Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.10.2010, Az.: 4 B 3887/10
Heranrückende Wohnbebauung; Rücksichtnahmepflicht; Schlachterei; Schlachterei
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 08.10.2010
- Aktenzeichen
- 4 B 3887/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 41078
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:1008.4B3887.10.0A
Rechtsgrundlagen
- 34 II BauGB
- 6 BauNVO
- Tier-LMHV
Fundstelle
- BauR 2010, 2163
Amtlicher Leitsatz
- 1..
Eine heranrückende Wohnbebauung hat keine Rücksicht auf eine bestehende handwerklich betriebene Rossschlachterei in einem faktischen Mischgebiet zu nehmen.
- 2..
Die Baugenehmigung einer Schlachterei wird in hygienerechtlicher Hinsicht durch das Zulassungsverfahren nach der Tier-LMHV ersetzt/ergänzt.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Der Wert des Streitgegenstands beträgt 10.000 €.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Der Antragsteller betreibt auf dem Grundstück Bremer Straße (= Bundesstraße 51) 18 im Ortsteil Jacobidrebber seit 21 Jahren eine Rossschlachterei. Er schlachtet selbst, zerlegt das Fleisch vor Ort und produziert Fleischerzeugnisse.
Das Schlachthaus der seit wenigstens 1954 auf dem Grundstück betriebenen Schlachterei wurde zuletzt am 04.08.1978 und 10.04.1980 baugenehmigt. In der (nicht grün gestempelten) Betriebsbeschreibung hatte die damalige Bauherrin angegeben, pro Woche 1 Stück Großvieh und 7 Stück Kleinvieh mit 2 Betriebsangehörigen zu schlachten und zu verarbeiten. Angaben zu den Betriebszeiten fehlen ebenso wie dazu, ob unter freiem Himmel oder in (geschlossenen?) Räumen geschlachtet werden soll. Das baugenehmigte Schlachthaus weist Räumlichkeiten auf, die im Grundriss mit Funktionsbezeichnungen versehen sind: an der Westseite eine Tür zu einem Raum "Anlieferung Tötebucht" und einen daran anschließenden "Schlachtraum", nördlich davon "Pökelraum" und "Reiferaum", im Osten dann "Verarbeitung". Dieser Raum ist nach Norden durch einen Flur erreichbar ist, der in der nördlichen Gebäudeaußenwand eine Tür enthält. Die Baugenehmigung vom 04.08.1978 regelt u. a., dass
- Räume, in denen Tiere geschlachtet oder frisches Fleisch be- oder verarbeitet wird, mit einer ausreichenden Zahl an Zapfstellen ausgestattet sein müssen (Punkt 21),
- die beim Kochen entstehenden Wrasen und Dämpfe belästigungsfrei abzuführen sind (Punkt 26)
- die Anlage so zu betreiben ist, dass die Nachbarschaft oder die Allgemeinheit vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen durch Immissionen geschützt wird (Punkt 35).
Ohne förmliche Baugenehmigung, aber mit Wissen des Veterinäramts des Antragsgegners änderte der Antragsteller den Betriebsauflauf und die Raumanordnung im Jahr 2009. Schlachttiere werden von Norden durch ein nach 1980 eingesetztes Rolltor in den neuen "Schlachtraum" (1980 als "Pökelraum" bezeichnet) geführt, kommen dann in die "Zerlegung" (1980: "Schlachtraum") und sodann in die "Wurstküche" (1980: "Verarbeitung"). Der 1980 genehmigte "Töteraum" ist jetzt "Lager 2". Mit Bescheid vom 04.03.2010 ließ das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelssicherheit (LAVES) u. a. das Schlachten von max. 5 Großvieheinheiten in den geänderten Räumen aufgrund § 9 Abs. 2 Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung (künftig: Tier-LMHV) in Verbindung mit Artikel 31 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, Artikel 1 und 33 sowie Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 und Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 zu.
