Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 25.11.2016, Az.: 10 A 3338/16

Fußballbezogene Gewalt; Gefahrenprognose; Gefahrenverdacht; Hooligan; Hooltra; Problemfan; Ultra

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
25.11.2016
Aktenzeichen
10 A 3338/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43389
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Prognose künftiger Straftaten im Sinne des § 17 Abs. 4 Nds. SOG kann schon dann getroffen werden, wenn der Betroffene Adressat präventivpolizeilicher Maßnahmen war, aber bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
2. Erforderlich ist in diesem Fall, dass der Betroffene wenigstens einmal in einem auf Straftaten gerichteten Kontext durch hinreichend klares Handeln polizeilich in Erscheinung getreten ist. Handlungen aus dem Bereich der fußballbezogenen Gewalt stellen einen solchen auf Straftaten gerichteten Kontext dar.
3. Trägt nicht schon die einmalige Handlung aufgrund ihrer Schwere die Prognose oder liegt eine Handlung mit hinreichendem Unwert schon längere Zeit zurück, muss die Prognose durch weitere Erkenntnisse aufgeweitet werden. Hinreichend ist dann, dass der Betroffene (zuvor oder seitdem) zweimal oder häufiger im Umfeld sportbezogener Gewalt in Erscheinung getreten ist. Dabei bedarf es keiner vollständigen Aufklärung einzelner Vorwürfe oder Handlungen – es genügt die Nähe zu Situationen, in denen es zu fußballbezogenen Gewalttaten kommt.
4. In einem dritten Prüfungsschritt kann die Prognose aufgrund entlastender, insbesondere in der Person des Betroffenen liegender Umstände entkräftet werden (hier verneint).

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen ein langfristiges polizeiliches Aufenthaltsverbot für mehrere Bereiche im Stadtgebiet der Landeshauptstadt A-Stadt.

Er ist Anhänger von K. und wird von der Beklagten den sogenannten Problemfans zugeordnet. Der Kläger sei mehrfach im Zusammenhang mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fangruppen angetroffen und identifiziert worden. Er sei eine Führungsfigur der hannoverschen Ultra-Szene. Die Beklagte bezieht sich dabei auf die folgenden Erkenntnisse:

Am 3. November 2013 sei der Kläger Angehöriger einer Gruppe gewesen, aus der heraus zwei Personen im Vorfeld der Erstligabegegnung zwischen K. und L. im Umfeld des Niedersachsenstadions genötigt worden seien, ihre Personalausweise zu zeigen, um sie auf ihre Herkunft (ggf. aus M.) zu prüfen.

Am 4. April 2015 sei die Identität des Klägers in N. festgestellt worden, als er im Zusammenhang mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern von K. und O. am Hauptbahnhof N. angetroffen und überprüft worden sei.

Am 12. September 2015 sei seine Identität als Angehöriger einer Gruppe von ca. 100 Personen festgestellt worden, die sich auf dem P. versammelt teilweise vermummt und versucht hätten, in Kleingruppen zum Hauptbahnhof A-Stadt zu gelangen, um dort die körperliche Auseinandersetzung mit einer Gruppe rivalisierender Fans von Q. zu suchen. Bei Eingreifen der Polizeikräfte seien einige Personen in einen nahen Supermarkt geflohen, dort sei der Kläger angetroffen worden.

Am 21. November 2015 sei seine Identität nach körperlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Anhängern der Vereine K. und R. als Angehöriger einer Gruppe von 234 Personen mit Bezug zum Verein K. festgestellt worden. Die Gruppe sei im Bahnhof S. kontrolliert und wieder Richtung A-Stadt zurückgewiesen worden.

Am 5. März 2016 sei am Vorabend des Auswärtsspiels von K. gegen den T. eine verabredete Drittortauseinandersetzung durch Polizeikräfte im Vorfeld verhindert worden. Im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung sei ein Telefonat aufgezeichnet worden, in dem erwähnt werde, dass „selbst [der Kläger] und das KH“ dabei seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. Mai 2015 erteilte die Beklagte unter Bezugnahme auf die Vorfälle vom 4. Mai 2015, 12. September 2015 und 21. November 2015 nach Anhörung des Klägers diesem unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Aufenthaltsverbot, das sich zeitlich und örtlich an allen Heimspielen des Fußball-Zweitligisten K. und des Regionalligisten K. II in der Saison 2016/2017 orientiert. Das Aufenthaltsverbot beansprucht jeweils Geltung für die Dauer von 6 Stunden vor Spielbeginn bis 6 Stunden nach Spielende; die von der Deutschen Fußball Liga bereits festgelegten Rahmendaten für die einzelnen Spieltage sind der Verfügung mit dem Hinweis beigefügt, dass die konkreten Tage der Spiele noch nicht bestimmt seien.

