens der L. Ingenieurgesellschaft vom 30.06.2009 mit Ergänzungen vom 22.09.2009 und vom 18.08.2010, das auf der Basis des Messberichts vom 25.06.2009 erstellt worden ist und die Anlage der Beigeladenen einschließlich der Erweiterung betrifft, erhöht sich in Bereichen, in denen die Wohnbebauung bereits mit Geruchsstundenanteilen von mehr als zehn Prozent pro Jahr belastet ist, der Geruchsstundenanteil um maximal zwei Prozent. Diese Erhöhung liegt unterhalb der Relevanzschwelle. Soweit der Kläger auf der Basis einer Stellungnahme des Ingenieurs K. vom 12.02.2010 Einwände gegen das Gutachten erhebt, enthält dieses Vorbringen keinen durchgreifenden Anhaltspunkt dafür, dass die Relevanzschwelle überschritten werden könnte.

Die Kammer teilt nicht den Einwand des Klägers, das Gutachten der L. Ingenieurgesellschaft beruhe auf einer fehlerhaften Ermittlung der von der Anlage ausgehenden Emissionsmassenströme, die der Ausbreitungsberechnung gemäß Nummer 4.1, Tabelle 2 GIRL als Grundlage dienen. Die zugrunde gelegten Emissionsmassenströme hat die L. Ingenieurgesellschaft zwar nicht durch Messung an den Austrittspunkten der Anlage ermittelt, sondern Fahnenbegehungen durchgeführt und davon ausgehend von den dabei ermittelten Geruchsimmissionen eine Rückrechnung vorgenommen. Eine solche Rückrechnung sieht Nummer 4.1 GIRL in speziellen Fällen jedoch ausdrücklich vor. Die von Seiten des Klägers erhobenen Einwände sind nicht stichhaltig. Insbesondere mussten die Gutachter der Ausbreitungsberechnung nicht die zuvor durch Messung an den Austrittspunkten ermittelten Emissionsmassenströme zugrunde legen. Da die Abluftventilatoren der Anlage der Beigeladenen nicht über normkonforme Ein- und Auslaufstrecken verfügen, konnten die Gutachter lediglich die Geruchsstoffkonzentration in einer bestimmten Abluftmenge, nicht aber den jeweiligen Abgasvolumenstrom konkret bestimmen. Für die Bestimmung des Abgasvolumenstroms mussten die Gutachter die Kenndaten der Ventilatoren, mithin den jeweils maximal möglichen Abgasvolumenstrom bei unter Volllast und unter in der Praxis nicht zu erzielenden Idealbedingungen laufenden Ventilatoren ansetzen. Dass dies zu einer Überschätzung der tatsächlichen Emissionen führt, liegt auf der Hand. Nach den plausiblen Darlegungen der L. Ingenieurgesellschaft in der Stellungnahme vom 09.03.2010 und auch des J. in seiner Stellungnahme vom 02.08.2007 spiegelte sich dies bei der Ausbreitungsrechnung in Geruchsfahnen wieder, deren Länge mit den bei der Begehung ermittelten deutlich kürzeren Fahnen nicht in Einklang zu bringen war. In einer solchen Situation, in der die Emissionsmessung keine verwertbaren Ergebnisse liefern konnte, ist es nicht zu beanstanden, dass die Gutachter auf das GIRL-konforme Verfahren der Rückrechnung zurückgegriffen haben.

