Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.03.2022, Az.: 1 A 36/21

Anwendungsbestimmung; Aquatische Risikobewertung; Nichtzielpflanzen; Pflanzenschutzmittel; Sicherheitsfaktor

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.03.2022
Aktenzeichen
1 A 36/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59574
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Berücksichtigung von Auswirkungen auf Nichtzielpflanzen auf der Behandlungsfläche bei der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels steht entgegen, dass die EFSA noch keine anerkannten wissenschaftlichen Methoden zur Bewertung derartiger Auswirkungen festgelegt hat (Fortführung der Rechtsprechung aus VG Braunschweig, Urt. v. 29.9.2021 1 A 130/21 , juris).
2. Eine Abweichung von dem in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 für die aquatische Risikobewertung hinsichtlich der Auswirkungen auf Algen und Makrophyten festgelegten Sicherheitsfaktor von 10 kann nicht auf der Grundlage einer Verständigung der Mitgliedstaaten der zentralen Zulassungszone erfolgen.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. März 2021 wird insoweit aufgehoben, als die Geltungsdauer der Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. auf einen kürzeren Zeitraum als den 31. Juli 2022 befristet worden ist und die Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 festgesetzt worden sind.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 100.000,-- EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Befristung einer ihr erteilten Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel sowie gegen zwei Anwendungsbestimmungen im Rahmen dieser Zulassung.

Die Klägerin entwickelte das Pflanzenschutzmittel F. mit den auf EU-Ebene genehmigten Wirkstoffen I., J. und K.. Das Pflanzenschutzmittel F. ist ein Herbizid zur Bekämpfung von Unkräutern und Gräsern in Getreide im Herbst.

Am 27. April 2015 beantragte die Klägerin beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine Zulassung für dieses Pflanzenschutzmittel, damals noch unter der Handelsbezeichnung L., in der zentralen Zone. Deutschland übernahm dabei die Bewertung als berichterstattender Mitgliedstaat (zonal Rappoteur Member State, zRMS). Weitere Anträge wurden in den Mitgliedstaaten der zentralen Zone Belgien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich gestellt. Der Zulassungsantrag war auf sechs Anwendungsgebiete für die Pflanzen Winterweichweizen, Wintergerste, Winterroggen, Wintertriticale und Dinkel gerichtet. Die Anwendungsgebiete 001, 002, 004 und 005 bezogen sich dabei auf die Schadorganismen Acker-Fuchsschwanz und einjährige zweikeimblättrige Unkräuter, die Anwendungsgebiete 003 und 006 auf die Schadorganismen gemeiner Windhalm, einjähriges Rispengras und einjährige zweikeimblättrige Unkräuter, wobei die sechs Anwendungsgebiete jeweils nach der Aufwandmenge des zu spritzenden Pflanzenschutzmittels bzw. dem Stadium der Kulturpflanze differierten.

Nach Nachlieferung fehlender Unterlagen wurde vom BVL der Bearbeitungsbeginn für den gestellten Antrag der Klägerin auf den 3. Juli 2015 festgesetzt.

Am 1. November 2017 hat die Klägerin Untätigkeitsklage auf Erteilung der beantragten Zulassung des Pflanzenschutzmittels F. erhoben.

Mit Schreiben vom 25. Juli 2018 erließ das BVL eine zonale Hemmungsmitteilung an die Klägerin, mit der die Bearbeitung des Antrages unterbrochen und die Klägerin zur Einreichung von bestimmten Angaben und Unterlagen bis zum 25. Januar 2019 aufgefordert wurde.

Nach fristgemäßer Einreichung der mit der Hemmungsmitteilung geforderten Unterlagen bzw. Angaben durch die Klägerin erklärten das Julius Kühn-Institut (JKI) mit Schreiben vom 11. April 2019 und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit Schreiben vom 28. Mai 2019 ihr Benehmen bezüglich dem Antrag auf Zulassung des begehrten Pflanzenschutzmittels F.. Das Umweltbundesamt (UBA) versagte hingegen mit Schreiben vom 31. Mai 2019 zunächst sein Einvernehmen. Zur Begründung führte es u. a. an, dass die Klägerin keine akzeptablen Studien zur Toxizität des Wirkstoffes J. gegenüber Grünalgen eingereicht habe. Des Weiteren sei ein valider Endpunkt für die Grünalgen für die Ermittlung der Mischungstoxizität erforderlich.

Mit Schreiben vom 31. Juli 2020 aktualisierte das UBA jedoch sein Einvernehmen für das begehrte Pflanzenschutzmittel F.. Zeitlich unbefristet erklärte es sein Einvernehmen unter der Voraussetzung der Festsetzung der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora). Wesentlicher Gehalt dieser Anwendungsbestimmung ist, dass die Anwendung des Pflanzenschutzmittels zum Schutz der nicht zu bekämpfenden Arten der Ackerbegleitflora nur auf maximal 9/10 der zu behandelnden Anbaufläche erfolgen dürfe. Die unbehandelte Teilfläche solle als Überlebensraum dienen und sei deshalb während des Kulturverlaufs auch von der Behandlung mit anderen Pflanzenschutzmitteln auszunehmen. Die Anwendung des Pflanzenschutzmittels müsse zudem in einer Breite von mindestens 20 m zur angrenzenden unbehandelten Teilfläche mit einem verlustmindernden Gerät erfolgen. Für die Zulassung des Pflanzenschutzmittels ohne die Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) erklärte das UBA sein Einvernehmen lediglich befristet bis zum 31. Dezember 2020. Zudem erteilte es sein Einvernehmen unabhängig von der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) bzw. der Befristung bis zum 31. Dezember 2020 nur unter der Voraussetzung der Festsetzung weiterer Anwendungsbestimmungen, insbesondere der Anwendungsbestimmung NG356 bzw. einer alternativen, zum Schutz des Grundwassers noch nicht endgültig abgestimmten Anwendungsbestimmung sowie den Anwendungsbestimmungen NW607-1 und NW800 für alle sechs beantragten Anwendungsgebiete. Die Anwendungsbestimmung NW800 verbietet die Anwendung auf gedrainten Flächen zwischen dem 1. November und 15. März. Auf Rückfrage des BVL vom 6. August 2020 bezüglich der Anwendungsbestimmung NW800, welche aus Sicht der BVL nicht für ausreichend erachtet wurde, da eine Anwendung des Pflanzenschutzmittels üblicherweise bereits vor dem 1. November erfolge bzw. möglich sei, aktualisierte das UBA mit Schreiben vom 18. August 2020 sein Einvernehmen und ersetzte die Anwendungsbestimmung NW800 durch die Anwendungsbestimmung NG405 (keine Anwendung auf drainierten Flächen ohne zeitliche Beschränkung) für alle sechs Anwendungsgebiete.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 2020 erteilte das BVL der Klägerin die beantragte Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. für die Anwendungsgebiete 001 bis 006 versehen mit Nebenbestimmungen und Anwendungsbestimmungen, jedoch ohne die Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora). Die Geltungsdauer der Zulassung befristete das BVL auf den 31. Dezember 2020.

Bezüglich Letzterem führte es aus, dass das UBA ein unbefristetes Einvernehmen mit der Bedingung verknüpft habe, dass die Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) erteilt werde; ohne die Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) sei das Einvernehmen lediglich bis zum 31. Dezember 2020 erteilt worden. Die genannte Anwendungsbestimmung halte es – das BVL – aber für rechtswidrig. Das UBA habe trotz Aufforderung zur Erteilung eines unbefristeten Einvernehmens ohne die Anwendungsbestimmung ein solches nicht erteilt. Obwohl die Dauer der Zulassung regelmäßig nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 so festgelegt werde, dass sie die Dauer der Wirkstoffgenehmigung plus ein Jahr umfasse, könne die vorliegende Zulassung ohne die Anwendungsbestimmung entsprechend dem Einvernehmen des UBA nur befristet bis zum 31. Dezember 2020 erteilt werden.