Örtlich bezieht sich die Verfügung bei den Heimspielen der Zweitligamannschaft im Niedersachsenstadion auf eine – in der Anlage der Verfügung kartiert dargestellte – Verbotszone, die vom Hauptbahnhof im Norden bis zum U. im Süden und von der V. im Westen bis zum W., der X. und der Y. im Osten reicht, und bei den Heimspielen der Regionalligamannschaft auf eine Verbotszone, die – ebenfalls kartiert – durch die Z. im Norden, die Straßenzüge AA., AB., AC. und AD. im Osten, die Stadtgrenze der Landeshauptstadt A-Stadt im Süden und im Westen durch die Straßenzüge AE., AF., AG., AH. und AI. begrenzt ist. Für Spiele der Regionalligamannschaft im AJ. ist eine weitere Verbotszone ausgewiesen, die im Norden durch den AK. und den Radweg südlich des Deutschen Tennisvereins, im Osten durch den Radweg östlich der Sportplätze und den AL., im Süden durch die AM. und im Westen durch die AN. und deren gedachte Verlängerung bis zur AM. begrenzt ist. Mit dem Aufenthaltsverbot wird auch jegliche Durchfahrt durch die Verbotszonen einschließlich der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und von Sonder- und Entlastungszügen untersagt. Innerhalb der Verbotszone „Fußballveranstaltungen AO. -Arena“ liegen die U-Bahn-Stationen AP., AQ., AR., AS. und J. sowie die oberirdischen Straßenbahnstationen Y., Hauptbahnhof, AR., AT., AU., AV. und AW.. Mit der Verfügung wird dem Kläger ein gestaffeltes Zwangsgeld für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht.

Zur Begründung führte die Beklagte aus, anhand der polizeilichen Erkenntnisse und der Feststellungen ihrer Szenekundigen Beamten sei zu erwarten, dass sich der Kläger an Spieltagen innerhalb der als Verbotszonen beschriebenen Bereiche aufhalten und die Auseinandersetzung mit gegnerischen Fußballfans suchen und anlassbezogene Straftaten begehen werde. Ein kurzfristiger Platzverweis sei nicht geeignet, solche Taten zu verhindern, denn er sei nur in engem zeitlichen und örtlichen Rahmen möglich. Wegen der Häufigkeit der Spieltage und der im gesamten Innenstadtbereich drohenden Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fußballfans könne ein Platzverweis daher drohende Auseinandersetzungen nicht so wirksam verhindern wie ein großräumiges Aufenthaltsverbot.

Hiergegen hat der Kläger am 1. Juni 2016 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat die Kammer mit Beschluss vom 25. Juli 2016 – 10 B 3186/16 – abgelehnt.

Der Kläger hält das Aufenthaltsverbot für rechtswidrig, weil er keinen Anlass für die Annahme gebe, dass er während der Verbotszeiten innerhalb der Verbotszonen die prognostizierten Straftaten begehen werde. Er sei ein überaus engagierter Fußballfan, der sein Handlungsfeld jedoch auf rechtlicher Ebene und im Aktivismus für Fanrechte sehe. Er sei weder als „Gewalttäter Sport“ in der gleichnamigen polizeilichen Verbunddatei gespeichert noch seitens des Vereins K. mit einem Stadionverbot belegt worden. Auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Fußballspielen sei gegen ihn nie anhängig gewesen. Die von der Beklagten angeführten Identitätsfeststellungen seien Sammelmaßnahmen gewesen, denen eine Vielzahl – auch unbeteiligter – Personen unterworfen worden sei. In keiner Situation sei der Kläger selbst als Störer festgestellt worden; der Kreis der Störer sei nie so klar abgegrenzt gewesen, dass er nicht zwischen dem Anlass der Maßnahmen und der Identitätsfeststellung hätte hinzugekommen sein können. Er wisse nicht, wie er sich als einfacher Fußballfan noch verhalten könne, um von der Polizei nicht wie ein tatsächlicher Störer behandelt und Adressat polizeilicher Maßnahmen zu werden.

