Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 03.12.2021, Az.: 5 B 1574/21

Arbeitsaufnahme; Bewerbungen; Freizügigkeitsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.12.2021
Aktenzeichen
5 B 1574/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70985
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

keine ausreichenden Bemühungen zur Arbeitsaufnahme

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EURO festgesetzt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt.

Er ist 1957 geboren, libanesischer und italienischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben im März 2015 zur Arbeitsuche in das Bundesgebiet eingereist. Nach seiner Einreise war er zunächst bei einem Freund im Zuständigkeitsgebiet der Antragsgegnerin gemeldet und ab Juni 2015 unbekannt verzogen. Seit April 2016 ist er wieder im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin gemeldet. Einer Arbeit ging er zunächst nicht nach.

Der Antragsteller leidet seit mindestens 2010 an einer ausgeprägten arteriellen Verschlusskrankheit und ist mit Statinen eingestellt. Ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung von August 2019 erlitt er in den Jahren 2013 und 2014 Myokardinfarkte. Die Belastbarkeit des Antragstellers sei erheblich eingeschränkt. Aufgrund einer mit der Erkrankung einhergehenden isolierten Lp(a)-Erhöhung werde der Antragsteller seit Mai 2017 sekundärprophylaktisch mittels Lipidapherese behandelt. Die Behandlungen seien zweimal wöchentlich erforderlich, kraftraubend und dauerten einschließlich der Wegezeiten jeweils fünf Stunden. Der Antragsteller stehe faktisch einem Dialysepatienten gleich und sei als schwerbehindert anzusehen. Er wurde 2019 vorübergehend stationär behandelt.

Vom 1. Juni 2015 bis 30. Juni 2017 bezog der Antragsteller Leistungen nach dem SGB II. Am 6. Juni 2017 nahm er eine Tätigkeit als Paketzusteller auf, wurde aber schon zum 12. August 2017 gekündigt. Vom 1. September 2017 bis 31. Dezember 2017 bezog er wieder Leistungen nach dem SGB II.

Am 2. August 2019 beantragte der Antragsteller erneut Leistungen nach dem SGB II. Die Antragsgegnerin hörte den Antragsteller sodann mit Schreiben vom 7. November 2019 zu der beabsichtigten Feststellung des Verlusts der Freizügigkeitsrechte an. Der Antragsteller machte daraufhin geltend, dass er seit seiner Einreise Arbeit suche und im Jahr 2017 erkrankt sei. Im Oktober 2019 habe er eine Aktivierungsmaßnahme des JobCenters in Anspruch genommen.

Mit Bescheid vom 26. Februar 2020 stellte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet fest, forderte ihn zur Ausreise innerhalb eines Monats ab Zustellung der Verfügung auf und drohte ihm ansonsten die Abschiebung in die Italienische Republik, die Libanesische Republik oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an. Zur Begründung führt sie aus, dass der Antragsteller nach seiner Einreise zunächst gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU für sechs Monate freizügigkeitsberechtigt gewesen sei. Dass er darüber hinaus weiter Arbeit gesucht habe, habe er nicht nachgewiesen. Da der Antragsteller über seine Tätigkeit als Paketzusteller außer der Kündigung innerhalb der Probezeit keinerlei Unterlagen vorgelegt habe, sei schon zweifelhaft, ob er eine tatsächliche und echte und nicht nur völlig untergeordnete wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe. Selbst dann sei er nur bis 12. August 2017 freizügigkeitsberechtigt gewesen, weil die Voraussetzungen für ein andauerndes Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 Satz 1 FreizügG/EU nicht erfüllt gewesen seien. Er sei nicht vorübergehend erwerbsgemindert, sondern dauernd eingeschränkt, dem Grunde nach aber erwerbsfähig. Er habe auch keine Bestätigung der Agentur für Arbeit über eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit vorgelegt.

