Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 02.12.2021, Az.: 12 A 913/21
Abschiebung; Betretenserlaubnis; Duldung; Ehe; Familienleben; Feststellungsklage; Folgenbeseitigungsanspruch; Reiseunfähigkeit; Rückgängigmachung; Rückholung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 02.12.2021
- Aktenzeichen
- 12 A 913/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70772
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 42 S 1 AsylVfG 1992
- § 11 Ab 8 AufEnthG
- § 58 Abs 1 S 1 AufenthG
- § 60 Abs 7 AufenthG
- § 60a Abs 2 S 1 AufenthG
- § 60a Abs 2c AufenthG
- Art 8 MRK
- Art 20 Abs 3 GG
- Art 6 Abs 1 GG
- § 43 VwGO
- § 82 Abs 1 S 2 VwGO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Rückgängigmachung der Folgen seiner Abschiebung aus dem Bundesgebiet.
Der geborene Kläger ist montenegrinischer Staatsangehöriger vom Volk der Roma. Am 25. Dezember 2017 reiste er zusammen mit Frau D. in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am 4. Januar 2018 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 19. Januar 2018 gab er u.a. an, er habe einen Tumor und Diabetes. In Montenegro sei er deshalb behandelt worden. Allerdings habe er keine Krankenversicherung erhalten. Im Anschluss an die Anhörung legte der Kläger mehrere urologische und radiologische Berichte aus Montenegro vor.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Montenegro zur Ausreise innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides auf. Darüber hinaus ordnete es ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an und befristete dieses auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG a.F. befristete es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 9. März 2018 vor dem Verwaltungsgericht E. Klage (Az. F.). Zugleich suchte er um vorläufigen Rechtsschutz nach (Az. G.). Mit Beschluss vom 10. April 2018 lehnte das Verwaltungsgericht E. den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab. Das Klageverfahren stellte es später wegen Nichtbetreibens ein.
Mit Schreiben vom 23. Mai 2018 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er aufgrund diverser Erkrankungen in der nächsten Zeit nicht bei ihr vorsprechen könne. Zum Nachweis seiner Erkrankungen legte er einen vorläufigen Entlassungsbrief des H. vom 27. April 2018 sowie einen Entlassungsbericht der I. vom 15. Mai 2018 vor. In dem vorläufigen Entlassungsbrief des J. wird berichtet, dass bei dem Kläger am 19. April 2018 aufgrund eines Nierenzellkarzinoms eine radikale Nephrektomie links durchgeführt worden sei. Am 27. April 2018 sei der Kläger „beschwerdearm“ in die weitere ambulante Behandlung entlassen worden. In dem Entlassungsbericht der K. wird ausgeführt, dass der Kläger dort vom 13. bis 15. Mai 2018 wegen eines Perianalabszesses sowie einer transsphinktären Fistel behandelt und anschließend in gutem Allgemeinzustand entlassen worden sei.
Am 2. Juli 2018 erteilte die Beklagte dem Kläger eine - später mehrfach verlängerte - Duldung.
Am 25. Juni 2018 stellte der Kläger beim Verwaltungsgericht L. einen Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts E. vom 10. April 2018 (Az. M.). Zur Begründung verwies er auf den Inhalt der vorbezeichneten ärztlichen Unterlagen. Er leide nach wie vor unter gesundheitlichen Beschwerden und befinde sich weiterhin in ärztlicher und medikamentöser Behandlung. Aufgrund seines Gesundheitszustandes sei er derzeit nicht reisefähig. Mit Beschluss vom 4. Juli 2018 lehnte das Verwaltungsgericht L. den Antrag des Klägers ab.
Mit Schreiben vom 25. September 2018 forderte die Beklagte den Kläger zur Vorlage von Nachweisen über seine Eheschließung mit Frau D. sowie über seine Vaterschaft zu der damals noch minderjährigen Frau N. auf. Für den Fall, dass keine Nachweise erbracht würden, sei beabsichtigt, ihn ohne seine Familienangehörigen abzuschieben.
In einem im Verwaltungsvorgang der Beklagten befindlichen vorläufigen Arztbrief des O. vom 22. März 2019 wird ausgeführt, dass sich der Kläger dort vom 22. bis zum 24. März 2019 wegen zwei linksseitiger Glutealabszesse sowie einer symptomatischen Narbenhernie im Bereich der linken Flanke in stationärer Behandlung befunden habe. Die Glutealabzesse seien am 22. März 2019 operativ entfernt worden. Der postoperative Verlauf habe sich komplikationslos gestaltet. Wegen der Narbenhernie werde eine CT-Untersuchung und eine anschließende operative Versorgung empfohlen.