Die Identitätsfeststellung in N. am 4. April 2015 habe eine Vielzahl von Personen betroffen und sei erst eine Stunde nach den körperlichen Auseinandersetzungen erfolgt, die die Beklagte als Anlass für die Identitätsfeststellung bezeichne. Er sei an den vorhergehenden Auseinandersetzungen nicht beteiligt gewesen, sondern habe sich, als er mitbekommen habe, dass „es gleich losgehen solle“ am Bahnhofsausgang aufgehalten und sei dort geblieben. Es gebe Videoaufzeichnungen des Geschehens; wenn der Kläger daran beteiligt gewesen wäre, hätte er anhand der Aufzeichnungen identifiziert werden können. Der Zusammenhang zwischen der Auseinandersetzung und der Identitätsfeststellung sei konstruiert; tatsächlich sei die Identitätsfeststellung anlasslos erfolgt.

Bei dem Vorfall in AX. am 22. November 2015 habe sich der Kläger mit zahlreichen anderen Fans und Mitarbeitern des Fanprojekts K. in einem Sonderzug befunden, als kurz vor dem Bahnhof S. eine unbekannte Person die Notbremse gezogen habe. Nach der öffentlichen Darstellung der Fanbeauftragten von K. sei der Zug sodann unvermittelt von außen von Randalierern angegriffen worden, die teilweise vermummt waren und versucht hätten, Fanmaterialien der Anhänger von K. zu entwenden. Die Aggression sei von den Angreifern ausgegangen, die Fans von K. hätten sich, auch während der nachgehenden polizeilichen Maßnahmen, ruhig und kooperativ verhalten. Die Bundespolizei habe ihm mitgeteilt, dass er zu diesem Vorfall lediglich als Zeuge geführt werde. Dass seine Identität festgestellt worden sei, gebe daher keinen Aufschluss darüber, dass er als Handlungsstörer in Anspruch genommen worden sei. Der polizeiliche Verlaufsbericht enthalte keine Feststellungen, wie viele Personen den Zug verlassen hätten und hinter den Angreifern hergelaufen seien. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass tatsächlich alle der 238 kontrollierten Personen die Angreifer verfolgt hätten. Die Polizei habe nur 15 Personen in dem Zug der (Fan-)Kategorie C und 100 Personen der Kategorie B zugeordnet. Soweit die Beklagte weiter ausführe, dass auf dem Heimweg 50 Personen in einer Kneipe in AY. randaliert hätten, sei er daran nicht beteiligt gewesen.

Die Identitätsfeststellung nach dem Heimspiel gegen Q. am 21. November 2015 sei nicht im Hauptbahnhof erfolgt, sondern in einem Supermarkt am AZ., in dem der Kläger gerade an der Kasse gestanden habe. Er sei dort aufgefordert worden, sich auszuweisen. In einer Gruppe von ca. 100 teilweise vermummten Personen habe er sich nicht befunden. Daneben sei auch die von der Beklagten angeführte Gruppe von BA. Fans nicht am Hauptbahnhof gewesen. Die BA. Problemfans seien nach dem Spiel von BB. aus abgeleitet worden. Soweit sie nicht mit Autos oder Bussen angereist seien, seien sie zum Bahnhof BC. gebracht worden. Am Hauptbahnhof hätten sie sich nicht aufgehalten.

An einer verabredeten Drittortauseinandersetzung im Vorfeld des Auswärtsspiel gegen den T. habe er nicht teilgenommen und auch nicht teilnehmen wollen. Ein abgehörtes Telefongespräch zwischen Dritten sei kein hinreichender Anhaltspunkt für seine Teilnahme. Die Telefonüberwachung sei außerdem rechtswidrig erfolgt, der Inhalt des Telefonats nicht verwertbar.

Er selbst habe in der Saison 2014/2015, als Teile der entschiedenen Anhänger von K. anstelle der Erstligaspiele die Spiele der Amateurmannschaft besucht hätten, kein einziges Mal das Stadion AB. aufgesucht. Gleichwohl prognostiziere die Klägerin, dass er dort künftig Straftaten begehen werde. Sie beziehe sich dabei außerdem auf wenigstens zwei Vorfälle bei Auswärtsspielen, die gerade nicht innerhalb der Verbotszonen stattgefunden hätten.

