Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.12.2021, Az.: 10 A 5739/19
Redeverbot; Versammlungsbeschränkung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 07.12.2021
- Aktenzeichen
- 10 A 5739/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70389
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
Zur Frage, ob der Auftritt eines Redners bei einer öffentlichen Versammlung aufgrund zuvor getätigten Äußerungen, wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit untersagt werden darf.
In der Verwaltungsrechtssache
1. A.,
,
A-Straße, A-Stadt
2. Herr C.,
C-Straße, C-Stadt
- Kläger -
Prozessbevollmächtigter:
zu 1-2: Rechtsanwalt B.,
B-Straße, B-Stadt - -
gegen
Polizeidirektion Hannover
vertreten durch den Polizeipräsidenten,
Waterloostraße 9, 30169 Hannover - -
- Beklagte -
wegen Versammlungsrecht -Redeverbot-
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - ohne mündliche Verhandlung - am 7. Dezember 2021 durch die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Reccius, die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Eslami, die Richterin am Verwaltungsgericht Gogolin und die ehrenamtlichen B. Rinker und Scharninghausen für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Feststellung, dass ein von der Beklagten gegen den Kläger zu 2) verhängtes Redeverbot auf der Versammlung des Klägers zu 1) am 23.11.2019 rechtswidrig war.
Beim Kläger zu 1) handelt es sich um eine regionale Untereinheit der G. (im Folgenden: H.).
Der Kläger zu 2) ist stellvertretender Vorsitzender der H. und veranstaltete in den Jahren 2018 und 2019 das sogenannte "I."-Festival in Ostritz. Sein Bundeszentralregisterauszug enthält elf Eintragungen:
1. Das Amtsgericht J. stellte am 25.01.1988 wegen Sachbeschädigung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung seine Schuld fest und setzte die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 27 JGG über eine Bewährungszeit von zwei Jahren aus (Az.: K.).
2. Das Amtsgericht J. verurteilte ihn am 05.07.1991 wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung und Landfriedensbruch zu zwei Jahren Jugendstrafe (Az.: L.).
3. Das Amtsgericht M. verurteilte ihn am 23.02.1993 wegen Vergehens gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 70,00 DM (Az.: N.).
4. Das Amtsgericht O. verurteilte ihn am 09.03.1994 wegen Vergehens gegen das Waffengesetz zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 50,00 DM (Az.: P.).
5. Das Amtsgericht Q. verurteilte ihn am 18.05.1995 wegen Vergehens gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30,00 DM (Az.: R.).
6. Das Amtsgericht S. verurteilte ihn am 18.05.1995 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu acht Monaten Freiheitsstrafe (Az.: T.).
7. Das Amtsgericht S. verurteilte ihn am 23.11.1998 wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe (Az.: U.).
8. Das Amtsgericht V. verurteilte ihn am 08.05.2003 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30,00 EUR (Az.: W.).
9. Das Amtsgericht S. verurteilte ihn am 23.02.2006 wegen Volksverhetzung in zwei Fällen zu einem Jahr Freiheitsstrafe (Az.: X.).
10. Das Amtsgericht Y. verurteilte ihn am 15.05.2007 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,00 EUR (Az.: Z.).
11. Das Landgericht AA. verurteilte ihn am 03.07.2007 wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten (Az.: AB.).
Im November 2018 strahlte das Magazin "Panorama" des Norddeutschen Rundfunks (Im Folgenden: NDR) einen Beitrag aus, in dem der Journalist AC. AD. das ehemalige Mitglied der Waffen-SS Karl Münter interviewte. Hintergrund der Berichterstattung war, dass Karl Münter einer der Täter beim Massaker von Ascq war, bei dem eine Abteilung der 12. SS-Panzer-Division Hitlerjugend in der Nacht auf den 02.04.1944 im besetzten Frankreich bei einem Racheakt 86 Franzosen erschoss. Im August 1949 wurde Münter wegen seiner Beteiligung an dem Massaker vom Militärgericht Metz in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde jedoch nie vollstreckt. Ein erneutes Ermittlungsverfahren gegen den früheren SS-Mann Münter hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle im März 2018 wegen des Verbots der Doppelbestrafung eingestellt.
Anfang des Jahres 2019 wurde Karl Münter in seiner Wohnung Opfer eines Überfalls.
Der Kläger zu 1) zeigte am 17.04.2019 für den 23.11.2019 eine Versammlung mit Aufzug in Hannover zum Thema "Hol dir deine Stadt zurück" an.
Am 22.06.2019 hielt der Kläger zu 2) beim "I."-Festival eine Rede. Hiervon sind im Internet - unter anderem bei Youtube - Ausschnitte veröffentlicht. Diesen Videos kann man entnehmen, dass er im Rahmen seiner Rede wörtlich sagte: "Gut hinhören, Presse: Der Revolver ist schon geladen, Herr AD." (der entsprechende Beitrag kann auf youtube eingesehen werden, abrufbar unter: Neo-Nazis rufen zur Demo gegen Journalisten auf | ZAPP | NDR - YouTube, ab Minute 1:26, zuletzt abgerufen am 07.12.2021).
Mit E-Mail vom 10.10.2019 teilte der Kläger zu 1) der Beklagten mit, dass das Thema der Versammlung in "Schluss mit steuerfinanzierter Hetze -AD. in die Schranken weisen!" geändert werde sollte. Zudem zeigte er einen geänderten Routenverlauf an. Am 04.11.2019 fand zwischen den Beteiligten ein Koordinierungsgespräch statt. Darin erklärte Herr AE. für den Kläger zu 1), dass man sich aufgrund der Fernsehberichterstattung des Journalisten AC. AD. zu der Änderung der Versammlungsthematik entschieden habe. Damit einhergehend habe sich auch die geplante Routenführung geändert. So sei für die H. neben der Öffentlichkeitswahrnehmung im Innenstadtbereich vor allem der örtliche Bezug zum Funkhaus des NDR relevant, weshalb auch eine Zwischenkundgebung im Eingangsbereich vor dem Funkhaus abgehalten werden solle.
