Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.04.2000, Az.: 15 K 564/97
Verrechnung des Sparerfreibetrages auf ausländische Kapitaleinkünfte
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 04.04.2000
- Aktenzeichen
- 15 K 564/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21860
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0404.15K564.97.0A
Fundstellen
- EFG 2001, 374-375 (Volltext mit red. LS)
- IWB 2001, 685-686
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Kapitaleinkünfte der Kläger (Kl.) im Streitjahr ... . Der Kl. erzielte Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von ... DM, wovon ... DM auf ausländische Einkünfte entfielen. Die erklärten Werbungskosten in Höhe von ... DM entfielen allein auf die inländischen Einkünfte. Auf die ausländischen Einkünfte zahlte der Kl. ausländische Steuern in Höhe von ... DM.
Das Finanzamt (FA) ermittelte im Vorverfahren die Einkünfte des Kl. aus Kapitalvermögen wie folgt:
Inland DM | Ausland DM | Gesamt DM | |
---|---|---|---|
Einnahmen | ... | ... | ... |
Werbungskosten | ... | ... | ... |
Zwischensumme | ... | ... | ... |
Sparerfreibetrag | ... | ... | ... |
Einkünfte | ... | ... | ... |
Von der tariflichen Einkommensteuer in Höhe von ... DM zog das FA für die auf die ausländischen Einkünfte einbehaltene Quellensteuer einen Betrag in Höhe von ... DM ab. Diesen Betrag errechnete das FA wie folgt:
... DM x ... DM
... DM (Gesamtbetrag der Einkünfte) = ... DM
aufgerundet ... DM.
In den von dem FA ermittelten inländischen Einnahmen aus Kapitalvermögen ist ein Betrag in Höhe von ... DM enthalten, der auf einer im Streitjahr erfolgten Rückzahlung von Optionsanleihen der -Bayer AG- beruht. Der Kl. erwarb diese Optionsanleihen in Höhe eines Nominalwertes von ... DM im Jahre 1985 zum Kurswert von ... DM, zuzüglich ... DM Stückzinsen, insgesamt somit für aufgerundet ... DM. Die Differenz zwischen den Anschaffungskosten und dem Nominalwert der Anleihen erfasste das FA nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) als Einnahmen aus Kapitalvermögen.
Hiergegen wenden sich die Kl. nach erfolglos gebliebenem Vorverfahren mit der Klage. Sie vertreten die Auffassung, dass die volle Versteuerung der Marktrendite der Optionsanleihen unzulässig sei. Der Kl. habe sich im Jahre 1985 für den Erwerb eines niedrigverzinslichen Wertpapiers entschieden und darauf vertraut, dass der sich bei Einlösung der Anleihe nach Maßgabe der bei Erwerb bestehenden Rechtslage steuerfrei sei. Dieses Vertrauen sei durch die Änderung des § 20 EStG enttäuscht worden. Dadurch, dass der Gesetzgeber eine Übergangsregelung nicht vorgesehen habe, verstoße er gegen das Prinzip der Rechtssicherheit nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), da er in einen in den Jahren 1984 bis einschließlich 1993 wirtschaftlich abgeschlossenen Tatbestand rückwirkend eingreife. Es könnten daher nur die auf die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zur Einlösung der Optionsanleihen eingetretenen Kurssteigerungen als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst werden. Diese beliefen sich - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - auf ... DM.
Die Kl. begehren außerdem die volle Anrechnung der ausländischen Quellensteuer in Höhe von ... DM. Die vom FA vorgenommene Kürzung beruhe darauf, dass der Sparerfreibetrag anteilmäßig von den ausländischen Zinseinnahmen abgezogen worden sei. Hierfür gebe es aber keine gesetzliche Grundlage. Vielmehr müsse der Sparerfreibetrag in voller Höhe von den inländischen Kapitaleinkünften abgezogen werden.
Die Kl. beantragen,
den Einkommensteuerbescheid ... vom ... in Gestalt des Einspruchsbescheides vom ... dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um ... DM herabgesetzt werden und ein weiterer Steuerabzug für ausländische Einkünfte in Höhe von ... DM erfolgt.
Der Beklagte (Bekl.) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. vertritt die Auffassung, dass die Marktrendite nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 EStG als Kapitalertrag zu erfassen sei. Entgegen der Auffassung der Kl. sei nicht nur die Kurssteigerung der Wertpapiere im Jahre 1994, sondern auch die in den Jahren 1984 bis 1993 eingetretenen Kurssteigerungen als Kapitaleinnahmen zu erfassen, da die Rendite erst bei Einlösung der Wertpapiere im Jahre 1994 zugeflossen sei. Eine Rückwirkung auf abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte liege deshalb nicht vor. Der Sparerfreibetrag sei zu Recht anteilsmäßig auf inländische und ausländische Kapitalerträge aufgeteilt worden, da der Freibetrag auch für ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen gewährt werde. Die Steuerermäßigung nach § 34 c EStG sei deshalb zutreffend berechnet worden.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
1.
Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG 1994 gehören zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Veräußerung abgezinster Kapitalforderungen durch den ersten und jeden weiteren Erwerber. Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass nach dieser Vorschrift die von dem Kl. erzielte Marktrendite in Höhe von ... DM erfasst wird.
Der Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG 1994 für die auf die Jahre 1985 bis 1993 entfallende Marktrendite steht Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen. Zwar war nach der im Zeitpunkt des Erwerbs der Optionsanleihen gegebenen Rechtslage der Unterschiedsbetrag zwischen dem Nennwert und dem Kurswert von Anleihen nicht als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu erfassen. In der Erfassung der Marktrendite für die gesamte Laufzeit der Optionsanleihen nach der im Zeitpunkt der Rückzahlung geltenden Rechtslage liegt aber kein gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesfinanzhofs (BFH) ist zwischen echter und unechter Rückwirkung zu unterscheiden (BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 1988 1 BvR 743/86, 1 BvL 80/86, BVerfGE 79, 29 und BFH-Urteil vom 25. Juni 1992 IV R 9/92, BStBl II 702).
Eine echte Rückwirkung eines Gesetzes liegt vor, wenn das Gesetz nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz auf in der Vergangenheit begründete, auf Dauer angelegte, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt (vgl. BFH-Urteil vom 2. September 1992 XI R 31/91, BStBl II 1993, 151).
Im Streitfall liegt eine unechte Rückwirkung vor. Die geänderte Fassung des § 20 EStG ist auf den Veranlagungszeitraum 1994 anzuwenden. Die Versteuerung der Marktrendite erfolgt also erst zu einem Zeitpunkt, der nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung liegt. Diese wirkt lediglich so weit in die Vergangenheit zurück, als sie an in der Vergangenheit liegende Erwerbsfälle von abgezinsten Wertpapieren anknüpft.
Eine solche Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Sie kann allerdings im Einzelfall gegen Bestimmungen des Grundgesetzes (GG) verstoßen, nämlich dann, wenn der Gesetzgeber einen Eingriff in die bestehende Gesetzeslage vornimmt, mit dem der Steuerpflichtige nicht zu rechnen brauchte und das Vertrauen des Steuerpflichtigen in das Fortbestehen der Rechtslage größer ist als das mit der Gesetzesänderung verfolgte Anliegen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200).
In Anwendung dieser Grundsätze liegt vorliegend ein Verstoß gegen Bestimmungen des GG nicht vor. Die gesetzliche Neuregelung verfolgte den Zweck, der verbreiteten Praxis entgegen zu wirken, nach der Anleihen abgezinst ohne laufende Verzinsung oder nur mit niedriger Verzinsung ausgegeben wurden. Die Differenz zwischen Ausgabe- und Rücknahmekurs ist in der Sache aber auch ein Entgelt für die Überlassung von Kapital und steht somit wirtschaftlich gesehen laufend gezahlten Zinsen gleich. Die erfolgte Änderung des Gesetzes hatte somit den Sinn und Zweck, im Interesse der Gleichbehandlung auch dieses Entgelt als Kapitaleinkünfte steuerlich zu erfassen. Dem gegenüber besteht ein vorrangiges Vertrauensschutzinteresse des Kl. an einem Fortbestand der damaligen Rechtslage nicht. Er konnte nicht darauf vertrauen, dass die sogenannte Marktrendite auch künftig nicht nach § 20 EStG zu versteuern sein würde. So ist es nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, a.a.O.) dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verwehrt, während eines laufenden Veranlagungszeitraums den Einkommensteuertarif zu erhöhen oder Ergänzungsabgaben zur Einkommensteuer (BVerfG vom 9. Februar 1972 1 BvL 16/69, BStBl II 1972, 408) einzuführen.
2.
Die Anrechnung der in den USA angefallenen Quellensteuer auf die inländische Einkommensteuer der Kl. richtet sich vorrangig nach den Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), welche die Bundesrepublik mit den USA abgeschlossen hat (§ 34 c Abs. 6 Satz 1 EStG). Das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA sieht in Art. 23 Abs. 2 b, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eine Anrechnung der in den USA angefallenen Quellensteuer auf die deutsche Einkommensteuer vor. In diesem Fall regelt sich die Anrechnung gemäß § 34 c Abs. 6 Satz 2 EStG nach § 34 c Abs. 1 EStG.
Nach § 34 c Abs. 1 EStG ist bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, die festgesetzte und gezahlte ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt. Die auf die ausländischen Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ist in der Weise zu ermitteln, dass die tarifliche Einkommensteuer im Verhältnis der ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufgeteilt wird.
Die Höhe der Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der Kl. in den USA erzielt hat, bestimmt sich nach deutschem Steuerrecht (vgl. BFH-Urteil vom 20. Dezember 1995 I R 57/94, BStBl II 1996, 261). Bei der Ermittlung der ausländischen Kapitaleinkünfte sind deshalb die mit den Einnahmen im Zusammenhang stehenden Aufwendungen als Werbungskosten abzugsfähig und grundsätzlich auch ein Sparerfreibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG abzuziehen. Bei der Ermittlung der Höhe der ausländischen Einkünfte im Rahmen des § 34 c Abs. 1 EStG sind deswegen die auf die ausländischen Einkünfte entfallenden Werbungskosten und der Sparerfreibetrag ebenfalls zu berücksichtigen. Während den ausländischen Einkünften als Werbungskosten nur solche Aufwendungen zugeordnet werden können, die in einem direkten wirtschaftlichen Zusammenhang zu den ausländischen Einnahmen stehen (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1994 I R 42/93, BStBl II 1994, 799) ist eine konkrete Zuordnung des Sparerfreibetrages naturgemäß nicht möglich. Da der Sparerfreibetrag auch bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte aus Kapitalvermögen abzuziehen ist, der im Streitjahr für die Kläger abzuziehende Sparerfreibetrag in Höhe von 12.000,00 DM also sowohl inländische als auch ausländische Einkünfte umfasst, kommt als allein möglicher Aufteilungsmaßstab nur eine Aufteilung des Sparerfreibetrags im Verhältnis der Höhe der ausländischen zu den inländischen Einkünften aus Kapitalvermögen in Betracht. Eine solche Aufteilung des Sparerfreibetrags hat das FA in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid rechnerisch - wie auch die Kl. nicht bezweifeln - zutreffend durchgeführt.
Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.