Soweit die Verfügung sich auch auf „Freundschaftsspiele“ erstrecke, sei sie nicht hinreichend bestimmt. Weder im Profi- noch im Amateurbereich trete K. zu Freundschaftsspielen an, sondern allenfalls zu Testspielen. Ob diese mit dem Begriff der Freundschaftsspiele erfasst seien, bleibe unklar.

Die Verfügung sei weiterhin unverhältnismäßig. Die Dauer von sechs Stunden vor Spielbeginn bis sechs Stunden nach Spielende lasse die unterschiedlich langen Anreisewege der gegnerischen Fans und deren erwartete Ankunftszeiten außer Betracht. Auch eine Differenzierung der Spiele in Risikoklassen anhand der Erkenntnisse der Szenekundigen Beamten der Beklagten treffe die Verfügung nicht, sondern untersage ihm den Besuch jedweder Spiele.

Auch der räumliche Geltungsbereich des Aufenthaltsverbots sei zu weit gefasst und daher übermäßig. Dass die Beklagte den Geltungsbereich für bis zu 45 Personen identisch festlege, sei ein Indiz für fehlende individuelle Gefahrenprognosen und einen Ermessensausfall. Gleiches gelte für den Umstand, dass der Kläger ohne sachgerechten Anknüpfungsgrund die gleiche Behandlung erfahre wie andere Adressaten, die aufgrund einschlägiger Ermittlungsverfahren eine wesentlich „schlechtere“ Gefahrenprognose rechtfertigten.

Die Beklagte habe möglicherweise unvollständige Vorgänge vorgelegt. Sie nehme in verschiedenen Parallelverfahren auf einen Email-Austausch zwischen der Polizeiinspektion West und der sachbearbeitenden Dienststelle Bezug, die nicht in dem vorgelegten Vorgang abgebildet sei.

Der Kläger beantragt,

die Verfügung der Beklagten vom 23. Mai 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Der Kläger sei schon mehrmals im Zusammenhang mit Gewalttätigkeiten am Rande von Fußballspielen in Erscheinung getreten.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte (erstmals) mitgeteilt, dass der Kläger zwischenzeitlich in der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ gespeichert sei.

Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Vorgangs der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die als Anfechtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid vom 23. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

I. Die Verfügung ist, auch soweit sie auf „Freundschaftsspiele“ Bezug nimmt, hinreichend bestimmt. Gemeint sind damit erkennbar alle Spiele, die nicht Pflichtspiele sind.

II. Die Beklagte kann das gegen den Kläger gerichtete Aufenthaltsverbot auf § 17 Abs. 4 Nds. SOG stützen. Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG kann einer Person für eine bestimmte Zeit verboten werden, einen bestimmten örtlichen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person in dem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird. Nach Satz 2 der vorgenannten Vorschrift ist örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet.

Die Beklagte hat zu Recht angenommen, dass der Kläger im Geltungsbereich des Aufenthaltsverbots künftig Straftaten begehen wird.

Die Annahme darf sich nicht lediglich auf allgemeine Erfahrungssätze, vage Vermutungen oder unzureichende Anhaltspunkte gründen, sondern es bedarf weiterer Tatsachenfeststellungen, etwa über ein besonders aggressives Verhalten der Person, das Mitführen von Waffen oder Werkzeugen oder über frühere Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit gleichartigen Situationen oder Veranstaltungen (vgl. Böhrenz/​Unger/​Siefken, Nds. SOG, 8. Auflage, § 17, Erl. 14). Ermittlungen oder Verurteilungen wegen einschlägiger Straftaten können hinreichende Kriterien für die Prognose künftiger Straftaten darstellen, sind aber nicht zwingend notwendig. Die polizeiliche Gefahrenprognose kann sich vielmehr auch auf Vorfälle stützen, die nicht in Strafverfahren oder Verurteilungen münden (vgl. VG Braunschweig, Beschluss vom 8.6.2006 – 5 B 173/06 –, juris Rn. 31). Insbesondere muss dem Einzelnen nicht die Begehung konkreter Taten nachgewiesen werden (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 21.7.2011 – 10 B 2096/11 –, juris; VG Freiburg, Urteil vom 15.4.2016 – 4 K 143/15 –, juris; VG Köln, Beschluss vom 21.8.2015 – 20 L 2023/15 –, juris; VG Minden, Beschluss vom 2.10.2014 – 11 L 763/14 –, juris; VG Aachen, Beschluss vom 26.4.2013 – 6 L 170/13 –, juris; VG Arnsberg, Beschluss vom 1.7.2009 – 3 L 345/09 –, juris).