Des Weiteren wurde die Zulassung durch das BVL u. a. mit der Plicht zur Vorlage eines Monitorings im Zusammenhang mit der Anwendungsbestimmung NG356-1 (maximale Aufwandmenge von 250 g J. pro Hektar auf derselben Fläche innerhalb von drei Jahren zum Schutz des Grundwassers) verknüpft sowie für die Anwendungen 001 bis 006 jeweils mit den Anwendungsbestimmung NG405 und NW607-1 erteilt.

Nach der Anwendungsbestimmung NG405 darf keine Anwendung auf drainierten Flächen vorgenommen werden. Zur Begründung wurde im Zulassungsbescheid jeweils Folgendes angeführt:

„Das o.g. Pflanzenschutzmittel weist ein hohes Gefährdungspotenzial für aquatische Organismen, insbesondere Primärproduzenten auf. Bewertungsbestimmend sind hier die ErC50 für Desmodesmus subspicatus von 0,45 μg/L für den Wirkstoff I., die ErC50 für Pseudokirchneriella subcapitata von 10,2 μg/L für den Wirkstoff J., die ErC50 für Lemna gibba für den Wirkstoff K. von 16,1 μg/L sowie die Kombinationseffekte der 3 Wirkstoffe. Ausgehend von einem Datensatz zu expositionsbestimmenden Eigenschaften des Wirkstoffe I. (Wasserlöslichkeit = 0,05 mg/L; DT50 Boden = 143,2 d; KOC = 3417), J. (Wasserlöslichkeit = 56 mg/L; DT50 Boden = 20,9 d; KOC = 221,25), K. (Wasserlöslichkeit = 1050 mg/L; DT50 Boden = 9,6 d; KOC = 37,1) und einer Berechnung der über den Pfad Drainage zu erwartenden Einträge mit dem Modell Exposit 3.02 und einem Sicherheitsfaktor von 30 bzw. 10 ist nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die Anwendungsbestimmung NG405 erforderlich, um einen ausreichenden Schutz von Gewässerorganismen vor Einträgen der Wirkstoffe I. und J. in Oberflächengewässer zu gewährleisten. Weitere Informationen hierzu sind dem Draft Registration Report, Part B, nationales Addendum zu entnehmen (Sektion 6, Kapitel 6.5.2).“

Die im Zulassungsbescheid jeweils festgesetzte Anwendungsbestimmung NW607-1 lautet wie folgt:

„Die Anwendung des Mittels auf Flächen in Nachbarschaft von Oberflächengewässern – ausgenommen nur gelegentlich wasserführende, aber einschließlich periodisch wasserführender Oberflächengewässer – muss mit einem Gerät erfolgen, das in das Verzeichnis "Verlustmindernde Geräte" vom 14. Oktober 1993 (Bundesanzeiger Nr. 205, S. 9780) in der jeweils geltenden Fassung eingetragen ist. Dabei sind, in Abhängigkeit von den unten aufgeführten Abdriftminderungsklassen der verwendeten Geräte, die im Folgenden genannten Abstände zu Oberflächengewässern einzuhalten. Für die mit "*" gekennzeichneten Abdriftminderungsklassen ist, neben dem gemäß Länderrecht verbindlich vorgegebenen Mindestabstand zu Oberflächengewässern, das Verbot der Anwendung in oder unmittelbar an Gewässern in jedem Fall zu beachten. Zuwiderhandlungen können mit einem Bußgeld bis zu einer Höhe von 50.000 Euro geahndet werden.“

Ergänzend wurden im Rahmen dieser Anwendungsbestimmung für die Anwendungen 001 bis 006 jeweils unterschiedliche reduzierte Abstände angegeben.

Zur Begründung der Anwendungsbestimmung NW607-1 wurde für die Anwendungen 001 bis 006 jeweils Folgendes ausgeführt:

„Das o.g. Pflanzenschutzmittel weist ein hohes Gefährdungspotenzial für aquatische Organismen, insbesondere Primärproduzenten auf. Bestimmend für die Bewertung des Risikos ist hier die ErC50 für Desmodesmus subspicatus von 0,45 μg/L für den Wirkstoff I.. Ausgehend von den geltenden Modellen zur Abdrift (hier: EVA 3) und einem Sicherheitsfaktor von 30 ist die Anwendungsbestimmung NW607-1 erforderlich, um einen ausreichenden Schutz von Gewässerorganismen vor Einträgen des o.g. Mittels in Oberflächengewässer zu gewährleisten. Weitere Informationen hierzu sind dem Draft Registration Report, Part B, nationales Addendum zu entnehmen (Sektion 6; Kapitel 6.5.2).“

Gegen den Zulassungsbescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 17. Dezember 2020 Widerspruch. Ihren Widerspruch richtete die Klägerin gegen die Befristung der Zulassung bis zum 31. Dezember 2020, gegen die jeweils für die Anwendungen 001 bis 006 festgesetzten Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 sowie gegen die auferlegte Vorlage eines Monitorings im Zusammenhang mit der Anwendungsbestimmung NG356-1. Mit Schreiben vom 1. Februar 2021 stellte das BVL fest, dass der Widerspruch gegen die im Zulassungsbescheid enthaltene Befristung aufschiebende Wirkung längstens bis zum 31. Juli 2022 habe. Die Anwendungsbestimmung NG356-1 sowie die Auflage zur Vorlage eines Monitorings hob das BVL mit Teil-Widerspruchsbescheid vom 29. März 2021 auf und erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid am selben Tag. Über den weiteren Widerspruch gegen die Befristung der Zulassung und die Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 ist noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 30. März 2021 bezog die Klägerin den Zulassungs- und Änderungsbescheid in das Klageverfahren ein, stellte ihre erhobene Untätigkeitsklage um und wendet sich nunmehr gegen die Befristung der Zulassung bis zum 31. Dezember 2020 sowie die Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1.

Mit Urteil vom 29. September 2021 – 1 A 130/21 – entschied das erkennende Gericht, dass die Berücksichtigung unannehmbarer Auswirkungen auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen, gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. e ii) Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 unter dem Vorbehalt der Festlegung von anerkannten wissenschaftlichen Bewertungsmethoden durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) steht, an denen es für die Beurteilung von Auswirkungen eines Pflanzenschutzmittels auf Nichtzielpflanzen auf der Anwendungsfläche („in-field“) fehle. Derartige Auswirkungen könnten deshalb auch nicht die Erteilung von Nebenbestimmungen, wie der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora), rechtfertigen. Im Anschluss an diese Entscheidung nahmen das UBA und das BVL in ihrer Verwaltungspraxis in anderen Zulassungsverfahren von der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) Abstand.

Zur Klagebegründung führt die Klägerin unter Bezugnahme auf dieses Urteil aus, dass die Befristung der erteilten Zulassung bis zum 31. Dezember 2020 rechtswidrig sei, da das BVL nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 in ständiger Verwaltungspraxis grundsätzlich die längst mögliche Zulassungsdauer von einem Jahr nach Ablauf der Wirkstoffgenehmigung festsetze. Die vom UBA für ein unbefristetes Einvernehmen geforderte Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) sei rechtswidrig, u. a. wegen fehlenden, von der EFSA anerkannten wissenschaftlichen Bewertungsmethoden (sog. Methodenvorbehalt).

Zudem seien die mit der Zulassung verknüpften Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 rechtswidrig, indem diese ausweislich ihrer Begründung maßgeblich darauf abstellen würden, dass das UBA in der aquatischen Risikobewertung einen Sicherheitsfaktor von 30 zugrunde gelegt habe. Diese Vorgehensweise entspreche nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik und wäre selbst dann nicht zulässig, wenn sie mittlerweile als Stand von Wissenschaft und Technik anzusehen wäre.