Am 19. Dezember 2019 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten, er sei bereit dazu, Deutschland zu verlassen. Die Ausreise solle im Februar 2020 zu erfolgen.
Im Februar 2020 reichte der Kläger über die P. einen Untersuchungsbericht der Q. vom 3. Februar 2020 bei der Beklagten ein. Darin wird ausgeführt, dass bei dem Kläger eine Narbenhernie im Bereich der linken Flanke vorliege, die bei körperlicher Aktivität zunehmend schmerzhaft sei und ihn in seiner Lebensführung deutlich einschränke. Es bestehe keine Reisefähigkeit. Eine operative Versorgung der Narbenhernie sei dringend erforderlich.
Unter dem 15. April 2020 ersuchte die Beklagte das Landeskriminalamt Niedersachsen, die Abschiebung des Klägers nach Montenegro durchzuführen.
Mit Schreiben vom 5. Mai 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine zuletzt bis zum 2. Mai 2020 verlängerte Duldung für weitere sechs Monate gültig bleibe.
Mit E-Mail vom 21. Januar 2021 unterrichtete die Landesaufnahmebehörde die Beklagte darüber, dass die Abschiebung des Klägers am 15. Februar 2021 auf dem Luftweg erfolgen werde.
Am 15. Februar 2021 hat der Kläger bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Abschiebung nachgesucht (Az. R.). Der Antrag ist der Kammer erst nach vollzogener Abschiebung zur Kenntnis gelangt. Mit Schriftsatz vom 17. März 2021 hat der Kläger seinen Antrag zurückgenommen, woraufhin das vorläufige Rechtsschutzverfahren mit Beschluss vom 18. März 2021 eingestellt worden ist.
Am 20. März 2021 hat der Kläger erneut um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt, die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn nach Deutschland zurückzuholen (Az. S.). Mit Beschluss vom 15. April 2021 hat die Kammer den Antrag abgelehnt.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, seine Abschiebung sei rechtswidrig gewesen. Da er in Deutschland zusammen mit seiner Ehefrau und seinen beiden Töchtern gelebt habe, liege ein Verstoß gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vor. Darüber hinaus sei er in Deutschland permanent fachärztlich behandelt worden. Nach dem 19. Dezember 2019 habe sich sein gesundheitlicher Zustand rapide verschlechtert. Vom 25. bis zum 27. Dezember 2019 sei er im T. wegen eines akuten Nierenversagens prärenaler Genese sowie einer hypergklykämischen Entgleisung stationär behandelt worden. Aufgrund der bei ihm zusätzlich vorliegenden Narbenhernie, die sich Anfang Februar 2020 akut hochgradig verschlechtert habe, sei er ausweislich des vorgelegten urologischen Untersuchungsberichts vom 3. Februar 2020 seit diesem Tag reiseunfähig gewesen. Hiervon habe die Beklagte über die P. erfahren. An seine Prozessbevollmächtigte habe er sich im Jahr 2020 nicht wenden können, da er deren Visitenkarte verloren gehabt habe. Er habe sich darauf verlassen, dass die Mitteilung der U. an die Beklagte ausreiche. Obwohl die Abschiebung bereits eingeleitet gewesen sei, habe die Beklagte seine Duldung verlängert und ihm damit zu verstehen gegeben, dass „alles in Ordnung“ sei. Vor diesem Hintergrund habe er sich darauf verlassen dürfen, nicht abgeschoben zu werden. Infolge der Corona-Pandemie habe er trotz seines verschlechterten Zustandes aus Kapazitätsgründen vorerst nicht operiert werden können. Zudem habe er auf eine Kostenübernahmeerklärung gewartet. Die Operation wegen der großen Narbenhernie sei schließlich für den 22. Februar 2021 geplant worden. Weder sei er vor seiner Abschiebung ärztlich untersucht noch während der Abschiebung ärztlich begleitet worden. Die Abschiebung sei daher bereits aus formalen Gründen rechtswidrig. Sowohl auf dem Weg zum Flughafen als auch im Flugzeug sei es ihm gesundheitlich sehr schlecht gegangen. Nach wie vor leide er unter einer Narbenhernie, einer Nierenerkrankung sowie unter Diabetes Mellitus Typ II. In Montenegro sei er ärztlich nicht versorgt. Er erhalte kein Insulin. Zudem müsse er dringend operiert werden. Die Operation könne in Montenegro jedoch nicht durchgeführt werden. Schließlich zähle er zur Corona-Risikogruppe.
