Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.06.2006, Az.: 5 B 173/06

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.06.2006
Aktenzeichen
5 B 173/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 44214
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2006:0608.5B173.06.0A

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - am 8. Juni 2006

beschlossen:

Tenor:

  1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben sicherzustellen, dass der Antragsteller in Absprache mit dem Polizeikommissariat Nord, Guntherstraße, seiner Meldepflicht insgesamt auf einem vom Antragsteller vorab zu benennenden, wohnortnahen Polizeirevier nachkommen kann, das entsprechende Öffnungszeiten hat.

    Insoweit wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung vom 29.05.2006 wiederhergestellt.

    Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt 9/10, die Antragsgegnerin 1/10 der Kosten des Verfahrens.

    Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Antragsteller wendet sich gegen eine Meldeauflage zur Verhinderung gewalttätiger Ausschreitung im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft.

2

Der am C. geborene Antragsteller wohnt in D..

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Unter dem 19.05.2006 beantragte die Polizeiinspektion Braunschweig bei der Antragsgegnerin den Erlass einer Meldeauflage gemäß § 11 Nds. SOG gegenüber dem Antragsteller.

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Ausweislich der bei der Polizeiinspektion geführten und der Antragsgegnerin vorgelegten Akte liegen gegen den Antragsteller folgende Erkenntnisse vor:

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1. 23.06.1998 Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich: Identitätsfeststellung, Ingewahrsamnahme und Haft im Zusammenhang mit dem versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil eines französischen Polizeibeamten, E., Staatsanwaltschaft Hannover.

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2. 10.06.2000 - 02.07.2000 Ausreiseverbote und Meldeauflage für diverse Termine anlässlich der Europameisterschaft 2000 in den Niederlanden und Belgien durch die Antragsgegnerin.

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3. 04.01.2004 Anlässlich des Hallenturniers "F." in G.: Identitätsfeststellung, Platzverweis. Anlass war nach der Akte eine geplante Auseinandersetzung von Hooligans des 1. FC Magdeburg, des BFC Berlin und Braunschweig gegen Halle.

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4. 14.01.2005 Identitätsfeststellung und Platzverweis wegen einer geplanten Drittortauseinandersetzung zwischen Hooligans aus Braunschweig/Magdeburg gegen Hooligans aus Hannover, Polizeikommissariat Peine.

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5. 27.11.2005 Strafverfahren wegen Landfriedensbruch anlässlich einer Drittortauseinandersetzung zwischen Hooligans aus Deutschland und Polen in Brandenburg, H., Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder.

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Das Polizeikommissariat Nord, Fußballsachbearbeitung, stellte unter dem 07.05.2006 ausweislich der Akte weiterhin fest, dass der Antragsteller Angehöriger der Althooliganszene von Eintracht Braunschweig sei. Als Problemfan sei er erstmalig 1993 polizeilich in Erscheinung getreten. Er sei eine Führungsposition in der hiesigen Hooliganszene und verantwortlich für die Verbindung zu den befreundeten und gleichgesinnten Hooligans der Magdeburger und Berliner Szene (1. FC Magdeburg, BFC Dynamo). Nach einem Vermerk der Polizei wurde der Antragsteller im Rahmen einer mündlichen Gefährderansprache am 21.03.2006 vorgeladen und angehört. Ihm sei der Antrag auf die Meldeauflagen angekündigt worden, Widerspruch habe er dagegen nicht eingelegt und auch keine Gründe, die einer Meldeauflage entgegenstünden, wie z. B. Urlaub, Auslandsaufenthalt vorgebracht.

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Unter dem 29.05.2005 ordnete die Antragsgegnerin an, dass der Antragsteller sich unter Vorlage seines amtlichen Lichtbildausweises an insgesamt 19 Terminen, zum Teil zweimal, auf dem Polizeikommissariat Nord, Gunterstraße 2, 38112 Braunschweig persönlich vorzustellen habe. Die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme wurde angeordnet. Gleichzeitig wurde dem Antragsteller für jeden nicht beachteten Meldetermin ein Zwangsgeld von 500,00 EUR angedroht.