Auf dem Grundstück des Antragstellers steht östlich des Schlachthauses ein Wohnhaus mit ehemaligem Ladengeschäft und westlich vom Schlachthaus ein Schuppengebäude, in dem zeitweise die zur Tötung vorgesehen Tiere untergestellt sind. Östlich des Grundstücks zweigt von der B 51 die Dorfstraße nach Norden ab. An der Dorfstraße liegt das unmittelbar nördlich an das Grundstück des Antragstellers grenzende Baugrundstück. Im Süden des Grundstücks des Antragstellers zweigt die Hoopener Straße von der B 51 ab, von der aus das Betriebsgelände des Antragstellers erreicht wird.
Der Beigeladene will auf seinem nördlich an das Grundstück des Antragstellers angrenzenden Grundstück, auf dem bereits weiter nördlich ein Wohn- und Geschäftshaus steht, ein teilweise zweistöckiges Mietshaus (3 Wohnungen) mit Gewerbefläche (geplant: Friseur) an der südlichen Grundstücksgrenze errichten.
Die Grundstücke des Antragstellers und des Beigeladenen sind nicht beplant, sie liegen in einem von Wohn- und Geschäftsbauten sowie dem Betrieb des Antragstellers geprägten Gebiet.
Mit Bescheid vom 28.07.2010, ergänzt durch Bescheid vom 19.08.2010, genehmigte der Antragsgegner das Vorhaben des Beigeladenen. Dabei regelte der Antragsgegner ergänzend, dass der Beigeladene Lärm- und Geruchsbelästigungen der Rossschlachterei zu tolerieren habe.
Der Antragsteller erhob hiergegen am 29.07.2010 Widerspruch, den er auch nach der Änderung aufrecht hielt.
Nachdem der Antragsteller vergebens die Aussetzung der Baugenehmigung erstrebt hatte, hat er am 13.09.2010 um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Sein Betrieb beginne vor 6 Uhr morgens, er sei besonders immissionsträchtig: Geräusche der Tiere vor der Schlachtung, Gerüche beim Schlachten und Gerüche bei der Verarbeitung seien nicht zu vermeiden. Das Schlachten von Pferden gerade vor den Augen der Bewohner des neu genehmigten Wohnhauses sei nichts für sensible Gemüter. Dies schließe es aus, direkt an seinem Grundstück ein Wohnhaus zu errichten. Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 19.08.2010 gegen die Baugenehmigung vom 28.07.2010 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen,
weil die genehmigte Wohnnutzung trotz des Betriebs des Antragstellers zulässig sei. Zwar betreibe er einen wesentlich störenden Gewerbebetrieb, doch sei der Abstand zu dem genehmigten Gebäude (Erdgeschoss 15,50 m, Obergeschoss 19,50 m) so groß, dass die Wohnbedürfnisse genügend berücksichtigt seien. Überdies sei der 2009 geänderte Betrieb des Antragstellers nicht baugenehmigt, da die Nutzung geändert worden sei. Für den neuen Schlachtraum gälten weitergehende Anforderungen als an den bislang dort genehmigten Pökelraum (Entsorgung, Hygiene usw.), eine Veränderung der Deckenhöhe sei aus statischen Gründen überdies genehmigungsbedürftig.
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
den Antrag abzulehnen,
weil sich sowohl der Betrieb des Antragstellers als auch das genehmigte Wohnvorhaben in die vorhandene Bebauung einfügten. Immissionen von dem Grundstück des Antragstellers seien trotz mehrerer Wohngebäude in der Nähe bislang nie beanstandet worden und nicht festzustellen.
Neben der Gerichtsakte waren die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Gegenstand der Entscheidungsfindung. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.
I. Der Antrag ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 80a Abs.3 Satz 2, § 80 Abs.5 Satz1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Nachbarn, von der Vollziehung der angegriffenen Baugenehmigung verschont zu bleiben, das Interesse des Bauherrn an ihrer Ausnutzung überwiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Risiko des Nachbarn, die Folgen der Verwirklichung der angegriffenen Maßnahme trotz möglichen späteren Erfolges in der Hauptsache dulden zu müssen, mit dem Risiko des Bauherrn abzuwägen, die Verwirklichung des Vorhabens trotz möglicher späterer Klageabweisung aufschieben zu müssen.