Mit Beschluss vom 07.11.2019 (Az.: AF.) untersagte das Landgericht AG. dem Landesverband Niedersachsen der H. im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Zwangsmitteln zu behaupten und/oder zu verbreiten, "Den Höhepunkt seiner (gemeint: AC. AD.) hetzerischen Journalistentätigkeit erlebte in AH. (Landkreis AI.), als der den ehemaligen Soldaten Karl Münter besuchte und mit merkwürdigen Fragen in ein Gespräch verwickelte - ohne überhaupt zu erwähnen, dass er ein Journalist sei oder das Gespräch für das Fernsehen gedacht wäre."
Mit E-Mail vom 14.11.2019 gab der Kläger zu 1) unter anderem den Kläger zu 2) als Redner auf der für den 23.11.2019 geplanten Versammlung an.
Mit Bescheid vom 15.11.2019 bestätigte die Beklagte unter Anordnung verschiedener versammlungsrechtlicher Beschränkungen die angezeigte Versammlung mit einem zuvor mit dem Kläger zu 1) abgestimmten Verlauf, welcher unter anderem eine Zwischenkundgebung vor dem Funkhaus des NDR vorsah.
Ab dem 19.11.2019 wurde in den sozialen Medien - nicht unter offiziellen H. Accounts - für die Versammlung am 23.11.2019 unter anderem mit einem Flyer mit dem Aufdruck "Rache für Karl - Demonstration gegen AC. AD., Linke Hetze und den Rundfunkbeitrag, 23.11., 14.00 Uhr, Hannover" geworben. Auf den Accounts des Klägers zu 1) fanden sich Flyer in der gleichen Aufmachung, jedoch der anderslautenden Aufschrift "Gerechtigkeit für Karl".
In der Folgezeit wurden in der Öffentlichkeit Verbotsgründe für die Versammlung diskutiert (vgl. beispielsweise HAZ vom 21.11.2019: "Lage hat sich geändert: Polizei prüft Verbot von H. -Demo"; Süddeutsche Zeitung vom 21.11.2019: "Aufmarschgebiet...Die Demonstration wurde genehmigt. Die Polizeidirektion prüft nun, ob das so bleibt").
Mit Bescheid vom 21.11.2019 hob die Beklagte die Bestätigungs- und Beschränkungsverfügung vom 15.11.2019 auf, verfügte das Verbot der angezeigten Versammlung sowie jeder Form der Ersatzveranstaltung in Hannover und ordnete die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung an. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass zwischenzeitlich Erkenntnisse vorlägen, die die Annahme rechtfertigten, dass die geplante Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle, da sich die Versammlung als solche als Fundamentalangriff auf das Grundrecht der Pressefreiheit darstelle. Die Meinungskundgabe erschöpfe sich in dem Bestreben, durch aggressives und provokatives, die Rundfunkpresse einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft zu erzeugen. Bereits mit den unwahren Behauptungen über die Arbeit des NDR-Journalisten AD., die zur Unterlassungsverfügung des Landgerichts AG. geführt hätten, sei versucht worden, ein pressefeindliches Klima zu erzeugen. Zudem sei mit der öffentlichen Äußerung des Klägers zu 2) "Gut hinhören Presse: Der Revolver ist schon geladen, Herr AD." am 22.06.2019 offenkundige Einschüchterung betrieben worden. Werde nun direkt vor dem niedersächsischen Landesfunkhaus eine Kundgebung mit dem Titel "Schluss mit steuerfinanzierter Hetze -AD. in die Schranken weisen!" unter Beteiligung des Klägers zu 2) als Redner geplant, könne dies nicht anders als Teil dieser Einschüchterungskampagne betrachtet werden. Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ergebe sich auch daraus, dass der Landesvorsitzende der Jugendorganisation der H. am 13.11.2019 in den sozialen Medien dazu aufgefordert habe, Material über missliebige Journalisten zusammenzutragen und zu diesem Zeitpunkt in dem gleichen Chat noch ein Aufruf Verwendung gefunden habe, der zur "Rache für Karl" aufgerufen habe. Rache zu fordern sei ein unverhohlener Aufruf dazu, jemanden etwas zu tun oder womöglich zu ermorden. Aus alledem ergebe sich, dass im Falle der Durchführung der Versammlung mit Verletzungen der Individualrechtsgüter Leib, Leben, Ehre durch Verwirklichung von Straftatbeständen ernstlich zu rechnen sei. Ein vollständiges Versammlungsverbot sei erforderlich, weil nur dadurch der Schutz der Pressefreiheit gewährleistet werden könne.
Daraufhin hat der Kläger zu 1) am 22.11.2019 Klage erhoben (Az. AJ.) und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht (Az. AK.). Zur Begründung trug er unter anderem vor, die Äußerung des Klägers zu 2) über den geladenen Revolver sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Der Satz sei in einen satirischen Kontext eingebettet gewesen. Der Kläger zu 2) habe auf die Korpulenz von Herrn AD. angespielt und diesem metaphorisch vorgeworfen, er habe den Revolver durch seine augenscheinlich falsche Ernährung selbst geladen.