Dazu führt die Klägerin u. a. an, dass bei der Anwendungsbestimmung NW607-1 die Heranziehung des Sicherheitsfaktors von 30 nicht dem berücksichtigungsfähigen Stand von Wissenschaft und Technik entspreche. Aus Teil II, Abschnitt C, Ziffer 2.8.2 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 ergebe sich ein Sicherheitsfaktor von 10. Diese rechtsverbindliche Vorgabe spiegele sich auch in dem einschlägigen Guidance Document der EFSA „Guidance on tiered risk assessment for plant protection products for aquatic organisms in edge-of-field surface waters” (EFSA Journal 2013; 11(7):3290) wider. Darin habe die EFSA an diesem Sicherheitsfaktor festgehalten und lediglich in Aussicht gestellt, die wissenschaftliche Grundlage zukünftig näher zu untersuchen. Auch im Jahr 2019 habe die EFSA in dem Report „Outcome of the Pesticides Peer Review Meeting on general recurring issues in ecotoxicology“ angesichts vom UBA vorgebrachter Bedenken daran festgehalten, dass der bisherige Sicherheitsfaktor von 10 im Kontext einer Überarbeitung des bisherigen Guidance Document auf Basis aller verfügbaren wissenschaftlichen Daten und Unterlagen von der EFSA zu beurteilen sei. Dennoch habe das UBA eigenmächtig einen Sicherheitsfaktor von 30 bei der aquatischen Risikobewertung im hiesigen Zulassungsverfahren zugrunde gelegt und sich damit über die auf europäischer Ebene anerkannten Methoden hinweggesetzt. Entgegen dem Verständnis der Beklagten habe die EFSA den Mitgliedstaaten in ihrem Guidance Document auch keine Möglichkeit eingeräumt, von dem Sicherheitsfaktor 10 abzuweichen. Soweit sich die Beklagte auf Absprachen der Mitgliedstaaten der zentralen Zulassungszone im Central Zone Steering Committee (CZSC) stütze, handele es sich um kein rechtlich vorgesehenes Gremium, dem auch nicht die Befugnis zukomme, Aufgaben der EFSA zu übernehmen.

Ferner sei der Sicherheitsfaktor von 30 nicht zulässig, um darauf basierend maximale Risikominderungsmaßnahmen für die Anwendung des Pflanzenschutzmittels festzusetzen, ohne dass sich diese durch die Risikobewertung als erforderlich ableiten ließen. Das UBA sehe den Sicherheitsfaktor von 30 nicht mehr als Grenzwert, sondern als Kriterium zur pauschalen Festsetzung von maximalen Risikominderungsmaßnahmen. Eine solche rein nationale Festsetzung der Risikominderungsmaßnahmen ohne hinreichende sachliche Begründung stehe weder im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 noch mit den durch die Verordnung (EU) Nr. 546/2011 festgelegten einheitlichen Grundsätzen. Risikominderungsmaßnahmen seien danach so festzulegen, dass sie das tatsächliche Risiko einer jeden einzelnen Anwendung mindern, nicht jedoch maximal mögliche Schutzmaßnahmen im Sinne des Vorsorgeprinzips ermöglichen. Die Festlegung von Risikominderungsmaßnahmen für das streitgegenständliche Pflanzenschutzmittel habe demnach auf der Basis des Sicherheitsfaktors von 10 zu erfolgen, woraus sich im Rahmen der Anwendungsbestimmung NW607-1 geringere reduzierte Abstände für die jeweiligen Anwendungsgebiete ergeben würden.

In Bezug auf die Anwendungsbestimmung NG405 habe das BVL bei der Bewertung eines hohen Gefährdungspotenzials für aquatische Organismen ebenfalls einen Sicherheitsfaktor von 30 zugrunde gelegt. Wie bei der Anwendungsbestimmung NW607-1 entspreche die Heranziehung dieses Sicherheitsfaktors allerdings nicht dem berücksichtigungsfähigen Stand von Wissenschaft und Technik. Bei zutreffender Berücksichtigung des Sicherheitsfaktors von 10 sei stattdessen für die Anwendungsgebiete 002 bis 006 eine Beschränkung der Anwendung des Mittels für drainierte Flächen nur für die Winterperiode vom 1. November bis zum 15. März eines Jahres erforderlich.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. März 2021 insoweit aufzuheben, als die Geltungsdauer der erteilten Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. auf einen kürzeren Zeitraum als den 31. Juli 2022 befristet worden ist und die Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 festgesetzt worden sind.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt das BVL u. a. aus, dass es die Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) für rechtswidrig und eine Erteilung der Zulassung mit dieser Anwendungsbestimmung als schlicht unvertretbar erachte. Es sei jedoch an das Einvernehmen des UBA gebunden, sodass die von der Klägerin begehrte Zulassung nicht mit der regulären Zulassungsdauer erteilt werden könne. Mit Schreiben vom 21. Februar 2022 verzichtet das UBA nunmehr mit Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Gerichts vom 29. September 2021 – 1 A 130/21 – auf die Festsetzung der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora).

Soweit sich die Klägerin gegen die Anwendungsbestimmung NG405 und NW607-1 wendet, verweist das BVL auf die Stellungnahmen des UBA.

