Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 11.11.2016, Az.: 3 B 5176/16

Beendigung einer Inobhutnahme; Qualifizierte Inaugenscheinnahme; Unbegleiteter minderjähriger Flüchtling

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.11.2016
Aktenzeichen
3 B 5176/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43359
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Beendigung der (vorläufigen) Inobhutnahme eines UMF wegen nachträglich geänderter Alterseinschätzung bedarf einer Rechtsgrundlage. Sie kann nicht auf § 42 f Abs. 3 SGB VIII gestützt werden.

2. Zu den verfahrensrechtlichen und methodisch inhaltlichen Anforderungen an eine qualifizierte Inaugenscheinnahme.

3. Zur analogen Anwendung von § 42 a SGB VIII.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 08.09.2016  (3 A 5167/16) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.08.2016 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin wird angewiesen, den Antragsteller unverzüglich, bis zu einer Entscheidung über die Klage, in einer für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geeigneten Unterkunft unterzubringen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Antrag des  Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 08.09.2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.08.2016 anzuordnen,

ist zulässig und begründet.

1. Die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gemäß § 80 Abs. 5 i. V. m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO setzt eine eigenständige Interessenabwägung des Gerichts voraus, die sich vorrangig an dem Ergebnis einer summarischen Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes orientiert. Ergibt diese Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an einem sofortigen Vollzug der Maßnahme. Ergeben sich auf Grund der Prüfung dagegen zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit, überwiegt in der Regel das Interesse des Antragstellers, auch schon vorläufig von der Maßnahme verschont zu werden, denn an dem Vollzug eines voraussichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann grundsätzlich kein öffentliches Interesse bestehen. Lassen sich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes und damit die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens mit den Mitteln des gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens nicht eindeutig klären, ist die weitere Abwägung der widerstreitenden Interessen anhand einer Folgenbetrachtung vorzunehmen. Hierbei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zur rechtfertigen, und sich folglich in mehr oder minder starkem Maße auch die Darlegungslast des Antragstellers verschiebt (vgl. BVerfG, Beschl. vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - NVwZ 2004, 93, juris Rn. 21 f.; BVerwG, Beschl. vom 14.04.2005 - 4 VR 1005.04 - BVerwGE 123, 241, juris Rn. 11 f.).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antrag Erfolg, denn an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides vom 09.08.2016, mit dem die Antragsgegnerin die zuvor nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII erfolgte Inobhutnahme des Antragstellers mit sofortiger Wirkung beendet hat, bestehen ernstliche Zweifel.

a) Da die formale Beendigung einer ursprünglich nach § 42 SGB VIII erfolgten Inobhutnahme als actus contrarius ihrer Anordnung deren Rechtscharakter als Verwaltungsakt teilt (vgl. Lange in: juris-PK SGB VIII, § 87 Rn. 34, m. w. N.), bedarf sie einer Rechtsgrundlage. Die Regelung in § 42f Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB VIII normiert nicht selbst die Beendigung einer erfolgten Inobhutnahme, sondern setzt eine entsprechende Regelungsbefugnis sowie eine in deren Anwendung im Einzelfall erfolgte Beendigung tatbestandlich voraus (unklar insoweit allerdings Nds.OVG, Beschl. vom 02.06.2016, 4 ME 184/16, n.v.).

Die Antragsgegnerin stützt ihre Entscheidung zur Beendigung der Inobhutnahme maßgeblich darauf, dass deren Aufrechterhaltung rechtswidrig wäre, weil der Antragsteller tatsächlich nicht minderjährig sei, sondern entgegen dessen eigenen Angaben von seiner Volljährigkeit ausgegangen werden müsse. Ausgehend davon kommt als Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid nur § 45 Abs. 1, 2 Satz 1 und 3 Nr. 2 SGB X in Betracht. Danach kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte sich nicht auf Vertrauensschutz berufen kann, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

b) Bei der Inobhutnahme eines unbegleitet eingereisten, als  minderjährig angesehenen Ausländers gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII handelt es sich diesem gegenüber um einen zumindest auch begünstigenden Verwaltungsakt (vgl. Kirchhoff in: juris-PK SGB VIII, § 42 Rn. 212, m. w. N.; BVerwG, Urt. vom 11.07.2013, 5 C 24/12, juris Rn. 31). Es bestehen jedoch ernstliche rechtliche Zweifel an der Bewertung der Antragsgegnerin, dass die Aufrechterhaltung der Inobhutnahme des Antragstellers rechtswidrig sei, weil dieser bereits volljährig sei.

