Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.03.2022, Az.: 2 B 47/22
Kettenabschiebungen; Non-Refoulement; Push-backs; systemische Mängel
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 08.03.2022
- Aktenzeichen
- 2 B 47/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59842
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 29 Abs 1 Nr 1 AsylVfG 1992
- Art 3 MRK
- Art 4 EUGrdRCh
- Art 21 EURL 95/2011
- Art 3 Abs 2 EUV 604/2013
- Art 33 GFKTRL
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Es bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass slowenische Behörden durch zwangsweise Rückschiebungen von Geflüchteten nach Kroatien das Recht auf Asylantragstellung gezielt vereiteln und damit gegen das Non-Refoulement-Gebot verstoßen.
2. Aufgrund der Beteiligung Sloweniens an Kettenabschiebungen aus anderen EU-Ländern kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer aus Deutschland Opfer von Push-Backs werden.
Gründe
Die Antragstellerin ist iranische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens aus E..
Sie besuchte die Schule im Iran nur bis zur 2. Klasse und war später Hausfrau. Sie ist verheiratet, doch ihr Mann reiste vor 11 Jahren nach Australien aus. Sie selbst lebte zusammen mit ihren beiden Söhnen in einer Mietwohnung. Gemeinsam verließen sie den Iran im Jahr 2018 und reisten mit dem Flugzeug nach Serbien, wo sie ein bis zwei Jahre verbrachten. Von dort fuhren sie mit dem Boot nach Bosnien und lebten dort etwa 1,5 Jahre. Auf dem Weg schloss sich der Gruppe auch noch der Bruder der Antragstellerin an. Von Bosnien gelangten sie schließlich über Kroatien, Slowenien, Italien und Frankreich im Oktober 2021 nach Deutschland.
Am 02.11.2021 ermittelte die Antragsgegnerin durch einen Eurodac-Treffer, dass die Antragstellerin bereits am 01.10.2021 einen Asylantrag in Slowenien gestellt hatte. Am 17.11.2021 stellte die Antragstellerin einen förmlichen Asylantrag bei der Antragsgegnerin.
Am Tag ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 18.11.2021 saß die Antragstellerin im Rollstuhl. Sie berichtete, sie glaube, dass ihr Mann in Australien als politischer Flüchtling anerkannt sei. Ihre Söhne und sie hätten von Bosnien aus nicht auf direktem Wege nach Deutschland gelangen können, weil man sie von Kroatien aus mehrfach über die Grenze zurückgeschoben habe. Als es ihnen nach mehreren erfolglosen Versuchen endlich gelungen sei, bis nach Slowenien vorzudringen, habe die Polizei sie von dort aus wieder zurück nach Kroatien abgeschoben. Sie hätten mehrmals die Woche an verschiedenen Ländergrenzen sog. „Games“ gemacht, also Versuche unternommen, die Grenze zu überqueren und dabei „Push-backs“ zu entgehen. Dabei habe man ihnen ihre Handys und Rucksäcke weggenommen und den Inhalt der Rucksäcke verbrannt. Ihr habe man ihre vier Ringe abgenommen und die slowenische Polizei habe ihr auch die 230 Euro, die sie bei sich gehabt habe, gestohlen. Man habe sie selbst dann zurückgeschoben, wenn sie hungrig und durstig gewesen seien, ohne ihnen auch nur ein Stück Brot zu geben. Die Polizei habe sie zwar ständig gezwungen, Fingerabdrücke abzugeben, aber kein Land habe sie aufnehmen wollen.
Während der „Games“ seien sie tagelang in Wäldern unterwegs gewesen, denn Autos hätten sie nicht mitgenommen. Sie hätten in leerstehenden Häusern schlafen müssen, hätten Wunden an den Beinen gehabt, ihr seien die Zehennägel ausgefallen. An der kroatisch-bosnischen Grenze habe sie einen Gehirninfarkt erlitten, seitdem sei ihre rechte Körperhälfte gefühllos. Man habe sie in ein Krankenhaus gebracht und ihr einige Medikamente gegeben und sie dann wieder entlassen. Weil sie nicht mehr habe laufen können, hätten ihr Bruder oder ihre Söhne sie tragen müssen. Ihre Krankenakte aus dem Krankenhaus sei ihr später auch von Polizisten weggenommen worden. Sie hätten ihre Söhne mit Stöcken geschlagen und ihnen gedroht, wenn sie widersprächen, würden sie noch mehr Schläge bekommen.