In Verfahren nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO ist "ausgewogener" Rechtsschutz zu gewähren. Denn nicht nur auf Seiten des Nachbarn drohen vollendete, weil unumkehrbare Tatsachen einzutreten, wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Auch auf der Seite des Bauherrn können solche nicht mehr gutzumachenden Folgen eintreten. Diese bestehen im Falle einer Antragsstattgabe in jedem Fall darin, die durch den Aufschub verlorene Zeit nicht nachholen und damit die in dieser Zeit erzielbaren Gewinne nicht mehr realisieren zu können. Von den Folgen des § 945 ZPO bleibt der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Nachbarstreit verschont. Aus diesem Grunde kommt in Verfahren des einstweiligen Nachbarrechtsschutzes den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Sachverhalt ist dabei in aller Regel nur summarisch zu überprüfen. Das Ergebnis dieser Prüfung gibt dem Vollzugsinteresse des Bauherrn nicht erst dann den Vorrang, wenn die Baugenehmigung danach mehr oder minder zweifelsfrei Nachbarrechte dieses Antragstellers nicht verletzt. Ein derartiger Rechtsschutz wäre nicht ausgewogen, weil er das Risiko, die Rechtmäßigkeit des Bauscheins bei nur summarischer Prüfung nicht vollständig und zweifelsfrei ermitteln zu können, einseitig auf den Bauherrn überwälzte. Dem Bauherrn ist eine einstweilige Zurückstellung seiner Bauabsichten daher nicht schon dann zuzumuten, wenn noch nicht vollständig erwiesen ist, "sein" Bauschein verletze keine Nachbarrechte. Das widerspräche auch der Wertung des Gesetzgebers, der durch § 212 a BauGB tendenziell den Bauabsichten Vorrang eingeräumt hat. Im Ergebnis kommt eine Eilantragsstattgabe daher erst dann in Betracht, wenn Überwiegendes für die Annahme spricht, der Rechtsbehelf des Nachbarn sei jedenfalls derzeit begründet (alles nach OVG Lüneburg, Beschluss vom 14.03.2007 - 1 ME 222/06 -, NdsVBl 2007, 171). Dies ist nicht der Fall.
Die Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn kann nur dann zum Erfolg führen, wenn der Bescheid rechtswidrig ist und der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Eine Baugenehmigung verletzt einen Nachbarn dann in seinen Rechten, wenn sie mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht vereinbar ist, die - zumindest auch - die Funktion haben, aus dem öffentlichen Recht erwachsende nachbarliche Rechte oder Belange zu schützen. Eine Verletzung derartiger Rechte des Antragstellers kann dieser nicht mit Erfolg geltend machen.
Die Kammer geht - wie die Beteiligten - davon aus, dass das Baugrundstück und das Grundstück des Antragstellers in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil liegen. Die Zulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen und damit auch die Verpflichtung zur Rücksichtnahme beurteilen sich aber nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB, sondern nach § 34 Abs. 2 BauGB, weil die Eigenart der näheren Umgebung bei summarischer Prüfung einem der Baugebiete nach der Baunutzungsverordnung, nämlich der eines Mischgebietes (§ 6 BauNVO) entsprechen dürfte.
In dem unbeplanten Bereich nordwestlich der (trennenden) B 51 im Bereich zwischen Dorfstraße und Hoopener Straße liegen nach dem einhelligen Vortrag der Beteiligten Wohn- und Geschäftsgebäude, zu denen eben auch die Schlachterei des Antragstellers gehört.