aa) Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Art und Weise bei ausländischen Personen, die sich selbst als unbegleiteten und minderjährigen Flüchtling bezeichnen, im Hinblick auf eine vom Jugendamt vorzunehmende Inobhutnahme eine Altersfeststellung zu erfolgen hat, ist dem Wortlaut des § 42f Abs. 1 und 2 SGB VIII nach gesetzlich nur für die vorläufige Inobhutnahme gemäß § 42a SGB VIII geregelt. Es bestehen aus Sicht der Kammer jedoch keine Bedenken, diese Regelungen im Wege analoger Anwendung auch in Fällen zu Grunde zu legen, in denen Zweifel an der Minderjährigkeit der betroffenen Person erst nach dem Übergang von der vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42a Abs. 1 SGB VIII in eine „reguläre“ Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII auftreten (ebenso: OVG Bremen, Beschl. vom 21.09.2016, 1 B 164/16, juris Rn. 12).

bb) Nach § 42f Abs. 1 SGB VIII hat das Jugendamt in Fällen, in denen wie vorliegend Ausweispapiere nicht vorhanden sind, die Minderjährigkeit einer ausländischen Person mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. Dabei gilt jedoch zunächst das sog. „Primat der Selbstauskunft“ (BayVGH, Beschl. vom 16.08.2016, – 12 CS 16.1550 –, juris Rn. 14, m. w. N.). Nach § 42f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind außerdem im Rahmen der qualifizierten Inaugenscheinnahme die §§ 8 Abs. 1, 42 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII entsprechend anwendbar. In (verbleibenden) Zweifelsfällen hat das Jugendamt gemäß § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen.

cc) Ausgehend davon begegnen die Durchführung und die Auswertung der von der Antragsgegnerin am E. durchgeführten - zweiten - qualifizierten Inaugenscheinnahme ernstlichen rechtlichen Bedenken.

(1) Es ist bereits nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller im Rahmen dieser Inaugenscheinnahme gemäß § 42f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in Verbindung mit § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII in entsprechender Anwendung die Möglichkeit eingeräumt wurde, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das über die erfolgte Inaugenscheinnahme gefertigte Protokoll enthält dazu keinen Hinweis. Darin liegt bei summarischer Würdigung ein erheblicher Verfahrensmangel. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 42f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Möglichkeit für eine betroffene Person, eine Vertrauensperson zu benachrichtigen, im Verhältnis zu der „regulären“ Inobhutnahme für die Fälle der Feststellung der Minderjährigkeit von eingereisten Ausländern mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme zeitlich nach vorn - nämlich bereits in das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit selbst - verlagert. Das dient erkennbar dem Zweck, dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, bereits in diesem Verfahren, d.h. für die qualifizierte Inaugenscheinnahme selbst, ggf. eine Vertrauensperson im Sinne eines Beistands hinzuzuziehen, um seine Interessen und Rechte in dieser für ihn sehr wichtigen Situation hinreichend wahren zu können.

Bereits dieser Verfahrensfehler lässt die als Ergebnis der qualifizierten Inaugenscheinnahme getroffene Einschätzung, der Antragsteller sei volljährig, bei vorläufiger Würdigung als rechtswidrig erscheinen. Denn es liegt nahe anzunehmen, dass ein Betroffener, wenn er im Rahmen einer qualifizierten Inaugenscheinnahme von einer Vertrauensperson begleitet wird, anders agiert, als wenn er in dieser Situation allein ist, was erheblichen Einfluss auf den in diesem Verfahren von dem Betroffenen zu gewinnenden Gesamteindruck haben kann.

(2) Unabhängig davon begegnet die von der Antragsgegnerin auf der Basis der durchgeführten Inaugenscheinnahme getroffene Einschätzung auch erheblichen methodisch-inhaltlichen Bedenken.

(a) Das Gesetz selbst enthält zu der Frage, welchen Kriterien eine qualifizierte Inaugenscheinnahme inhaltlich-methodisch zu genügen hat, keine konkretisierenden Bestimmungen. In der bisherigen Rechtsprechung, der sich die Kammer jedenfalls für das Eilverfahren anschließt, sind auf Grund dessen Rahmenbedingungen für eine qualifizierte Inaugenscheinnahme formuliert worden. Diese erstreckt sich danach auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie – unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers – in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu seinem Alter zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (OVG Bremen, Beschl. vom 22.02.2016 – 1 B 303/15 –, NVwZ-RR 2016, 592 f. [VGH Baden-Württemberg 28.01.2016 - 2 S 1019/15] Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. auch Kepert in: Kunkel, Kepert, Pattar, LPK-SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f, Rn. 3). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamtes durchzuführen (vgl. OVG Bremen, Beschl. vom 22.02.2016 a.a.O. unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (OVG Bremen, – 1 B 303/15 –, a.a.O.; BayVGH, Beschl. vom 16.08.2016, – 12 CS 16.1550 –, juris Rn. 17).