Der Antragsteller sei auch nicht gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil er nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfüge. Nachdem er während seines bisherigen Aufenthalts keiner durchgehenden Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und auch seinen Lebensunterhalt nicht habe decken können, habe er auch kein Daueraufenthaltsrecht gem. § 4a FreizügG/EU erworben. Bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls sei der Verlust der Freizügigkeitsrechte festzustellen. Der Antragsteller verfüge über keine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet. Er habe keine relevante Erwerbstätigkeit ausgeübt, sei erstmals im Alter von 57 Jahren ins Bundesgebiet eingereist und habe einen großen Teil seines Lebens in der Libanesischen Republik und der Italienischen Republik verbracht.

Der Antragsteller hat am 13. März 2020 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist –G. – und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er macht im Wesentlichen geltend, dass er weiter freizügigkeitsberechtigt sei, weil er zur Arbeitssuche eingereist sei und weiter Arbeit suche. Er sei infolge seiner Erkrankung nicht vollständig erwerbsunfähig, sondern zu leichten Tätigkeiten in der Lage. Er habe sich an einer Aktivierungsmaßnahme für den Arbeitsmarkt beteiligt und suche nach deren Ende eine geeignete Tätigkeit. Die Suche werde durch die COVID-19-Pandemie erschwert.

Erstmals im Verfahren hat der Antragsteller für die Monate Juni, Juli und August 2017 Bescheinigungen seines Arbeitgebers über ein Nettogehalt von 876,11, 1.066,31 bzw. 888,10 Euro vorgelegt.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 13. März 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Februar 2020 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und tritt insbesondere der Auffassung des Antragstellers entgegen, dass er sich ernsthaft und nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 6. November 2020 zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage gegen die Verlustfeststellung hat gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung, da die sofortige Vollziehung angeordnet wurde. Daher wäre die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO wiederherzustellen. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 64 Abs. 4 NPOG und wäre dahingehend i. S. v. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO anzuordnen. Nach dem Antrag und Vorbringen des Antragstellers besteht kein Anlass für die Annahme, dass er darüber hinaus auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das verfügte und befristete Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU i. V. m. § 11 Abs. 1 AufenthG im Eilverfahren beantragt.

2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 AufenthG ist unbegründet.

a. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt in formeller Hinsicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen ist. Hierzu hat die Antragsgegnerin im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller in erheblichem Umfang öffentliche Leistungen in Anspruch nehme. Seine weitere Anwesenheit sei dazu geeignet, die Reintegration im Heimatland zu erschweren und damit die Durchsetzung des Bescheides erheblich zu beeinträchtigen. Dabei hat die Antragstellerin die erforderliche Folgenabwägung zwischen der aufschiebenden Wirkung der Klage und der vorläufigen Vollziehung getroffen. Ob diese inhaltlich tragfähig ist, ist für die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unerheblich. Denn § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt nicht, dass die für das besondere Vollzugsinteresse angeführten Gründe auch materiell überzeugen, also inhaltlich die getroffene Maßnahme rechtfertigen. Dies ist stattdessen Gegenstand der gesonderten, folgenden (materiellen) Prüfung nach § 80 Abs. 5 VwGO (Nds. OVG, Beschluss vom 18.3.2021 – 12 ME 40/21 – n. V.).

b. Auch in materieller Hinsicht erweist sich der angefochtene Bescheid nach dem im Eilverfahren anzulegenden Prüfungsmaßstab als rechtmäßig.

Die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das Gericht zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind. Bei einem nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechenden Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen ist. Ergibt eine summarische Einschätzung des Gerichts hingegen, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache erfolglos bleiben wird, ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz unbegründet, denn ein begründetes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung entfällt nicht dadurch, dass der Verwaltungsakt offenbar zu Unrecht angegriffen wird.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder – wie hier – Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 – BVerwG 1 C 21.18 –, juris Rn. 11; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 – BVerwG 1 C 3.16 –, juris Rn. 18; Urteil vom 10.7.2012 – BVerwG 1 C 19.11 –, juris Rn. 12).

aa. Rechtsgrundlage für die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechtes ist § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU. Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen. Das ist hier der Fall.

Der Antragsteller erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, weil er nicht im Sinne von § 2 Abs. 2 FreizügG/EU unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt ist.

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU sind Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur solange freizügigkeitsberechtigt, wie sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der Unionsbürger muss sich ernsthaft und nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen und sein Bemühen darf objektiv nicht aussichtslos sein. Es obliegt in der Regel dem arbeitssuchenden Ausländer, die Stellensuche im Einzelnen in nachprüfbarer Weise zu dokumentieren und Bewerbungs- und Antwortschreiben vorzulegen. Eine bloße Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitssuchend – die der Antragsteller nicht einmal nachgewiesen hat – und die Wahrnehmung sämtlicher von dort vermittelter Jobangebote genügen nicht, um als Arbeitssuchender i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU zu gelten. Daneben bedarf es vielmehr intensiver Eigeninitiative (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage, 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 68, 69).

Nach diesem Maßstab hat der Antragsteller keine ernsthaften und nachhaltigen Bemühungen dargelegt. Er hat hinsichtlich seiner Arbeitssuche für den Zeitraum von seiner Einreise im März 2015 bis Juni 2017 lediglich vorgetragen, er habe nach Arbeit gesucht. Nachweise darüber lägen ihm aber nicht mehr vor. Damit ist der Kläger seiner Obliegenheit, seine Bemühungen um eine Arbeitsstelle zu dokumentieren, nicht hinreichend nachgekommen. Aus dem bloßen Umstand, dass er im Juni 2017 eine Arbeitsstelle aufgenommen hat, die ihm nur wenige Wochen später gekündigt worden ist, und im Juni 2020 eine Aktivierungsmaßnahme absolviert hat, kann jedenfalls nicht geschlossen werden, dass er zuvor und danach mit begründeter Aussicht auf Erfolg im oben genannten Sinne Arbeit gesucht hat.

Der Antragsteller hat erst auf Anforderung des Gerichts überhaupt Nachweise über seine Bemühungen vorgelegt. Für den Zeitraum zwischen Klageerhebung im März 2020 und September 2020 hat der Antragsteller keinerlei durchgängige Bemühungen dargelegt. Die am 2. September 2020 eingereichten Unterlagen lassen lediglich einen Arbeitsversuch erkennen, bei dem der Antragsteller schon vor Aufnahme der Tätigkeit gekündigt worden ist. Bemühungen um weitere Tätigkeiten sind wiederum nicht dargelegt und auch nicht substantiiert geltend gemacht.

Die im November 2020 und März 2021 vorgelegten Bewerbungsschreiben aus den Monaten November 2020 und Januar 2021 bis März 2021 sind ebenfalls nicht geeignet, ernsthafte und nachhaltige Bemühungen um eine Arbeitsstelle zu belegen. Sie datieren aus einem selbst im Verhältnis zum gerichtlichen Verfahren kurzen Zeitraum und lassen auch keine begründeten Erfolgsaussichten erkennen. Das zeigt schon der Umstand, dass der Antragsteller jedenfalls bis März 2021 zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist.

Auch die Bewerbungsschreiben sind, soweit sie sich auf tatsächlich ausgeschriebene Stellen richten, teilweise nicht einmal mit vollständigen Adressen der Empfänger versehen. Sie enthalten keinerlei individuelle Aussage zur Person des Klägers, zu seiner persönlichen Situation, etwaigen Qualifikationen wie Fahrerlaubnis, besonderen Fertigkeiten, Vorerfahrungen etc. Auch der gesondert vorgelegte Lebenslauf weist insoweit nur Vorerfahrungen als Textildesigner und gesundheitsbedingte Arbeitslosigkeit aus. Im Übrigen richten sich die Bewerbungen unter anderem auf Stellen als Lagerarbeiter, Reinigungskraft und Paketsortierer und sind damit auf schlichte, aber anstrengende körperliche Tätigkeiten gerichtet, die der Antragsteller mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen und dem erheblichen extrakorporalen Behandlungsbedarf realistischerweise kaum wahrnehmen könnte. Dass sich der Antragsteller um eine Arbeitsstelle bemüht, die in seiner konkreten Situation mit allen fördernden und hindernden Faktoren bemüht, wird angesichts dessen nicht erkennbar.

Seit Juli 2021 hat der Antragsteller wiederum gar keine Bemühungen mehr dargelegt.

Der Antragsteller war weiterhin nicht selbständig erwerbstätig (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) oder selbständiger Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 FreizügG/EU). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass ein ausreichender Krankenversicherungsschutz oder ausreichende Existenzmittel gegeben sind, sodass die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU nicht vorliegen (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU). Außerdem ist der Kläger kein Student (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU). Da die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU nicht gegeben sind und der Kläger auch kein Familienangehöriger eines im Bundesgebiet aufhältigen, freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers im Sinne des § 3 FreizügG/EU ist, erfüllt der Kläger auch nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU.

Es liegt außerdem kein Fall des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU vor, weil die unstreitig bestehende (nicht vollständige) Erwerbsminderung nicht vorübergehend ist (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU) und der Antragsteller nicht länger als ein Jahr tätig war (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU) und keine Bestätigung der Agentur für Arbeit über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit vorgelegt hat.

Schließlich verfügt der Kläger auch über kein Daueraufenthaltsrecht (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU), weil er sich mangels durchgehender, ernsthafter und nachhaltiger Arbeitssuche nicht über einen durchgehenden Zeitraum von fünf Jahren freizügigkeitsberechtigt im Bundesgebiet aufgehalten hat.

bb. Die Entscheidung über den Verlust der Rechte nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU steht nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU im Ermessen der Behörde und ist hinsichtlich dieses Ermessens nach dem Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Danach prüft das Gericht, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Gemessen daran begegnet die Ermessensausübung keinen rechtlichen Bedenken. Zunächst hat die Antragsgegnerin ihr Ermessen erkannt und in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich dazu ausgeführt. Dabei hat die Antragsgegnerin eine Interessenabwägung vorgenommen und hat die schutzwürdigen Interessen des Klägers berücksichtigt. Insofern ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass sie der gesellschaftlichen Integration des Antragstellers ein geringes Gewicht beigemessen hat und aufgrund des Leistungsbezugs des Antragstellers dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung den Vorrang gegeben hat.

cc. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt. Dem Interesse des Antragstellers, den voraussichtlich negativen Ausgang des Klageverfahrens in der Bundesrepublik abwarten zu können und währenddessen staatliche Gesundheits- und Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, steht das öffentliche Interesse gegenüber, derartige Leistungen nicht erbringen zu müssen. Der Antragsteller hält sich seit 2015 durchgängig in der Bundesrepublik auf, hat sich währenddessen allerdings weder wirtschaftlich noch sozial integriert. Es ist davon auszugehen, dass er auch zukünftig in einigem Umfang auf staatliche Unterstützung angewiesen sein wird. Eine tatsächlich ertragsbringende eigene Einnahmequelle ist demgegenüber nicht ersichtlich.

3. Die Abschiebungsandrohung ist voraussichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. Mit der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU).

Die Frist zur freiwilligen Ausreise hat die Antragsgegnerin zwar mit dem nach § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU gesetzlich geschuldeten Mindestmaß bemessen. Sie ist vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller keine besonderen familiären oder wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet geltend gemacht hat, nach dem gegenwärtigen Sachstand noch ausreichend, um eine geordnete Ausreise zu ermöglichen.

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot aufgrund seiner Erkrankung hat der Antragsteller nicht geltend macht; es stünde der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auch nicht entgegen (§ 59 Abs. 3 AufenthG) und wäre in einem gesonderten Verfahren zu prüfen.

4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet. Prozesskostenhilfe erhält gemäß §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hier fehlt es nach den vorstehenden Ausführungen an hinreichenden Erfolgsaussichten.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 i. V. m. Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).