Mit Beschluss vom 22.11.2019 (Az. AK.) stellte das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers zu 1) vom 22.11.2019 gegen die Verbotsverfügung der Beklagten vom 21.11.2019 wieder her. Zur Begründung führte die Kammer aus, das vollständige Verbot der von dem Kläger zu 1) für den 23.11.2019 angezeigten Versammlung sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Die Pressefreiheit als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit sei nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar gefährdet. Der Gefahrenabwehr könne durch Versammlungsbeschränkungen - wie beispielsweise des Ausschlusses von bestimmten Rednern - Rechnung getragen werden. Auch erwartete Verstöße gegen die öffentliche Ordnung könnten ein vollständiges Verbot nicht tragen. Die Versammlung weise zwar einschüchternde Tendenzen auf. Darin liege aber keine unmittelbare Gefährdung der Pressefreiheit gerade durch die Versammlung, sondern nur eine mittelbare Gefährdung durch den Kontext, in den sich die Versammlung einfüge und in dem sie verstanden werde. Solche einschüchternden Tendenzen könnten deshalb nicht das Verbot der Versammlung rechtfertigen. Sie berührten zwar das Schutzgut der Pressefreiheit, aber nicht unmittelbar, sondern erst durch ihre Einordnung durch die Öffentlichkeit.
Die Beklagte legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein, die das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.11.2019 zurückwies (Az.: AL.).
Der Kläger zu 1) und die Beklagte erklärten das Verfahren AJ. daraufhin übereinstimmend für erledigt. Das Verfahren wurde zwischenzeitlich eingestellt.
Ebenfalls am 22.11.2019 teilte das Landeskriminalamt (LKA) AM. der Beklagten per E-Mail mit, dass gegen den Kläger zu 2) ein Ermittlungsverfahren der Polizeidirektion Görlitz (Dez. 5 polizeilicher Staatsschutz) laufe, welches durch die Staatsanwaltschaft AN. (Az.: AO.) wegen des Verdachts der Bedrohung gemäß § 241 StGB geführt werde. Dem Verfahren liege seine "Revolver"-Äußerung beim "I. -Festival" zugrunde.
Der E-Mail war ein Erkenntnisbogen zur Person des Klägers zu 2) beigefügt. In diesem heißt es unter anderem, der Kläger zu 2) habe Kriminalaktenbestand in AP., AQ., AM. sowie beim BKA. Beim LKA AQ. sei er als politisch motivierter Straftäter geführt. Seit 2003 trete er strafrechtlich im politisch motivierten Bereich in Erscheinung. Es handele sich bei den Straftaten hauptsächlich um Volksverhetzungen sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (auf Bl. 429 f. des Vorgangs der Beklagten wird insoweit verwiesen). Laut IFIS sei es jeweils in den Jahren 2003, 2011, 2014, 2016 und 2017 zu Volksverhetzungen, jeweils in den Jahren 2009 und 2018 (insgesamt 4 x) zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, jeweils in den Jahren 2009, 2018 und 2019 zu Beleidigungen, im Jahr 2017 zu einer Sachbeschädigung und im Jahr 2018 zur Verbreitung von Propagandamitteln gekommen. Lediglich in 2018 und 2019 gehe es um Straftaten im Zusammenhang mit dem von dem Kläger zu 2) organisierten "I."-Festival, da von dort neben seiner Rede unter anderem Videos auf Youtube ausgestrahlt worden seien, auf denen Banner oder T-Shirts mit dem Symbol für die "Arische Bruderschaft" zu sehen waren.
Mit Bescheid vom 22.11.2019 erteilte die Beklagte für die am 23.11.2021 angezeigte Versammlung die in der Bestätigungs- und Beschränkungsverfügung vom 15.11.2019 aufgeführten Beschränkungen. Zusätzlich untersagte die Beklagte mit diesem Bescheid Redebeiträge des Klägers zu 2). Im Hinblick auf das Redeverbot begründete die Beklagte ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass aufgrund der ihr vorliegenden Erkenntnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass der Kläger zu 2) strafbare Äußerungen im Rahmen der Versammlung tätigen werde. Er sei ein einschlägig bekannter und explizit im Verfassungsschutzbericht des Landes Thüringen erwähnter Rechtsextremist. Er stehe für die völkische Ausrichtung der H. und eine parteiübergreifende Zusammenarbeit von Rechtsextremisten. Er habe einen Kriminalaktenbestand in AP., AQ., AM., sowie beim BKA. Seit 2003 trete er im politisch motivierten Bereich in Erscheinung. Bei den Straftaten handele es sich hauptsächlich um Volksverhetzungen sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Äußerung des Klägers zu 2) am 22.06.2019 beim "I."-Festival "Gut hinhören, Presse: Der Revolver ist schon geladen, Herr AD." habe auch wegen der gezeigten Mimik und Betonung als Drohung gegen den Journalisten AC. AD. verstanden werden müssen. Es sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger zu 2) auch im Rahmen der für den 23.11.2021 geplanten Versammlung während seines Redebeitrages verfassungswidrige Inhalte weitergeben werde. Ein Einschreiten während einer Rede sei erst nach Kundtun des jeweiligen Wortbeitrages möglich - also nachdem dieser bereits öffentlich geworden sei. Deswegen sei ein vorheriges Einschreiten nötig. Mildere gleicheffiziente Mittel seien nicht ersichtlich. Das Redeverbot sei verhältnismäßig.