(b) Diesen Vorgaben werden die von der Antragsgegnerin vorgenommene Inaugenscheinnahme und deren Auswertung bei vorläufiger Würdigung nicht gerecht.

(aa) So fehlt es bereits an einer ausreichenden Beschreibung und Würdigung des äußeren Erscheinungsbildes des Antragstellers. Hierzu findet sich in dem über die am E. durchgeführte Inaugenscheinnahme gefertigten Protokoll lediglich der Hinweis, der Antragsteller besitze „tiefe Stirnfalten“. Dass damit das äußere Erscheinungsbild im Hinblick auf die vorzunehmende Alterseinschätzung nur ungenügend erfasst ist, liegt auf der Hand, denn das äußere Erscheinungsbild einer Person weist diesbezüglich eine ganze Reihe weiterer Merkmale auf, die einzubeziehen sind. So sind etwa in dem Protokoll, das im März 2016 für die erstmalige Alterseinschätzung nach der Einreise zur vorläufigen Inobhutnahme des Antragstellers in der Verantwortung der Stadt F. erstellt wurde, für sechs in dem Formular angeführte Parameter die Beurteilung „kindlich/jugendlich“ angekreuzt. Zudem wurden darin die Haare als „unauffällig“ beurteilt und es wurde festgestellt, Bartwuchs sei „nicht vorhanden“.

Mit diesen Feststellungen, die bereits aktenkundig waren, hat sich die Antragsgegnerin bei ihrer Würdigung nicht auseinandergesetzt.

(bb) Weiterhin stützt die Antragsgegnerin ihre Gesamteinschätzung des Antragstellers wesentlich auch darauf, dass dieser sich im Rahmen des mit ihm geführten Gesprächs in erhebliche Widersprüche zu seinen früheren Angaben hinsichtlich seines Werdegangs und zu seinen familiären Verhältnissen verstrickt habe. Allerdings wird nicht schlüssig dargelegt, welche Rückschlüsse auf den „Entwicklungsstand“ des Antragsstellers diese Feststellung im Hinblick auf die zu treffende Alterseinschätzung zulassen sollte. Es ist gerichtsbekannt, dass auch Jugendliche häufig die Unwahrheit sagen. Gerade die Offensichtlichkeit der Widersprüche in den Angaben des Antragstellers lassen zudem bei vorläufiger Würdigung mindestens genauso gut den Schluss zu, dass der Antragsteller noch nicht die Reife eines Erwachsenen erreicht hat. Denn einem Erwachsenen dürfte im Allgemeinen eher als einem Jugendlichen zuzutrauen sein, für bewusst unwahre Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen eine in sich grundsätzlich schlüssige „Legende“ zu konstruieren und diese auch bei mehrfachen Befragungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten „durchzuhalten“. Eine insoweit eher fehlende Reife des Antragstellers zeigt sich auch in seiner im Protokoll der Inaugenscheinnahme wiedergegebenen Reaktion auf die ihm vorgehaltenen inhaltlichen Widersprüche seiner Eigenangaben. Danach ging er darauf nicht weiter ein, sondern begann zu lachen, was eine durchaus typisch jugendliche Verlegenheitsreaktion auf einen - insbesondere berechtigten - Vorhalt der Lüge darstellt. Die ebenfalls protokollierte „Abschlussbemerkung“ des Antragstellers, wenn er es sich aussuchen könne, wolle er lieber minderjährig sein, könnte auch den Schluss auf eine jugendtypische Unreife zulassen, denn sie ist aus Sicht eines Erwachsenen doch auch von einem erheblichen Maß an Naivität geprägt.

(cc) Weiterhin ist in dem über die Inaugenscheinnahme gefertigten Protokoll zu dem Verhalten des Antragstellers im Wohngruppenalltag angeführt, dieser wirke größtenteils erwachsen und reflektiert, könne sich gut ausdrücken und verantwortlich handeln.

