Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 25.11.2016, Az.: 10 B 6800/16

EURODAC-Treffer; Zuständigkeitsübergang

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
25.11.2016
Aktenzeichen
10 B 6800/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43371
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine durch frühere Asylanträge begründete Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats besteht nach Abschluss dieser Verfahren fort und begründet die Übernahmepflicht nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Die Zuständigkeit geht auch nach Ablauf der Zweimonatsfrist ab (Folge-)Antragstellung nicht nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III VO über, wenn das Übernahmeersuchen binnen zweier Monate nach dem EURODAC-Treffer ergeht.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Belgien im Rahmen eines sog. Dublin-III-Verfahrens.

Der Antragsteller ist ruandischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 30. August 2009 erstmals mit einem Besuchervisum in die Bundesrepublik Deutschland ein und von dort nach Belgien. Dort stellte er (spätestens) am 9. Mai 2012 einen Asylantrag, der abgelehnt worden ist. Am 17. Februar 2015 reiste er nach eigenen Angaben wieder ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 29. August 2016 einen Asylantrag.

Die Überprüfung der Fingerabdrücke des Antragstellers im EURODAC-System ergab, dass er dort (mehrfach) Asyl beantragt hatte und jeweils erkennungsdienstlich behandelt worden war. Das Bundesamt richtete daher unter dem 26. September 2016 ein Übernahmeersuchen an Belgien. Die belgischen Behörden erklärten sich unter dem 3. Oktober 2016 zur Wiederaufnahme des Antragstellers bereit.

Mit Bescheid vom 8. November 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab, ordnete seine Abschiebung nach Belgien an und befristete das gesetzliche Wiedereinreiseverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Bescheid wurde am 11. November 2016 zugestellt.

Am 18. November 2016 hat der Antragsteller Klage erhoben – 10 A 6796/16 – und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung seiner Klage und des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz macht er geltend, dass die Antragsgegnerin ihr Übernahmeersuchen an die belgischen Behörden verspätet gestellt habe. Er habe sich bereits am 23. April 2015 in Deutschland als Asylsuchender gemeldet. Diese Meldung stelle einen Antrag auf internationalen Schutz dar, der die Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO auslöse. Die Antragsgegnerin sei daher mit Fristablauf aufgrund von Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO zuständig geworden und dürfe ihn nicht mehr nach Belgien überstellen.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner zum Aktenzeichen 10 A 6796/16 erhobenen Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. November 2016 ausgesprochene Abschiebungsanordnung anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid,

den Antrag abzulehnen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht aufgrund von § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch den Berichterstatter als Einzelrichter.

I. Der Antrag ist zulässig. Er ist gemäß § 34 a Abs. 2 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, soweit sich die Klage gegen die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides angeordnete Abschiebung des Antragstellers nach Belgien richtet, und innerhalb der gesetzlichen Frist von einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheides gestellt worden.

II. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt nicht das öffentliche Interesse am Vollzug der Abschiebungsanordnung. Bei summarischer Prüfung bestehen in der Hauptsache keine Erfolgsaussichten, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 8. November 2016 begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Anordnung der Abschiebung des Antragstellers nach Belgien beruht auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Dublin III-VO –, die nach Art. 49 Abs. 2 anwendbar ist, da der Antrag auf internationalen Schutz nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist.

Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

1. Die Zuständigkeit Belgiens für den neuerlichen Asylantrag des Antragstellers ist nach Art. 13 oder jedenfalls nach Art. 3 Abs. 2 der bei Stellung des ersten Schutzantrags geltenden Dublin II-VO begründet worden, weil Belgien bereits mit der Durchführung des ersten Asylverfahrens des Antragstellers die Zuständigkeit übernommen hat. Diese Zuständigkeit besteht auch nach Abschluss des Asylverfahrens in Belgien fort. Belgien ist daher gem. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO zur Wiederaufnahme des Antragstellers und zur Bearbeitung seines weiteren Asylantrags verpflichtet. Zudem hat Belgien mit Schreiben vom 3. Oktober 2016 gegenüber dem Bundesamt die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers ausdrücklich anerkannt. Auch diese Erklärung würde entsprechend Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO selbst dann zuständigkeitsbegründend wirken, wenn nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO ein anderer Mitgliedstaat zuständig gewesen wäre.