In seiner Stellungnahme vom 26. April 2021 führt das UBA u. a. aus, dass die von der EFSA erarbeitete Methode aus dem Guidance Document „Guidance on tiered risk assessment for plant protection products for aquatic organisms in edge-of-field surface waters” aus dem Jahr 2013 zwar heranzuziehen, aber nicht rechtsverbindlich sei. Mit dem Guidance Document aus dem Jahr 2013 habe die EFSA einen neuen Endpunkt festgelegt. Heranzuziehen sei danach nicht mehr der Endpunkt EbC50 bzw. EyC50, sondern der Endpunkt ErC50. Bereits in diesem Guidance Document habe die EFSA aber den Bedarf einer Überprüfung der Sicherheitsfaktoren aufgezeigt. Diese Überprüfung habe bisher nicht stattgefunden. Speziell für die Bewertung für Algen und Wasserpflanzen sei die Erforderlichkeit einer Prüfung des Schutzniveaus durch die EFSA ebenfalls im Jahr 2019 anerkannt und für die Überarbeitung des Guidance Document vorgesehen worden. Einen konkreten Zeitplan für die Überarbeitung gebe es aber nicht. Bereits zum Zeitpunkt der Notifizierung des Guidance Document im Jahr 2014 habe das UBA aber auf die Verschiebung des Schutzniveaus bei einem Sicherheitsfaktor von 10 und dem geänderten Endpunkt ErC50 hingewiesen. Vor dem Inkrafttreten des Guidance Document im Januar 2015 sei die Bewertung für Algen und Wasserpflanzen in der EU einheitlich auf Basis des niedrigsten vorliegenden Endpunktes EbC50 bzw. EyC50 mit einem Sicherheitsfaktor von 10 erfolgt. Die von dem UBA aufgegriffene Frage der Verschiebung des Schutzniveaus durch den neuen Endpunkt und dessen Ergebnisse seien bereits in den Jahren 2015, 2017 und 2018 im Rahmen einer Tagung veröffentlicht worden. Zudem sei die Auswertung bezüglich des systematischen Unterschiedes zwischen den Endpunkten auf einem zonalen Workshop der Expertinnen und Experten im Bereich der Umweltbewertung (Central Zone Harmonisation Workshop, CZHW) am 10. Oktober 2017 vorgestellt worden. Die Notwendigkeit, die entstehende Unsicherheit national zu adressieren, sei von allen Mitgliedstaaten anerkannt und es sei beschlossen worden, dass ein entsprechender Hinweis im Rahmen der zonalen Risikobewertung im Core Assessment aufgenommen werden solle. Der entsprechende Standardtext sei in der zentralen Zone abgestimmt und als Bullet Point zur Information der Antragsteller veröffentlicht worden. Das UBA weiche in dem vorliegenden Zulassungsverfahren somit nicht von einem Konsens der Mitgliedstaaten ab, sondern setze den gemeinsamen Entschluss der Mitgliedstaaten um, das erkannte Defizit in den geltenden Leitlinien auf nationaler Ebene zu adressieren. Das deutsche Vorgehen beim Umgang mit der bestehenden Unsicherheit im Rahmen der nationalen Bewertung sei auf der Homepage des BVL veröffentlicht worden. Der Sicherheitsfaktor von 30 werde lediglich im Rahmen der nationalen Bewertung berücksichtigt. Für Deutschland ergebe sich die Notwendigkeit dieser Berücksichtigung aus dem schlechten Zustand der Gewässer in Bezug auf die Qualitätskomponente Wasserpflanzen (Makrophyten) und Phytobenthos. Aus den in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführten Auswertungen durch das UBA sei ein zusätzlicher Faktor von 3, also insgesamt ein Sicherheitsfaktor von 30, in der Prüfung des Risikos für Wasserpflanzen zu berücksichtigen, um ein ausreichendes Schutzniveau sicherzustellen. Mit diesem Vorgehen folge das UBA prinzipiell dem Bewertungsansatz aus dem Guidance Document der EFSA aus dem Jahr 2013, komme zusätzlich aber der Verpflichtung aus Art. 29 i.V.m. Art. 36 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 nach, einer weiteren Verschlechterung des ökologischen Zustandes des Gewässers in Deutschland entgegenzuwirken. In seiner Stellungnahme vom 25. Februar 2022 ergänzt das UBA, dass in Deutschland im landwirtschaftlich beeinflussten Raum aufgrund hoher Nährstoffeinträge vor allem sog. eutrophe Gewässer vorzufinden seien, welche die höchste Zahl von Makrophyten auf der sog. Roten Liste aufweisen würden. Sowohl bezogen auf den Gefährdungsstatus als auch auf den Entwicklungstrend der letzten Jahre sei festzuhalten, dass der Zustand der Makrophyten in für den Agrarraum relevanten Vegetationsformationen (Vegetation in sog. oligotrophen/eutrophen sowie sog. eutrophen Gewässern) als vulnerabel einzuordnen sei, für eine Vielzahl von Arten bereits eine Gefährdung vorliege und der Entwicklungstrend ein gleichbleibendes bis hin zu einem sich verschlechternden Bild zeige. Es sei daher erforderlich für Makrophyten und gleichermaßen Algen, als Vertreter der aquatischen Primärproduzenten, einer weiteren Verschlechterung des Zustands durch die Normierung der Risikobewertung für Pflanzenschutzmittel auf ein ausreichendes Schutzniveau entgegenzuwirken.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig (I.) und begründet (II.).

I. Die Klage ist zulässig.

Zunächst war die ursprünglich von der Klägerin erhobene Untätigkeitsklage zulässig.

Diese war gemäß § 42 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (im Folgenden: VwGO) als Verpflichtungsklage statthaft und wurde zulässigerweise als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erhoben.

Gemäß § 75 Satz 1 VwGO ist die Verpflichtungsklage ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Liegt nach Ablauf einer Sperrfrist von drei Monaten seit Antragstellung (§ 75 Satz 2 VwGO) ein zureichender Grund für die Verzögerung der Bescheidung des Antrags durch die Behörde vor, setzt das Gericht nach § 75 Satz 3 VwGO das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus. Ohne eine derartige Aussetzung des Verfahrens bleibt eine nach § 75 Satz 1 VwGO erhobene Untätigkeitsklage zulässig und erfordert die Durchführung des Vorverfahrens selbst dann nicht, wenn die Behörde den Kläger während des Rechtsstreits ablehnend bescheidet (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1991 – 1 C 42/88 –, juris; Urt. v. 13.1.1983 – 5 C 114/81 –, juris; Porsch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL, § 75 VwGO Rn. 26).

Im vorliegenden Fall ist eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO nicht erfolgt, da die Klage nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO erhoben wurde und ein zureichender Grund dafür, dass der Antrag auf Zulassung des Pflanzenschutzmittels F. bis zur Klageerhebung nicht beschieden wurde, nicht ersichtlich ist. Hierbei können die tatsächlichen Gründe für die Verzögerung der Bescheidung dahingestellt bleiben, da die Verzögerung gegen zwingendes EU-Recht verstößt und damit der tatsächliche Verzögerungsgrund von vornherein nicht „zureichend“ im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.7.1991 – 3 C 56/90 –, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 3.9.2020 – 9 A 165/18 –, n. v.). Maßgeblich für die angemessene Bearbeitungsfrist des hier vorliegenden Antrags im zonalen Erstzulassungsverfahren mit Deutschland als berichterstattenden Mitgliedstaat (zRMS) ist Art. 37 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. L 309 v. 24.11.2009, S. 1, zul. geänd. durch Verordnung (EU) 2021/383 v. 3.3.2021, ABl. L 74 v. 4.3.2021, S. 7). Hiernach entscheidet der berichterstattende Mitgliedstaat innerhalb von zwölf Monaten nach Erhalt des Antrages, ob die Anforderungen für eine Zulassung erfüllt sind (Unterabs. 1). Diese Frist wird nach Unterabs. 2 verlängert, wenn der berichterstattende Mitgliedstaat zusätzliche Informationen benötigt. Der Mitgliedstaat setzt sodann eine Frist, innerhalb derer der Antragsteller die Informationen vorzulegen hat. Der ursprüngliche Zeitraum von zwölf Monaten wird um diese vom Mitgliedstaat eingeräumte zusätzliche Frist verlängert. Diese zusätzliche Frist kann jedoch höchstens sechs Monate betragen. Vorliegend war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 1. November 2017 bereits sowohl die zwölfmonatige als auch die mögliche zusätzliche sechsmonatige Frist verstrichen. Für den am 27. April 2015 eingereichten Zulassungsantrag der Klägerin setzte das BVL nach Nachlieferung von angeforderten fehlenden Unterlagen den Bearbeitungsbeginn auf den 3. Juli 2015 fest. Die zwölfmonatige Entscheidungsfrist war damit bei Klageerhebung bereits abgelaufen. Eine Frist zur Vorlage von zusätzlichen Informationen (sog. Hemmungsmitteilung) wurde durch das BVL bis zur Klageerhebung nicht festgesetzt. Selbst wenn eine solche Festsetzung erfolgt wäre, wäre eine etwaige um sechs Monate verlängerte Frist bei Klageerhebung ebenfalls abgelaufen. Auch das BVL geht insoweit im Klageverfahren davon aus, dass die Bescheidung nicht fristgerecht erfolgt und die Untätigkeitsklage zulässig ist. Soweit das BVL im laufenden Klageverfahren mit Schreiben vom 25. Juli 2018 eine zonale Hemmungsmitteilung zur Einreichung von weiteren Angaben und Unterlagen gemäß Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 mit einer Fristsetzung bis zum 25. Januar 2019 an die Klägerin erlassen hat, hat dies keine Auswirkungen auf die Bearbeitungsfrist und die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage. Denn die Regelung des Art. 37 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 setzt voraus, dass die Bearbeitungsfrist von zwölf Monaten bei Ergehen der Hemmungsmitteilung noch nicht abgelaufen ist, da andernfalls eine Verlängerung der zwölfmonatigen Frist im rechtstechnischen Sinne nicht mehr möglich ist (VG Braunschweig, Urt. v. 3.12.2020 – 9 A 555/17 – n. v., S. 13).