Sämtliche Gebäudenutzungen sind in einem Mischgebiet möglich. Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Zulässig sind nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 Wohn- und Geschäftsgebäude wie das zur Genehmigung gestellte und die abgesehen von dem Grundstück des Antragstellers vorhandene übrige Gebietsbebauung, aber auch nach § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 BauNVO sonstige Gewerbebetriebe, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Zu diesen zählt der Betrieb des Antragstellers. Zu den nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben gehören - wohl entgegen der Auffassung des Antragsgegners - auch Fleischereien mit angeschlossenem Schlachtbetrieb, in denen nur in handwerklichem Umfang geschlachtet wird. Ob der Betrieb des Antragstellers als lediglich störender - und damit mischgebietsverträglicher - oder als wesentlich störender - und damit nicht mischgebietsverträglicher - Gewerbebetrieb einzustufen ist, ist anhand seiner Emissionen zu beurteilen. Welche Emissionen der Schlachterei des Antragstellers dabei in den Blick zu nehmen sind, muss sich nach der Baugenehmigung beurteilen, denn der Zulassungsbescheid aufgrund § 9 Abs. 2 Tier-LMHV vom 04.03.2010, der das Schlachten von max. 5 Großvieheinheiten (Pferde und/oder Rinder) pro Woche zulässt, setzt zwar eine Baugenehmigung voraus, verändert diese aber hinsichtlich der immissionsschutzrechtlichen Bewertung des Betriebes des Antragstellers nicht. Die Baugenehmigung des Schlachthauses vom 04.08.1978 und 10.04.1980 enthält ausdrücklich keine Beschränkung der zu schlachtenden Tierarten und -zahl. Ihr fehlt eine Beschränkung der Betriebszeit. In der (nicht grün gestempelten) Betriebsbeschreibung hatte die damalige Bauherrin angegeben, pro Woche 1 Stück Großvieh und 7 Stück Kleinvieh mit 2 Betriebsangehörigen zu schlachten. Damit ist es dem Antragsteller möglich, im Rahmen seiner räumlichen Kapazitäten Schlachtungen jedweder Tiere zu jeder Zeit vorzunehmen. Lediglich aus der baugenehmigten Größe der baulichen Anlage sind räumliche Grenzen erkennbar, die es jedenfalls ausschließen, dass in dem Schlachthaus Tiere in einer Zahl geschlachtet werden, die eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderlich machen.
Ein Betrieb, der handwerklich Schlachtungen vornimmt, ist typischerweise ein im Mischgebiet zulässiger, nicht wesentlich störender Betrieb. Von dem Betrieb gehen Emissionen aus, die mit dem Gebietscharakter vereinbar sind. Dabei ist in der Rechtsprechung geklärt, dass solche Schlachtereien Störungen erzeugen, die einer Wohnnutzung im Wohngebiet nicht zumutbar sind (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 09.12.1983 - 6 A 79/83 -, BRS 40, Nr. 44; VGH Kassel, Beschluss vom 11.06.1990 - 4 TH 6/89 -, BRS 50, Nr. 173), weil es sich um einen störenden Gewerbebetrieb (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) handelt. Die Anlieferung lebender Tiere auf Transportfahrzeugen ist mit Lärm verbunden. Dazu kommt der Lärm, der beim Entladen der Fahrzeuge und dem Unterstellen der Tiere auf dem Schlachthaus-Grundstück und bei der Vorbereitung des Schlachtens entsteht. Regelmäßig sind die Tiere verängstigt und sehr unruhig. Vor allem Schweine sind weithin zu hören. Dazu kommen die Geräusche beim Tötungsvorgang, etwa Bolzenschussgeräte sind weithin zu hören. Im Mischgebiet dagegen ist der Wohnnutzung kein Primat eingeräumt. Dort haben die Gewerbebetriebe unzumutbare Störungen der Wohnruhe zu unterlassen; im Gegenzug muss aber auch die Wohnnutzung auf die Belange der - im Mischgebiet als gleichberechtigte Hauptnutzung zugelassenen - Gewerbebetriebe Rücksicht nehmen. Für die Beurteilung, ob der konkrete Betrieb oder die Anlage als "das Wohnen wesentlich störend" und damit im Mischgebiet unzulässig zu bewerten ist, ist im Ausgangspunkt eine typisierende Betrachtungsweise anzustellen: Der konkret zu beurteilende Gewerbebetrieb ist als unzulässig einzustufen, wenn Anlagen seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung in diesem Sinne unzumutbare Störungen hervorrufen können (vgl. Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Auflage 2003, § 6 BauNVO, Rn. 13). Schlachthäuser gehören wegen der von ihnen ausgelösten Störungen nicht typischerweise in ein Gewerbe- oder Industriegebiet, vielmehr ist zu differenzieren. Anlagen, in denen - wie hier - nur in handwerklichem Umfang geschlachtet wird, sind von solchen Anlagen zu unterscheiden, die wegen ihres Umfangs eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz erfordern. Das OVG Münster (Urteil vom 22.05.2000 - 10a D 197/98.NE -, BauR 2001, S. 369), dem die Kammer folgt, hält handwerkliche Schlachtereien für mischgebietsverträglich:
Handwerklich betriebene Schlachtereien können beispielsweise in einem Dorfgebiet als Betrieb zur Be- und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse zulässig sein. Ein Dorfgebiet kann als ländliches Mischgebiet charakterisiert werden. Das lässt den Rückschluss zu, dass eine Schlachterei, in der nur in handwerklichem umfang geschlachtet wird, nach ihrem Störgrad durchaus in einem Mischgebiet zulässig ist..."