Es liegen auch keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin aufgrund anderer Vorschriften vor. Soweit der Antragsteller in seiner Anhörung vor dem Bundesamt geltend gemacht hat, dass er im Jahr 2009 mit einem deutschen Visum eingereist ist, kommt zwar eine Zuständigkeit nach Art. 9 Abs. 2 der seinerzeit gültigen Dublin II-VO in Betracht. Der Antragsteller hat jedoch weder seine Behauptung, er sei mit einem Visum eingereist, glaubhaft gemacht, noch ist ein solches Visum in der VIS-Datenbank vermerkt oder sonst aktenkundig. Ebenso wenig ist nachgewiesen, dass ein etwaiges Visum nicht mit schriftlicher Zustimmung Belgiens erteilt worden ist, was nach Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO die Zuständigkeit Belgiens begründet hätte.

Auch die Ersteinreise in die Bundesrepublik, die auch ohne Visum eine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO hätte begründen können, hat der Antragsteller nicht nachgewiesen. Eine danach begründete Zuständigkeit wäre im Übrigen nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zwölf Monate nach dem Tag des Grenzübertritts erloschen; wegen des mehr als fünf Monate dauernden Aufenthalts des Antragstellers in Belgien wäre die Zuständigkeit Belgiens außerdem durch Art. 10 Abs. 2 Dublin II-VO begründet worden.

Schließlich ist die Antragsgegnerin auch nicht aufgrund von Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO zuständig geworden. Zwar ist ein Aufnahmegesuch im Sinne von Art. 18 Dublin III-VO nach Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 1 der Verordnung innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Art. 20 Absatz 2 Dublin III-VO zu stellen. Nach Art. 20 Abs. 1 Dublin III-VO gilt ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Es kann hier offenbleiben, ob bereits die Meldung als Asylsuchender oder erst die förmliche Antragstellung die Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO darstellt.

Denn abweichend von Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO ist das Aufnahmegesuch im Fall einer EURODAC-Treffermeldung innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 – EURODAC-Verordnung – zu stellen. Die Treffermitteilung datiert vom 29. August 2016, so dass das Aufnahmegesuch bis zum 29. Oktober 2016 noch fristgerecht hätte gestellt werden können; tatsächlich wurde es am 29. September 2016 und damit fristgerecht gestellt. Es bedarf hier daher auch keiner Entscheidung, ob dem Antragsteller hin1sichtlich eines verspätet gestellten Aufnahmegesuchs überhaupt eine wehrfähige Rechtsposition zukommt.

2. Die Überstellung an Belgien als den zuständigen Mitgliedstaat ist möglich; insbesondere besteht keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO die Prüfung fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Eine solche Pflicht zur Prüfung oder zum Selbsteintritt gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 3 Dublin III-VO setzt voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Belgien systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen.

Solche Schwachstellen hat weder der Antragsteller substantiiert vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich. Das nicht weiter spezifizierte Vorbringen des Antragstellers, seine Asylanträge in Belgien seien als unbegründet abgelehnt worden und er sei mehrfach zur Ausreise aufgefordert worden, begründet keine hinreichenden Anhaltspunkte für systemische Schwachstellen im belgischen Asylsystem. Dort ist bereits eine Prüfung seines Schutzgesuchs nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QRL –) bzw. ihrer Vorgängerrichtlinien durchgeführt worden. Die belgischen Behörden sind dabei offenbar zu dem Ergebnis gelangt, dass eine solche Furcht vor Verfolgung nicht begründet ist. In dieser Situation eine Abschiebung nach Ruanda vorzusehen, ist nicht zu beanstanden und verstößt insbesondere nicht gegen das Gebot des Non-refoulement. Dies gilt zumal, als es dem Antragsteller grundsätzlich freisteht, auch in Belgien um Rechtsschutz nachzusuchen oder ggf. einen (weiteren) Folgeantrag zu stellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).