Landgericht Verden
Beschl. v. 24.06.2015, Az.: 1 T 41/15

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
24.06.2015
Aktenzeichen
1 T 41/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44828
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 30.03.2015 - AZ: 14 XVII 217/97

Tenor:

Die Beschwerde der Erbinnen vom 23. April 2015 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Syke vom 30. März 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Beschwerdewert wird auf 5.258,00 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Betroffene stand seit 1997 wegen einer neurologischen Behinderung und einer psychiatrischen Erkrankung bei gleichzeitig vorliegender Querschnittslähmung unter Betreuung. Er lebte seit dem 15.10.2006 im Seniorenheim L., nachdem er auch vorher schon in Pflegeheimen untergebracht war. Neben der Beschwerdeführerin zu 1., der Schwester des Betroffenen, als Betreuerin wurde der Beteiligte zu 3. 1997 als ehrenamtlicher Betreuer für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge und die Beteiligte zu 4. im Jahre 1999 zur Berufsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis der Sorge für die Gesundheit bestellt.

Das Amtsgericht hatte auf die entsprechenden Anträge der ehrenamtlichen Betreuer pauschale Aufwandsentschädigungen gemäß § 1835 a BGB und die Vergütung der Berufsbetreuerin gemäß §§ 4, 5 VBVG wegen Mittellosigkeit des Betroffenen gegen die Staatskasse wie folgt festgesetzt und ausgezahlt:

1. für den Betreuer U.:

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2011, angewiesen am 4.1.2012

323,00 €,

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2012, angewiesen am 7.1.2013

323,00 €,

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2013, angewiesen am 8.1.2014

399,00 €,

2. für die Betreuerin I.:

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2011, angewiesen am 4.1.2012

323,00 €,

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2012, angewiesen am 7.1.2013

323,00 €,

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2013, angewiesen am 8.1.2014

399,00 €,

Summe:

2.090,00 €

3. für die Betreuerin G.:

- für den Zeitraum 01.10. - 31.12.2011, angewiesen am 4.1.2012

264,00 €,

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2012, 4 x 264,00 €

 1.056,00 €,

- für den Zeitraum 01.01. - 31.12. 2013, 4 x 264,00 €

 1.056,00 €,

- für den Zeitraum 01.01. - 30.09.2014, 3 x 264,00 €

792,00 €,

Summe:

3.168,00 €.

Der Betroffene verstarb am 22.10.2014. Er wurde ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts Syke vom 03.01.2015 (Bl. 624 Bd. III d.A.) von der Beteiligten zu 1., seiner Schwester, und der Beteiligten zu 2., seiner Mutter, je zu 1/2 beerbt. Er hinterließ ein Vermögen von 28.556,90 €.

Anschließend setzte das Amtsgericht mit Beschlüssen vom 20.01.2015 die der Betreuerin G. für den Zeitraum vom 01.10.2014 bis zum Ende der Betreuung am 22.10.2014 zu erstattende Vergütung auf 79,20 € und die pauschale Aufwandsentschädigung des Betreuers U. für die Zeit vom 01.01. - 22.10.2014 auf 323,63 € gegen die Erbinnen des Betroffenen fest. Diese Beschlüsse waren Gegenstand gesonderter Beschwerdeverfahren.

Mit Beschluss vom 30.03.2015 erließ die Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht gegen die Erben eine Rückzahlungsanordnung an die Staatskasse in Höhe von 5.258,00 €. Zur Begründung verwies das Amtsgericht auf §§ 1836e, 1908i BGB, deren Voraussetzungen erfüllt seien, weil der Betroffene den Erbinnen ein Vermögen in Höhe von 28.556,90 € hinterlassen habe, welches nicht mehr zum Schonvermögen zähle. Aufgrund der erhobenen Einrede der Verjährung könnten nur die in den letzten drei Jahren aus der Staatskasse geleisteten Beträge zurückgefordert werden.