Fügen sich somit sowohl die Schlachterei des Antragstellers als auch das Wohnbauvorhaben grundsätzlich in das faktische Mischgebiet ein, kann die Kammer auch hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung keinen Verstoß gegen das aus § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BauNVO hergeleitete Gebot der Rücksichtnahme erkennen. Danach wäre das Wohnbauvorhaben unzulässig, wenn es durch die Schlachterei Belästigungen oder Störungen ausgesetzt würde, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Dem Rücksichtnahmegebot kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Der Antragsteller gehört zu dem Kreis der Betroffenen, auf die bei der Errichtung des Wohnhauses der Beigeladenen Rücksicht zu nehmen ist.
Die Kammer folgt nicht der Auffassung des Antragsgegners, dass der Antragsteller bereits deswegen keine Rücksichtnahme gegenüber seinem Betrieb einfordern kann, weil dieser infolge einer Änderung der Betriebsabläufe über keine Baugenehmigung mehr verfügt. Der Antragsteller kann darauf verweisen, dass ihm die derzeitige Nutzung des Schlachthauses mit der Baugenehmigung im Zusammenhang mit der Zulassung nach § 9 Abs. 2 Tier-LMHV genehmigt ist.
Die Baugenehmigung vom 04.08.1978 und 10.04.1980 erlaubt den Betrieb eines handwerklich betriebenen Schlachthauses. Eine Betriebsbeschreibung ist nicht Gegenstand der Genehmigung. Der aus der Baugenehmigung erkennbare Betriebsablauf von der "Tötebucht" bis zur Verarbeitung basiert, soweit die Bauunterlagen diesen Rückschluss zulassen, auf hygienerechtlichen Erwägungen, nicht aber immissionsschutzrechtlichen. Soweit nicht der Wrasenabzug geregelt ist (Punkt 26), enthält die Baugenehmigung keine Angaben dazu, zu welcher Zeit Schlachtungen erfolgen dürfen und ob, wenn das Töten im Freien überhaupt untersagt sein dürfte (Schluss aus Punkt 21), beim Töten die Öffnungen des Schlachthauses geschlossen zu bleiben haben. Der möglicherweise Rücksichtnahme gegenüber der Nachbarschaft gebietende Lärm, der beim Entladen der Fahrzeuge, dem Unterstellen der Tiere auf dem Schlachthaus-Grundstück und bei der Vorbereitung des Schlachtens entsteht, ist offenkundig nicht als regelungsbedürftig erachtet worden und auch nicht im Sinne von Punkt 35 der Baugenehmigung seither zum Anlass nachträglicher Anordnungen gemacht worden.
Die Änderung der Raumaufteilung im Schlachthaus ist angesichts der Offenheit der Baugenehmigung keine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung. Eine Nutzungsänderung ist dann anzunehmen, wenn das öffentliche Baurecht für die veränderte Nutzung eine andere Beurteilung ergeben kann (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.10.1978 - I B 78/78 -, OVGE 34, 466). Dafür liegen keine Anhaltspunkte vor.