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Zur Begründung wurde angeführt, dass der Antragsteller nach Erkenntnissen des PK Braunschweig Nord der besonders gewaltbereiten Braunschweiger Hooliganszene zuzurechnen sei, die regelmäßig Auseinandersetzungen mit gleichgesinnten Gruppen suche. Bei derartigen Vorfällen habe er bereits Gewaltbereitschaft gezeigt. Es sei davon auszugehen, dass Hooligans und andere Problemfans des Personenkreises "Gewalttäter Sport" zu den Spielorten reisten, um dort gewalttätige Auseinandersetzungen zu suchen. Es sei bekannt, dass insbesondere europäische Problemfanszenen über ein hohes Gewaltpotential verfügten. Besondere Beachtung gelte dabei den Spielorten, an denen die Nationalmannschaften der Schweiz und einiger osteuropäischen Staaten ihre Begegnungen austragen würden, da Koalitionen und Freundschaften zu den Problemfans aus der Schweiz und Feindschaften zu einigen osteuropäischen Ländern bestünden. Es sei weiterhin nicht ausgeschlossen, dass die Rahmenbedingungen des Spielorts Hannover genutzt würden, um gezielte Auseinandersetzungen mit den befeindeten Problemfans des Vereins Hannover 96 zu suchen. Im Folgenden werden in der Verfügung die bereits aufgeführten Vorkommnisse angeführt. Außerdem wird ausgeführt, dass der Antragsteller wegen seines auffälligen Verhaltens in der bundesweiten Datei der Polizei "Gewalttäter Sport" verzeichnet sei. Die Rechtsgrundlage sei § 11 Nds. SOG. Es bestehe im Einzelfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten werde. Jeder Verstoß gegen Normen des öffentlichen Rechts stelle eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Aufgrund des in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens des Antragstellers sei davon auszugehen, dass bei Weltmeisterschaftsspielen mit einer Störung der öffentlichen Sicherheit in Form der Begehung von Gewaltstraftaten zu rechnen sei. Wegen der bereits erfolgten Gefährderansprache werde auf eine Anhörung verzichtet. Die Meldeauflage sei eine geeignete Maßnahme, um zu verhindern, dass der Antragsteller sich an bestimmten Orten an Auseinandersetzungen beteilige. Der Nachteil, den er dadurch erleide, stehe nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg, der Verringerung der Gefahr, dass es zu Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft komme. Das Recht des Antragstellers auf uneingeschränkte Wahl des Aufenthaltsortes sei angesichts der Gefahren, die durch die zu befürchtenden Ausschreitungen für bedeutende Rechtsgüter Dritter drohten, eindeutig geringer einzustufen. Um zu verhindern, dass der Antragsteller nach der ersten Meldezeit noch rechtzeitig zum Spielort fahren könne, um sich an Ausschreitungen unmittelbar nach der Begegnung zu beteiligen, sei teilweise eine zweite Meldezeit angesetzt worden.

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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich, da sie im besonderen öffentlichen Interesse liege. Der Antragsteller könne bei Erhebung einer Klage in die Lage versetzt werden, rechtzeitig die Spielorte anzufahren und durch die Begehung von Ausschreitungen Individualgüter wie Gesundheit und Leben Dritter schwerwiegend zu gefährden und darüber hinaus das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Öffentlichkeit negativ zu beeinflussen.

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Dagegen hat der Antragsteller am 06.06.2006 Klage erhoben (5 A 172/06) und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen an, er sei nie im Zusammenhang mit Fußballspielen verurteilt worden. Wenn Verfahren stattgefunden hätten, seien sie wegen fehlenden Schuldnachweises eingestellt worden. Die Anordnung, er möge sich in dem Polizeikommissariat Nord in der Guntherstraße melden, sei ermessensfehlerhaft, da er am I. wohne und das Revier Münzstraße erheblich näher liege. Die Anordnung eines Platzverbotes sei ein milderes Mittel. Die Eintragung in die Datei "Gewalttäter Sport" sei rechtswidrig und dürfe keine rechtlichen Konsequenzen haben. Die Antragsgegnerin habe ihrer Entscheidung lediglich die Mitteilungen der Polizei zugrunde gelegt und keine eigene Ermessensentscheidung getroffen.