Beim letzten Versuch seien sie etwa 20 Tage in einem Camp in Slowenien gewesen. Sie sei sehr krank gewesen und habe um ärztliche Behandlung gebeten, aber keine erhalten. Mit Lebensmitteln habe man sie erst am Tag nach ihrer Verhaftung versorgt. Zu ihren Asylgründen habe man sie nicht angehört, sondern ihnen nur Fingerabdrücke abgenommen und ihnen Unterlagen zur Unterschrift vorgelegt. Wie viel die Reise sie insgesamt gekostet habe, wisse sie nicht mehr, aber an einigen Tagen hätten sie sich kein Essen leisten können, weil sie das Geld für die Tickets gebraucht hätten. Den Rollstuhl habe sie erst in Deutschland bekommen. In der rechten Körperhälfte fühle sie nichts und könne mit dem gefühllosen Bein nicht gehen. Außerdem habe sie Unterleibsbeschwerden und ihre Eierstöcke müssten entfernt werden, doch wegen der Lähmung sei eine Operation zurzeit nicht möglich.
In ihrer persönlichen Anhörung am selben Tag berichtete die Antragstellerin, ihr Ehemann sei im Iran politisch aktiv gewesen, außerdem möge die iranische Regierung keine Kurden. Ihr Ehemann sei auch zwei- oder dreimal im Gefängnis gewesen deshalb. Was er genau gemacht habe, wisse sie nicht, weil sie als Analphabetin die Texte, die er verfasst habe, nicht habe lesen können. Auch nach seiner Ausreise seien noch häufig Polizeibeamte zu ihnen nach Hause gekommen, hätten die Wohnung durchsucht und durcheinandergebracht. Sie hätten sie immer wieder nach Unterlagen und Beweisen gefragt, obwohl sie mehrfach beteuert hätten, nichts zu wissen. Außerdem hätten sie ihre Kinder geschlagen. Vor etwa zehn oder zwölf Jahren hätten sie einem ihrer Söhne einen Finger und dem anderen die Nase gebrochen. Sie seien regelmäßig schikaniert worden, ihre Söhne seien nirgends eingestellt worden, sondern hätten nur Arbeit als Aushilfen gefunden. Sie hätten sich gezwungen gefühlt, den Iran zu verlassen.
Am 19.11.2021 stellte die Antragsgegnerin ein Aufnahmegesuch an Slowenien. Am 30.11.2021 erklärten sich die slowenischen Behörden zur Wiederaufnahme der Antragstellerin bereit.
Mit Bescheid vom 28.01.2022, zugestellt am 11.02.2022, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten fest (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Slowenien an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 13 Monate (Ziffer 4). Sie begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass Slowenien für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig sei und dort auch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens beständen. Nach dem slowenischen Asylgesetz hätten Antragsteller ein Recht auf einen Aufenthalt in Slowenien vom Tag der Antragstellung bis zur Entscheidung im Asylverfahren. Unmittelbar nach der Antragstellung erhielten sie eine temporäre Aufenthaltserlaubnis, mit der sie sich grundsätzlich frei in Slowenien bewegen dürften. Außerdem hätten die Asylantragsteller während des gesamten Asylverfahrens das Recht auf Unterbringung in einer der Aufnahmeeinrichtungen. Sie erhielten Verpflegung, Kleidung, Hygieneprodukte, medizinische Versorgung sowie ein Taschengeld in Höhe von 18 Euro pro Monat. Verlasse ein Schutzsuchender allerdings die Unterkunft ohne Ankündigung für mehr als drei Tage, gelte dies als Zurückziehung des Antrages und als Beendigung des Verfahrens. Bei zurückgezogenem Antrag oder eingestelltem Verfahren sei ein Folgeantrag möglich, der aber neue Elemente enthalten müsse. Reise ein Dublin-Rückkehrer, dessen Verfahren noch anhängig sei, erneut in Slowenien ein, werde er in einem Asylzentrum untergebracht und das Verfahren fortgesetzt. Die Erkrankungen der Antragstellerin begründeten keine erhebliche, konkrete Gefahr für sie, denn eine medizinische Behandlung könne sie auch in Slowenien erhalten. Auch sei kein Abhängigkeitsverhältnis zu ihren erwachsenen Söhnen und ihrem Bruder in Deutschland erkennbar.
