Landgericht Lüneburg
Urt. v. 03.05.2001, Az.: 7 O 99/00

Anwendbarkeitsvoraussetzungen und Rechtmäßigkeit des von der Kassenärztlichen Vereinigung aufgestellten Tarifsystems der Labor-EBM; Wettbewerbsrechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Abrechnungssystems einer Laborgemeinschaft gegenüber Nichtmitgliedern der Laborgemeinschaft; Tatbestandsvoraussetzungen eines Abrechnungsbetrugs durch eine Laborgemeinschaft wegen Unterschreitung der EBM-Sätze und damit angeblich einhergehender Arbeit unter Selbstkostenniveau; Wettbewerbsmäßigkeit des Angebots wirtschaftlicher Anreize durch Laborärzte an niedergelassene Ärzte zur Gewinnung von Patienten

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
03.05.2001
Aktenzeichen
7 O 99/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 32558
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2001:0503.7O99.00.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - 21.06.2007 - AZ: 13 U 137/01
BGH - 17.09.2009 - AZ: I ZR 103/07

Verfahrensgegenstand

Unterlassung

In dem Rechtsstreit
hat die 7. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 15.03.2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... und
die Handelsrichter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 2.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Kläger und die Beklagten sind Fachärzte für Labormedizin, die Kläger betreiben eine Gemeinschaftspraxis in ... die Beklagten in ... Beide betreuen Patienten in ... und ... Bezüglich labormedizinischer Untersuchungen gilt folgendes: Niedergelassene Ärzte dürfen einfache Laboruntersuchungen, sogenannte O-I und O-II-Leistungen, selbst ausführen und gegenüber den Krankenkassen abrechnen. Aus Kostengründen schließen sich niedergelassene Ärzte häufig zu Laborgemeinschaften zusammen, die die Untersuchungen für die Gesellschafter durchführen. Die Laborgemeinschaften stellen ihre Leistungen ihren Mitgliedern in Rechnung, die sie gegenüber den Krankenkassen abrechnen dürfen. Die Laborgemeinschaften arbeiten ihren Mitgliedern gegenüber auf Selbstkostenbasis. Für die Abrechnung der Labore besteht ein eigenes Tarifsystem, das ab 01.07.1999 gültige Labor-EBM. Dieses System beruht auf einer von der Kassenärztlichen Vereinigung in Auftrag gegebenen Untersuchung der Untersuchungsberatungsgesellschaft ... die die durchschnittlichen Herstellungskosten von sechs großen Laborgemeinschaften ermittelt hat. Diese durchschnittlichen Herstellungskosten bieten die Grundlage des Labor-EBM. Werden gegenüber Nichtmitgliedern von Laborgemeinschaften O-I oder O-II-Leistungen erbracht, dürfen die Nichtmitglieder diese Leistungen nicht gegenüber der Krankenkasse abrechnen, anderenfalls machen sie sich eines Abrechnungsbetruges schuldig. Neben den O-I und O-II-Leistungen gibt es spezielle Laboruntersuchungen, die als O-III-Leistungen bezeichnet werden und die gegenüber Krankenkassen nur von Fachärzten für Labormedizin abgerechnet werden dürfen. Soweit derartige Untersuchungen erforderlich sind, überweisen die niedergelassenen Ärzte die entsprechenden Patienten einem Facharzt für Labormedizin. Viele Laborärzte bemühen sich, niedergelassenen Ärzten wirtschaftliche Anreize zu bieten, damit sie ihre Patienten mit O-III-Leistungen an die Laborärzte überweisen.

2

Mit Schreiben vom 13.04.2000 (Bl. 5 f. d.A.) boten die Beklagten nach einem Besuch eines Außendienstmitarbeiters einer Gemeinschaftspraxis niedergelassener Ärzte in ... Laborleistungen an. Diesem Schreiben war eine Preisliste der "Arbeitsgemeinschaft Labor- und Diagnostik" in ... mit der gleichen Anschrift wie die der Praxis der Beklagten beigefügt, in der O-I und O-II Leistungen zu Preisen angeboten wurden, die weit unter dem Labor-EBM liegen. In dieser Preisliste waren unten die Beklagten "als technische Leiter" der Arbeitsgemeinschaft Labor und Diagnostik aufgeführt.