Selbst wenn die Baugenehmigung ursprünglich die hygienerechtlichen Anforderungen geregelt haben sollte, hat sie mit der veränderten Rechtslage diesen Regelungsgehalt verloren. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung 1978/1980 waren die hygienerechtlichen Voraussetzungen des Betriebes eines Schlachthauses von der Baubehörde zu prüfen. Mit Inkrafttreten des Tier-LMHV ist das LAVES zu der Prüfung der hygienerechtlichen Voraussetzungen des Schlachthausbetriebs berufen und hat den aktuellen Betrieb des Antragstellers auch zulassen. Die Zulassung nach § 9 Abs. 2 Tier-LMHV betrifft einen Antrag nach § 9 Abs. 1 Tier-LMHV. Dieser hat u. a. einen Betriebsspiegel und -plan mit dem Material- und Personalfluss sowie die Aufstellung der Maschinen sowie Unterlagen zu enthalten, aus denen die in den jeweiligen Räumen vorgesehene Tätigkeit ersichtlich ist. Die Zulassungsbehörde prüft u. a., ob die Voraussetzungen des Anhangs II, Kapitel I und II der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 und speziell für Schlachtbetriebe diejenigen von Anhang III, Abschnitt I, Kapitel II bis V und VII der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 in dem zur Zulassung gestellten Betrieb gegeben sind (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 178, § 9 Tier-LMHV, Rn. 18 f.), die allesamt die Räume betreffen, in denen der Schlachtbetrieb arbeitet. Alle darin geregelten Voraussetzungen betreffen die räumlichen Voraussetzungen für den Betrieb des Schlachthauses des Antragstellers. Die Zulassung durch das LAVES ersetzt - was das Hygienerecht angeht - den bislang baugenehmigten Betriebsablauf, so dass das Baurecht keine neuen Anforderungen an die veränderte Nutzung stellt, die so keiner Genehmigung bedarf.
Allenfalls der Einbau des Rolltores in der Nordwand des Schlachthauses und die Veränderung der Deckenhöhen dürften baugenehmigungspflichtig sein. Nr. 13.1 des Anhangs zu § 69 NBauO sieht für von Öffnungen für Türen in anderen als Wohngebäuden die Genehmigungsbedürftigkeit vor, doch kollidiert diese Regelung mit der Genehmigungsfreiheit von Wänden und Decken, die weder tragend noch aussteifend sind und nicht feuerbeständig sein müssen (vgl. Große-Suchsdorf u. a., NBauO, 8. Aufl., § 69, Rn.68). Unterstellt man, dass sowohl die veränderten Decken als auch die Wand mit dem Rolltor diese statischen und feuerhemmenden Aufgaben zu wahren haben, bedürfte die derzeitige Torlösung einer (weiteren) Baugenehmigung. Doch dürfte dieses im Wesentlichen statische Fragen betreffen, die den genehmigten Betriebsablauf mit seinen Auswirkungen auf die Nachbarschaft nicht in Frage stellen.
Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Betrachtungsweise spricht auch nicht Überwiegendes dafür, dass durch die Genehmigung des Wohnhauses des Beigeladenen gegenüber dem Schlachthaus des Antragstellers das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 15 Abs. 1 BauNVO objektiv und gegenüber dem Antragsteller subjektiv verletzt wird. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bezweckt die einzelfallbezogene "Feinabstimmung", indem er Anlagen, die nach der "Grobabstimmung" der §§ 2 bis 14 BauNVO zulässig wären, für nicht genehmigungsfähig erklärt, wenn sie im Einzelfall nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Die Differenzierung bei der Bestimmung des Schlachthauses als misch- oder nicht mischgebietsverträglich wirkt sich auf die Bestimmung des Gebots der Rücksichtnahme aus (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.11.1983 - 6 B 110/83 -, BRS 42, Nr. 197). Ein hinzutretendes Wohnvorhaben kann dann "rücksichtslos" sein, wenn es Ursache für zusätzliche immissionsschutzrechtliche Auflagen von gewissem Gewicht für den bestehenden und aufgrund seiner zeitlichen Priorität auch schutzwürdigen Gewerbebetrieb oder landwirtschaftlichen Betrieb ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.11.1985 - 4 B 202/85 -, NVwZ 1986, 469). Solche nachträglichen Anordnungen können grundsätzlich auch gegenüber bestandsgeschützten Anlagen ergehen (BVerwG, Beschluss vom 26.08.1988 - 7 B 124/88 -, NVwZ 1989, 257). Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, sind in diesem Falle gegeneinander abzuwägen. Bei einem zu bestehender Bebauung hinzutretenden Vorhaben sind daher nicht nur die von diesem verursachten Immissionen zu prüfen, sondern es ist auch zu untersuchen, welchen Immissionen aus einer vorhandenen Anlage es seinerseits ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1982 - 4 C 28/81 -, DVBl. 1983, 349).