Der Kläger legt ergänzend einen Arztbrief des V. vom 27. Dezember 2019 sowie eine handschriftliche Notiz von W., Fachärztin für Allgemeinmedizin, zur Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung vom 7. Februar 2020 vor.
Ursprünglich hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Duldung nach § 60a AufenthG zu erteilen. Mit Schriftsätzen vom 18. März und vom 30. November 2021 hat er seine Klageanträge umgestellt.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. die Beklagte zu verpflichten, ihn in das Bundesgebiet zurückzuholen, indem sie ihm eine Betretenserlaubnis für das Bundesgebiet erteilt und ihm ein Flugticket für einen Flug vom Flughafen X., Montenegro, in die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stellt,
2. hilfsweise, festzustellen, dass seine Abschiebung am 15. Februar 2021 rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Abschiebung des Klägers sei rechtmäßig gewesen. Auf Art. 6 GG könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Seine Töchter seien bereits volljährig. Nachweise über die Wirksamkeit seiner Eheschließung habe er trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Aus den Arztberichten aus den Jahren 2018 und 2019 ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Reiseunfähigkeit. Erstmals thematisiert werde eine Reiseunfähigkeit in dem urologischen Untersuchungsbericht vom 3. Februar 2020. Der Bericht genüge jedoch nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung. Die Behauptung des Klägers, er habe die Kontaktdaten der Ausländerbehörde verloren gehabt, weshalb er nicht in der Lage gewesen sei, entsprechende Unterlagen einzureichen, sei wenig glaubhaft, da er in der Vergangenheit mehrfach bei der Behörde vorgesprochen habe. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine freiwillige Ausreise konkret beabsichtigt habe, hätten nicht vorgelegen. Eine Duldung schütze den Betroffenen nicht vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Die Nebenbestimmung der Duldung mit dem Wortlaut „Erlischt vorzeitig mit Bekanntgabe des Rückführungstermins“ lasse den Betroffenen nicht in dem Glauben, dass „alles in Ordnung“ sei. Zwischen der Einreichung des urologischen Untersuchungsberichts vom 3. Februar 2020 und der am 5. Mai 2020 ausgestellten „Corona-Bescheinigung“ habe kein kausaler Zusammenhang bestanden. Die Bescheinigung sei vielmehr aufgrund der Ausnahmesituation infolge der Corona-Pandemie erteilt worden. Soweit der Kläger auf die fehlende Behandelbarkeit seiner Erkrankungen in Montenegro verweise, betreffe dies die Frage nach dem Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots, über die nicht die Ausländerbehörde, sondern das Bundesamt zu entscheiden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Entscheidung, die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergeht (§ 101 Abs. 2 VwGO), sind die von dem Kläger zuletzt mit Schriftsatz vom 30. November 2021 geänderten Klageanträge zugrundezulegen. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 VwGO durfte der Kläger nach vollzogener Abschiebung von seiner ursprünglich auf Erteilung einer Duldung abzielenden Klage auf sein jetziges Begehren, die Beklagte zu verpflichten, ihn in das Bundesgebiet zurückzuholen, bzw. die Rechtswidrigkeit seiner Abschiebung festzustellen, übergehen (so im Ergebnis auch Hocks, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 58 AufenthG Rn. 40).
Die Klage hat jedoch weder mit dem Hauptantrag (I.) noch mit dem Hilfsantrag (II.) Erfolg. Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
I. Der Hauptantrag ist hinsichtlich der Erteilung einer Betretenserlaubnis für das Bundesgebiet (§ 11 Abs. 8 AufenthG), eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG (Maor, in: BeckOK Ausländerrecht, 30. Edition, Stand: 01.07.2021, § 11 AufenthG Rn. 78), als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) und in Bezug auf die Zurverfügungstellung eines Flugtickets für einen Flug vom Flughafen X., Montenegro, in die Bundesrepublik Deutschland als allgemeine Leistungsklage zulässig (vgl. auch VG Stuttgart, Urt. v. 18.05.2021 - 2 K 325/21 -, juris Rn. 19). Mit den vorbezeichneten Handlungen hat der Kläger sein - als solches zu unbestimmtes (§ 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO) - Begehren, ihn in das Bundesgebiet zurückzuholen, ausreichend konkretisiert (vgl. zu diesem Problem im Hinblick auf das vorläufige Rechtsschutzverfahren Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2019 - 13 ME 519/18 -, juris Rn. 16).