Soweit zwischen den Beteiligten im Klageverfahren streitig ist bzw. war, ob die Untätigkeitsklage spruchreif war, muss dies nach Erlass des Zulassungsbescheides vom 16. Dezember 2020 nicht mehr geklärt werden. Denn ob das Gericht eine – wie ursprünglich beantragte – Verpflichtung zur Erteilung der begehrten Zulassung oder lediglich eine Verpflichtung auf Bescheidung aussprechen hätte können, ist keine Frage der Zulässigkeit der ursprünglichen Untätigkeitsklage, sondern deren Begründetheit (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.12.2011 – 8 B 60/11 –, juris Rn. 6).

Die ohne ein Vorverfahren nach § 75 VwGO zulässige Untätigkeitsklage konnte nach Erlass des Zulassungsbescheides vom 16. Dezember 2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. März 2021 auch zulässigerweise fortgeführt werden.

Wenn die erhobene Untätigkeitsklage – wie hier – von Anfang an zulässig war, weil die Klage die dreimonatige Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO wahrte und das Klageverfahren nicht nach § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen war, kann die Klägerin im Falle des Erlasses eines für sie negativen Verwaltungsaktes ihre Klage unter Einbeziehung des ergangenen negativen Verwaltungsaktes als Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage fortführen, ohne dass die Frist des § 74 VwGO zu beachten wäre und ohne dass zuvor ein Vorverfahren durchzuführen ist (vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl., § 75 Rn. 28; Buchheister in: Wysk, VwGO, 3. Aufl., § 75 Rn. 10; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 75 Rn. 21 ff.). Vorliegend hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. März 2021 den Zulassungsbescheid in Gestalt des Änderungsbescheides wirksam in das Klageverfahren einbezogen.

Die von der Klägerin zuletzt in der mündlichen Verhandlung beantragte (isolierte) Anfechtungsklage gegen die Befristung der Zulassungsdauer und die Anwendungsbestimmungen NW607-1 und NG405 ist auch statthaft.

Die mit dem Klageantrag angegriffene, auf einen kürzeren Zeitraum als den 31. Juli 2022 befristete Zulassungsdauer ist mit einer isolierten Anfechtungsklage geltend zu machen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist gegen belastende Nebenbestimmungen jeder Art grundsätzlich die Anfechtungsklage gegeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00 –, juris; Urt. v. 21.6.2007 – 3 C 39/06 –, juris). Dies gilt auch bei der isolierten Anfechtung einer den Adressaten belastenden Befristung der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 10.10.2019 – 10 ME 191/19 –, juris). Eine isolierte Aufhebung der Nebenbestimmung scheidet insoweit jedenfalls dann nicht offenkundig von vornherein aus, wenn der Kläger keine unbefristete Zulassung anstrebt, sondern sich nur gegen die Verkürzung der Frist nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 wendet, die nach der Verwaltungspraxis der Beklagten regelmäßig auf ein Jahr nach Ablauf der Zulassung der Wirkstoffgenehmigung festgesetzt wird (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 10.10.2019 – 10 ME 191/19 –, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 29.9.2021 – 1 A 130/21 –, juris).

Die Klägerin hat sowohl mit ihrem Klageantrag als auch ihrer Klagebegründung zum Ausdruck gebracht, dass sie sich gegen diese Verkürzung der Geltungsdauer der Zulassung wendet. Dass das BVL die Zulassung für das streitgegenständliche Pflanzenschutzmittel bei einem voraussetzungslos und unbefristet erteilten Einvernehmen des UBA mit einer Geltungsdauer von einem Jahr nach Ablauf der Wirkstoffgenehmigung erteilt hätte, ergibt sich im Wege der Auslegung bereits aus dem Zulassungsbescheid vom 16. Dezember 2020, in dem ausgeführt ist, dass die Dauer der Zulassung regelmäßig nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 so festgelegt werde, dass sie mindestens die Dauer der Wirkstoffgenehmigung plus ein Jahr betrage (vgl. dort S. 9 f.). Daran hat das BVL auch bis zuletzt festgehalten. Bei einem unbefristet erteilten Einvernehmen des UBA wäre die Geltungsdauer der Zulassung mithin statt auf den 31. Dezember 2020 auf den 31. Juli 2022 befristet worden, denn zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung am 16. Dezember 2020 hatte die Genehmigung des Wirkstoffs K. eine Geltungsdauer bis zum 31. Juli 2021 (siehe Durchführungsverordnung (EU) 2020/869 der Kommission vom 24.6.2020, ABl. L 201 v. 25.6.2020, S. 7). Entsprechend seiner Verwaltungspraxis bei einem Pflanzenschutzmittel mit mehreren enthaltenen Wirkstoffen – wie dem vorliegenden – orientierte sich das BVL dabei für die Zulassungsdauer an der Wirkstoffgenehmigung, die die kürzeste Geltungsdauer aufweist. Die Genehmigungsdauer der Wirkstoffe I. und J., welche zum Zeitpunkt des Erlasses des Zulassungsbescheides über den 31. Juli 2021 hinausgingen (siehe Durchführungsverordnung (EU) 2020/1511 der Kommission vom 16.10.2020, ABl. L 344 v. 19.10.2020, S. 18), hat es für die Festlegung der Zulassungsdauer daher nicht herangezogen. Von der Heranziehung der Genehmigungsdauer des Wirkstoffes K. für die Zulassungsdauer geht im Übrigen auch die Klägerin aus.

Mit einer isolierten Anfechtungsklage kann die Klägerin, der es nicht um eine unbefristete Zulassung geht, die der Vorschrift des Art. 32 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zuwiderlaufen würde, auch geltend machen, dass die Dauer der Befristung rechtswidrig zu kurz bemessen wurde (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 10.10.2019 – 10 ME 191/19 –, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 29.9.2021 – 1 A 130/21 –, juris). In diesem Sinne ist Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Klage bezüglich der Zulassungsdauer des Pflanzenschutzmittels F. mithin die isolierte Aufhebung der Befristung für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Juli 2022.

Soweit die Klägerin ferner die Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 angreift und die Zulassung ihres Pflanzenschutzmittels F. ohne diese Anwendungsbestimmungen für alle Anwendungsgebiete 001 bis 006 begehrt, ist ebenfalls die isolierte Anfechtungsklage statthaft (siehe zur isolierten Anfechtbarkeit von Anwendungsbestimmungen bei Pflanzenschutzmittelzulassungen: VG Braunschweig, Urt. v. 3.9.2020 – 9 A 165/18 –, n. v.).

II. Die Klage ist in der Sache auch begründet.

Soweit die Geltungsdauer der Zulassung im Bescheid vom 16. Dezember 2020 entgegen der Verwaltungspraxis des BVL vorliegend auf den 31. Dezember 2020 und nicht auf den 31. Juli 2022 festgelegt wurde, ist dies rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO (1.). Auch verletzen die mit Zulassungsbescheid vom 16. Dezember 2020 jeweils für die Anwendungen 001 bis 006 festgesetzten Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 die Klägerin in ihren Rechten, da sich diese ebenfalls als rechtswidrig erweisen (2.).

1. Die in dem Zulassungsbescheid vom 16. Dezember 2020 festgelegte Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2020 ist rechtswidrig. Sie verstößt gegen Art. 32 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 in Verbindung mit der ständigen Verwaltungspraxis des BVL, an die es aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) auch gegenüber der Klägerin gebunden ist.

Das BVL legt nach seiner ständigen Verwaltungspraxis die Zulassungsdauer regelmäßig nach Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 derart fest, dass diese die Dauer der Wirkstoffgenehmigung plus ein Jahr umfasst. Dies führte das BVL im vorliegenden Zulassungsbescheid vom 16. Dezember 2020 (dort S. 9 f.) auch gegenüber der Klägerin aus. Insoweit wäre – wie bereits dargelegt – eine Zulassungsdauer bis zum 31. Juli 2022 wegen der heranzuziehenden Geltungsdauer der Genehmigung für den Wirkstoff K. im Zeitpunkt des Bescheiderlasses festzulegen gewesen. Gründe, die dieser an die Verwaltungspraxis anknüpfenden Festlegung der Geltungsdauer entgegenstehen würden, sind nicht gegeben.

Das BVL führt in dem Zulassungsbescheid vom 16. Dezember 2020 aus, dass das vom UBA erklärte Einvernehmen bei Festlegung einer Zulassungsdauer nach der Regel des Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 mit der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) zu verbinden gewesen wäre und diese Anwendungsbestimmung für rechtswidrig erachtet werde, sodass lediglich eine Zulassung befristet bis zum 31. Dezember 2020 erteilt werden könne, da insoweit ein Einvernehmen des UBA ohne die Anwendungsbestimmung vorliege.

Die von dem UBA zunächst geforderte Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora), womit Auswirkungen auf Nichtzielpflanzen auf der zu behandelnden Anbaufläche minimiert werden sollten, hält hingegen einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Dies hat das erkennende Gericht mit rechtskräftigem Urteil vom 29. September 2021 – 1 A 130/21 –, juris Rn. 52 ff., bereits erkannt, weswegen das UBA nunmehr auch auf die Festsetzung der Anwendungsbestimmung ausdrücklich verzichtet. Die in dem Urteil getroffenen Feststellungen gelten auch hier. Es fehlt bislang an anerkannten Bewertungsmethoden der EFSA für die Beurteilung von Auswirkungen der Verwendung eines Pflanzenschutzmittels auf Nichtzielpflanzen bzw. NTTP auf der Anwendungsfläche („in-field“). Auswirkungen auf Nichtzielpflanzen auf der Behandlungsfläche gehören daher derzeit nicht zum zulässigen Prüfumfang bei der Beurteilung der Zulassungsfähigkeit eines Pflanzenschutzmittels. Auch im vorliegenden zonalen Zulassungsverfahren kann sich Deutschland als berichterstattender Mitgliedstaat (zRMS) nicht über das Fehlen dieser Bewertungsmethoden durch Erlass der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) hinwegsetzen. Soweit das UBA für sein unbefristetes Einvernehmen daher die Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) gefordert hatte, stellte dies keinen hinreichenden Grund dar, um von der an die Verwaltungspraxis des BVL anknüpfenden Festlegung der Geltungsdauer abzuweichen. Zwar konnte das BVL vorliegend eine Zulassungsdauer entsprechend seiner Verwaltungspraxis bis zum 31. Juli 2022 nicht ohne die Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) festsetzen, da dafür das Einvernehmen des UBA gefehlt hätte. Das erkennende Gericht prüft die Rechtmäßigkeit des vom UBA an die Festsetzung der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) geknüpften Einvernehmens im Streitverfahren um die Zulassungsentscheidung aber mit (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 12.4.1999 – 7 M 577/99 –, juris Rn. 7 unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 17.10.1985 – 2 C 25/82 –, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 29.9.2021 – 1 A 130/21 –, juris Rn. 66), sodass der gerichtlichen Entscheidung das fehlende Einvernehmen des UBA nicht entgegenstehen würde. Im Übrigen hat das UBA nunmehr ausdrücklich mit Schreiben vom 21. Februar 2022 auf die Festsetzung der Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora) verzichtet.

Die Geltungsdauer der Zulassung war somit nach der Verwaltungspraxis des BVL entsprechend festzulegen. Die Befristung der Zulassungsdauer bis zum 31. Dezember 2020 im Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. März 2021 ist daher rechtswidrig und aufzuheben, soweit damit die Geltungsdauer der Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. auf einen kürzeren Zeitraum als den 31. Juli 2022 befristet worden ist.

2. Ferner sind die für die Anwendungen 001 bis 006 jeweils im Zulassungsbescheid vom 16. Dezember 2020 festgesetzten Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 rechtswidrig, da sie bei der Bewertung des Gefährdungspotentials für aquatische Organismen auf der Heranziehung eines Sicherheitsfaktors von 30 anstatt von 10 beruhen.

In den jeweiligen Begründungen der Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1 wurde auf das hohe Gefährdungspotential für aquatische Organismen durch das Pflanzenschutzmittel hingewiesen und unter Heranziehung eines Sicherheitsfaktors von 30 die jeweilige Anwendungsbestimmung für erforderlich gehalten. Auch das BVL und das UBA haben in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass beide Anwendungsbestimmungen auf einem herangezogenen Sicherheitsfaktor von 30 beruhen und nicht erteilt worden wären, wenn ein Sicherheitsfaktor von 10 berücksichtigt worden wäre.

Die Heranziehung eines Sicherheitsfaktors von 30 anstatt von 10 ist jedoch mit den unionsrechtlichen Bestimmungen für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht vereinbar.

Im zonalen Zulassungsverfahren wendet der berichterstattende Mitgliedstaat – wie hier Deutschland – bei der Prüfung der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels nach Art. 36 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 die in Art. 29 Abs. 6 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 genannten einheitlichen Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an, um so weit wie möglich festzustellen, ob das Pflanzenschutzmittel bei Verwendung gemäß Art. 55 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 in derselben Zone und unter realistisch anzunehmenden Verwendungsbedingungen die Anforderungen gemäß Art. 29 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erfüllt. Die einheitlichen Grundsätze nach Art. 29 Abs. 6 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 werden dabei in Verordnungen festgelegt, die nach dem in Art. 79 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 genannten Beratungsverfahren ohne wesentliche Änderungen erlassen werden. Eine solche Festlegung erfolgte mit der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 der Kommission vom 10. Juni 2011 (ABl. L 155 v. 11.6.2011, S. 127, geänd. durch Verordnung (EU) 2018/676 v. 3.5.2018, ABl. L 114 v. 4.5.2018, S. 8). Die Verordnung (EU) Nr. 546/2011 enthält in ihrem Anhang einheitliche Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gemäß Art. 29 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (siehe Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 546/2011). Dabei enthält Teil I des Anhanges Grundsätze für chemische Pflanzenschutzmittel. Neben Bewertungsgrundsätzen in Abschnitt B werden für solche chemischen Pflanzenschutzmittel in Abschnitt C Entscheidungsverfahren vorgegeben. Dabei sind nach den speziellen Grundsätzen gemäß Ziff. 2.5.2. auch Auswirkungen auf nicht zu den Zielgruppen gehörende Arten zu berücksichtigten, wobei Ziff. 2.5.2.2. die Exposition von Wasserorganismen in den Blick nimmt. Spiegelstrich 2 von Ziff. 2.5.2.2. bestimmt dabei, dass soweit die Möglichkeit der Exposition von Wasserorganismen besteht, die Zulassung nicht erteilt wird, wenn das Verhältnis zwischen Hemmung des Algenwachstums und Exposition weniger als 10 beträgt.

Mit dieser Regelung in Teil I, Abschnitt C, Ziff. 2.5.2.2., Spiegelstrich 2 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 wird der zwischen den Beteiligten strittige Sicherheitsfaktor von 10 festgelegt. Insoweit wurde auch im Registration Report, Part B, Section 6 sowohl im Core Assessment (für die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses vorliegende Version vom August 2020 siehe dort S. 142 f., Bl. 6080 f. BA002) als auch im National Addendum (für die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses vorliegende Version vom August 2020 siehe dort S. 36, Bl. 4498 BA002) auf Teil I, Abschnitt C, Ziff. 2.5.2.2. des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 für den Sicherheitsfaktor Bezug genommen. Zudem bezieht sich das UBA in seinem Schreiben vom 21. Februar 2022 nunmehr ausdrücklich im Zusammenhang mit den Risiken für aquatische Organismen auf diese Regelung (siehe Ausführungen zum modifizierten Akzeptabilitätskriterium TER ≥ 30, wobei TER (Toxicity Exposure Ratio) vom UBA gleichbedeutend mit dem Sicherheitsfaktor verwendet wird). Auch in der mündlichen Verhandlung bestätigten das BVL und das UBA, dass die Regelung in Teil I, Abschnitt C, Ziff. 2.5.2.2., Spiegelstrich 2 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 den Sicherheitsfaktor von 10 vorgibt. Soweit sich die Klägerin für den Sicherheitsfaktor von 10 auf Teil II, Abschnitt C, Ziff. 2.8.2. des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 bezieht, ist diese Regelung hingegen nicht heranzuziehen, da es sich bei dem Pflanzenschutzmittel F. nicht um ein unter Teil II fallendes Pflanzenschutzmittel mit enthaltenen Mikroorganismen handelt.