Hinreichende Anhaltspunkte im Sinne des § 17 Abs. 4 Nds. SOG können sich bereits daraus ergeben, dass ein tatsächliches Verhalten des Betroffenen in einen Kontext einzuordnen ist, der seinerseits eine hohe Wahrscheinlichkeit für die drohende Begehung von Straftaten aufweist. Das ist bei dem hier betroffenen Phänomen fußballbezogener Gewalt der Fall. Zum einen sind Rohheitsdelikte, Sachbeschädigungen und Landfriedensbrüche in der gewalttätigen „Problemfanszene“ weithin akzeptiert, werden bewusst begangen und legitimiert. Die in der „Szene“ begangenen Straftaten haben ein typisches Erscheinungsbild und stellen sich als Deliktstyp dar, der aus der homogenen Gruppe heraus initiiert und gesteigert wird. So erfolgen körperliche Auseinandersetzungen häufig blitzartig und zwischen kleineren oder größeren Gruppen, deren Angehörige sich unkenntlich machen und sich nach kurzen Zusammenstößen sofort zerstreuen und entfernen. Die gewaltbereite Szene agiert zudem aus einem unterstützenden Umfeld heraus; schon die bloße Anwesenheit von Gleichgesinnten trägt und steigert die Bereitschaft, Straftaten zu begehen bei denjenigen, die dem Kernbereich der Gruppe zuzurechnen sind und aus ihrer Anonymität heraus agieren. Die Gruppen planen zudem Auseinandersetzungen im Voraus und steuern und organisieren ihre eigenen Kräfte durch Aufklärung des Verhaltens und der Bewegung der rivalisierenden Fangruppen. Auch ein Verhalten, das nicht auf den ersten Blick oder mit der für die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens hinreichenden Gewissheit einen Straftatbestand erfüllt, kann demnach auf die Ermöglichung oder Erleichterung von Straftaten gerichtet sein.

Zum anderen werden zahlreiche beabsichtigte Straftaten nur deshalb nicht verwirklicht, weil die Polizei mit großem personellen Aufwand versucht, Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und Rohheitsdelikte im Vorfeld zu verhindern und hierzu rivalisierende Fangruppierungen voneinander zu trennen.

Kann die Prognose künftiger Straftaten danach grundsätzlich auch dann getroffen werden, wenn der Betroffene selbst bisher keiner Straftaten verdächtig war oder ihretwegen verurteilt worden ist, bedarf die Prognose im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG in diesen Fällen einer eingehenden Prüfung und Einordnung der vorliegenden Erkenntnisse.

Auf der ersten Stufe bedarf es jedenfalls einer Handlung, mit der der Betroffene in einem auf Straftaten gerichteten Kontext mit hinreichender Sicherheit selbst aktiv in Erscheinung getreten ist (1.). Eine solche Handlung kann, wenn ihr ein erheblicher strafrechtsrelevanter Unwert beizumessen ist und sie nicht zu lange in der Vergangenheit liegt, die Prognose künftiger Straftaten auch allein tragen. Ist dies nicht der Fall, ist die Betrachtung des Einzelvorfalls – in einer zweiten Stufe – durch Heranziehung weiterer Erkenntnisse zu einer zukunftsgerichteten Prognose aufzuweiten. Für diese genügt es, wenn der Betroffene weitere Male (zuvor oder erneut), d. h. um vereinzelte Zufälligkeiten auszuschließen in wenigstens zwei weiteren Fällen, in einem auf die Begehung von Straftaten gerichteten, fußballbezogenen Kontext in Erscheinung getreten ist, ohne dass es auf dieser Stufe einer vollständigen Aufklärung seiner Beteiligung an Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit bedarf. Es genügen insofern Kenntnisse, dass der Betroffene sich häufiger im Bereich fußballbezogener Gewalt bewegt und im Umfeld anderer Störer in Erscheinung trat (2.). Auf einer dritten Stufe kann der Betroffene die Prognose durch konkrete Anhaltspunkte widerlegen, etwa durch eine glaubhafte kritische Auseinandersetzung mit fußballbezogener Gewalt, die zu einer Distanzierung von den vorgeworfenen Handlungen führt, oder andere Umstände (3.).