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückholung in das Bundesgebiet.
Rechtsgrundlage eines dahingehenden Anspruchs kann der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch sein (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2019 - 13 ME 519/18 -, juris Rn. 22 m.w.N.). Dieser auf der Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG beruhende Anspruch setzt voraus, dass durch öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln eine subjektive Rechtsposition verletzt und dadurch ein andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist. Der Anspruch ist auf die Wiederherstellung des beseitigten rechtmäßigen Zustands gerichtet; zu beseitigen sind alle der handelnden Behörde zuzurechnenden, noch andauernden unmittelbaren Folgen ihres rechtswidrigen Vorgehens (BVerwG, Beschl. v. 02.12.2015 - 6 B 33.15 -, juris Rn. 14 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Durch die Abschiebung des Klägers ist kein rechtswidriger Zustand entstanden. Die Abschiebung ist zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt ihres Vollzugs (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2019 - 13 ME 519/18 -, juris Rn. 23; Bayer. VGH, Beschl. v. 30.07.2018 - 10 CE 18.769 und 10 CS 18.773 -, juris Rn. 23 m.w.N.) am 15. Februar 2021 rechtmäßig gewesen.
1. Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint.
Diese Voraussetzungen waren am 15. Februar 2021 erfüllt.
Der Kläger war nach Zustellung des Bescheides des Bundesamtes vom 26. Februar 2018 über die Ablehnung seines Asylantrages als offensichtlich unbegründet und der darin enthaltenen - kraft Gesetzes sofort vollziehbaren (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG) - Abschiebungsandrohung entsprechend § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, weil hierdurch die gesetzlich begründete Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG vollziehbar erloschen war (vgl. dazu Nds. OVG, Beschl. v. 13.03.2018 - 13 ME 38/18 -, juris Rn. 9, und Beschl. v. 29.03.2019 - 13 ME 519/18 -, juris Rn. 24).
Das durch den rechtzeitig gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kraft Gesetzes entstandene temporäre Abschiebungsverbot des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG war mit der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts E. vom 10. April 2018 erloschen. Auch die im Bescheid vom 26. Februar 2018 gesetzte Ausreisefrist war am 15. Februar 2021 abgelaufen. Zu einer freiwilligen Ausreise war der Kläger - wie die Beklagte zutreffend ausführt - erkennbar nicht (mehr) bereit.
2. Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Abschiebung wegen einer bei ihm bestehenden krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen.
Grundsätzlich kann sich aus einer Reiseunfähigkeit ein inlandsbezogenes Ausreisehindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG ergeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, der Gesundheitszustand des Ausländers werde sich durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern, und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch den Transport als solchen wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmalig entstehen würde (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch dann, wenn sich durch die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorganges und unabhängig vom Zielstaat - der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn, vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2011 - 8 LB 121/08 -, juris Rn. 47 m.w.N.).
Da nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG vermutet wird, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, muss der Ausländer, will er unter Berufung auf gesundheitliche Gründe eine Aussetzung der Abschiebung erwirken, die widerlegliche Vermutung entkräften (Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2019 - 13 ME 519/18 -, juris Rn. 28 m.w.N.). Hierzu muss er der Ausländerbehörde gemäß § 60a Abs. 2d Satz 1 AufenthG unverzüglich eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorlegen, die den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Sätze 2 bis 4 AufenthG genügt. Nach diesen Vorschriften muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
Nach diesen Maßgaben hatte der Kläger am 15. Februar 2021 eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht.
Die Entlassungsberichte des J. vom 27. April 2018 und der K. vom 15. Mai 2018, der vorläufige Arztbrief des Y. vom 22. März 2019 sowie der - allerdings erst im Gerichtsverfahren vorgelegte - Arztbrief des V. vom 27. Dezember 2019 treffen zu einer etwaigen Reiseunfähigkeit des Klägers keine Aussage. Vielmehr wird in den Berichten vom 27. April 2018, vom 15. Mai 2018 und vom 22. März 2019 ausgeführt, dass der Kläger „beschwerdearm“, in „gutem Allgemeinzustand“ bzw. nach „komplikationslosem postoperativem Verlauf“ entlassen werde. Dem Arztbrief vom 27. Dezember 2019 lässt sich lediglich entnehmen, dass sich der Kläger vom 25. Dezember bis zum 27. Dezember 2019 u.a. wegen akuten Nierenversagens in stationärer Behandlung befand. Unabhängig davon wären die vorbezeichneten Bescheinigungen auch nicht aktuell genug, um eine Reiseunfähigkeit am 15. Februar 2021 zu belegen.