Dem Einwand, das zur Rückrechnung verwendete Programm AUSTAL2000 erlaube keinen Rückschluss von den Ergebnissen der Fahnenbegehung auf die tatsächlichen Emissionsmassenströme, folgt die Kammer ebenfalls nicht. Aus dem Gutachten vom 30.06.2009 ergibt sich, dass die Gutachter auf der Eingabeseite des Programms Werte für Emissionsmassenströme angesetzt und diese Werte in dem an den einzelnen Austrittspunkten gemessenen Verhältnis der Emissionswerte zueinander solange variiert haben, bis das Ergebnis zu einem Geruchsstundenanteil von 75 % pro Jahr an den Messpunkten der Fahnenbegehungen geführt hat, mithin also in 75 % der Jahresstunden ein dem Ergebnis der Fahnenbegehungen entsprechendes Fahnenbild vorhanden war. Die so ermittelten Emissionsmassenströme waren dann Grundlage der Ausbreitungsberechnung. Dieses Vorgehen ist plausibel und nachvollziehbar. Das Vorbringen des Klägers erschöpft sich demgegenüber in allgemeinen methodischen Überlegungen. Er legt schon nicht substantiiert dar, dass das Vorgehen zu einer Unterschätzung der Emissionsmassenströme der Anlage der Beigeladenen geführt haben könnte. Hinzu kommt, dass eine alternative Methode zur Ermittlung der tatsächlichen Emissionen gegenwärtig nicht zur Verfügung steht. Die VDI-Richtlinie 3788, Blatt 2, Umweltmeteorologie - Ausbreitung von Geruchsstoffen in der Atmosphäre - Quelltermrückrechnung, die zukünftig eine Alternative darstellen könnte, befindet sich nach den unwidersprochenen und nach Kenntnis der Kammer zutreffenden Angaben des Beklagten noch in der Bearbeitung (vgl. Kommission Reinhaltung der Luft im VDI und DIN - Normenausschuss, Tätigkeitsbericht 2009, http://www.vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/krdl_dateien/VDI%20Taetigkeitsbericht%2009.pdf).

Soweit der Kläger rügt, das Gutachten der L. Ingenieurgesellschaft habe unzulässigerweise Mittelungswerte für den Volumenstrom der Abluftanlagen angesetzt, trifft das der Sache nach nicht zu. Angesetzt wurde vielmehr die jeweilige Maximalleistung.

Nicht nachzuvollziehen vermag die Kammer den Einwand des Klägers, die Emissionswerte der Anlage seien um den Faktor 10 höher anzusetzen. Der Kläger bleibt eine plausible Erklärung, wie dieser Faktor zu bestimmen sein soll, schuldig.

Zu Unrecht rügt der Kläger schließlich, dass der tierartspezifische Faktor für Geflügel von 1,5 gemäß der Tabelle 4 zu Nummer 4.6 GIRL nicht berüksichtigt worden sei. Denn die in der Tabelle bezeichneten Gewichtungsfaktoren für einzelne Tierarten, die der besonderen Geruchsqualität Rechnung tragen, sind auf die Tiermast, nicht aber auf jeden Umgang mit den bezeichneten Tieren bezogen. In der Tiermast stellen die Exkremente der Tiere die wesentliche Geruchsquelle dar. Anders ist dies in dem hier vorliegenden Schlachtbetrieb. Exkremente spielen nur im Anlieferbereich eine wesentliche Rolle, der ausweislich der Gutachten zu den Gesamtemissionen der Anlage aber nur in einem untergeordneten Umfang beiträgt.

Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Beklagten, die Anlage der Beigeladenen halte die Immissionswerte der GIRL ein, sind schließlich auch deshalb nicht veranlasst, weil ein vom Kläger aufgrund seiner Erweiterungspläne selbst in Auftrag gegebenes Gutachten der N. vom 20.11.2008 zu der selben Einschätzung gelangt. Im Rahmen einer Beurteilung der von dem Betrieb des Klägers verursachten Immissionsbelastung stellt das Gutachten fest, auf die Berücksichtigung der Vorbelastung durch viehhaltende Betriebe im Umfeld ihrer Betriebsstätten im Sinne der GIRL werde verzichtet, da innerhalb des vorangehend errechneten TA-Luft-Schutzabstands um die Anlage des Klägers keine weiteren landwirtschaftlichen Emissionsquellen vorzufinden seien. Dem von dem Kläger selbst beauftragten Gutachter erschien es offenbar fernliegend, von einer relevanten Vorbelastung aufgrund der Anlage der Beigeladenen auszugehen.

Ist mithin davon auszugehen, dass die von der Anlage verursachten Immissionen zu Lasten der hier allein relevanten Wohnbebauung unterhalb der Irrelevanzschwelle der GIRL bleiben, gehen von der Anlage schädliche Umwelteinwirkungen insofern nicht aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. mit den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.