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Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.05.2006 wiederherzustellen.

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Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

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Sie wiederholt und vertieft die Gründe des angefochtenen Bescheides und ergänzt die Ausführungen zu den dem Antragsteller vorgeworfenen Vorfällen. Das Verfahren aus 1998 sei nach Mitteilung der Polizei nach § 154 StPO eingestellt worden Der Antragsteller sei im Rahmen der Gefährderansprache auf die Möglichkeit hingewiesen worden, in persönlicher Absprache mit der für die Fußballsachbearbeitung zuständigen Abteilung des Polizeikommissariats in begründeten Fällen Abweichungen von der Meldeauflage zu vereinbaren. Nach telefonischer Mitteilung des Polizeikommissariats Nord sei als Meldestelle grundsätzlich die Dienststelle in der Guntherstraße benannt worden, da es sich um die einzige rund um die Uhr besetzte Dienststelle handele und sich dort die für die Fußballsachbearbeitung spezialisierte Arbeitsgruppe befinde, mit der im Einzelfall auch kurzfristig Absprachen über die Erfüllung einer Meldeauflage zu treffen seien.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verfügung vom 29.05.2006 ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

20

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag bei einer Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Neben der Feststellung, ob die schriftliche Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des Gesetzes entspricht, ist Gegenstand der Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die Frage, ob ein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der Maßnahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. In diese Abwägung ist die voraussichtliche Rechtmäßigkeit des Bescheides mit einzubeziehen.

21

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfüllt die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Das besondere öffentliche Vollzugsinteresse ist schriftlich begründet. Die Begründung lässt die notwendige Abwägung der Rechtsgüter erkennen und ist nicht lediglich formelhaft.

22

Die angefochtene Verfügung vom 29.05.2006 ist nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durchzuführenden summarischen Prüfung der Sachlage und Prüfung der Rechtslage rechtmäßig.

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Eine weitere Anhörung nach § 28 VwVfG konnte unterbleiben, weil der Antragsteller im Rahmen der Gefährderansprache über die beabsichtigte Meldeauflage informiert wurde und Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.

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Der Antragsteller wird auch nicht dadurch in seinen Rechten verletzt, dass die Verfügung der Antragsgegnerin erst am 29.05.2006 ergangen ist, obwohl Verfügungen dieser Art seit Monaten in den Zeitungen angekündigt werden. Da die erkennende Kammer über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch rechtzeitig entscheidet, ist dem Antragsteller damit nicht die Rechtsschutzmöglichkeit genommen.

25

Rechtsgrundlage für die angefochtene Meldeauflage ist § 11 Nds. SOG. Die polizeirechtliche Generalklausel ist insoweit anwendbar, spezialgesetzliche Vorschriften sind nicht einschlägig (vgl. VG Frankfurt, Entsch. v. 07.03.2002 - 5 E 3789/00 - Juris). Nach § 11 SOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Eine konkrete Gefahr liegt gemäß § 2 Nr. 1 Buchstabe a) Nds. SOG vor, wenn eine Sachlage gegeben ist, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist die bestehende Rechtsordnung als Ganzes. Die Behörde muss in Anwendung des § 11 Nds. SOG aufgrund einer tatsachengestützten Prognose feststellen, dass eine solche Gefahr gegeben ist.

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Diese Anforderungen erfüllt die angefochtene Verfügung. Die Antragsgegnerin ist in rechtsfehlerfreier Weise aufgrund einer tatsachengestützten Prognose zu der Auffassung gekommen, dass im Falle des Antragstellers eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Teilnahme an bzw. Unterstützung von gewaltsamen Auseinandersetzungen bei oder anlässlich bestimmter Spiele im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft droht. Bei diesen gewaltsamen Auseinandersetzungen besteht eine Gefahr für Leib oder Leben i. S. von § 2 Nr. 1 Buchstabe d) Nds. SOG, nämlich eine Gefahr, bei der eine nicht nur leichte Körperverletzung einzutreten droht.

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Die Antragsgegnerin hat im Rahmen dieser tatsachengestützten Prognose nicht nur auf die Daten der Datei "Gewalttäter Sport" zurückgegriffen, sondern ihrer Entscheidung auch tragend die fachspezifische Beurteilung der Abteilung Fußballsachbearbeitung der Braunschweiger Polizei zugrunde gelegt. Aus diesem Grunde lässt die Kammer die Frage, ob die Datei "Gewalttäter Sport" rechtmäßig errichtet worden ist und geführt wird (gegen die Rechtmäßigkeit: May, NdsVBl. 2002, 41-43; anderer Ansicht VG Schleswig, Entsch. v. 23.04.2004 - 1 A 219/02 - Juris) ausdrücklich offen. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Behörde den Inhalt der Datei "Gewalttäter Sport" zwar im Sinne eines Anlasses zu einer Überprüfung des Antragstellers verwertet, sie jedoch nur als Anhaltspunkt für eigene Feststellungen behandelt, ist dies zur Überzeugung der Kammer als rechtmäßig zu erachten, auch wenn die Errichtung der Datei formell rechtswidrig sein sollte.

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Die Antragsgegnerin hat die Erkenntnisse der Spezialabteilung der Polizeiinspektion Braunschweig im Polizeikommissariat Nord für ihre Entscheidung verwertet und auf dieser Grundlage eine eigene Ermessensentscheidung über das Einschreiten nach § 11 Nds. SOG getroffen, die nicht zu beanstanden ist. Durch jahrelange Beobachtung der Hooliganszene sowie durch die Sachbearbeitung aller Delikte rund um Fußballspiele verfügen szenenkundige Beamte über eine umfassende Personenkenntnis und sind in der Lage, Problemfans differenziert zu beurteilen. Zwischen diesen Spezialsachbearbeitern besteht bundesweit ein ständiger Informationsaustausch. Aus der Bündelung dieser Informationen wird das Erkenntnismaterial gewonnen, das der Gefahrenprognose bei präventiven Maßnahmen zugrunde gelegt wird (vgl. VG Minden, Entsch. v. 29.06.2005 - 11 K 2952/04 - Juris). Für sachfremde Erwägungen der szenekundigen Beamten, gegenüber dem Antragsteller mit besonderer Härte vorzugehen, finden sich keine Anhaltspunkte in der Akte. Die Antragsgegnerin durfte deshalb auf das von dieser Spezialdienststelle gesammelte Material zurückgreifen.

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Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt es bei der Gefahrenprognose i. S. der §§ 11, 2 Nds. SOG nicht - wie im Strafverfahren - darauf an, dass dem Betroffenen, für den die strafrechtliche Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung gilt, die konkrete Tatbegehung im Einzelnen nachgewiesen wird. Es kommt also im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich darauf an, ob es im Falle des Antragstellers zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen gekommen ist. Präventiv-polizeiliche Maßnahmen der vorliegenden Art zielen auf die Verhinderung von Straftaten (OVG Hamburg, Entsch. v. 28.06.2000 - 1 B 240/00 - Juris). Für die präventiv-polizeiliche Gefahrenprognose sind auch solche Vorfälle, die nicht in Strafverfahren oder Verurteilungen mündeten, heranzuziehen. Auf strafrechtliche Verurteilungen kommt es aufgrund der unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäbe und Entscheidungskriterien - hier durch Tatsachen belegte Verdachtsmomente, dort Überzeugung von einem schuldhaften Tatverhalten - nicht an (VG Minden, Entsch. v. 29.06.2005 - a.a.O.). Auch soweit der Antragsteller vorträgt, ihm sei keine konkrete Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Fußballspielen nachgewiesen worden, kommt es im Rahmen der vorliegend zu treffenden Gefahrenprognose nicht darauf an, ob der Antragsteller selbst dem Kernbereich der gewalttätigen Hooliganszene zuzurechnen ist. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen er im unmittelbaren Zusammenhang mit Auseinandersetzungen gewalttätiger Hooligans aufgegriffen und seine Personalien festgestellt wurden, ließen für die Antragsgegnerin den rechtlich vertretbaren Schluss zu, dass er zumindest dem unmittelbaren Umfeld der gewalttätigen Hooliganszene zuzurechnen ist. Bei der Beurteilung der konkreten Gefahr i. S. der §§ 11, 2 Nds. SOG kann die zuständige Behörde auch generalisierende Erkenntnisse aus der jahrelangen Beobachtung der Hooliganszene und ihres Umfelds in die Gefahrenprognose mit einbeziehen. Der gewaltbereite Kern der Hooliganszene benötigt nämlich ein unterstützendes Umfeld, aus dem heraus - mit einer geringen Gefahr der individuellen Identifizierung - agiert werden kann. Bei der Abwägung mit der Erheblichkeit der hier drohenden Gefahr für Leib oder Leben von Personen ist es ausreichend, dass tatsachengestützte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Antragsteller zu diesem Umfeld gehört. Zur Abwehr einer solchen erheblichen Gefahr ist es gerechtfertigt, auch die Personen dieses Umfeldes daran zu hindern, an wahrscheinlichen gewalttätigen Auseinandersetzungen teilzunehmen (vgl. zum Vorstehenden: VG Schleswig, Entsch. v. 23.04.2004, a.a.O.).