In dem über die P. bei der Beklagten eingereichten urologischen Untersuchungsbericht vom 3. Februar 2020 wird dem Kläger zwar eine Reiseunfähigkeit bescheinigt. Der Bericht erfüllt jedoch - abgesehen davon, dass er am 15. Februar 2021 bereits mehr als ein Jahr alt war - nicht die Anforderungen des § 60a Abs. 2c Sätze 2 bis 4 AufenthG. So ist die diagnostizierte Erkrankung „Große Narbenhernie“ weder mit ihrem lateinischen Namen noch mit ihrer ICD 10-Klassifizierung bezeichnet. Darüber hinaus fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung der Reiseunfähigkeit. So wird lediglich ausgeführt, bei dem Kläger bestehe eine Narbenhernie im Bereich der linken Flanke, die bei körperlicher Aktivität zunehmend schmerzhaft sei und den Kläger in seiner Lebensführung deutlich einschränke. In welcher Art und Weise bzw. in welchem Umfang die Lebensführung eingeschränkt ist, ergibt sich aus dem Bericht nicht. Soweit darin die operative Versorgung der Narbenhernie als „dringen[d] erforderlich“ bezeichnet wird, wird diese Einschätzung im Übrigen dadurch in Frage gestellt, dass in den darauffolgenden Monaten keine Operation bei dem Kläger durchgeführt worden ist. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang u.a. auf fehlende Kapazitäten aufgrund der Corona-Pandemie verweist, überzeugt dies in dieser Pauschalität nicht. So ist bekannt, dass dringende, lebensnotwendige Operationen auch im Frühjahr 2020 durchgeführt werden konnten (vgl. https://www.businessinsider.de/wissenschaft/gesundheit/wegen-corona-28-millionen-operationen-weltweit-verschoben/, abgerufen am 02.12.2021).
Vor diesem Hintergrund durfte sich der Kläger nicht „darauf verlassen“, dass die Einreichung des urologischen Untersuchungsberichts zum Nachweis einer (fortbestehenden) Reiseunfähigkeit genügen würde. Soweit er vorträgt, er habe sich seinerzeit nicht an seine Prozessbevollmächtigte wenden können, da er deren Visitenkarte - und nicht, wie die Beklagte irrtümlich annimmt, die Kontaktdaten der Beklagten - verloren gehabt habe, fällt dieser Umstand in seine eigene Sphäre. Auch das Verhalten der Beklagten gab für die von ihm zum Ausdruck gebrachte Erwartung, nicht abgeschoben zu werden, jedenfalls am 15. Februar 2021 keinen Anlass. Zwar hatte diese seine ursprünglich bis zum 2. Mai 2020 befristete Duldung unter dem 5. Mai 2020 für sechs weitere Monate verlängert, indem sie ihm eine sog. Corona-Bescheinigung ausgestellt hatte. Zumindest nach Ablauf dieser Frist musste der Kläger jedoch mit seiner Abschiebung rechnen.
Lagen der Beklagten zum Zeitpunkt der Abschiebung somit keine ausreichenden Nachweise für eine Reiseunfähigkeit des Klägers vor, bestand auch für eine ärztliche Begleitung im Rahmen der Abschiebung kein Anlass.
3. Auch der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) stand einer Abschiebung des Klägers nicht entgegen.
Ein Abschiebungshindernis ergab sich nicht im Hinblick auf die Beziehung zu seinen - ausweislich des Verwaltungsvorgangs der Beklagten am 15. Februar 2021 bereits volljährigen - Töchtern.
Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungs-gemeinschaft der minderjährigen Kinder und ihrer Eltern. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt darüber hinaus aber auch auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie zwischen erwachsenen Familienmitgliedern bestehen können. Dieser Schutz knüpft allerdings nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr in einem solchen Fall die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft. Den Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern kommt im Verhältnis zu den widerstreitenden einwanderungspolitischen Belangen aber in der Regel nur ein geringeres Gewicht zu. Allenfalls dann, wenn beispielsweise ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, kann dies einwanderungspolitische Belange zurückdrängen; die tatsächlich geleistete Hilfe muss eine wesentliche sein (vgl. z.B. Nds. OVG, Beschl. v. 09.08.2017 - 13 ME 167/17 -, juris Rn. 18, und Beschl. v. 30.05.3018 - 8 ME 3/18 -, juris Rn. 43).
Dass seine Töchter zwingend auf seine Lebenshilfe angewiesen gewesen wären oder er selbst zwingend der Lebenshilfe seiner Töchter bedurft hätte, trägt der Kläger nicht vor und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Auch seine Beziehung zu Frau D. stand einer Abschiebung nicht entgegen. Bei der persönlichen Asylantragstellung ist der Familienstand des Klägers mit „ledig“ erfasst worden. Unterlagen, die eine wirksame Eheschließung belegen würden, hat der Kläger trotz Aufforderung durch die Beklagte im Verwaltungsverfahren nicht vorgelegt. Auch gegenüber dem Gericht hat er sich zu der von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 29. März 2021 erneut aufgeworfenen Frage der Wirksamkeit der Eheschließung nicht geäußert.
4. Der Kläger war auch nicht im Hinblick auf das in Art. 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens zu dulden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begründet, grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht (BVerwG, Urt. v. 26.10.2020 - 1 C 18.09 -, juris Rn. 14). Da dem Kläger seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ausschließlich asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestattungen und Duldungen erteilt worden sind, wurde ihm zu keiner Zeit ein Aufenthaltsrecht eingeräumt, das ein berechtigtes Interesse auf den Fortbestand seines Aufenthalts im Bundesgebiet hätte begründen können.
5. Der Rechtmäßigkeit der Abschiebung stand schließlich auch kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte - und auch das Gericht - nach § 42 Satz 1 AsylG an die entsprechende negative Feststellung im Bescheid des Bundesamtes vom 26. Februar 2018 gebunden und im aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu einer eigenen Prüfung weder berechtigt noch verpflichtet sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, juris Rn. 12). Hierfür ist es auch unerheblich, ob sich die Sachlage nach Erlass des Bescheides durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geändert hatte. Die Wirkung des § 42 Satz 1 AsylG kann in der hier gegebenen Fallkonstellation nur durch einen (erneuten) Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO in dem gegen das Bundesamt geführten Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes überwunden werden (Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2019 - 13 ME 519/18 -, juris Rn. 33).
II. Der Hilfsantrag, die Rechtswidrigkeit der vollzogenen Abschiebung, eines Realaktes (BVerwG, Urt. v. 21.08.2018 - 1 C 21.17 -, juris Rn. 16), festzustellen, ist als allgemeine Feststellungsklage zulässig. Die aufgrund der Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes vollzogene Abschiebung des Klägers begründet ein Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Berlin, Urt. v. 25.02.2015 - 24 K 14.15 -, juris Rn. 43; VG Stuttgart, Urt. v. 18.05.2021 - 2 K 325/21 -, juris Rn. 50). Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Abschiebung mit der Pflicht zur Kostentragung (§ 66 Abs. 1 AufenthG) sowie mit dem Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG über ihren Vollzug hinaus belastende Wirkungen für den Kläger entfaltet, die im Falle ihrer Rechtswidrigkeit entfallen (vgl. VG Berlin, Urt. v. 25.02.2015 - 24 K 14.15 -, juris Rn. 44, VG Stuttgart, Urt. v. 18.05.2021 - 2 K 325/21 -, juris Rn. 51 sowie allgemein Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 34 a.E.). Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht der Grundsatz der Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) entgegen. Zwar wäre die Rechtmäßigkeit der Abschiebung im Rahmen einer gegen den Bescheid, mit dem die Kosten der Abschiebung geltend gemachten werden, bzw. einer auf Wiedereinreise gerichteten Klage inzident zu prüfen (vgl. auch VG Berlin, Urt. v. 25.02.2015 - 24 K 14.15 -, juris Rn. 44; VG Stuttgart, Urt. v. 18.05.2021 - 2 K 325/21 -, juris Rn. 51). Die Feststellungsklage stellt sich insoweit jedoch als der umfassendere - und damit effektivere (Art. 19 Abs. 4 GG) - Rechtsbehelf dar (vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Urt. v. 09.12.1982 - 5 C 103.81 -, juris Rn. 12; Möstl, in: BeckOK VwGO, 59. Edition, Stand: 01.10.2021, § 43 Rn. 13 und 13.1).
Der Antrag ist aber ebenfalls unbegründet, da die Abschiebung des Klägers aus den unter I. genannten Gründen rechtmäßig war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.