Die Antragstellerin hat am 15.02.2022 Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Sie gab an, sie befürchte, bei einer Rücküberstellung nach Slowenien erneut kein rechtsstaatliches Verfahren und keine medizinische Versorgung zu erhalten. Als sie in dem Camp in Slowenien gewesen sei, habe man ihr gedroht, sie erneut nach Bosnien-Herzegowina zu überstellen, wenn sie die Aufnahmeeinrichtung verlasse.
Sie reichte die Überweisung des Gynäkologen Dr. med. F. vom 19.01.2022 in eine Frauenklinik ein, die die Diagnosen Uterus Myomatosus (Vergrößerung der Uterus durch mehrere Myome) und Anämie (Blutarmut) nach Insult (Schlaganfall) enthält und eine Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) empfiehlt. Ferner legte sie einen Medikationsplan vor, demzufolge sie das den Blutzuckerspiegel senkendes Medikament Metformin Hydrochlorid, Insulin gegen Diabetes Typ 2, das cholesterinsenkende Mittel Rosuvastatin und Acetylsalicylsäure zur Nachsorge des Hirninsults einnimmt. Aus einem vorläufigen Arztbrief der Neurologie des Klinikums G. vom 23.12.2021 geht hervor, dass die Antragstellerin dort nach einer Verschlechterung ihrer Beinlähmung einen einwöchigen stationären Aufenthalt hatte. Sie habe angegeben, Zitteranfälle und starke Lähmungen in der rechten Körperhälfte träten oft bei Stress auf, seit sie vor vier Monaten einen Schlaganfall gehabt habe. Zum Zeitpunkt der Aufnahme im Krankenhaus konnte die Antragstellerin sich ohne Gehhilfe fortbewegen. Im CMRT sei ein älterer zerebraler Defekt feststellbar gewesen, außerdem eine mittelgradige Stenose (Verengung) der cerebri media (hirnversorgende Arterie). Am Gebärmutterhals liege eine malignomsuspekte (möglicherweise bösartige) Raumforderung vor, am rechten Ovar eine zystoide Raumforderung. Laborchemisch konnten eine Anämie und eine Thrombozytose (krankhafte Erhöhung der Thromozyten) festgestellt werden. Der Antragstellerin wurden ergänzend zu ihrer bisherigen Medikation Eisentabletten verschrieben.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die elektronische Asylakte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 15.02.2022 ist zulässig und begründet.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da die Abschiebungsanordnung nicht unter § 38 Abs. 1 AsylG, sondern unter § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fällt, und die in der Hauptsache erhobene Klage damit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung hat. Er ist auch innerhalb der Wochenfrist des § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG nach der am 11.02.2022 erfolgten Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides vom 28.01.2022 gestellt worden.
Der Antrag ist auch begründet. Das Interesse der Antragstellerin an einem vorläufigen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung. Die Anordnung der Abschiebung nach Slowenien erweist sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) und bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung eines Antragstellenden in den zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Antragsgegnerin hat die Abschiebung der Antragstellerin nach Slowenien zu Unrecht angeordnet.
Die Zuständigkeit Sloweniens ergibt sich grundsätzlich aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Danach ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wiederaufzunehmen. Aus dem Eurodac-Treffer vom 02.11.2021 ergibt sich, dass die Antragstellerin bereits vor ihrer Einreise nach Deutschland in Slowenien am 01.10.2021 einen Asylantrag gestellt und Slowenien noch während des laufenden Verfahrens verlassen hatte. Slowenien hat dem am 19.11.2021 und damit gem. Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO innerhalb der Zwei-Monats-Frist nach der Eurodac-Treffermeldung gestellten Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes zugestimmt.
Es bestehen jedoch erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Sloweniens aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.
Nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller indiesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) mit sich bringen.
Systemische Mängel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO können erst angenommen werden, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC, Art. 3 EMRK droht (BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6/14 -, juris Rn. 9). Erforderlich ist die reale Gefahr, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren verwehrt oder massiv erschwert wird, dass das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder, dass der Betroffene während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare menschliche Grundbedürfnisse (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in zumutbarer Weise befriedigen kann (Nds. OVG, Urteil vom 15.11.2016 - 8 LB 92/15 -, juris Rn. 41).
Für solche systemischen Schwachstellen im slowenischen Asylsystem spricht, dass es an der slowenisch-kroatischen Grenze seit Langem und in erheblichem Umfang zu „Push-backs“, dem erzwungenen Abdrängen von Asylbewerbern, kommt. Auch Kettenabschiebungen von Österreich und Italien über Slowenien nach Kroatien und von dort wiederum nach Bosnien-Herzegowina sind hinreichend belegt. Jedenfalls ohne individuelle Zusicherung von Seiten der slowenischen Behörden ist nicht sichergestellt, dass im Wege des Dublin-Verfahrens an Slowenien rücküberstellte Antragsteller nicht ebenfalls Opfer von Kettenabschiebungen nach Kroatien werden und ihr Recht auf Asylantragstellung dadurch vereitelt werden wird.
Zwar kann ein Antragsteller, der während seines laufenden erstinstanzlichen Asylverfahrens untergetaucht ist, nach dem slowenischen Asylgesetz einen neuen Asylantrag stellen, der nicht als Folgeantrag gewertet wird. Außerdem haben Dublin-Rückkehrer nach der Gesetzeslage Zugang zu materieller Versorgung wie Unterkunft, Verpflegung, medizinischer Versorgung, Kleidung etc. (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Slowenien, 09.12.2021, S. 3 f.).
Zugleich versucht die slowenische Regierung jedoch schon seit Längerem, das Recht auf Asylantragstellung massiv einzuschränken. Anfang 2017 verabschiedete Slowenien Änderungen des Ausländergesetzes, die dem Parlament eine Aussetzung des Asylrechts ermöglichten, wenn die Migration „eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit in der Republik Slowenien“ darstellt. Die Polizei sollte sodann gesetzlich angewiesen werden, alle Absichtserklärungen, internationalen Schutz zu beantragen, als unzulässig abzulehnen und die antragstellende Person abzuschieben, wenn diese aus einem benachbarten EU-Mitgliedstaat nach Slowenien eingereist war, in dem keine systematischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen. Das slowenische Verfassungsgericht stellte fest (Az. U-I-59/17), dass die Änderungen gegen Artikel 18 der Verfassung, das Verbot der Folter und das daraus abgeleitete Gebot der Nichtzurückweisung, verstoßen. Dennoch kam es im März 2021 zu einer erneuten Gesetzesänderung, aufgrund derer das Parlament die Grenze für sechs Monate schließen und den Zugang zum Asylverfahren beschränken kann, wenn das Innenministerium das Bestehen einer „komplexen Krise im Bereich der Migration“ annimmt. Die Polizei ist in dem Fall befugt, zu entscheiden, ob eine Person internationalen Schutz beantragen oder in ein anderes Land zurückgeschickt werden kann. Ausnahmen sollen für unbegleitete Minderjährige und solche Personen gelten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zurückgeschickt werden können (Asylum Information Database (aida), Country Report: Slovenia, 01.03.2021, S. 18 f.) Fünfzehn Organisationen der slowenischen Zivilgesellschaft äußerten ernsthafte Bedenken über die neuen Vorschriften, die es ermöglichen, Flüchtlinge daran zu hindern, internationalen Schutz zu beantragen. Die neuen Bestimmungen stellen ihrer Meinung nach eine Aussetzung der Genfer Flüchtlingskonvention dar (Freedom House, Slovenia: Annual report on political rights and civil liberties in 2021, 28.02.2022; European Union Agency for Fundamental Rights (FRA), Overview of human rights concerns, 24.09.2021, S. 7).
Dafür, dass diese Befürchtung berechtigt ist, spricht, dass Slowenien schon seit Jahren Migranten durch informelle und verkürzte Verfahren ohne Rückführungsentscheidung und ohne Zugang zu rechtlichem Beistand oder die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, in Nachbarländer, vor allem Kroatien, zurückführt (Amnesty International, Slovenia 2019, 16.04.2020). Dieses Vorgehen basiert auf bilateralen Rückführungsabkommen zwischen den Nachbarländern. Zwischen Juni 2018 und August 2021 soll Slowenien insgesamt 27.000 Personen zurückgeschoben haben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Slowenien, 09.12.2021, S. 3 f.). Eine Identifizierung von schutzbedürftigen Personen soll dabei nicht stattfinden (Asylum Information Database (aida), Country Report: Slovenia, 01.03.2021, S. 19). Die slowenische Polizei registrierte eigenen Veröffentlichungen zufolge im Jahr 2020 14.592 illegale Überquerungen der Grenze; von den Migranten sollen jedoch nur 4.008 die Absicht geäußert haben, internationalen Schutz zu beantragen, und dementsprechend Zugang zu einem Asylverfahren erhalten haben. 10.025 Ausländer seien auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen an ausländische Sicherheitsbehörden zurückgeführt worden, die meisten davon nach Kroatien (Uprava Uniformirane Policje, Sektor mejne policij, Ilegalne migracije na obmocju republike sloenije, https://www.policija.si/images/stories/Statistika/MejnaProblematika/IlegalneMigracije/2020/Januar-december_2020.pdf; übersetzt mit deepL Translator). Allerdings gibt es zahlreiche detaillierte Berichte des Border Violence Monitoring Network von Einzelpersonen oder Personengruppen, die zwischen Januar 2018 und Januar 2022 nach Kroatien und von dort nach Bosnien-Herzegowina zurückgeschoben worden sein sollen, obwohl sie ausdrücklich um Gewährung von Asyl gebeten hatten (Border Violence Monitoring Network (BVMN), Testimony Database, https://www.borderviolence.eu/violence-reports/; European Union Agency for Fundamental Rights (FRA), Overview of human rights concerns, 24.09.2021, S. 10).
Aus den polizeilichen Statistiken geht zudem nicht hervor, ob die Polizei die angetroffenen Migranten über das Recht auf Asyl informiert hat und wie diese darauf reagiert haben. Nichtregierungsorganisationen dokumentierten zahlreiche Fälle, in denen die slowenischen Behörden es versäumten, den an der Grenze ankommenden Personen Informationen oder angemessene Übersetzungshilfe zur Verfügung zu stellen, und sie stattdessen mit Geldstrafen belegten (Amnesty International, Slovenia 2019, 16.04.2020). Auch der slowenische Ombudsmann stellte bei seinen Besuchen auf Polizeistationen im Jahr 2020 mehrere Probleme beim Zugang zum Asylverfahren fest. Er kritisierte, dass die Polizei Migranten keine Informationen über internationalen Schutz bereitstelle, auch wenn sie die Absicht äußerten, solchen zu beantragen, und empfahl, Ausländer individuell zu behandeln und festzuhalten, ob die Person über das Recht auf Asyl informiert wurde und ob sie es in Anspruch nehmen will. Das Innenministerium antwortete darauf jedoch nur, dass die Polizei nicht verpflichtet sei, jeden Migranten über das Recht auf Asyl zu informieren (Asylum Information Database (aida), Country Report: Slovenia, 01.03.2021, S. 20). Migranten berichteten indes, sie hätten sogar irreführende Informationen von der Polizei erhalten; einige schilderten, ihnen sei mitgeteilt worden, dass es in Slowenien kein Asyl gebe und dass sie nicht asylberechtigt seien, anderen sagte man demnach zu, dass sie im Asylverfahren bearbeitet würden oder dass sie in Asylunterkünften untergebracht würden, während letztendlich alle von ihnen nach Kroatien zurückgeschickt wurden, ohne die Möglichkeit, internationalen Schutz zu beantragen (Europarat, Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence (GREVIO), Baseline Evaluation Report Slovenia, 12.10.2021, S. 75; Asylum Information Database (aida), Country Report: Slovenia, 01.03.2021, S. 20).
Hinzu kommen zahlreiche Berichte von gewaltsamen Übergriffen, auch noch im Jahr 2021: Migranten schilderten, Grenzschutzbeamte hätten ihnen ihr Geld, ihre Handys, Gürtel und Schuhe abgenommen, ihnen ins Gesicht geschlagen und sie getreten. Sie seien inhaftiert worden, hätten weder Wasser noch Essen erhalten und seien dann zurück zur kroatischen Grenze transportiert worden. Für den Fall einer Rückkehr seien ihnen erneut Schläge angedroht worden. Auch Familien mit Kleinkindern berichteten, von der slowenischen Polizei gezielt mit Polizeihunden eingeschüchtert und ausgelacht worden zu sein; ihre Bitten nach medizinischer Hilfe seien ignoriert worden. Dementsprechend äußerten mehrere Migranten gegenüber dem Border Violence Monitoring Network, sie hätten sich aus Angst nicht getraut, ein Asylgesuch zu äußern (Border Violence Monitoring Network (BVMN), Testimony Database, https://www.borderviolence.eu/violence-reports/). In weiteren Fällen sollen Polizisten Bestechungsgelder von Migranten verlangt oder sie gezwungen haben, Dokumente zu unterschreiben, ohne Zugang zu den in slowenischen Polizeistationen angebotenen Übersetzungsdiensten zu haben (Europarat, Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence (GREVIO), Baseline Evaluation Report Slovenia, 12.10.2021, S. 75).
Bei den dokumentierten Vorfällen dürfte es sich auch nicht lediglich um eigenmächtiges Vorgehen von Polizeibeamter handeln, die in Einzelfällen ihre Macht missbrauchen. Am 27.11.2019 entschied das slowenische Verwaltungsgericht (Az. I U 2599/2018), dass die internen Anweisungen der Polizei in Bezug auf polizeiliche Verfahren an der Grenze Amnesty International als öffentliche Informationen offengelegt werden müssen. Aus den offengelegten Unterlagen ergab sich, dass im Jahr 2018 Polizeidienststellen in Bezug auf Migranten die interne Anweisung erhalten hatten, „die Ausnutzung des Asylverfahrens zu verhindern“. Die Anweisungen deuteten darauf hin, dass die Polizei selbst eine Bewertung der Absicht des Asylbewerbers, internationalen Schutz zu beantragen, vornehmen sollte. Eines der Dokumente enthielt zudem die Anweisung, dass, wenn Personen auf slowenischem Gebiet, aber in Anwesenheit eines kroatischen Polizeibeamten aufgegriffen würden und die Absicht äußerten, internationalen Schutz zu beantragen, dies als Antragstellung in Kroatien betrachtet werden sollte (Asylum Information Database (aida), Country Report: Slovenia, 01.03.2021, S. 21).
Die Rückschiebungen betrafen dabei nicht nur Personen, die erst kürzlich die slowenisch-kroatische Grenze überquert hatten. Das Border Violence Monitoring Network berichtete im September 2020 von „Überstellungsketten“ von Italien über Slowenien und Kroatien bis nach Serbien oder Bosnien-Herzegowina (Border Violence Monitoring Network, Illegal push-backs and border violence reports Balkan region, September 2020, S. 15). Österreichische Medien informierten über die Beteiligung österreichischer Behörden an Kettenabschiebungen über Slowenien und Kroatien nach Bosnien-Herzegowina (Der Standard, https://www.derstandard.at/story/2000121752241/berichte-ueber-illegale-pushbacks-von-migranten-an-oesterreichischer-grenze, 16.11.2020). Auch die Asylum Information Database veröffentlichte Berichte der Initiative Are You Syrious (AYS), denen zufolge es sich bei fast 30 % der gewaltsamen „Push-backs“ von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina im Jahr 2020 um Kettenabschiebungen von Italien oder Österreich über Slowenien gehandelt habe (aida, Country Report: Croatia, 2020 update, S. 23).
Das slowenische Verwaltungsgericht urteilte am 18.12.2019, dass die Rückführung eines marokkanischen Staatsangehörigen nach Kroatien und von dort nach Bosnien-Herzegowina rechtswidrig gewesen sei, weil er nicht in der Lage gewesen sei, gegen seine Rückführung auf der Grundlage des Verbots der Nichtzurückweisung Einspruch zu erheben, und dass er nicht über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt habe, da ihm keine schriftliche Entscheidung zugestellt worden sei (Az. I U 1412/2018). Das Innenministerium legte gegen diese Entscheidung mit Erfolg Berufung beim Obersten Gerichtshof ein; mittlerweile ist das Verfahren vor dem slowenischen Verfassungsgericht anhängig. Am 22.06.2020 entschied das Verwaltungsgericht (Az. 1490/2019), einem zu Unrecht ausgewiesenem kamerunischen Staatsangehörigen sei die Wiedereinreise nach Slowenien und die Asylantragstellung zu ermöglichen, denn die Polizei habe gegen das Verbot der Nichtzurückweisung, das Verbot der Kollektivausweisung und das Recht auf Zugang zum Asylverfahren verstoßen, indem sie den Antragsteller auf der Grundlage des Rückübernahmeabkommens nach Kroatien zurückgeschickt habe; nach Zurückverweisung bestätigte das Gericht sein Urteil am 07.12.2020 (Az. I U 1686/2020). Nach der Berufung des Innenministeriums ist der Fall beim Obersten Gerichtshof anhängig (Asylum Information Database (aida), Country Report: Slovenia, 01.03.2021, S. 21). Die slowenischen Behörden ignorieren das erstinstanzliche Urteil bisher (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Slowenien, 09.12.2021, S. 4). Im September 2021 beantragte der Ombudsmann für Menschenrechte beim Verfassungsgericht eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des slowenisch-kroatischen Abkommens über die massenhafte Abschiebung von Migranten (Freedom House, Slovenia: Annual report on political rights and civil liberties in 2021, 28.02.2022).
All dies spricht dafür, dass Migranten in Slowenien in einem Polizeiverfahren systematisch der Zugang zum Asylverfahren verwehrt wird. Die Rückübernahmeabkommen, die eine so genannte „informelle Rückführung“ von irregulär eingereisten Drittstaatsangehörigen ohne förmliches Verfahren vorsehen, enthalten keine ausreichenden Garantien, um die Menschen vor einer möglichen Zurückweisung zu schützen (Europarat, Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence (GREVIO), Baseline Evaluation Report Slovenia, 12.10.2021, S. 75). Diese Abkommen stellen ein System dar, das außerhalb des EU-Rechts und der Bestimmungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems liegt und nicht den dort geforderten Standards entspricht.
Die in Slowenien praktizierten „Push-backs“ und Kettenabschiebungen, ohne die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen und ein ordnungsgemäßes Asylverfahren zu erhalten, verstoßen gegen das Non-Refoulement-Prinzip. Dieses Prinzip ist verankert in Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der bestimmt, keiner der vertragschließenden Staaten werde einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde. Nach Rechtsprechung des EGMR liegt in der Zurückweisung eines Asylantrags zudem ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK, wenn der ausweisende Staat zuvor nicht prüft und bewertet, ob es infolge der Ausweisung zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers kommen kann (EGMR, Urteil vom 14.03.2017 - 47287/15 -, beck-online Rn. 112 ff.). Das Folterverbot verbietet den Staaten nicht nur, sich aktiv an Folter oder unmenschlicher Behandlung zu beteiligen, sondern verpflichtet sie auch, eine Person nicht in eine Lage zu versetzen, in der sie einer solchen Behandlung oder Bestrafung durch andere Staaten ausgesetzt ist, auch nicht durch Abschiebung. Ferner ist das Non-Refoulement-Gebot verankert in Art. 21 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (Qualifikationsrichtlinie), der besagt, dass die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Nichtzurückweisung in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen achten.
Es bestehen bereits erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass es von Seiten der slowenischen Grenzschutzbeamten, wenn wohl auch noch nicht regelhaft, aber dennoch immer wieder zu Gewaltakten im Zuge der erzwungenen Rückführungen kommt, die schon für sich genommen gegen die in Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK verankerten Verbote verstoßen. Unabhängig davon steht jedoch fest, dass den Migranten jedenfalls nach ihrer Abschiebung über die kroatische Grenze unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die kroatische Polizei sowie gewaltsame „Push-backs“ nach Bosnien-Herzegowina drohen (dazu im Einzelnen: VG Braunschweig, Beschluss vom 25.02.2022 - 2 B 27/22 -, juris).
Es kann schließlich entgegen der Auffassung anderer Verwaltungsgerichte (VG Würzburg, Beschluss vom 11.12.2020 - W 8 S 20.50299 -, juris Rn. 18; VG Saarlouis, Beschluss vom 07.09.2020 - 5 L 744/20 -, juris Rn. 32; VG Bremen, Beschluss vom 14.01.2020 - 4 V 2702/19 -, juris Rn. 17; VG Trier, Urteil vom 03.04.2019 - 7 K 5601/18.TR -, juris Rn. 42; VG Lüneburg, Beschluss vom 30.01.2019 - 8 B 216/18 -, juris Rn. 20) nicht davon ausgegangen werden, dass für Dublin-Rückkehrer keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Slowenien bestehen, sie insbesondere unbeschränkten Zugang zum Asylverfahren erhalten. Denn zu der in zahlreichen Fällen dokumentierten Verweigerung des Rechts auf Asylantragstellung kam es nicht nur unmittelbar nach illegalen Grenzübertritten von Kroatien aus, sondern sogar dann, wenn die Migranten bereits in andere EU-Länder wie Italien oder Österreich vorgedrungen waren und von dort aus zurückgeschoben wurden.
Hinzu kommt, dass die Antragstellerin schon nach den eigenen Ausführungen der Antragsgegnerin ihr Recht auf Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung verwirkt haben dürfte, weil sie sich ohne Ankündigung für länger als drei Tage aus dem Camp entfernt hat, in das man sie nach ihrer zweiten Grenzüberquerung aufgenommen hatte. Doch selbst wenn sie erneut in ein solches Zentrum aufgenommen werden sollte, schützt sie dies nicht zuverlässig vor einer Rückschiebung nach Kroatien. Die Gruppe Taskforce for Asylum berichtete über mehrere Fälle, in denen Migranten zunächst im Zentrum für Ausländer in Postojna festgehalten und sodann von dort aus nach Kroatien zurückgeschickt wurden (United States Department of State (USDOS), Slovenia 2020 Human Right Report, 30.03.2021, S. 12). Auch die Antragstellerin berichtete, man habe ihr nach der Aufnahme in das Camp noch eine Rückschiebung nach Bosnien-Herzegowina angedroht.
Zwar liegen keine spezifischen Erkenntnismittel zum Verbleib von Dublin-Rückkehrern aus Deutschland vor, doch ist davon auszugehen, dass diese insbesondere angesichts der niedrigen Zahlen von den im Grenzgebiet tätigen Nichtregierungsorganisationen nicht separat erfasst werden. So wurden im ersten Halbjahr 2021 gerade einmal 19 Personen von Deutschland nach Slowenien abgeschoben (BT-Drs. 19/27007, S. 4), wovon Dublin-Rückkehrer nur einen Teil ausmachen dürften, während die slowenischen Behörden nach eigenen Angaben im selben Zeitraum über 10.000 Menschen, mehrheitlich nach Kroatien, zurückgeschoben haben. Fraglich ist die Aufnahmebereitschaft Sloweniens auch deshalb, weil landesweit nur vier Aufnahmeeinrichtungen (Ljubljana, Kotnikova, Logatec und Postojna) mit insgesamt 401 Aufnahmeplätzen zur Verfügung stehen, von denen noch im September 2021 lediglich 185 Plätze belegt waren; hinzu kamen 24 in privaten Unterkünften untergebrachte Asylbewerber (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Slowenien, 09.12.2021, S. 8).
Es ist auch nicht belegt, dass vulnerable Personen wie die Antragstellerin von den kroatischen Behörden mehr Rücksichtnahme als andere Migranten erwarten können. Dass die Antragstellerin trotz ihrer Erkrankungen vor „Push-backs“ nicht geschützt ist, ergibt sich schon darauf, dass sie selbst bereits einmal Opfer einer Zwangsrückführung nach Kroatien durch die slowenische Polizei geworden ist. Insbesondere wegen ihrer halbseitigen Lähmung ist sie in besonderer Weise auf die Unterstützung ihrer Angehörigen angewiesen und dürfte als Analphabetin auch kaum in der Lage sein, sich effektiv gegen eine Verletzung ihres Rechts aus Asyl zur Wehr zu setzen.
Nicht entschieden zu werden braucht an dieser Stelle, ob eine Überstellung zulässig ist, wenn das Bundesamt aufgrund der bestehenden erheblichen Zweifel daran, dass für Dublin-Rückkehrer in Slowenien die Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens gewährleistet ist, eine individuelle Garantieerklärung von den slowenischen Behörden zur Sicherung einer adäquaten Aufnahme einholt. Da Schwierigkeiten bestehen dürften, nach einer Rückführung noch zu kontrollieren, ob die getätigten Zusagen eingehalten werden, erscheint dies jedenfalls im Hinblick auf vulnerable Betroffene wie die Antragstellerin problematisch.