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Nach diesen Maßstäben reichen die Erkenntnisse des Polizeikommissariats Nord - Fußballsachbearbeitung -, auf die sich die Antragsgegnerin gestützt hat, aus, um die Gefahrenprognose zu stellen. Dies ergibt sich aus der Anzahl und der Schilderung der bereits im Tatbestand genannten Vorfälle sowie der fachkundigen Beurteilung, dass der Antragsteller der Braunschweiger Hooliganszene angehört.

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Auf dieser Tatsachengrundlage hat die Antragsgegnerin eine zutreffend begründete eigene Ermessensentscheidung getroffen.

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Diese Entscheidung genügt auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Verhängung einer Meldeauflage in der hier vorliegenden Form ist geeignet, den Antragsteller davon abzuhalten, sich anlässlich von Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft zum Ort gewalttätiger Auseinandersetzungen zu begeben. Sie ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch das mildeste Mittel. Ein Platzverbot für bestimmte Fußballstadien ist nicht geeignet, der drohenden Gefahr zu begegnen. Der Antragsteller trägt vor, nicht über Karten für einzelne Spiele zu verfügen. Im Übrigen ergibt sich auch aus den polizeilichen Unterlagen, dass davon auszugehen ist, dass gewalttätige Auseinandersetzungen innerhalb der Hooliganszene zumindest auch außerhalb von Fußballstadien geplant sind. Soweit mit dem Begriff Platzverbot eine Platzverweisung für bestimmte Orte nach dem Nds. SOG angesprochen sein soll, ist dies weder zweckmäßig noch durchführbar. Da beabsichtigte Orte für Drittauseinandersetzungen nicht im Einzelnen bekannt sind, wäre eine solche Maßnahme nicht umsetzbar und schon gar nicht kontrollierbar. Großflächige Platzverweisungen zum Beispiel für den gesamten Bereich der Landeshauptstadt Hannover würden wiederum Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit begegnen. Angesichts der erheblichen Gefahr, die von gewalttätigen Auseinandersetzungen ausgeht, ergibt auch die Rechtsgüterabwägung, dass der Eingriff in die Rechte des Antragstellers hinzunehmen ist.

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Allerdings erfordert es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass dem Antragsteller die Gelegenheit gegeben werden muss, seine Meldeauflage bei einem wohnungsnahen Polizeirevier zu erfüllen, wenn dies nicht wegen eingeschränkter Öffnungszeiten die Maßnahme gefährdet. Dazu muss der Antragsteller aber von sich aus beim jetzt zentral zuständigen Kommissariat in der Guntherstrasse eine Absprache treffen. Zwar ergibt sich aus dem Antrag der Polizei an die Antragsgegnerin und dem Verhalten der Polizei im Verlauf der bei der Kammer anhängigen Verfahren, dass die Polizei zu abweichenden Regelungen hinsichtlich Ort und Zeit der Erfüllung der Meldeauflage bereit ist. Dies hat jedoch keine Aufnahme in die angefochtene Verfügung gefunden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Die Höhe des Streitwerts entspricht dem Streitwert des Hauptsacheverfahrens, da das vorliegende Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes für den Antragsteller dieselbe Bedeutung hat.