Nach diesen Maßstäben ist die Prognose der Beklagten, der Kläger werde im Geltungsbereich des Aufenthaltsverbots (fußballbezogene) Straftaten begehen, nicht zu beanstanden.

1. Der Kläger war am 3. November 2013 Angehöriger einer Gruppe von fünf oder sechs Personen, aus der heraus zwei Personen im Vorfeld der Erstligabegegnung zwischen K. und L. gegen Mitternacht im Nahbereich des Niedersachsenstadions genötigt wurden, ihre Personalausweise zu zeigen, um sie auf ihre Herkunft (ggf. aus M.) zu prüfen. Er erhielt einen Platzverweis und seine Identität wurde festgestellt, nachdem sich die genötigten Personen als Polizeibeamte identifiziert und den Haupttäter festgenommen hatten. Der Kläger erhob zwar nicht selbst die Hand gegen die betroffenen Personen, er stand bei diesem Vorfall aber hinter den Betroffenen und versperrte ihnen dadurch den Fluchtweg. Bei der anschließenden Durchsuchung seines Fahrzeugs fanden die Beamten eine schwarz-weiß-grüne Sturmhaube.

Die Kammer bewertet diesen Vorfall zum einen als hinreichend klare eigene Beteiligung des Klägers in einem auf Straftaten gerichteten Kontext. Er ist selbst als Störer in Anspruch genommen worden und erhielt einen Platzverweis. Die Situation mündete in ein Strafverfahren gegen den Haupttäter wegen Nötigung, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Daneben misst die Kammer diesem Vorfall ein erhebliches Handlungsunrecht bei. Die im Fahrzeug des Klägers gefundene Sturmhaube ordnet die Kammer nicht den üblichen Bekleidung- und Ausstattungsgegenständen „normaler“ Fußballfans zu. Die Aktionsform nächtlicher „Bürgerwehren“ im Nahbereich des Niedersachsenstadions sieht die Kammer als deutlichen Hinweis auf eine Bereitschaft und Neigung des Klägers, im Zusammenhang mit Fußballspielen Recht und Ordnung nach eigenen Maßstäben durchzusetzen.

Ungeachtet seiner erheblichen Schwere liegt der Vorfall vom 3. November 2013 allerdings zu lange zurück, als dass er allein – unter Umgehung der Stufe 2 – als Anknüpfungstatsache für das verfügte Aufenthaltsverbot dienen kann.

2. Dass es sich bei diesem Vorfall trotz des längeren zeitlichen Abstands nicht um einen Einzelfall aus Abenteuerlust und einmaligem Mitläufertum gehandelt hat, zeigen – neben dem fortgeschrittenen Alter des Klägers – die Vorfälle in BD. am 4. Mai 2015, am P. am 12. September 2015 und in BE. am 21. November 2015, bei denen der Kläger jeweils im Nahbereich unfriedlicher Vorfälle und/oder in Gesellschaft von Störern mit dem Bezug zu Fußballereignissen angetroffen wurde. Bei den Vorfällen in BD. und S. kam es vor dem Einschreiten der Polizei zu erheblichen körperlichen Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen. Bei der Identitätsfeststellung am 12. September 2015 konnten die Einsatzkräfte ein Zusammentreffen rivalisierender Gruppierungen verhindern. Auch dabei wurde der Kläger im unmittelbaren Umfeld der Störergruppe angetroffen, bei der Absetzbewegung beobachtet und in der Nähe angetroffen.

3. Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, diese Anhaltspunkte für die Prognose künftiger Straftaten zu wiederlegen. Er macht im Wesentlichen geltend, entschieden für „Fanrechte“ einzutreten und eine hervorgehobene Funktion innerhalb der Fanszene einzunehmen, deren Interessen aber ausschließlich gewaltfrei wahrzunehmen. Er kämpfe allenfalls auf dem Gebiet des Rechts.

Dahingehende Anhaltspunkte vermag die Kammer allenfalls in Bezug auf die Identitätsfeststellung am S-Bahn-Haltepunkt S. am 21. November 2015 zu erkennen. Dort hat der Kläger in der Tat Kontakt zu einem Mitarbeiter des Fanprojekts A-Stadt aufgenommen, nach einem szenekundigen Beamten der hannoverschen Polizei schicken und sich die polizeilichen Maßnahmen erläutern lassen. Welche Auffassung er zu den Auseinandersetzungen vertrat, die sich unter Beteiligung hannoverscher Anhänger außerhalb des Zuges und teilweise im angrenzenden Straßenraum abspielten, hat der Kläger in diesem Zusammenhang - auch im gerichtlichen Verfahren - nicht erläutert. Er hat sich auch nicht dazu verhalten, dass die Einsatzkräfte unter Beteiligung mindestens eines szenekundigen Beamten aus A-Stadt vor Ort durchaus eine Unterscheidung zwischen Problemfans und „normale Fans“ getroffen haben und letztere die Sperrlinien haben passieren lassen.

Soweit der Kläger zu dem Vorfall in N. geltend macht, er habe sich, „als er hörte, dass es ggf. gleich losgehen sollte“, zurückgehalten und am Bahnhofseingang stehend abgewartet, hat er keine nachvollziehbare Erklärung dafür abgegeben, weshalb er sich vom Servicepoint in der Haupthalle des Bahnhofs nicht direkt zum Gleis begeben hat, sondern ebenso wie die Gruppe der Störer in entgegengesetzter Richtung zum Ausgang des Bahnhofs geeilt ist. Der Kläger wohnte sodann in einem Abstand von allenfalls 50 Metern einer Massenprügelei von ca. 100 Beteiligten bei, die sich wiederum über eine Strecke von 40 bis 50 Metern einschließlich zweier Querstraßen und Straßenbahngleise hinzog. Dies Verhalten erscheint der Kammer nicht geeignet, jedwede Absicht zur Auseinandersetzung auszuschließen, zumal der Kläger unter der Beobachtung von Bundespolizisten stand. Eine Wahrnehmung von „Fanrechten“ vermag die Kammer in seinem Verhalten selbst dann nicht zu sehen, wenn er die Auseinandersetzung als Zeuge beobachten wollte, da die dort erfolgte Auseinandersetzung ersichtlich nicht auf die Unterstützung einer Fußballmannschaft, sondern auf Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Körperverletzung gerichtet war.

Das Vorbringen des Klägers zu dem Vorfall auf dem P., er habe sich hunderte Meter entfernt in einem Supermarkt befunden und keinerlei Kenntnis von Auseinandersetzungen oder dahingehenden Absichten gehabt, wird dadurch widerlegt, dass Einsatzkräfte der Polizei fußballbezogene Störer bei der Flucht aus dem Bereich des P. es in mehreren Gruppen beobachteten und den Kläger bis zu dem Supermarkt verfolgten. Was der Kläger, der BF. wohnt, relativ kurz nach Spielende in einem Supermarkt in der Oststadt für Einkäufe zu erledigen hatte, konnte er nicht darlegen. Dass er sich beim Eintreffen von Polizeikräften aus der Gruppe entfernte, spricht wiederum gegen seinen Aufenthalt als Führungsposition der Szene zur bloßen Wahrnehmung von „Fanrechten“.

III. Auch die übrigen Einwände des Klägers gegen die Verfügung greifen nicht durch. Die Verfügung ist verhältnismäßig. Sie ist insbesondere geeignet, anlassbezogene Straftaten des Klägers im Zusammenhang mit fußballbezogener Gewalt zu verhindern. Die fortbestehende Möglichkeit, bei Auswärtsspielen die Auseinandersetzung mit gegnerischen Gruppierungen zu suchen oder Drittortauseinandersetzungen außerhalb der Verbotszone zu verabreden, stellt die Geeignetheit der Verfügung nicht in Frage. Denn geeignet ist eine Maßnahme nicht erst dann, wenn der mit ihr verfolgte Zweck sicher und vollständig erreicht wird, sondern bereits dann, wenn sie diesem Zweck förderlich ist. Das ist hier schon dadurch gegeben, dass mit der Verfügung die Beteiligung des Klägers an Auseinandersetzungen im Nahbereich der Sportstätten und entlang der Hauptrouten zwischen dem Niedersachsenstadion und dem Hauptbahnhof eingedämmt werden kann. Zugleich werden mögliche Drittortauseinandersetzungen an weniger von Publikumsverkehr frequentierte und weniger verkehrsgünstige Orte verdrängt. Hierdurch wird einerseits das polizeiliche Einschreiten in solchen Situation deutlich erleichtert, weil die Störer besser identifizierbar sind und nicht in Menschenmengen und engen Straßen, Gaststätten oder Geschäften der Innenstadt untertauchen können; zum anderen werden weniger unbeteiligte Passanten durch solche Auseinandersetzungen gefährdet.