Es ist bereits nicht ersichtlich, woher diese Erkenntnisse der Antragsgegnerin stammen. Sie stehen zudem in Widerspruch zu dem Inhalt der Mitteilung der Einrichtung vom 11.05.2016 über die vom Zahnarzt getroffene Aussage zum Entwicklungsstand der Weisheitszähne und dessen daraus abgeleiteter Einschätzung des Antragsstellers als mindestens 20 Jahre alt. Denn in dieser Mitteilung führt die Einrichtung ergänzend explizit aus, der Antragsteller zeige im alltäglichen Umgang ein für Jugendliche typisches Verhalten und wirke nicht wie ein 20-jähriger. Mit diesem Hinweis hat sich die Antragsgegnerin bei ihrer Einschätzung nicht auseinandergesetzt.

In Widerspruch zu der Einschätzung einer Befähigung zu reflektiertem und verantwortlichem Handeln steht zudem der protokollierte Vorfall am 23.05.2016. Danach hatte der Antragsteller, nachdem er erfahren hatte, dass seine Freundin im Iran nunmehr einen anderen Mann geheiratet habe, sich selbst verletzt und Alkohol getrunken und war in eine verbale Auseinandersetzung mit einer Betreuerin in der Wohneinrichtung geraten. Auch mit diesem Vorfall hat sich die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Würdigung nicht auseinandergesetzt.

dd) Die im Protokoll der Inaugenscheinnahme niedergelegte Weigerung des Antragstellers, sich für eine Altersbestimmung einer röntgenologischen Untersuchung seines Handwurzelknochens zu unterziehen, rechtfertigt ebenfalls nicht seine Einstufung als volljährig.

Zwar hat das Jugendamt nach § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bei nach einer qualifizierten Inaugenscheinnahme verbleibenden Zweifeln an der Minderjährigkeit eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen und haben die Betroffenen gemäß Satz 4 der Norm insoweit auch grundsätzlich eine ggf. sanktionsbewehrte Mitwirkungspflicht. Unabhängig aber von den umstrittenen Fragen, ob überhaupt insofern eine röntgenologische Untersuchung des Handwurzelknochens erfolgen darf und ob sich aus einer solchen Untersuchung hinreichend gesicherte medizinische Erkenntnisse zum Alter eines Menschen gewinnen lassen, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass der Antragsteller, wie es § 42f Abs. 2 Satz 3, Hs. 1 SGB VIII ausdrücklich verlangt, über die möglichen Folgen einer Weigerung für das weitere Verfahren der Alterseinschätzung aufgeklärt worden ist. In dem über das geführte Gespräch im Rahmen der Inaugenscheinnahme gefertigten Protokoll ist eine derartige Belehrung nicht vermerkt. Ohne eine entsprechende Belehrung können aber von Gesetzes wegen keine negativen Folgen aus der Verweigerung einer Mitwirkung gezogen werden, wie sich aus § 66 Abs. 3 SGB I ergibt, dessen entsprechende Geltung § 42f Abs. 2 Satz 4 SGB VIII ausdrücklich anordnet.

ee) Schließlich trägt auch der Hinweis des behandelnden Zahnarztes, nach dem röntgenologischen Erscheinungsbild der Ausbildung seiner Weisheitszahnwurzeln sei der Antragsteller als mindestens 20 Jahre alt einzuschätzen, die von der Antragsgegnerin getroffene Alterseinschätzung nicht. Dabei kann offen bleiben, ob die Weitergabe dieser Information datenschutzrechtlich überhaupt zulässig war und ob sich bei einer Unzulässigkeit der Weitergabe daraus ein Beweisverwertungsverbot ergäbe. Denn die dahingehende Angabe des Zahnarztes genügt ersichtlich nicht den Anforderungen, die an eine sachverständige medizinische Aussage zur Altersbestimmung einer Person zu stellen sind. Sie enthält insbesondere keinerlei Aussage dazu, auf Grund welcher medizinisch hinreichend abgesicherten Erkenntnissen und Methoden sich aus dem Ausbildungszustand der Wurzeln von Weisheitszähnen unabhängig insbesondere von der Herkunft und den bisherigen Lebens- und Ernährungsbedingungen einer Person ausreichend valide Aussagen zu deren Lebensalter ableiten lassen.

II.

Da die Antragsgegnerin ihren Bescheid vom 09.08.2016 bereits umgesetzt hat, ordnet das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO die Aufhebung dieser Vollziehung an, indem sie der Antragsgegnerin aufgibt, den Antragsteller erneut in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Nur dadurch kann die in diesem Beschluss angeordnete aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller gegen die Beendigung seiner Inobhutnahme erhobenen Klage praktisch wirksam werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO.