Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 12.11.2018, Az.: 4 B 6988/18

Antragsbefugnis; Denkmal; Einschreiten des Denkmalschutzes; nachbarschützend; öffentliches Interesse; Subjektives Recht; Umgebungsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
12.11.2018
Aktenzeichen
4 B 6988/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74249
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Eigentümer eines Wohngebäudes, das kein Kulturdenkmal ist, hat keinen Anspruch auf denkmalrechtliches Einschreiten gegen den beabsichtigten Abriss eines vermeintlichen Denkmals in seiner Nachbarschaft.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, der Beigeladenen den Abriss des Alten Rathauses aus denkmalrechtlichen Gründen zu untersagen.

Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem eingeschossigen Wohnhaus bebauten Grundstücks Freiherr-vom-Stein-Straße 1 in A-Stadt westlich der Freiherr-vom-Stein-Straße. Östlich der Freiherr-vom-Stein-Straße liegt – schräg gegenüber dem Grundstück des Antragstellers - das Alte Rathaus, ein zweigeschossiger Putzbau aus dem Jahr 1939. Das Grundstück hat die Antragsgegnerin an die Beigeladene veräußert, die beabsichtigt, darauf Wohnungen zu errichten. Auf einer Informationsveranstaltung teilte der Bürgermeister der Antragsgegnerin mit, dass ab dem 05.11.2018 mit dem Abriss des Alten Rathauses gerechnet werde.

Mit Schreiben vom 30.10.2018 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin das denkmalrechtliche Einschreiten gegen den geplanten Abriss. Unter Vorlage einer vorläufigen Stellungnahme des Bauhistorikers Dr. Auffarth wies der Antragsteller darauf hin, dass es sich bei dem Rathaus um ein Baudenkmal im Sinne von § 3 Abs. 2 NDSchG handele, das den historischen Entwicklungsprozess der Stadt Seelze dokumentiere. Die Antragsgegnerin lehnte ein Einschreiten mit Schreiben vom 02.11.2018 ab, da es sich bei dem Gebäude um kein Denkmal handele. Das Gebäude sei im Erhaltungszustand nicht originalgetreu vorhanden und architektonisch nicht sehr anspruchsvoll. Das Dach sei durch unschöne Dachfenster gestört und die alten Fenster der Fassade seien nicht mehr vorhanden. Eine Baugenehmigung für den Neubau liege noch nicht vor. Um die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung eines Gebäudes zu schaffen, sei ein Bebauungsplan erforderlich, der sich in der Auslegung befinde.

Der Antragsteller hat am 02.11.2018 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er leitet seine Antragsbefugnis aus der Regelung in § 8 NDSchG her, wonach in der Umgebung eines Baudenkmals Anlagen unter anderem nicht beseitigt werden dürfen, wenn dadurch das Erscheinungsbild des Baudenkmals beeinträchtigt werde. Der denkmalrechtliche Umgebungsschutz verlange von den Eigentümern eines Grundstücks in der Umgebung eines Denkmals eine Rücksichtnahme auf das Denkmal in der näheren Umgebung. Im Umkehrschluss folge daraus, dass ein Denkmal ohne die erforderliche Genehmigung nicht beseitigt werden dürfe. Mit der Beseitigung des Denkmals als Solitär des ehemaligen Ortszentrums werde die Umgebung im Sinne des § 6 NDSchG negativ beeinträchtigt. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor, da nach einem Abriss des Gebäudes die unmittelbar bevorstehende Beseitigung des Gebäudes vollendete Tatsachen schaffe und die denkmalwürdige Substanz dauerhaft vernichtet werde.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu verpflichten, den Abriss des alten Rathauses der Gemeinde A-Stadt bis zu endgültigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Vorschrift des § 6 NDSchG habe bereits keine nachbarschützende Wirkung. Eine solche nachbarschützende Wirkung komme unter engen Voraussetzungen allein der Vorschrift des § 8 NDSchG zu. Daraus ergäbe sich aber für den Eigentümer eines Nichtdenkmals kein Anspruch auf Erhaltung benachbarter Denkmäler. Die Erhaltung von Kulturdenkmalen erfolge allein im öffentlichen Interesse. Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet, da das Alte Rathaus auch kein Denkmal sei.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Der Antrag ist bereits unzulässig, da der Antragsteller nicht die erforderliche Antragsbefugnis glaubhaft gemacht hat.

Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Zudem setzt der Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Antragsbefugnis des Antragstellers entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO voraus, d.h. der Antragsteller muss glaubhaft machen, dass ihm ein subjektiv-öffentliches Recht (auf denkmalrechtliches Einschreiten gegen den Beigeladenen) zusteht, das durch die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts verletzt sein könnte (vgl. zu einem (verneinten) Anspruch auf gewerberechtliches Einschreiten im Wege einer einstweiligen Anordnung nur Nds. OVG, Beschl. v. 27.08.2018 – 7 ME 51/18 – juris, Rn. 5).

Wann ein solches subjektives Recht auf Erlass eines Verwaltungsakts gegeben ist, ist in erster Linie nach den Normen des einfachen Rechts unter Anwendung der Schutznormtheorie zu entscheiden. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 27.08.2018 (a.a.O, juris, Rn. 6) dazu Folgendes ausgeführt:

„Das materielle öffentliche Recht setzt Normen zuvörderst im öffentlichen Interesse. Dem Einzelnen kommt dieser Schutz vielfach nur als Teil der Allgemeinheit zugute. Nach der Schutznormtheorie wird ein die Verwaltung bindendes subjektives Recht erst dann begründet, wenn die Vorschrift, auf die der Erlass des Verwaltungsaktes gestützt werden soll, nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern - zumindest auch - dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. Die Antrags- bzw. Klagebefugnis ist danach nur zu bejahen, wenn die Norm ein Privatinteresse derart schützt, dass der Rechtsträger, im Regelfall der Bürger, die Einhaltung des Rechtssatzes von der Verwaltung verlangen kann. Maßgeblich ist der gesetzlich bezweckte Interessenschutz. Bei Rechtsnormen, die einen von der Allgemeinheit hinreichend deutlich abgegrenzten Personenkreis umschreiben, ist dies gegeben. Der Rechtsreflex einer Norm begründet hingegen keine Klagebefugnis (vgl. v. Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Auflage 2018, § 42 Rn. 79 f.; Wahl/Schütz in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EL Juni 2017, § 42 Abs. 2 Rn. 45; Happ in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 42 Rn. 86 ff.; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 42 Rn. 388; Sennekamp in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 42 Rn. 46, 50).“

Nach diesen Erwägungen, denen die Kammer vollumfänglich folgt, erscheint eine Verletzung subjektiver Rechtspositionen des Antragstellers durch den behaupteten Verstoß gegen die Pflicht zur Erhaltung von Kulturdenkmalen und das Verbot ihrer Beeinträchtigung gemäß § 6 NDSchG nicht möglich.

Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass nach § 6 Abs. 2 NDSchG Kulturdenkmale nicht zerstört, gefährdet oder so verändert oder von ihrem Platz entfernt werden, dass ihr Denkmalwert beeinträchtigt wird, handelt es sich um eine Vorschrift, welche die (positive wie negative) Erhaltungspflicht allein im kulturstaatlichen Interesse der Allgemeinheit auferlegt (Wiechert, in: Schmaltz/Wiechert, NDSchG, 2. Auflage, § 6, Rn. 2). Dies ergibt sich bereits aus der Definition des Denkmalbegriffs in § 3 Abs. 2 NDSchG, die daran anknüpft, dass an der Erhaltung des Kulturdenkmals wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung ein öffentliches Interesse (bzw. ein Interesse der Allgemeinheit) besteht. Zwar begründet die Denkmaleigenschaft für den Nachbarn selbst Rücksichtnahmepflichten, da er den Umgebungsschutz nach § 8 NDSchG zu beachten hat und seine eigenen Baumaßnahmen einer Genehmigungspflicht im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 4 NDSchG unterstellt werden (Kleine-Tebbe/Guntau, Denkmalrecht Niedersachsen, 3. Auflage, § 2, Ziffer 2.2.3). Allerdings ergibt sich daraus für den Nachbarn eines Baudenkmals als Dritten grundsätzlich kein gesetzlicher Anspruch, weder gegen den Verpflichteten auf Erhaltung noch gegen den Staat darauf, dass er sie durchsetzt (Wiechert, in: Schmaltz/Wiechert, NDSchG, 2. Auflage, § 6, Rn. 2; Kleine-Tebbe/Guntau, Denkmalrecht Niedersachsen, 3. Auflage, § 2, Ziffer 2.2.3; VG Berlin, Beschl. v. 18.03.2014 – 13 L 116.14 – juris, Rn. 5).

Das Vorbringen des Antragstellers, seine Antragsbefugnis aus § 8 NDSchG herleiten zu können, rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung; auch insoweit hat er gegen die Antragsgegnerin kein subjektiv öffentliches Recht auf denkmalrechtliches Einschreiten gegen die Beigeladene.

Nach § 8 Satz 1 NDSchG dürfen in der Umgebung eines Baudenkmals Anlagen nicht errichtet, geändert oder beseitigt werden, wenn dadurch das Erscheinungsbild des Baudenkmals beeinträchtigt wird. Zwar geht auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (inzwischen) davon aus, dass § 8 Satz 1 NDSchG - in verfassungskonformer Auslegung - dem Eigentümer eines Denkmals Drittschutz vermittelt, soweit es um eine erhebliche Beeinträchtigung seines denkmalschutzrechtlich geschützten Kulturdenkmals durch eine streitige Baumaßnahme geht (vgl. nur Urt. v. 23.08.2012 - 12 LB 170/11 – juris, Rn. 42; bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 10.06.2013 – 4 B 6/13 – juris, Rn. 4 m.w.N. sowie Urt. v. 16.02.2017 – 12 LC 54/15 – juris, Rn 80-81). Maßgeblich für die Zubilligung eines Anspruchs vor Beeinträchtigungen der Denkmalwürdigkeit eines Kulturdenkmals durch Vorhaben in der Umgebung ist die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Durch die Unterschutzstellung des Kulturdenkmals wird das Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG beschränkt: die Erhaltungspflicht ist auf Dauer angelegt und vom Eigentümer grundsätzlich auf eigene Kosten zu erfüllen. Diese dem Eigentümer durch das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz auferlegte Pflicht, sein Denkmal zu erhalten und zu pflegen, erscheint nur verhältnismäßig, wenn ihm gleichzeitig ein Abwehrrecht gegen intensive Beeinträchtigungen eingeräumt wird (Nds. OVG, Urt. v. 23.08.2012, a.a.O., juris, Rn. 56). Gerade dann, wenn ein Eigentümer in der Vergangenheit zur Erfüllung seiner Erhaltungspflicht in die Denkmalsubstanz investiert hat und die Denkmalwürdigkeit seines Anwesens nachträglich erhebliche beeinträchtigt wird, könnten dadurch auch seine Investitionen entwertet werden (BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 – 4 C 3/08 - juris, Rn. 17 m.w.N.). Daher müsse ein denkmalrechtlicher Umgebungsschutz, soweit er objektiv geboten sei, auch dem Eigentümer eines Kulturdenkmals Schutz vermitteln (BVerwG, Beschl. v. 14.09.2017 – 4 B 28/17 – juris, Rn. 8 m.w.N.), wobei sich die drittschützende Wirkung des Beeinträchtigungsverbots allein auf den Eigentümer eines Kulturdenkmals in der (räumlichen) Nähe der beeinträchtigenden Maßnahme beschränkt. Nur in dem besonderen Fall, dass die Schädigung eines Baudenkmals zugleich den Denkmalwert eines benachbarten Denkmals möglicherweise beeinträchtigt, kann dem Nachbarn ein aus Artikel 14 Abs. 1 GG folgender Abwehranspruch zustehen (VG Hannover, Urt. v. 24.02.2011 – 4 A 3134/10 – V.n.b.; Wiechert, in: Schmaltz/Wiechert, NDSchG, 2. Auflage, § 6, Rn. 2).

Vorliegend gehört der Antragsteller bereits nicht zu dem oben dargestellten Personenkreis, dem ein Abwehrrecht gegen denkmalrechtliche Beeinträchtigungen zugesprochen wird. Das in seinem Eigentum stehende Haus in der Nachbarschaft des Alten Rathauses ist bislang weder als Kulturdenkmal identifiziert noch ist dem Gericht ersichtlich, dass an der Erhaltung dieses Hauses wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung im Sinne von § 3 Abs. 2 NDSchG ein öffentliches Interesse besteht. Damit kann sich Antragsteller auch nicht mit Erfolg auf die allein einem Eigentümer eines Kulturdenkmals zukommende drittschützende Wirkung des § 8 NDSchG berufen: der Antragsteller ist gerade nicht selbst aus denkmalrechtlichen Gründen zur Erhaltung eines eigenen Kulturdenkmals verpflichtet und besitzt somit nicht – quasi als Spiegelbild der Erhaltungspflicht – einen durchsetzbaren Abwehranspruch gegen die (mögliche) Entwertung bereits getätigter Investitionen in sein Eigentum.

Aus diesem Grund muss die Kammer auch nicht der – zwischen den Beteiligten streitigen – Frage nachgehen, ob das Alte Rathaus überhaupt ein schützenswertes Kulturdenkmal darstellt (und sein Abriss eine erhebliche Beeinträchtigung des Eigentums des Antragstellers darstellen könnte).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO.