Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.03.2022, Az.: 1 A 104/21
Brexit; Pflanzenschutzmittel
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 17.03.2022
- Aktenzeichen
- 1 A 104/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59458
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 40 EGV 1107/2009
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 100.000,-- EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erteilung der Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel im Wege der gegenseitigen Anerkennung.
Am 28. Juni 2016 erhielt die Klägerin vom Vereinigten Königreich Großbritannien (im Folgenden: Großbritannien) als Referenzmitgliedstaat auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 eine Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. mit einer Geltungsdauer bis zum 27. Juni 2019 (F.). Bei dem Pflanzenschutzmittel handelt es sich um ein Herbizid mit den Wirkstoffen I. und J.. Beide Wirkstoffe sind in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2015/408 als Substitutionskandidaten im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 aufgeführt, weil sie die Kriterien für die Einstufung als persistente und toxische Stoffe erfüllen (vgl. Erwägungsgrund 6 der DVO [EU] Nr. 2015/408).
Mit Antrag vom 28. April 2017 beantragte die Klägerin beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die Erteilung einer Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. im Wege der gegenseitigen Anerkennung. Nach Anhörung der Klägerin und Beteiligung des Julius Kühn-Instituts (JKI), des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und des Umweltbundesamtes (UBA) lehnte das BVL mit Bescheid vom 1. Februar 2018 die Erteilung der beantragten Zulassung ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, bei den in dem Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoffen handele es sich um zwei Substitutionskandidaten im Sinne von Art. 24 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009. Damit stehe die Erteilung einer Zulassung im Wege der gegenseitigen Anerkennung gemäß Art. 41 Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 im Gegensatz zu Art. 41 Abs. 1 der Verordnung im Ermessen der anerkennenden Zulassungsbehörde. Wegen der ungünstigen Stoffeigenschaften im Hinblick auf die Gesundheit von Mensch, Tier und den Naturhaushalt, die Substitutionskandidaten regelmäßig aufwiesen, übe das BVL sein Ermessen dahingehend aus, dass eine Zulassung für Deutschland nur erteilt werde, wenn das beantragte Mittel für die landwirtschaftliche Praxis dringend benötigt werde, also ein öffentliches Interesse an der Zulassung bestehe, das die Bedenken gegenüber dem Wirkstoff überwiege. Dies könne zum Beispiel anzunehmen sein, wenn durch die reguläre Zulassung eines Mittels mit einem Substitutionskandidaten die Beantragung von Notfallzulassungen nach Art. 53 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 unnötig werde. Eine solche Sachlage sei für das Pflanzenschutzmittel der Klägerin nicht gegeben. Für die beantragten Anwendungen existierten in Deutschland zahlreiche Zulassungen, darunter sowohl Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff J. als auch mit dem Wirkstoff I.. Eine Bekämpfungslücke, die durch das Pflanzenschutzmittel der Klägerin geschlossen werden könne, sei deshalb nicht anzunehmen. Erst recht werde die Schwelle des Vorliegens von Gefahr im Verzug als Voraussetzung für die Erteilung einer Notfallzulassung nicht erreicht. Unabhängig davon gingen die beantragten Anwendungen teilweise hinsichtlich Anwendungsspektrum und Aufwandmenge über die von Großbritannien erteilte Zulassung hinaus.
Die Klägerin erhob am 12. Februar 2018 Widerspruch, zu dessen Begründung sie insbesondere ausführte, die Einstufung der in dem Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoffe als Substitutionskandidaten stehe der Erteilung einer Zulassung im Wege der gegenseitigen Anerkennung nicht entgegen. Auch wenn Substitutionskandidaten in einem Pflanzenschutzmittel enthalten seien, müsse die Erteilung einer Zulassung im Wege der gegenseitigen Anerkennung die Regel und nicht lediglich die Ausnahme sein. Die vom BVL getroffene Entscheidung sei unter Berücksichtigung ihrer schutzwürdigen Interessen ermessensfehlerhaft. Dies gelte umso mehr, als in Deutschland drei Pflanzenschutzmittel mit der betroffenen Wirkstoffkombination zugelassen seien (K., L. und M.). Die Zulassungen dieser Pflanzenschutzmittel endeten zum 31. Oktober 2018, so dass danach das von ihr zur Zulassung gestellte Pflanzenschutzmittel gegebenenfalls das einzige verfügbare Mittel und mithin ohne dessen Zulassung eine Bekämpfungslücke gegeben wäre. Zu ihren Gunsten sei bei der Ermessensausübung auch zu berücksichtigen, dass die in Art. 42 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 bestimmte Frist für die Entscheidung über einen Antrag auf gegenseitige Anerkennung von 120 Tagen bereits Ende August 2017 abgelaufen sei und sich das BVL seither in Verzug befinde. Zudem habe das BVL bei der Ermessensentscheidung nicht beachtet, dass sie eine Herstellerin von Generika sei und die Bereitstellung von preiswerten generischen Pflanzenschutzmitteln im öffentlichen Interesse liege.
Das BVL wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2018, zugestellt am 8. November 2018, als unbegründet zurück. Die Versagung der beantragten Zulassung sei auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin ermessensfehlerfrei.
Die Klägerin hat am 7. Dezember 2018 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie unter Vertiefung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren eingehend zur Problematik der Einstufung der Wirkstoffe des Pflanzenschutzmittels als Substitutionskandidaten vor und ist weiterhin der Auffassung, die Erteilung einer Zulassung für das Pflanzenschutzmittel dürfe vor diesem Hintergrund nicht versagt werden. Die Versagung der Zulassung sei ermessensfehlerhaft erfolgt. Sie stellt klar, eine Zulassung lediglich im Umfang der von Großbritannien erteilten Zulassung zu begehren. Nach Hinweis des Gerichts auf die von Großbritannien für das Pflanzenschutzmittel F. zuletzt nach dem Austritt aus der Europäischen Union (EU) mit Bescheid vom 30. Juni 2021 erteilte Zulassung mit Geltungsdauer bis zum 31. Oktober 2022 macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Austritt Großbritanniens aus der EU, sog. Brexit, stehe der gegenseitigen Anerkennung der in Großbritannien erteilten Zulassung nicht entgegen. In der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts und des Nds. Oberverwaltungsgerichts sei geklärt, dass eine gegenseitige Anerkennung weiterhin möglich sei, wenn die anzuerkennende Zulassung in Großbritannien vor dem Austritt aus der EU in Anwendung der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilt worden sei. Beides treffe für das Pflanzenschutzmittel F. zu. Dieses sei seit dem 28. Juni 2016 in Großbritannien zugelassen. Mit Bescheid vom 30. Juni 2021 habe Großbritannien lediglich eine Verlängerung der Erstzulassung vorgenommen. Bei diesem Bescheid handele es sich nicht um einen neuen eigenständigen Bescheid mit verändertem Inhalt oder neuer Rechtsgrundlage. Die zeitliche Bestimmung des Zulassungszeitraums stelle keine selbständige Regelung, sondern eine bloße Nebenbestimmung dar. Ob die in Großbritannien ausgesprochene Verlängerung selbständig anfechtbar sei, sei entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entscheidungserheblich, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien sämtliche Nebenbestimmungen isoliert anfechtbar. Die Verlängerung der Zulassung sei auch nicht nach dem seit Januar 2021 in Großbritannien geltenden neuen eigenständigen regulatorischen Regime für Pflanzenschutzmittel erfolgt. Der Verlängerungsbescheid sei nämlich ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 ohne jede inhaltliche Änderung ergangen. Auch in ihrem Internetauftritt verweise die britische Zulassungsbehörde HSE (Health and Safety Executive) darauf, dass Entscheidungen auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 getroffen würden. In der über das Internet abrufbaren Zulassungsdatenbank der britischen HSE sei zudem weiterhin der 28. Juni 2016 als Beginn der Zulassung für das Pflanzenschutzmittel angegeben. Die britische Zulassungsbehörde gehe demnach von einer seit dem Jahr 2016 fortbestehenden einheitlichen Zulassung aus, die nach der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilt worden sei. Dementsprechend sei das Pflanzenschutzmittel nach wie vor unter derselben MAPP-Nummer zugelassen. Zudem fänden nach Ziffer 5 der im Bescheid der britischen HSE vom 30. Juni 2021 enthaltenen erläuternden Anmerkungen (Explanatory Notes) auch nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU mit Wirkung zum 1. Januar 2021 die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 weiterhin entsprechende Anwendung. Der Bescheid fordere den Zulassungsinhaber ausdrücklich dazu auf, die Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zu erfüllen. Ebenso wie bei europäischen Richtlinien, die der Umsetzung bedürften, handele es sich nicht um rein nationales Recht. Die Zulassung sei mithin jedenfalls in Anwendung der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilt worden. Eine Loslösung von den Vorgaben des Art. 32 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sei nicht gegeben, denn das Pflanzenschutzmittel F. sei in Großbritannien entsprechend der „Amendment Notice - Extension to Expiry Dates - I.“ der britischen HSE vom 10. November 2021 inzwischen bis zum 31. Oktober 2023 zugelassen. Zudem könnten Zulassungen nach Art. 32 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 auch mit kürzerer Geltungsdauer erteilt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2018 zu verpflichten, ihr die Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. im Umfang der von Großbritannien erteilten Zulassung mit der F. im Wege der gegenseitigen Anerkennung zu erteilen,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über ihren Zulassungsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält die Versagung der Zulassung für das Pflanzenschutzmittel im Hinblick auf die darin enthaltenen Substitutionskandidaten für ermessensfehlerfrei. Ergänzend erwidert sie zuletzt: Eine gegenseitige Anerkennung der von Großbritannien erteilten Zulassung für das Pflanzenschutzmittel der Klägerin sei nach Auslaufen der ursprünglichen (zonalen) Referenzzulassung gemäß Art. 29 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 wegen des zwischenzeitlichen Austritts Großbritanniens aus der EU nicht mehr möglich. Bei der von Großbritannien nach dem Brexit mit Bescheid vom 30. Juni 2021 erteilten Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels unter einer dort registrierten und separat vergebenen „Authorisation Number“ handele es sich um eine neue und über die ursprüngliche Zulassungsentscheidung hinausgehende Entscheidung. Mit der Verlängerung sei eine zeitliche Ausdehnung des Zulassungszeitraums und damit eine Änderung des Zulassungsumfangs erfolgt. Die Entscheidung sei eigenständig mit Rechtsmitteln anfechtbar. Das Beibehalten der MAPP-Nummer stehe dem nicht entgegen, denn nach dem System der britischen Zulassungsbehörde werde beispielsweise auch bei anderen (offensichtlichen inhaltlichen) Änderungen des Zulassungsumfangs, wie zusätzlichen Anwendungen, eine neue MAPP-Nummer nicht vergeben. Soweit die Klägerin die Auffassung vertrete, die Verlängerung der Zulassung sei nicht nach dem in Großbritannien seit dem 1. Januar 2021 geltenden nationalen regulatorischen Regime für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln erfolgt, könne dem nicht gefolgt werden. Nach Ziffer 5 der erläuternden Anmerkungen des von Großbritannien erteilten Bescheides vom 30. Juni 2021 beziehe sich der Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 auf die in Großbritannien geltende Fassung. Dass Großbritannien die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 in sein nationales Recht übernommen habe, ändere nichts daran, dass es sich nicht mehr um dort unmittelbar geltendes EU-Recht, sondern um nationales Recht handele. Zulassungen auf dieser Grundlage könnten nicht nach Art. 40 i. V. m. Art. 41 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 anerkannt werden. Zudem falle auf, dass der Zeitraum der von Großbritannien vorgenommenen Verlängerung bis zum 31. Oktober 2022 nicht dem System der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 folge, nach der eine Verlängerung bzw. Anpassung der Zulassungsdauer grundsätzlich für den Zeitraum erfolge, der sich aus der Geltungsdauer der Wirkstoffgenehmigung plus ein Jahr ergebe. Die Wirkstoffe I. und J. seien aktuell bis zum 31. Oktober 2022 genehmigt, so dass die Zulassung des Pflanzenschutzmittels bis zum 31. Oktober 2023 zu erteilen gewesen wäre. Dass die Zulassung stattdessen bis zum 31. Oktober 2022 verlängert worden sei, verdeutliche eine Loslösung von den Vorgaben des Art. 32 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 hinsichtlich der Zeitdauer von Zulassungen. Abweichend vom System der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sei in Großbritannien zudem eine pauschale Verlängerung aller bis zum 31. Dezember 2020 erteilten Wirkstoffgenehmigungen um drei Jahre vorgenommen worden. Dementsprechend seien die Wirkstoffe J. und I. dort nunmehr bis zum 31. Dezember 2024 bzw. bis zum 31. Oktober 2024 verlängert. Eine an die auf EU-Ebene festgelegte Geltungsdauer der Wirkstoffgenehmigungen anknüpfende Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels würde damit zu einem vom nationalen Recht Großbritanniens abweichenden Ergebnis führen. Das nationale Recht Großbritanniens weiche auch insoweit von den Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 ab, als danach neue Entscheidungen des EU-Rechts zu Wirkstoffen, Rückstandshöchstgehalten und neue Vorschriften der EU zu Pflanzenschutzmitteln nicht in Großbritannien gelten würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. im Wege der gegenseitigen Anerkennung. Ein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten über die Erteilung einer Zulassung ist ebenfalls nicht begründet (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
Nach Art. 40 Abs. 1 Buchst. a Verordnung (EG) Nr. 1107/2209 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln vom 21. Oktober 2009 (ABl. EU L 309 S. 1) kann der Inhaber einer nach Art. 29 der Verordnung gewährten Zulassung, die von einem Mitgliedstaat (Referenzmitgliedstaat) erteilt wurde, der zur selben Zone gehört, eine Zulassung für dasselbe Pflanzenschutzmittel, für dieselben Verwendungen und unter vergleichbaren landwirtschaftlichen Bedingungen in einem anderen Mitgliedstaat nach dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung beantragen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 der Verordnung erteilt der Mitgliedstaat, dem ein Antrag gemäß Art. 40 der Verordnung vorgelegt wird, nach Prüfung des Antrags und gegebenenfalls der in Art. 42 Abs. 1 der Verordnung genannten Begleitdokumente im Hinblick auf die Bedingungen in seinem Hoheitsgebiet für das betreffende Pflanzenschutzmittel eine Zulassung unter den gleichen Bedingungen wie der den Antrag prüfende Mitgliedstaat; hiervon ausgenommen sind die Fälle, in denen Art. 36 Abs. 3 der Verordnung Anwendung findet. Abweichend von Art. 41 Abs. 1 kann der Mitgliedstaat das Pflanzenschutzmittel nach Art. 41 Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zulassen, wenn es einen Substitutionskandidaten enthält.
Unabhängig davon, ob das Pflanzenschutzmittel einen Substitutionskandidaten enthält oder nicht, ist nach Maßgabe dieser Vorschriften grundlegende Voraussetzung für die Erteilung der Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel im Wege der gegenseitigen Anerkennung, dass eine nach Art. 29 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 gewährte Zulassung vorliegt, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilt worden ist. Vor dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hat das erkennende Gericht auf dieser Grundlage entschieden, dass eine von Großbritannien vor einem etwaigen Austritt aus der Europäischen Union in Anwendung der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilte Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel diese Voraussetzungen erfüllt, auch wenn es zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Austritt kommen sollte. Denn im Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung ist Großbritannien in dieser Konstellation noch Mitgliedstaat der Europäischen Union gewesen und hat die Zulassung in Anwendung des in diesem Zeitpunkt auch für sein Hoheitsgebiet unmittelbar geltenden europäischen Rechts der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilt. Es ist damit gewährleistet, dass die Zulassung nach den einheitlichen rechtlichen Regelungen erteilt wurde, die nach einem etwaigen Austritt Großbritanniens für die in der Europäischen Union verbleibenden Mitgliedstaaten fortgelten (Beschl. v. 3.4.2019 - 9 B 23/19 -, V. n. b.). Zwar wäre Großbritannien nach einem Austritt aus der Europäischen Union als Drittstaat anzusehen, für den die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 keine Anwendung mehr finden würden. Dies ließe aber die Qualität von unter Geltung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilter Zulassungen Großbritanniens als von einem Mitgliedstaat in Anwendung des Gemeinschaftsrechts erlassener Rechtsakte nicht entfallen (a. a. O.). Dieser Rechtsprechung hat sich das Nds. Oberverwaltungsgericht angeschlossen und ausgeführt, dass anders als bei der Frage der Zulässigkeit des Parallelhandels von Pflanzenschutzmitteln, der ein dynamisches Verfahren mit fortdauernden Mitwirkungspflichten des Ursprungsmitgliedstaates zum Inhalt hat und daher eine fortbestehende Genehmigung in dem Ursprungsmitgliedstaat erfordert, im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung einer von dem betreffenden Mitgliedstaat (Großbritannien) erteilten Zulassung des Pflanzenschutzmittels lediglich erforderlich ist, dass die Zulassung nach den einheitlichen rechtlichen Regelungen im Zulassungszeitpunkt im prüfenden Mitgliedstaat erteilt worden ist. Maßgeblich ist dabei der statische Zulassungszeitpunkt (Nds. OVG, Beschl. v. 6.12.2019 - 10 ME 225/19 -, juris, Rn. 29).
Die für das Pflanzenschutzmittel F. zugunsten der Klägerin in Großbritannien in dem für die Bestimmung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts geltende Zulassung kann allerdings nicht (mehr) als eine von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach den im Gemeinschaftsgebiet einheitlich geltenden rechtlichen Regelungen erteilte Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel betrachtet werden und stellt deshalb keine geeignete Grundlage für eine gegenseitige Anerkennung nach Art. 40 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art. 41 Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 dar.
Zwar hat Großbritannien die Zulassung des Pflanzenschutzmittels F. mit Bescheid vom 28. Juni 2016 ursprünglich als Mitgliedstaat der Europäischen Union unter der unmittelbaren Geltung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilt. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hat Großbritannien die Zulassung mit Bescheid vom 30. Juni 2021 (Authorisation Number G.) aber neu erteilt. Es hat eine neue Zulassung für das Pflanzenschutzmittel gewährt (vgl. Kopfzeile des Bescheides: „Authorisation for a Plant Protection Product“ mit einer neuen Authorisation Number), welche nach Ziffer 2 der erläuternden Anmerkungen des Bescheides (Explanatory Notes) die früheren Zulassungen des Pflanzenschutzmittels ersetzt („…replaces…“). Im Gegensatz zu der in Großbritannien zuletzt erfolgten Verlängerung der Geltungsdauer der Zulassung des Pflanzenschutzmittels F. bis zum 31. Oktober 2023 durch Änderungsbescheid (Amendment of Plant Protection Products bzw. Amendment Notice) vom 10. November 2021 zur Verlängerung der Geltungsdauer der Zulassung (Extension to Expiry Dates) ist mit Bescheid vom 30. Juni 2021 nicht nur eine Verlängerung der Geltungsdauer der Zulassung erfolgt, sondern eine neue Zulassung erteilt worden.
Bei Erlass des Zulassungsbescheides vom 30. Juni 2021, dessen Geltungsdauer mit Bescheid vom 10. November 2021 verlängert worden ist, war Großbritannien nicht mehr Mitgliedstaat der Europäischen Union. Die Erteilung der Zulassung ist auch nicht in Anwendung unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts erfolgt. Der Bescheid vom 30. Juni 2021 verweist zwar ebenso wie der Änderungsbescheid vom 10. November 2021 auf die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009. In den erläuternden Anmerkungen (Explanatory Notes) wird aber klargestellt, dass die Bezugnahme auf die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 in Bezug auf Großbritannien (nur in dem Umfang) auf die Verordnung verweist, soweit sie für Großbritannien Wirkung entfaltet (vgl. jeweils Ziff. 5 S. 1 und 2 der Explanatory Notes der Bescheide vom 30.6.2021 und vom 10.11.2021: „In this notice Regulation [EC] No 1107/2009 means: In relation to Great Britain, Regulation [EC] No 1107/2009 as it has effect in Great Britain“). Ein solcher Hinweis findet sich in dem grundlegenden Zulassungsbescheid Großbritanniens vom 28. Juni 2016 nicht. Hintergrund ist, dass die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Großbritannien seit dem 1. Januar 2021 nach einem eigenständigen regulatorischen Regime erfolgt. In seinem Internetauftritt führt die britische Zulassungsbehörde HSE aus, dass ab dem 1. Januar 2021 in Großbritannien (England, Schottland und Wales) ein unabhängiges Regulierungssystem für Pflanzenschutzmittel gilt („From 1 January 2021, an independent pesticides regulatory regime is in operation in Great Britain [England, Scotland and Wales]“; abzurufen im Internet unter https://www.hse.gov.uk/pesticides/brexit.htm; Anlage K5 der Gerichtsakte). Neue Entscheidungen, die im Rahmen des Regelwerks der Europäischen Union getroffen werden, gelten danach nicht in Großbritannien. Dazu gehören Entscheidungen zu Wirkstoffen und Rückstandshöchstgehalten und alle neuen EU-Rechtsvorschriften für Pflanzenschutzmittel („New decisions taken under the EU regime will not apply in Great Britain. This includes active substances and maximum residue level [MRL] decisions and any new EU plant protection product [PPP] legislation.“). Zu den Änderungen der Gesetzgebung („Changes to legislation“) weist die britische Zulassungsbehörde darauf hin, dass das gesamte einschlägige EU-Recht in Bezug auf die Regulierung von Pflanzenschutzmitteln in das britische Recht übernommen worden sei bzw. im britischen Recht beibehalten wird und die gleichen amtlichen Titel behalte, z. B. Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 („All relevant EU law in relation to the regulation of plant protection products has been retained in GB law and retains the same offical titles, for example, Regulation [EC] 1107/2009“). Die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erfolgt dementsprechend in Großbritannien ausschließlich als Bestandteil des nationalen Rechts und nicht kraft unmittelbarer Geltung. Soweit die Klägerin einen Vergleich zu europäischen Richtlinien zieht, die in den Mitgliedstaaten der EU ebenfalls nicht unmittelbar gelten, sondern der Umsetzung in das nationale Recht bedürfen, trägt dieser Vergleich nicht. Denn im Gegensatz zu europäischen Richtlinien, welche jedenfalls die Mitgliedstaaten der EU hinsichtlich des zu erreichenden Ziels binden (siehe Art. 288 Abs. 3 AEUV) und nach Ablauf der Umsetzungsfrist unter Umständen sogar unmittelbar anwendbar sein können, besteht nach dem Austritt aus der EU keinerlei Bindung Großbritanniens an das europäische Recht betreffend die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mehr. Abweichungen sind nach nationalen Maßgaben jederzeit möglich und rechtlich zulässig. Dies kommt auch in dem Hinweis der britischen Zulassungsbehörde zum Ausdruck, dass neue Entscheidungen und Rechtsvorschriften der EU in Großbritannien nicht zur Geltung kommen, womit zugleich deutlich wird, dass die Gewähr für die Erteilung der Referenzzulassung nach einheitlichen, harmonisierten europäischen Maßgaben unter diesen Bedingungen nicht mehr gegeben ist. Diese Gewähr bildet jedoch die Grundlage für das System der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen unter den Mitgliedstaaten der EU.
Unterstützt wird diese rechtliche Beurteilung durch das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU C 384 I/1), das in Art. 128 Abs. 6 i. V. m. Anhang VII Ziffer 5 schon für den Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020 bestimmt hat, dass das Vereinigte Königreich nicht mehr als maßgebliche Stelle für Risikobewertungen, Untersuchungen, Genehmigungen oder Zulassungen auf der Ebene der Union oder der gemeinsam handelnden Mitgliedstaaten nach der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 fungiert. Nichts anderes kann nach Vollzug des Austritts aus der Europäischen Union gelten.
Soweit die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 gemäß Art. 5 Abs. 4 i. V. m. Anhang 2 Ziffer 24 des dem Austrittsabkommen beigefügten Protokolls zu Irland/Nordirland (ABl. EU C 384 I/92) auch für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich in Bezug auf Nordirland gilt, ist es rechtlich auch nicht möglich, die von Großbritannien am 30. Juni 2021 erteilte Zulassung in Gestalt der Verlängerung durch Bescheid vom 10. November 2021 insoweit der gegenseitigen Anerkennung zugrunde zu legen, als sie für Nordirland gilt (vgl. auch jeweils Ziff. 5 S. 1 und 3 der Explanatory Notes der Bescheide vom 30.6.2021 und vom 10.11.2021: „In this notice Regulation [EC] No 1107/2009 means: … In relation to Northern Ireland, Regulation [EC] No 1107/2009 as it has effect by virtue of the Protocol on Ireland/Northern Ireland in the EU withdrawal agreement.“). Denn Art. 13 Abs. 6 i. V. m. Anhang 2 Ziffer 24 des Protokolls zu Irland/Nordirland schließt aus, dass Behörden des Vereinigten Königreichs in Bezug auf Nordirland als federführende Behörde für Risikobewertungen, Prüfungen, Genehmigungen und Zulassungsverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 tätig werden. Dementsprechend kann die von der britischen HSE erteilte Zulassung vom 30. Juni 2021 in Gestalt der Verlängerung durch Bescheid vom 10. November 2021 auch hinsichtlich Nordirland nicht als eine nach der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 gewährte Zulassung betrachtet werden.
Nichts anderes ergibt sich, wenn der Bescheid der britischen Zulassungsbehörde vom 30. Juni 2021 - der Rechtsauffassung der Klägerin folgend - ebenso wie der Bescheid vom 10. November 2021 als bloße Verlängerung der Geltungsdauer der am 28. Juni 2016 erteilten Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. gewertet würde. Denn auch insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass entsprechend der Klarstellung in den erläuternden Anmerkungen (Explanatory Notes) des Bescheides eine unmittelbare Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 nicht erfolgt und rechtlich nicht mehr gewährleistet ist, dass auch neuere Entscheidungen und Rechtsvorschriften der EU bei Entscheidungen der britischen Zulassungsbehörde Beachtung finden. Auch die mit Bescheid Großbritanniens vom 10. November 2021 erfolgte Verlängerung der Geltungsdauer der Zulassung des Pflanzenschutzmittels ist nicht in unmittelbarer Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 ergangen.
Selbst wenn Großbritannien mit den Bescheiden vom 30. Juni und vom 10. November 2021 inhaltlich keine Änderungen an den Maßgaben der Zulassung vorgenommen haben sollte - was die Beklagte zuletzt in der mündlichen Verhandlung in Abrede gestellt hat unter Hinweis auf eine Auskunft der britischen Zulassungsbehörde, nach der sich die Quelle des Wirkstoffs geändert habe, weshalb eine neue Zulassung erteilt worden sei -, rechtfertigte dies eine andere Beurteilung nicht. Denn die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen nach den Art. 40 ff. Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 setzt voraus, dass die anzuerkennende Zulassung nach den Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erteilt worden ist, woran es hier - wie dargelegt - fehlt.
Die zugunsten der Klägerin in Großbritannien bestehende Zulassung für das Pflanzenschutzmittel F. ist deshalb im Ergebnis nicht mehr geeignet, Grundlage einer gegenseitigen Anerkennung nach Art. 40 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art. 41 Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zu sein. Fehlt es damit bereits im Ausgangspunkt an einer für die gegenseitige Anerkennung geeigneten Zulassung, kommt es auf die Frage, nach welchen Grundsätzen über die Erteilung einer Zulassung im Wege der gegenseitigen Anerkennung zu entscheiden ist, wenn das Pflanzenschutzmittel einen Substitutionskandidaten enthält, und die Frage, ob die Beklagte das ihr insoweit in Art. 41 Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, nicht mehr an.
Ein Verstoß gegen die Garantie des freien Warenverkehrs, dessen Gewährleistung die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen innerhalb der EU dient (vgl. Erwägungsgrund 29 der Verordnung [EG] Nr. 1107/2009), ergibt sich in der vorliegenden Konstellation nicht, weil die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV ausschließlich zwischen den Mitgliedstaaten der EU gilt, ein „innergemeinschaftlicher Handel“ nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU jedoch nicht mehr vorliegt (vgl. zum Parallelhandel von Pflanzenschutzmitteln: Nds. OVG, a. a. O., Rn. 27).
Bei dieser Sachlage hat auch der auf die Verpflichtung der Beklagten zu einer erneuten ermessensfehlerfreien Entscheidung über die Erteilung einer Zulassung im Wege der gegenseitigen Anerkennung gerichtete Hilfsantrag keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 52 Abs. 1 GKG.