Von dem in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 ausdrücklich festgelegten Sicherheitsfaktor von 10 kann jedoch nicht durch die von dem BVL und dem UBA angeführte Vereinbarung der Mitgliedstaaten der zentralen Zone abgewichen werden. Zwar sieht das UBA aus naturwissenschaftlicher Perspektive eine Änderung bzw. Erhöhung des Sicherheitsfaktors als erforderlich an, da mit der Verschiebung der Endpunkte durch das Guidance Document der EFSA Guidance on tiered risk assessment for plant protection products for aquatic organisms in edge-of-field surface waters“ aus dem Jahr 2013 von den Endpunkten EyC50 bzw. EbC50 zum Endpunkt ErC50 unter gleichbleibender Anwendung eines Sicherheitsfaktors von 10 eine Absenkung des bisher im Rahmen der Risikobewertung für Algen und Wasserpflanzen erreichten Schutzniveaus eintreten würde. Auch aus der Vereinbarung des Central Zone Steering Committee (CZSC) der Mitgliedstaaten der zentralen Zone vom 29. September 2017 wird ein solch befürchtetes Absinken des Schutzniveaus daraus ersichtlich, dass nach dieser Vereinbarung ein entsprechender Bullet Point in das Core Assessment aufgenommen werden kann, mit dem den Unsicherheiten bezüglich dem neuen Endpunkt ErC50 bis zur Klärung auf EU-Ebene auf mitgliedstaatlicher Ebene im National Addendum begegnet werden könne (siehe dazu Protokoll des CZSC v. 29.9.2017 (Bl. 624 ff. der Gerichtsakte) und Bullet Point „Use of ErC50 or EbC50 values for algae and aquatic plants“ (Bl. 609 der Gerichtsakte)). Aber weder die vom UBA für erforderlich gehaltene Überarbeitung des Sicherheitsfaktors noch die Vereinbarung des CZSC können eine Abweichung von dem in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 ausdrücklich normierten Sicherheitsfaktor von 10 rechtfertigen. Denn der Sicherheitsfaktor von 10 wurde in der von der Kommission erlassenen Verordnung (EU) Nr. 546/2011 zahlenmäßig konkret festgeschrieben. Eine Abweichung davon würde zum einen gegen diese Verordnung verstoßen und zum anderen faktisch einer Abänderung dieser gleichkommen. Eine Änderung der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 wäre aber ausschließlich von der Kommission vorzunehmen. Gemäß Art. 29 Abs. 6 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 werden spätere Änderungen nach Art. 78 Abs. 1 lit. c Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 vorgenommen. Danach werden Änderungen nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle gemäß Art. 79 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erlassen. Letzterer verweist dafür wiederum auf das Verfahren nach Art. 5a Abs. 1 bis 4 und Art. 7 unter Beachtung von Art. 8 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (ABl. L 184 v. 17.7.1999, S. 23; geänd. durch Beschl. 2006/512/EG v. 17.7.2006, ABl. L 200 v. 22.7.2006, S. 11). Dieser Beschluss regelte das sog. Komitologieverfahren im Rahmen der Tertiärrechtssetzung. Zwar wurde der Beschluss durch die Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 (ABl. L 55 v. 28.2.2011, S. 13) ersetzt. Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG behält allerdings weiterhin seine Wirksamkeit (siehe Art. 12 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 182/2011). Das in Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG normierte Regelungsverfahren mit Kontrolle sieht eine ausschließliche Befugnis der Kommission unter Beteiligung eines Regelungskontrollausschusses, des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 vor. Eine Abänderung wie hier durch eine Vereinbarung des CZSC der Mitgliedstaaten der zonalen Zone ist somit nicht möglich. Diese ausschließliche Befugnis der Kommission wird in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 auch nochmals durch dessen Erwägungsgrund 55 herausgestellt. Danach erhält diese u. a. die Befugnis, Änderungen der Verordnungen über einheitliche Grundsätze für die Bewertung und Zulassung sowie deren Anhänge nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle gemäß Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG zu erlassen, da es sich hierbei um Maßnahmen von allgemeiner Tragweite handelt, die eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009, auch durch Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen, bewirken. Einer entsprechenden Vereinbarung des CZSC der Mitgliedstaaten der zonalen Zone steht damit auch die Tragweite der in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 durch die Kommission niedergelegten einheitlichen Grundsätze entgegen.

Soweit das UBA in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, dass den Bedenken hinsichtlich des erreichten Schutzniveaus auch dadurch Rechnung getragen werden könne, dass unter Beibehaltung des Sicherheitsfaktors von 10 ein anderer Endpunkt in die Bewertung eingestellt werde (so laut Angaben des UBA z. B. in Tschechien und den Niederlanden der Fall, welche statt des Endpunktes ErC50 den früheren Endpunkt EbC50 heranziehen), weist das Gericht darauf hin, dass eine Heranziehung eines anderen Endpunktes als ErC50 ebenfalls rechtlich nicht haltbar wäre. Denn mit dem Guidance Document „Guidance on tiered risk assessment for plant protection products for aquatic organisms in edge-of-field surface waters” (EFSA Journal 2013; 11(7):3290) aus dem Jahr 2013 hat die EFSA den (neuen) Endpunkt ErC50 ausdrücklich festgelegt und damit eine anerkannte wissenschaftliche Bewertungsmethode für unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt i.S.v. Art. 4 Abs. 3 lit. e Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 geschaffen (siehe zum weiten Begriffsverständnis des Schutzgutes der Umwelt im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 lit. e Verordnung (EG) Nr. 1107/2009: VG Braunschweig, Urteile v. 4.9.2019 – 9 A 11/19 und 9 A 18/19 –, juris). Die ESFA hat in diesem Guidance Document für die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Algen und Wasserpflanzen als aquatische Organismen bewusst einen anderen Endpunkt gewählt und ist von den vorherigen Endpunkten EbC50 bzw. EyC50 auf den Endpunkt ErC50 übergegangen (siehe Guidance Document, a.a.O., S. 80). In Anlehnung an die Rechtsprechung des erkennenden Gerichts bezüglich des Fehlens solcher Bewertungsmethoden (siehe Urteile v. 4.9.2019 – 9 A 11/19 und 9 A 18/19 –, juris; Urt. v. 29.9.2021 – 1 A 130/21 –, juris) kann eine Abänderung der von der EFSA vorgegebenen Bewertungsmethode nur von dieser selbst und nicht von den Mitgliedstaaten vorgenommen werden. Im zonalen Zulassungsverfahren gilt dies sowohl für den berichterstattenden Mitgliedstaat als auch für beteiligte Mitgliedstaaten. Ihnen ist es verwehrt, eigene Bewertungsmethoden zu entwickeln und anzuwenden, da nur so das mit der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 verfolgte Harmonisierungsbestreben durch einheitliche Bewertungsmethoden in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU ermöglicht werden kann.

Soweit das BVL in einem von der Kammer verhandelten vergleichbaren Fall darauf hinweist, dass die EFSA in ihrem Guidance Document aus dem Jahr 2013 ausführe, es solle eine Überarbeitung des Risikobewertungsschemas auslösen, wenn es eine systematische Abweichung für Stoffe mit einer bestimmten Wirkungsweise gebe (Guidance Document, dort S. 166), erkennt die Kammer in dieser Passage des Guidance Document keine solche Öffnung, wodurch den Mitgliedstaaten eine Anpassung der Risikobewertung freigestellt oder zumindest bis zu einer Überarbeitung des Guidance Document durch die EFSA ein aktualisiertes und zumindest in der zentralen Zulassungszone harmonisiertes Vorgehen ermöglicht werden soll. Eine solche Öffnung wäre im Übrigen auch rechtlich nicht haltbar, weil die Kompetenz für die Festlegung der Bewertungsmethoden der EFSA zugewiesen ist.

Eine Abweichung von dem Sicherheitsfaktor 10 konnte auch nicht auf Grundlage von Art. 36 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erfolgen, auf den sich die Beklagte – im Gegensatz zu anderen Verfahren – hier auch nicht maßgeblich stützt.

Art. 36 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 berechtigt einen Mitgliedstaat abweichend von der Bewertung im Core Assessment durch den berichterstattenden Mitgliedstaat (nationale) Risikominderungsmaßnahmen zu ergreifen oder als ultima ratio die Zulassung des Pflanzenschutzmittels in seinem Gebiet zu versagen (vgl. VG Braunschweig, Urt. v. 3.9.2020 – 9 A 693/17 –, n. v., S. 15).

Aus den Ausführungen im gerichtlichen Verfahren und der Diskussion unter den Mitgliedstaaten der zentralen Zulassungszone wird aber deutlich, dass das UBA von einem grundlegenden, von den nationalen Bedingungen in Deutschland losgelöstem Absinken des Schutzniveaus ausgeht, das mithin nicht national, sondern im Core Assessment zu adressieren wäre. Dargelegt wird insoweit vom UBA, dass die Revision des Guidance Document der EFSA aus dem Jahr 2013 und die damit einhergehende Festlegung des neuen Endpunktes ErC50 zu einer systematischen Absenkung des Schutzniveaus für Algen und Makrophyten führe, da der Sicherheitsfaktor von 10 nicht überprüft oder verändert worden sei. Studien würden zeigen, dass bei einer Verschiebung des Endpunktes von EbC50 bzw. EyC50 hin zu ErC50 für die Makrophyte Lemna sp. der Endpunkt dreieinhalbmal höher sei, bei Algen zeige sich ein um den Faktor 6,9 erhöhter Endpunkt. Dass der Endpunkt ErC50 speziell für die aquatischen Organismen in Deutschland solche Auswirkungen hätte, wird aber nicht dargelegt. Vielmehr wird allgemein eine durch die Absenkung des Schutzniveaus aufgetretene Wissenslücke bezüglich unannehmbarer Risiken für aquatische Primärproduzenten deklariert, die durch Studien in 2017 und 2018 unter Validierung des Sicherheitsfaktors belegt und an die EFSA adressiert worden sei. Daraus wird bereits ersichtlich, dass das UBA ebenso wie die Behörden der anderen Mitgliedstaaten der zentralen Zone von einem generellen Absinken des Schutzniveaus durch den neuen Endpunkt ErC50 ausgehen, ohne dass dies speziell auf einen konkreten Mitgliedstaat und dessen nationale Bedingungen bezogen wurde. Diesem Problem wäre daher auf europäischer und nicht auf nationaler Ebene zu begegnen. Dies verdeutlichen gerade auch die Bemühungen des UBA und des CZSC, an die EFSA und die Kommission heranzutreten und eine Überarbeitung auf EU-Ebene zu erreichen.

Zu den darüberhinausgehenden Ausführungen des UBA zum Zustand der Oberflächengewässer bzw. darin lebendender Wasserorganismen in Deutschland ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass wegen der Beschränkung der Betrachtung auf die Verhältnisse in Deutschland und der fehlenden Darstellung der Situation in anderen Mitgliedstaaten auch insoweit nicht angenommen werden kann, dass es sich um eine Problemstellung handelt, die nicht andere Mitgliedstaaten gleichermaßen betrifft und deshalb im Core Assessment zu betrachten wäre, mithin eine alleinige nationale Bewertung nicht zu stützen vermag.

Soweit das CZSC am 29. September 2017 einen Bullet Point vereinbart hat, welcher im Core Assessment aufgenommen werden könne und wonach etwaige Unsicherheiten bezüglich des Endpunktes ErC50 auf nationaler Ebene im National Addendum adressiert werden könnten, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn dies wäre als Öffnungsklausel und Übertragung von weitergehenden Prüfungskompetenzen zu werten, die nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts eine weitere Überprüfung auf nationaler Ebene nicht ermöglicht (siehe VG Braunschweig, Urt. v. 3.9.2020 – 9 A 693/17 –, n. v., S. 14; Urt. v. 12.4.2018 – 9 A 44/16 –, juris Rn. 108). Wie dargelegt wurde der Bullet Point vom CZCS gerade aufgenommen, da auf europäischer Ebene bislang keine Klärung der Unsicherheiten vorgenommen werden konnte. Bereits dies verdeutlicht, dass mit dem Bullet Point eine Erweiterung der nationalen mitgliedstaatlichen Prüfungskompetenzen erfolgen sollte, und wird nochmals dadurch bestätigt, dass im Bullet Point zusätzlich am Ende aufgenommen wurde, dass eine Harmonisierung auf Ebene der zentralen Zone sehr begrüßt werde („[…] although it would be highly appreciated to have a harmonised approach in the central zone.“).

Weder die Vereinbarung des CZSC noch die etwaigen nationalen Risikominderungsmaßnahmen können daher die Heranziehung des Sicherheitsfaktors 30 anstatt des in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 normierten Sicherheitsfaktors 10 rechtfertigen. Insoweit sind die für die Anwendungen 001 bis 006 jeweils festgesetzten Anwendungsbestimmungen NG405 und NW607-1, die auf einem Sicherheitsfaktor von 30 beruhen, rechtswidrig und aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (im Folgenden: GKG). Für die Streitwertbemessung ist auf die ursprünglich erhobene Untätigkeitsklage gerichtet auf Zulassungserteilung, die nach Erlass des Zulassungsbescheides als isolierte Anfechtungsklage fortgeführt wurde, abzustellen. In Anlehnung an die ständige Praxis des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (siehe Nds. OVG, Beschl. v. 2.3.2020 – 10 LA 113/18 –, juris Rn. 69; Beschl. v. 15.11.2019 – 10 OA 217/19 –, juris Rn. 6; Beschl. v. 10.10.2019 – 10 ME 191/19 –, juris Rn. 26; Beschl. v. 10.4.2014 – 10 LA 32/13 –, juris; Beschl. v. 13.1.2014 – 10 LA 48/12 –, juris; Beschl. v. 24.8.2010 – 10 LA 118/09 –, juris (Tenor n.v.)) hält das Gericht in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens das Interesse an einer erstrebten pflanzenschutzrechtlichen Zulassung mit 100.000 EUR in der Regel als für ausreichend bemessen. Eine andere Bestimmung der Höhe des Streitwerts kann nur dann erfolgen, wenn in ausreichend substantiierter Weise eine Gewinnerwartung vorliegt, die eine abweichende Festsetzung rechtfertigt (Nds. OVG, Beschl. v. 15.11.2019 – 10 OA 217/19 –, juris Rn. 6). Eine solche Gewinnerwartung hat die Klägerin aber nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Lediglich pauschal stellte sie auf einen erwarteten Jahresgewinn von F. ab, ohne dies näher zu begründen. Weitere Angaben für den zum Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. § 40 GKG) noch erwarteten Gewinn (siehe Nds. OVG, Beschl. v. 15.11.2019 – 10 OA 217/19 –, juris Rn. 8) hat sie nicht vorgetragen.