Die Kläger haben gegen den Bescheid vom 22.11.2019 am 10.12.2019 im Hinblick auf das gegen den Kläger zu 2) verhängte Redeverbot Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben. Zur Begründung machen sie geltend: Das notwendige qualifizierte Feststellungsinteresse liege in Form der Wiederholungsgefahr, dem Rehabilitationsinteresse und wegen des Vorliegens eines schweren Grundrechtseingriffes vor. Das Redeverbot sei rechtswidrig gewesen. Vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides sei nicht davon auszugehen gewesen, dass der Kläger zu 2) während der Versammlung strafbare Äußerungsdelikte begehen werde. Der Bundeszentralregisterauszug des Klägers zu 2) enthalte keine Eintragungen - er gelte nicht als gerichtlich bestraft. Soweit ihm eine rechte Gesinnung zugeschrieben werde, so sei dies im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG unerheblich. Die zitierte Äußerung des Klägers zu 2) über den geladenen Revolver sei im Übrigen völlig aus dem Zusammenhang gerissen; tatsächlich sei der Satz in einen satirischen Kontext eingebettet gewesen. Die Redepassage habe insgesamt wie folgt gelautet:
"Gut hinhören, Presse: Der Revolver ist schon geladen, Herr AD.. Und Sie haben den selber befüllt. Ihre Cholesterin-Werte, Ihre Herzkranzgefäßproblematiken werden dafür sorgen, dass ihr Anblick eines Tages auf den Veranstaltungen nicht mehr da ist, weil Sie mit einem Wrack als sabbernder Greis in irgendeinem Rollstuhl sitzen. Gehen Sie Sport machen, lassen sie den Fast Food weg, suchen Sie sich ne ordentlich Frau, die hält Sie schon auf Trab, machen Sie vier Kinder und dann sind 20 Kilo oder 30 Kilo runter und Sie leben länger. Und das würde mir gefallen, Herr AD., ich hab Sie gern, Sie sehen so lustig aus."
Das gegen den Kläger zu 2) diesbezüglich eingeleitete Ermittlungsverfahren sei zwischenzeitlich eingestellt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse die Aussage zudem aus sich selbst heraus ausgelegt werden. Ein interpretationsleitender Rückgriff auf dahinterstehende Kampagnen oder Programme verbiete sich. Es könne den Klägern in diesem Zusammenhang auch nicht angelastet werden, wenn Dritte - auf die sie keinen Einfluss hätten - in irgendwelchen Chats von "Rache für Karl" sprächen.
Die Kläger beantragen,
festzustellen, dass das mit Bescheid vom 22.11.2019 gegen den Kläger zu 2) verhängte Redeverbot rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den angegriffenen Bescheid und trägt ergänzend vor: Das Redeverbot sei rechtmäßig gewesen, weil aufgrund der seinerzeit vorliegenden Erkenntnislage eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür vorgelegen habe, dass sich der Kläger zu 2) im Rahmen der Versammlung in strafrechtlich relevanter Weiser äußern werde und derartige Äußerungen nicht durch gezielte Verbote hätten verhindert werden können. Sowohl das Verwaltungsgericht Hannover als auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hätten auf die Möglichkeit eines Redeverbotes als milderes Mittel zum Versammlungsverbot in den Beschlüssen vom 22.11.2019 (Az.: AK. und AL.) hingewiesen. Der Kläger zu 2) habe nur wenige Monate vor der Versammlung den Journalisten AD. beim "I. -Festival" in einer Rede mit den Worten "Der Revolver ist schon geladen, Herr AD." angesprochen. Hierbei habe ein klarer thematischer Bezug zur streitgegenständlichen Versammlung bestanden, da die gleiche Person Adressat der Äußerung und des Versammlungsthemas gewesen sei. Der Äußerung sei deswegen ein richtungsweisender vorbereitender Charakter für die Rednerfunktion des Klägers zu 2) zugekommen. Die Einbettung dieser Äußerung in anschließende hämische Äußerungen über Figur und Gewicht des Journalisten AD. vermöge an deren Einordnung und Bewertung im Rahmen der versammlungsrechtlichen Gefahrenprognose nichts zu ändern. Dieses Vorbringen sei vielmehr als Schutzbehauptung zu bewerten. Zudem verliere die Aussage dadurch nichts von ihrer Bedrohlichkeit. Sie sei im Gesamtkontext von Einschüchterungsstrategien der rechtsextremen Szene gegenüber missliebigen Journalisten sowie deren Gewaltbereitschaft gegenüber politischen Gegnern zu betrachten. Zudem sei zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren wegen dieser Äußerung noch nicht eingestellt und aus der medialen Berichterstattung auch nur der im Bescheid zitierte Teil bekannt gewesen.
Am 14.01.2020 stellte die Staatsanwaltschaft AN. das gegen den Kläger zu 2) geführte Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Bedrohung nach § 170 Abs. 2 StPO ein (Az.: AO.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft AN. zum Ermittlungsverfahren - AO. - Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten die Kammer ohne mündliche Verhandlung (101 Abs. 2 VwGO) entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
Die Klage ist zwar zulässig (I.), aber unbegründet (II.)
I. Die Klage ist zulässig.
1. Sie ist insbesondere als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft, weil es sich bei der von den Klägern beanstandeten versammlungsrechtlichen Auflage um einen Verwaltungsakt handelt (Art. 35 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG). Da sich diese Auflage bereits vor Klageerhebung erledigt hat, ist § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog anzuwenden (BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 -, BVerwGE 138, 186; Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 -, BVerwGE 131, 216).
2. Die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, die grundsätzlich auch für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage als Fortsetzung einer Anfechtungsklage erforderlich ist (BVerwG, Urt. v. 23.03.1982 - 1 C 157.59 -, BVerwGE 65, 167), liegt vor. Ausgehend vom Vortrag der Kläger besteht zumindest die Möglichkeit, dass sie jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG und aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzt wurden.