3

Die Kläger behaupten: Die in der Preisliste Bl. 7 d.A. genannten Preise lägen weit unter Selbstkostenniveau. So der Preis von 0,17 DM. Bereits die Geräte- und Reagenzienkosten lägen über diesen Betrag. Nach dem Gutachten ... lägen die durchschnittlichen Geräte- und Reagenzkosten bei 0,34 DM (Bl. 32 ff. d.A.). Der Grund für das Anbieten von O-I und O-II-Leistungen unter Selbstkosten liege darin, dass niedergelassene Ärzte veranlaßt werden sollten, den Beklagten ihre O-III-Untersuchungspatienten zu überweisen. Die niedrigen O-I und O-II-Preise ließen sich nur durch eine "Quersubvention" der Beklagten erreichen, die gegen § 31 der ärztlichen Berufsordnung (Bl. 35 d.A.) und damit gegen § 1 UWG verstoße. Zunächst hatten die Kläger - wie im vorangegangenem einstweiligen Verfügungsverfahren ... - weiterhin behauptet, die Beklagten seien geschäftsführende Gesellschafter der Laborgemeinschaft "Arbeitsgemeinschaft Labor und Diagnostik". Wenn sie in dieser Eigenschaft Leistungen der Laborgemeinschaft an Nichtmitglieder mit dem Hinweis anböten, die Nichtmitglieder könnten die O-I und O-II-Leistungen gegenüber den Krankenkassen abrechnen, beteiligten sich die Beklagten an dem Abrechnungsbetrag der Nichtmitglieder und verstießen gegen § 1 UWG. Auf die Abrechenbarkeit gegenüber den Krankenversicherungen werde in der Preisliste ausdrücklich hingewiesen. Nunmehr bestreiten die Kläger die Existenz der "Arbeitsgemeinschaft Labor und Diagnostik" in der Rechtsform einer BGB-Gesellschaft. Die Kläger behaupten, diese Arbeitsgemeinschaft sei ein Scheingebilde, die die Beklagten errichtet hätten, um ihre rechtswidrige Abrechnungspraxis zu tarnen. Es gebe keinen Gesellschaftsvertrag für diese "Arbeitsgemeinschaft", von den geworbenen niedergelassenen Ärzte werde auch keine förmliche rechtsverbindliche Beitrittserklärung gefordert. Weder halte die Arbeitsgemeinschaft Gesellschafterversammlungen ab, noch erstellte sie für Mitglieder Rechenschaftsberichte. Die "Arbeitsgemeinschaft" sei eine Unterabteilung der Facharztpraxis der Beklagten. Das habe zur Folge, dass niedergelassene Ärzte, die Leistungen O-I und O-II der "Arbeitsgemeinschaft" entgegenähmen und diese gegenüber den Krankenkassen abrechneten, einen Abrechnungsbetrug begingen. Das Verleiten zu diesem Abrechnungsbetrug durch die Beklagte verstoße gegen § 1 UWG.

4

Die Kläger beantragen nunmehr,

es den Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung verwirkten Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft, zu verbieten,

  1. 1.

    niedergelassenen Ärzten entweder selbst oder unter der Bezeichnung "Arbeitsgemeinschaft Labor und Diagnostik" Laboruntersuchungen der Bereiche O-I und O-II zu Preisen anzubieten, die unterhalb der Honorarsätze für technische Laborleistungen des Labor-EBM liegen und/oder für derartige Laborleistungen Preise zu berechnen, die unterhalb der vorbezeichneten Honorarsätze liegen,

  2. 2.

    niedergelassenen Ärzten entweder selbst oder unter der Bezeichnung "Arbeitsgemeinschaft Labor und Diagnostik" Laboruntersuchungen der Bereiche O-I und O-II mit der Maßgabe anzubieten, dass der niedergelassene Arzt diese Laboruntersuchungen selbst gegenüber seiner kassenärztlichen Vereinigung abrechnet und/oder derartige Laboruntersuchungen für niedergelassene Ärzte durchzuführen.

5

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

6

Die Beklagten behaupten: Die in der Preisliste Bl. 7 d.A. genannten Preise lägen nicht unter Selbstkostenniveau. Die von der Klägerin vorgelegten Analysen seien - jedenfalls was ihre Verhältnisse betreffe - unzutreffend. Im übrigen rechneten auch andere Laborgemeinschaften unter dem Labor-EBM ab. Dass es wettbewerbsrechtlich unbedenklich sei, die Ansätze der Labor-EBM zu unterschreiten, ergebe sich aus dem Urteil des OLG Dresden vom 04.04.2000 (Bl. 52 f. d.A.). Eine Quersubvention erfolge nicht. Sie hätten gegenüber niedergelassenen Ärzten keinesfalls Laborleistungen angeboten, die diese entgegen den Bestimmungen des Vertragsarztrechtes abrechnen sollten. Sie hätten zwar das Anschreiben vom 13.04.2000 an den dort genannten Adressaten abgesandt. Dieses Anschreiben sei jedoch mit einem Rundschreiben der Arbeitsgemeinschaft für Labor und Diagnostik verbunden gewesen, das die Kläger nicht vorgelegt hätten (Bl. 26 d.A.). Die Spekulationen der Kläger bezüglich der Nichtexistenz der Arbeitsgemeinschaft seien abwegig. Selbstverständlich existiere die Arbeitsgemeinschaft Labor und Diagnostik Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Sitz in .... Es existiere ein Gesellschaftsvertrag (Bl. 58 f. d.A.). Ebenso bestünden förmliche Beitrittserklärungen der 478 Mitglieder (Bl. 45 d.A.). Die Arbeitsgemeinschaft halte Gesellschafterversammlungen ab (Bl. 60 f. d.A.). Rechenschaftsberichte und Jahresabschlüsse würden selbstverständlich gefertigt.

Entscheidungsgründe

7

Die Klage ist unbegründet.

8

1.

Mit dem Klageantrag zu 1. wollen die Kläger nicht erreichen, dass die Beklagten bzw. die von ihr vertretene Laborgemeinschaft Labor und Diagnostik ... ihre Laborleistungen nicht mehr zu den in der vorgelegten Preisliste (Bl. 7 d.A.) enthaltenen Preisen abrechnen dürfen. Vielmehr wollen die Kläger das Verbot erwirken, dass eine Abrechnung unter den EBM-Sätzen erfolgt, weil - nach der Behauptung der Kläger - dann unter Selbstkosten gearbeitet und somit eine nach § 31 der ärztlichen Berufsordnung unzulässige "Quersubventionierung" mit dem Ziel vorgenommen werde, von niedergelassenen Ärzten im vermehrten Umfange Überweisungen für O-III-Leistungen zu bekommen. Die Argumentation der Kläger, jede Unterschreitung der EBM-Sätze bedeute eine Arbeit unter Selbstkosten, ist jedoch schon nach der von der Klägerin als K 5 vorgelegten Kommentierung zur Gebührenordnung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nicht richtig. Hier ist ausgeführt, dass die EBM-Sätze aufgrund der Untersuchungen der Unternehmensberatung ... festgesetzt worden sind. Diese Beratungsfirma hatte durchschnittliche Herstellungskosten in sechs großen Laborgemeinschaften von 0,69 DM je Parameter ermittelt, woraufhin die Kassenärztliche Bundesvereinigung den Kostensatz je Parameter zunächst auf 0,75 DM mit stufenweiser Herabsetzung auf 0,69 DM festgesetzt hatte. Aus der Tatsache, dass das Unternehmensberatungsunternehmen durchschnittliche Herstellungskosten von 0,69 DM festgestellt hatte, ergibt sich, dass einige der herangezogenen Laborgemeinschaften Herstellungskosten von unter 0,69 DM erwirtschaftet hatten, ohne unter Selbstkostenniveau zu arbeiten. Deshalb ist es entgegen der Ansicht der Kläger nicht richtig, dass Unterschreitungen des EBM-Tarifes in jedem Falle ein Unterschreiten des Selbstkostenniveaus beinhalten. Wie die Kostensituation bei der Laborgemeinschaft Labor und Diagnostik in ... ist, haben die Kläger im einzelnen nicht dargetan. Damit ist nicht nachgewiesen, dass jedes Unterschreiten der EBM-Sätze durch diese Laborgemeinschaft zu einer Arbeit unter Selbstkostenniveau führt.

9

2.

Auch der Antrag zu 2. ist unbegründet. Zur Begründung dieses Antrages tragen die Kläger vor, die Beklagten bzw. die von ihnen vertretene Laborgemeinschaft hätten/habe im Schreiben vom 13.04.2000 (Bl. 5 d.A.) einer Gemeinschaftspraxis in ... Laborleistungen der Laborgemeinschaft Labor und Diagnostik in ... mit dem Hinweis angeboten, die Gemeinschaftspraxis könne diese Laborleistungen gegenüber den Krankenversicherungen direkt abrechnen, obwohl die Gemeinschaftspraxis nicht Mitglied der Laborgemeinschaft sei, was einen Abrechnungsbetrug der Gemeinschaftspraxis zur Folge hätte. Von der Richtigkeit dieses Vorbringens der Kläger kann jedoch nicht ausgegangen werden. Denn die Beklagten haben unwidersprochen vorgetragen, dem Schreiben vom 13.04.2000 habe nicht nur die Preisliste Bl. 7 d.A., sondern noch ein weiteres Rundschreiben Bl. 26 d.A. beigelegen, in dem darauf hingewiesen worden sei, dass die angeschriebenen Ärzte der Laborgemeinschaft beitreten und dann die Laborleistungen direkt gegenüber den Krankenversicherungen abrechnen könnten. Daraus ergibt sich, dass die Behauptung der Kläger, die Beklagten hätten die angeschriebene Praxis zu einem Abrechnungsbetrug verleiten wollen, wodurch sich die Beklagten eines Wettbewerbsverstoßes gemäß § 1 UWG schuldig gemacht hätten, nicht zutreffend ist.

10

Auch die weitere Behauptung der Kläger, die Laborgemeinschaft Labor und Diagnostik existiere in Wirklichkeit gar nicht, sie sei nur eine Unterabteilung im Labor der Beklagten, weshalb die Leistungen der Preisliste (Bl. 7 d.A.) nicht durch eine Laborgemeinschaft sondern durch die Beklagte persönlich angeboten würden, kann nicht gefolgt werden. Denn die Beklagten haben Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass die Laborgemeinschaft als BGB-Gesellschaft existiert, dass sie eine Vielzahl von Mitgliedern hat und dass Mitgliederversammlungen abgehalten werden (Bl. 58 f. d.A.). Für das Gegenteil haben die Kläger keinen Beweis angeboten.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 100 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11 ZPO.