Soweit der Kläger rügt, dass der zeitliche Rahmen der Verfügung übermäßig sei, greift sein Einwand nicht durch. Die von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren ergänzend eingeführte Beschreibung der Verabredung einer Drittortauseinandersetzung am 4. März 2016 und eine pressebekannte Drittortauseinandersetzung am 4. November 2016 zeigen ebenso wie die „Bestreifung“ des Nahbereichs des Niedersachsenstadions schon Tage vor der eigentlichen Begegnung, dass Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unabhängig vom Anreiseweg der Gastmannschaft stattfinden können oder verabredet werden. Wenn angesichts dessen der zeitliche Geltungsbereich überhaupt auf Heimspieltage beschränkt wird, ist es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten angemessen, dem zeitlichen Umfeld der jeweiligen Spielpaarung in genereller Betrachtungsweise eine höhere Wahrscheinlichkeit für Auseinandersetzungen beizumessen, ohne nach der jeweiligen Gastmannschaft oder ähnlichen Umständen des Einzelfalls zu differenzieren. Insofern muss der Kläger gegen sich gelten lassen, dass das Phänomen fußballbezogener Gewalt seinerseits weitgehend irrationalen Maßstäben folgt, die sich mit den Grundsätzen der polizeirechtlichen Dogmatik nur eingeschränkt abbilden lassen. So birgt etwa die Herausnahme „offensichtlich ungefährlicher“ Spielpaarungen etwa der Regionalliga die Gefahr, dass solche Begegnungen erst durch ein insoweit beschränktes Aufenthaltsverbot seitens der Problemfanszene als zulässige Ausweichmöglichkeit begriffen und ihrerseits zu Risikospielen werden.

Eine anstelle des Aufenthaltsverbots in Betracht kommende Meldeauflage erachtet die Kammer als ebenso geeignet und angemessen, nicht jedoch als milderes Mittel, das die Verhältnismäßigkeit des Aufenthaltsverbots in Frage stellt. Ein Stadionverbot ist schon nicht geeignet, Auseinandersetzungen auf dem An- und Abreiseweg und den zu befürchtenden Drittortauseinandersetzungen zu begegnen; das zeigt auch der Umstand, dass in N. 50 „Fans“ erst kurz vor Spielbeginn am Stadion eintrafen und sich augenblicklich zu vermummen begannen.

Schließlich ist auch ein Ermessensausfall nicht erkennbar; er ergibt sich insbesondere nicht aus dem Erlass gleichartiger Verfügung gegen insgesamt 45 Betroffene. Soweit die Beklagte hinsichtlich dieser Personen entschieden hat, eine Verfügung zu erlassen, hat sie ihr Entschließungsermessen erkannt und offensichtlich ausgeübt; der Kläger weist selbst darauf hin, dass in N. die Identitäten von 90 Personen und in S. die Identitäten von 234 Personen festgestellt worden sind. Auch ein Ausfall des Auswahlermessens wird weder durch den inhaltlichen Gleichlauf der Verfügungen indiziert noch ist er sonst erkennbar. Der Erlass gleichartiger Verfügungen entspricht den Charakteristika der fußballbezogenen Gewalt als Gruppenphänomen und erleichtert im Übrigen die Durchsetzung der Verfügung, weil Verstöße leichter feststellbar sind, wenn bei Antreffen eines Adressaten der individuelle Geltungsbereich nicht erst ermittelt werden muss. Diese Praktikabilitätserwägungen sind vom Auswahlermessen gedeckt.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

V. Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil sie der Frage grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beimisst, ob die Prognose künftiger Straftaten im Sinne des § 17 Abs. 4 Nds. SOG schon dann getroffen werden kann, wenn der Betroffene Adressat präventivpolizeilicher Maßnahmen war, aber bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.