3. Den Klägern fehlt ferner nicht das für die Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ebenfalls erforderliche besondere Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Dieses ist hier unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Eine Wiederholungsgefahr in diesem Sinne liegt vor, wenn sich aufgrund konkreter Tatsachen die hinreichend bestimmte Gefahr ergibt, dass künftig ein dem streitgegenständlichen Verwaltungsakt vergleichbarer Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger erlassen werden wird (BVerwG, Urt. v. 16.05.2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 21). Dies ist vorliegend der Fall. Denn ausgehend von dem klägerischen Vortrag besteht die Möglichkeit, dass der Kläger zu 1) auch in Zukunft Versammlungen unter Beteiligung des Klägers zu 2) als Redner durchzuführen gedenkt. Folglich ist nicht vollkommen ausgeschlossen, dass auch anlässlich dieser künftigen Veranstaltungen eine entsprechende Redeverbotsverfügung hinsichtlich des Klägers zu 2) ergeht.
Daneben folgt ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse der Kläger auch daraus, dass es sich bei der Redeverbotsverfügung um einen sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakt handelt. Maßgeblich ist insoweit der Umstand, dass die behördliche Untersagung, als Redner im Rahmen der Versammlung aufzutreten, in sachlicher und zeitlicher Hinsicht ausschließlich mit Bezug zu der am 23.11.2019 vom Kläger zu 1) abgehaltenen Versammlung ergangen ist. Mit Abschluss dieser Versammlung endete folglich auch die Regelungswirkung der Redeverbotsverfügung. Da in einer solchen Konstellation ohne die Zulassung einer Fortsetzungsfeststellungsklage die Überprüfung der Maßnahme in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren grundsätzlich nicht möglich wäre, ist auch in diesem Fall das berechtigte Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu bejahen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 31 m.w.N.).
II. Die Klage ist aber unbegründet. Die Redeverbotsverfügung war rechtmäßig und verletzte die Kläger jeweils nicht in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für versammlungsrechtliche Beschränkungen ist § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) vom 07.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.
§ 8 Abs. 1 NVersG setzt voraus, dass nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der "öffentlichen Sicherheit" umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht. Unter "öffentlicher Ordnung" wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, BVerfGE 69, 315, 352).
Das Merkmal der unmittelbaren Gefahr macht eine Prognoseentscheidung dahingehend erforderlich, ob bei der Durchführung der Veranstaltung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch eine Verletzung der Rechtsordnung besteht. Eine unmittelbare Gefahr ist gegeben, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Bloße Vermutungen reichen für diese Annahme nicht aus. Erforderlich sind nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose. Es müssen erkennbare Umstände dafür gegeben sein, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BVerfG, Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, 141). Die Darlegungs- und Beweislast trifft die Behörde. Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf diese keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, NVwZ 2013, 570 [BVerfG 20.02.2013 - 2 BvE 11/12]). Sie kann sich insbesondere nicht pauschal darauf beziehen, dass vorgesehene Redner eine aggressive, extremistische Ideologie vertreten würden. Erforderlich ist vielmehr der Nachweis konkret drohender Verstöße gegen § 130 StGB oder andere Straftatbestände (OVG Bremen, Urt. v. 31.05.2014 - 1 B 140/14 - BeckRS 2014, 52710).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der rechtlichen Überprüfung eines Redeverbots zu berücksichtigen, dass dieses als präventive Maßnahme besonders intensiv in die Meinungsäußerungsfreiheit des Betroffenen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eingreift. Infolge des Redeverbots werden Abklärungen darüber unmöglich, ob die zu erwartenden Äußerungen wirklich strafbar wären. Zudem unterbindet ein Redeverbot nicht nur einzelne, möglicherweise strafbare Aussagen, sondern auch rechtlich unbedenkliche Bestandteile der Rede. Zählt ein Redebeitrag zu den Programmpunkten einer öffentlichen Versammlung, so beeinträchtigt das Redeverbot die Möglichkeit kommunikativer Entfaltung in Gemeinschaft mit anderen Versammlungsteilnehmern und beeinträchtigt damit auch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschl. v. 08.12.2001 - 1 BvQ 49.01 -, juris).
Nach diesen Maßstäben lagen zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der Beklagten hinreichend Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger zu 2) als Redner auf der vom Kläger zu 1) angezeigten Versammlung strafbare Äußerungen tätigen würde.
Dahingehend lieferten die vom LKA AM. am 22.11.2019 mitgeteilten Erkenntnisse über den Kläger zu 2) erste Anhaltspunkte. Dem Erkenntnisbogen ließ sich entnehmen, dass der Kläger zu 2) sowohl in AP., AQ. und AM. als auch beim BKA einen Kriminalaktenbestand hat. Über das LKA Berlin sei er als politisch motivierter Straftäter geführt. Seit 2003 tritt er danach strafrechtlich im politisch motivierten Bereich in Erscheinung. Es handelt sich bei den Straftaten hauptsächlich um Volksverhetzungen sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die entsprechenden Taten weisen sowohl eine thematische Stringenz als auch eine gewisse Kontinuität auf. Zudem liegen sie zeitlich zum Teil noch nicht so lange zurück, sodass ein zeitlicher Zusammenhang zur angezeigten Versammlung nicht hergestellt werden könnte. So lässt sich der Mitteilung entnehmen, dass es laut IFIS jeweils in den Jahren 2003, 2011, 2014, 2016 und 2017 zu Volksverhetzungen, jeweils in den Jahren 2009 und 2018 (insgesamt 4 x) zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, jeweils in den Jahren 2009, 2018 und 2019 zu Beleidigungen, im Jahr 2017 zu einer Sachbeschädigung und im Jahr 2018 zur Verbreitung von Propagandamitteln gekommen ist. Lediglich in 2018 und 2019 geht es um Straftaten im Zusammenhang mit dem von dem Kläger zu 2) organisierten "I."-Festival, da von dort neben seiner Rede unter anderem Videos auf youtube.de ausgestrahlt worden sind, auf denen Banner oder T-Shirts mit dem Symbol für die "Arische Bruderschaft" zu sehen waren.
Der mitgeteilte Kriminalaktenbestand reiht sich zudem in die Erkenntnisse ein, die über den Kläger zu 2) aus seinem Bundeszentralregisterauszug gewonnen werden können. Aus diesem ergibt sich, dass der Kläger zu 2) in der Vergangenheit unter anderem wegen Vergehens gegen das Versammlungsgesetz (AG M., Urt. v. 23.02.1993, Az.: N. und AG Q., Urt. v. 18.05.1995 Az.: R.), wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (AG S., Urt. v. 23.11.1998 Az.: U.) und wegen Volksverhetzung (AG S., Urt. v. 23.02.2006 Az.: X. und LG AA. Urt. v. 03.07.2007 Az.: AB.) verurteilt wurde.
Einen gewichtigen Anhaltspunkt stellte zudem das gegen den Kläger zu 2) zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt noch laufende Ermittlungsverfahren bei der StA AN. (Az.: AO.) wegen des Verdachts der Bedrohung gemäß § 241 StGB dar. Diesbezüglich teilte das LKA AM. der Beklagten folgenden Sachverhalt mit:
"Während der Veranstaltung "I. -Festival" hält der Veranstalter AR. AS. am 22.06.2019 gegen 12:00 Uhr einen Redebeitrag auf dem Gelände des Hotels AT.. Dabei wendet er sich direkt an die anwesenden Pressevertreter. Er spricht einen nicht persönlich anwesenden Journalisten mit den Worten: "Der Revolver ist geladen Herr AD." direkt an. Herr AD., dem die Umstände durch andere Pressevertreter zur Kenntnis gegeben wurden, fühlt sich durch diese Worte bedroht."
Vor dem Hintergrund, dass sich die nur fünf Monate später stattfindende Versammlung ausdrücklich gegen eben diesen Journalisten des NDR richtete - so wurde dieser im Thema der Versammlung "Schluss mit steuerfinanzierter Hetze -AD. in die Schranken weisen!" namentlich direkt adressiert - ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte einen unmittelbaren zeitlichen und thematischen Zusammenhang zwischen eben dieser Rede und der Versammlung ausgemacht hat.
Soweit die Kläger einwenden, das gegen den Kläger zu 2) eingeleitete Ermittlungsverfahren sei zwischenzeitlich eingestellt worden, so ist dem zu entgegnen, dass die Einstellung erst am 14.01.2020 und damit erst nach Erlass der streitgegenständlichen Verfügung erfolgte. Die Beklagte musste ihre Gefahrenprognose aber auf die im Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens vorliegenden Anhaltspunkte stützen, als das Ermittlungsverfahren noch lief. Zu diesem Zeitpunkt musste es sich der Beklagten auch nicht aufdrängen, dass das Ermittlungsverfahren voraussichtlich eingestellt werden wird.
Zunächst war in den Medien von der Rede des Klägers zu 2) beim "I."-Festival lediglich der Ausschnitt, in dem er wörtlich äußerte "Gut hinhören, Presse: Der Revolver ist schon geladen, Herr AD." zu sehen. Auch das LKA AM. teilte hinsichtlich des von der Staatsanwaltschaft AN. gegen den Kläger zu 2) geführte Ermittlungsverfahren nur diesen Ausschnitt der Äußerung mit. Die Kammer teilt die Auffassung der Beklagten, dass auch aufgrund der gezeigten Mimik und dargelegten Betonung des Klägers zu 2) die Äußerung durchaus bedrohlich wirkte und geeignet war, den Tatbestand des § 241 StGB (Bedrohung) zu erfüllen.
Nach § 24 VwVfG haben Behörden den Sachverhalt aber von Amts wegen zu ermitteln. Aus den in den Medien verbreiteten Beiträgen über die Rede des Klägers zu 2) beim "I."-Festival war ohne weiteres erkennbar, dass es sich nicht um den gesamten Redebeitrag des Klägers zu 2) bei dieser Veranstaltung handelte. Spätestens nachdem der Kläger zu 1) im Rahmen des Eilverfahrens mit dem Aktenzeichen AK. gegen das verfügte Vollverbot der Versammlung vortrug, die Äußerung des Klägers zu 2) über den geladenen Revolver sei aus dem Zusammenhang gerissen worden, der Satz sei in einen satirischen Kontext eingebettet gewesen und habe auf die Korpulenz von Herrn AD. angespielt, hätte die Beklagte sich um Aufzeichnungen oder Widergaben des gesamten Redebeitrages bemühen müssen.
Aber auch unter Berücksichtigung des gesamten Redebeitrages, der wörtlich nach dem Vortrag der Kläger wie folgt gelautet haben soll:
"Gut hinhören, Presse: Der Revolver ist schon geladen, Herr AD.. Und Sie haben den selber befüllt. Ihre Cholesterin-Werte, Ihre Herzkranzgefäßproblematiken werden dafür sorgen, dass ihr Anblick eines Tages auf den Veranstaltungen nicht mehr da ist, weil Sie mit einem Wrack als sabbernder Greis in irgendeinem Rollstuhl sitzen. Gehen Sie Sport machen, lassen sie den Fast Food weg, suchen Sie sich ne ordentlich Frau, die hält Sie schon auf Trab, machen Sie vier Kinder und dann sind 20 Kilo oder 30 Kilo runter und Sie leben länger. Und das würde mir gefallen, Herr AD., ich hab Sie gern, Sie sehen so lustig aus.",
erweist sich das streitgegenständliche Redeverbot nicht als rechtswidrig. Denn auch die dargelegte Äußerung im Gesamtkontext gab Anlass zu der Annahme, der Kläger zu 2) werde sich im Rahmen der streitgegenständlichen Versammlung in strafrechtlich relevanter Art und Weise äußern.
Bei der Auslegung von Äußerungen haben die Gerichte im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG die verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten. Voraussetzung der Subsumtion einer Äußerung oder eines Verhaltens unter die Tatbestandsmerkmale eines Straftatbestandes ist, dass die Gerichte den Sinn der umstrittenen Äußerung zutreffend erfassen. Dabei haben sie nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung zu beachten. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Verurteilung führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen auszuscheiden. Wegen der Bedeutung der Sinnerfassung von Äußerungen für das Ergebnis unterliegen diese fachgerichtlichen Feststellungen der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995 - 1 BvR 1476/91, juris; Beschl. v. 06.09.2000 - 1 BvR 1056/95, juris Rn. 35 - 36, juris).
Zwar ist es richtig, dass die Revolver-Äußerung letztlich nicht zu einer strafprozessualen Anklage geführt hat. Aber auch unter Anwendung des vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßstabes ist die Kammer unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung im Rahmen der vorzunehmenden Gefahrenprognose annehmen durfte, dass auch der gesamte Redebeitrag zu einer Verurteilung des Klägers zu 2) führen könnte und demnach die Annahme gerechtfertigt war, der Kläger zu 2) werde sich im Rahmen der streitgegenständlichen Versammlung erneut in strafrechtlich relevanter Art und Weise äußern. Die Äußerung verliert nämlich nicht an ihrer Bedrohlichkeit durch den Verweis auf die körperliche Statur des Journalisten AD.. Vielmehr gewinnt der Redebeitrag dadurch neben seinem bedrohlichen auch noch einen beleidigenden Charakter. Insofern hält es die Kammer auch nicht für ausgeschlossen, dass dem Kläger zu 2) aufgrund dieser Aussage eine Strafverfolgung wegen Beleidigung nach § 185 StGB hätte drohen können. Zudem ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger zu 2) den an den Satz "der Revolver ist schon geladen Herr AD." folgenden nach außen scheinbar relativierenden Passus bewusst und aus taktischen Gründen gewählt hat, nicht etwa, weil er tatsächlich keine bedrohliche Aussage treffen wollte, sondern um einer Strafverfolgung zu entgehen. Dies ergibt sich aus den seinerzeit herrschenden Gesamtumständen.
So ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger zu 2) den Journalisten AD. nicht zufällig als Pressevertreter adressierte. Dieser zeichnet sich nämlich insbesondere dadurch aus, dass er im Bereich der rechten Szene recherchiert und publiziert. Sein im November 2018 im NDR ausgestrahltes Interview mit Karl Münter erzeugte insbesondere im Zusammenhang mit dem im Januar 2019 erfolgten Überfall auf ebendiesen in der rechten Szene Aufregung und löste eine Einschüchterungskampagne aus. So wurde beispielsweise auf der Seite www.die-rechte.net am 23.02.2019 ein Artikel unter der Überschrift "AC. AD. in Ruhe lassen?" veröffentlicht (abrufbar unter: AU., zuletzt abgerufen am 02.12.2021), in dem es unter anderem wörtlich heißt:
"Wir kennen sie alle zur Genüge, die niederträchtigen Methoden des Tintenjanhagels der Systempresse. Doch welches Schmierentheater sich aktuell vor unser aller Augen abspielt, läßt selbst hartgesottene Betrachter der demokratischen Gossenjournaille vor Staunen die Spucke wegbleiben. Der Staatsfunk bläst zur Hetzjagd auf über 90-jährige Greise, die in ihrer frühen Jugend in der Wehrmacht und in der Waffen-SS gedient haben. Eine erste Gewalttat gab es bereits. [...]
Die nächsten Beiträge sind jedenfalls schon in Mache: AC. AD. ist in den letzten Tagen wieder bei mindestens zwei Weltkriegsveteranen aufgetaucht - vollkommen unbescholtene, hochanständige und tapfere Männer, keiner von ihnen unter 90 Jahre alt. Auch diese Männer - unsere alten Kameraden und Zeitzeugen! - will AC. AD. "nicht in Ruhe lassen". Was auch immer das bedeuten soll.
Anscheinend soll die AD.'sche Hetzkampagne nun erst richtig Fahrt aufnehmen. Deshalb sei uns die Frage gestattet: Soll man einen Mann wie AC. AD. in Ruhe lassen?"
In den Kommentaren finden sich sodann Beiträge wie:
"Kennt zufällig jemand die Anschrift des Herrn AD., Bzw den Wohnort, er scheint dort ja sehr viel Wert auf Geheimhaltung zu legen."
oder:
"Ich hoffe, dass es noch viel mehr AUFRECHTE gibt, die Trauerfiguren wie diesem Kriminellen AD. die Stirn bieten."
Im April 2019 erfolgte sodann die Anzeige zur streitgegenständlichen Versammlung, die sich gegen ebendiesen Journalisten richtete.
Beachtlich ist in diesem Zusammenhang das als sogenannte Hundepfeifen-Politik (aus dem englischen dog-whistle politics) bezeichnete und zunehmend erforschte Phänomen, bei der in politischen Aussagen bewusst eine Sprache genutzt wird, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden wird. Es handelt sich um eine Form der codierten Sprache, die es erlaubt, eine versteckte Bedeutung in Aussagen einzubetten, die nur die eigene Anhängerschaft versteht bzw. erkennt. Hierdurch kann eine Aussage regelmäßig für nicht eingeweihte Hörer unverfänglich erscheinen, während sie für die eigenen Anhänger eine völlig andere Bedeutung hat. Dieser Kommunikationsform wird sich oftmals zur Vermittlung rassistischer Ansichten bedient (vgl. unter Hundepfeifen-Politik - Wikipedia, zuletzt abgerufen am: 02.12.2021). So stellt es sich auch in dem zitierten Artikel und auch der "Revolver"-Äußerung des Klägers zu 2) dar, in dem zwar nicht ausdrücklich zu Angriffen auf den Journalisten AD. aufgerufen wird. Zwischen den Zeilen könnte man aber herauslesen, dass ein solches Vorgehen befürwortet wird. Leser mit einem gewissen Gewaltpotential könnten sich eben auf genau dieser Ebene angesprochen fühlen. Und wenngleich die Autoren/Redner natürlich den Anschein bewusst vermeiden, dass sie öffentlich zur Begehung einer Straftat aufrufen (§ 111 StGB), so ist davon auszugehen, dass sie sich dieser Rhetorik bewusst bedienen, um dafür zu sorgen, dass AC. AD. eben nicht in Ruhe gelassen wird oder sich der geladene Revolver in seine Richtung entlädt.
Im Hinblick auf die seinerzeit herrschende Stimmung ist zudem zu berücksichtigen, dass der Politiker Walter Lübcke am 01.06.2019 durch einen Rechtsextremisten ermordet wurde, der nach seiner Festnahme als Motiv den Einsatz des Politikers für Geflüchtete benannte. Noch im selben Monat tätigte der Kläger zu 2) seine dargelegte Revolver-Äußerung vor einem Publikum, dass der rechten Szene zuzuordnen ist. Bei eben diesem Publikum mag die Äußerung zwar satirisch als Anspielung auf die körperliche Statur des Journalisten AD. aufgefasst worden sein - es drängte sich im Rahmen der Gefahrenprognose aber auf, dass der Kläger zu 2) sich bewusst einer Sprache bediente, bei der das Publikum seine Aussage dahingehend verstand, dass der Revolver sich demnächst in Form von tatsächlichen Angriffen, die von eben diesem Redner befürwortet würden, entladen wird, und damit der Kläger zu 2) zu Straftaten auf den Journalisten aufrief.
In die Reihe dieser Geschehnisse ist es sodann auch einzuordnen, dass in den sozialen Medien in der Folgezeit für die streitgegenständliche Versammlung unter anderem mit Flyern geworben wurde, in denen zu "Rache für Karl" aufgerufen wurde. Rache ist ein Ausdruck der eindeutig nicht friedlich konnotiert ist. Zwar finden sich auf den offiziellen Kanälen der Kläger lediglich Flyer mit der gemäßigten Fassung, die "Gerechtigkeit für Karl - Demonstration gegen AC. AD., Linke Hetze und den Rundfunkbeitrag, 23.11., 14.00 Uhr, Hannover" lautete. In der Gesamtschau zeichnet sich aber ein Bild ab, in dem offenbar wird, dass die Kläger die Verwendung ebendieser brachialen Sprache befeuerten und damit insgesamt ein enthemmteres Klima der Gewaltbereitschaft unter ihren Anhängern schafften. Die insgesamt herrschende Einschüchterungskampagne manifestierte sich schließlich auch daran, dass der Landesvorsitzende der Jugendorganisation der H. AV. AW. im Vorfeld zur Versammlung auf Facebook unter dem Pseudonym AV. AX. öffentlich zur Sammlung von Informationen über unliebsame Journalisten aufrief, die im Bereich der rechten Szene recherchieren und publizieren. So heißt es in einem am 21.11.2019 von der Beklagten gesicherten Facebook-Beitrag von ihm:
"Achtung:
Im Rahmen der Recherche über staatlichen Rundfunk (NDR / usw.) und Neutralität, suchen wir Bilder von folgenden linksextremen "Journalisten", an denen Nationalisten die Bildrechte haben. Es sind alle Personen des öffentlichen Lebens und mindestens einmal im öffentlichen Rundfunk als angeblicher Experte aufgetreten:
A)
- AC. AD. (vorhanden)
- AY. AZ.
- BA. BB. [...]
B)
Welche linksextremen und antideutschen "Experten", die definitiv aus linken Zusammenhängen kommen, sind noch im Staatsfunk präsent?
Rückmeldungen, Bilder und Informationen bitte an: aktion@BC..de"
Führt man sich schließlich noch vor Augen, dass erst ein Jahr zuvor, im April 2018, zwei Journalisten im Rahmen ihrer Recherchearbeit Opfer eines Gewaltdeliktes geworden sein sollen - das entsprechende Strafverfahren läuft derzeit, einer der Angeklagten ist wohl der Sohn des Klägers zu 2), Ort des Geschehens soll zudem in unmittelbarer Nähe zum Anwesen des Klägers zu 2) gewesen sein (vgl. beispielsweise unter: BD., zuletzt abgerufen am 02.12.2021 und unter: BE., zuletzt abgerufen am 02.12.2021) -, es erst ein paar Monate vor der behördlichen Entscheidung zum politisch motivierten tödlichen Angriff auf Walter Lübcke gekommen war und sich der Kläger zu 2) nur wenige Wochen später in der dargelegten Weise äußerte, so ist die von der Beklagten zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses getroffene Prognose - der Kläger zu 2) werde sich bei der streitgegenständlichen Versammlung in strafrechtlich relevanter Art und Weise äußern - nicht zu beanstanden und trägt das gegen ihn erlassene Redeverbot.
Die Entscheidung der Beklagten lässt auch keine Ermessensfehler erkennen. Sie ist insbesondere nicht unverhältnismäßig. Das Verbot konkreter Äußerungen hätte unter Umständen ein milderes Mittel dargestellt, wäre aber jedenfalls nicht gleichermaßen effektiv und im Tatsächlichen schwerlich durchsetzbar gewesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 2 GKG.