Konflikte im letzteren Sinn treten vor allem beim "Heranrücken" immissionssensibler Wohnbebauung an einen bestehenden immissionsintensiven Gewerbebetrieb oder landwirtschaftlichen Betrieb auf. Ist die Gebietseigenart, wie hier, durch ein Nebeneinander von gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung geprägt, so sind die jeweiligen Grundstücke mit einer gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht belastet in der Weise, dass die gewerbliche oder landwirtschaftliche Nutzung die von ihr ausgehenden Belästigungen in Grenzen halten und die benachbarte Wohnbebauung ihre Nähe zur Belästigungsquelle im Sinn eines (in Würdigung der jeweiligen Einzelumstände und nicht schematisch festzulegenden) "Mittelwerts" schutzmindernd respektieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1984 - 4 B 171/83 -, NVWZ 1984, 646). Bei dieser Bewertung sind auch "Vorbelastungen" eines Grundstücks zu beachten. Sie können dazu führen, dass dem Schutz des Wohnens ein geringerer Stellenwert zukommt und Beeinträchtigungen im weitergehenden Maße zumutbar sind, als sie sonst in dem betreffenden Baugebiet hinzunehmen wären (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 - 4 C 6.98 -, BRS 62 Nr. 86; OVG Münster, Urteil vom 20.09.2007 - 7 A 1434/06 -, BauR 2008, 71).
In diesem Sinne hat der Antragsteller voraussichtlich nicht mit nachträglichen Anordnungen zu rechnen, die seinen (genehmigten) Betriebsablauf betreffen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beigeladene sein Vorhaben in einem Bereich verwirklicht, der bereits seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts durch Schlachttätigkeit geprägt und damit mit Immissionen vorbelastet ist, die in einer immer weniger von Landwirtschaft geprägten Umgebung immer belastender wahrgenommen werden. Dabei verändert sich die Zumutbarkeitsbewertung grundsätzlich nicht dadurch, dass der Beigeladene sich bereit erklärt hat, die vom Betrieb des Antragstellers ausgehenden Immissionen hinzunehmen. Denn das baurechtliche Rücksichtnahmegebot stellt nicht personenbezogen auf die Eigentumsverhältnisse oder die Nutzungsberechtigten zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Dem Beigeladenen war jedoch seit Beginn seiner Planungen die Existenz der baugenehmigten Schlachterei bekannt und er musste davon ausgehen, dass die von ihm geplante Wohnnutzung nicht das gleiche Maß an "Störungsfreiheit" genießen kann wie eine Wohnnutzung im allgemeinen oder reinen Wohngebiet. Für die Kammer liegt es auf der Hand, dass das Schlachten von Pferden in unmittelbarer Nachbarschaft zu Störungen führen kann, die "sensible Gemüter" nur schwer ertragen. Hält der Beigeladene, der ebenso wie der Antragsteller zur Rücksichtnahme auf die Bebauung in seiner Nachbarschaft verpflichtet ist, in Kenntnis dieser Vorbelastung dennoch an seinen Wohnbauplänen fest, so liegt es in seinem Verantwortungsbereich, durch die Ausrichtung der besonders empfindlichen Räumlichkeiten, des Außenwohnbereichs und die bauliche Ausgestaltung im gewissen Umfang architektonische Selbsthilfe zu üben. § 15 Abs. 1 Satz 2 2. HS BauNVO kommt nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht die Funktion zu, den Bauherrn in jedem Fall vor sich selbst zu schützen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
II. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und den regelmäßigen Streitwertannahmen der Bausenate beim Nds. OVG (Nds. VBl. 2002, 192). Diese sehen für die Beeinträchtigung von gewerblichen Betrieben einen Streitwertrahmen von 5.000 bis 100.000,- € für das Hauptsacheverfahren vor (Nr. 8 d). Das Gericht nimmt für ein Hauptsacheverfahren wegen der bescheidenen Größe des Betriebs des Antragstellers einen Streitwert in Höhe von 20.000,- € an. Dieser Wert ist für das Eilverfahren zu halbieren.