Gegen diesen Beschluss, der den Erbinnen am 01.04. bzw. 02.04.2015 zugestellt wurde, haben sie durch Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 23.04.2015, eingegangen bei Gericht am 24.04.2015, Beschwerde eingelegt. Darin verweisen sie darauf, dass das geerbte Vermögen aus einer Schmerzensgeldzahlung wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers stamme. § 1836e BGB verweise auf § 102 SGB-XII, so dass eine Rückforderung unzulässig sei, wenn die Inanspruchnahme des Erben eine besondere Härte bedeute. Eine solche könne in dem Umstand liegen, dass der Nachlass aus Vermögen bestehe, welches zu Lebzeiten aus Schonvermögen bestanden habe. Durch den Regress werde das Schmerzensgeld seiner Ausgleichsfunktion beraubt und die Erben müssten die nachträgliche Umwidmung des Schmerzensgeldes erleben.

Der Bezirksrevisor hat hierzu Stellung dahingehend genommen, dass der Leitgedanke für die Privilegierung des Schmerzensgeldes nach dem Tod des Betroffenen nicht zugunsten der Erben fortgelten könne.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 24.04.2015 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, in der Sache ist ihr jedoch der Erfolg versagt.

Zu Recht hat das Amtsgericht gemäß § 168 Abs. 1 FamFG entschieden, dass wegen der aus der Staatskasse erfolgten Vergütung bzw. Aufwandsentschädigung der ehemaligen Betreuer für die letzten drei Jahre in Höhe von insgesamt 5.258,00 € Rückgriff gegen die Erben zu nehmen ist. Der Rückgriff findet seine Rechtsgrundlage in §§ 1908i Abs. 1, 1836e Abs. 1, 1835a, 1836, 1836c BGB.

Befriedigt die Staatskasse den Betreuer, gehen dessen Vergütungs- bzw. Aufwendungsersatzansprüche gegen den Betroffenen auf die Staatskasse über. Das gilt auch bei einem Betroffenen, der mittellos im Sinne des § 1836d BGB war. Denn auch ihm gegenüber hat der Berufsbetreuer Vergütungsansprüche und bestehen Aufwendungsersatzansprüche des ehrenamtlichen Betreuers. Die Mittellosigkeit hat gemäß § 1 Absatz 2 Satz 2 VBVG und § 1835a Abs. 3 BGB lediglich zur Folge, dass der Betreuer die Vergütung bzw. Aufwandsentschädigung von der Staatskasse verlangen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27.08.2014 - XII ZB 133/12).

Mit dem Tod des Betroffenen treten dessen Erben an seine Stelle. Sie haften gemäß §§ 1908i Abs. 1, 1836e Abs. 1, Satz 2 BGB nur mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses. Dabei findet gemäß § 1836e Abs. 1 Satz 2 BGB die Vorschrift des § 1836c BGB auf die Erben keine Anwendung, wohl aber § 102 Abs. 3 und 4 SGB-XII.

Der Wert des Nachlasses ist durch Abzug der Nachlassverbindlichkeiten zu ermitteln. Ausweislich des Schlussberichtes der Berufsbetreuerin hinterließ der Betroffene ein Vermögen von 28.556,90 €. Abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten sind den Akten nicht zu entnehmen und von den Beschwerdeführerinnen nicht beziffert vorgebracht worden.

Danach übersteigt der Wert des Nachlasses die gemäß § 1836e Abs. 1 Satz 2 BGB einschlägige Grenze des § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB-XII i.V.m. § 85 Abs. 1 SGB-XII um erheblich mehr als den vom Amtsgericht zurückgeforderten Betrag.

Die Beschwerdeführerinnen berufen sich ohne Erfolg auf das Vorliegen einer „besonderen Härte“ im Sinne von §§ 1836e Abs. 1 Satz 2 BGB, 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB-XII.

Eine solche Härte ist nur bei außergewöhnlich gelagerten Sachverhalten anzunehmen, die es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles als unbillig erscheinen lassen, den Erben für den Kostenersatz in Anspruch zu nehmen. Die Härte muss von besonderem Gewicht sein, also objektiv besonders schwer wiegen (BSG NVwZ-RR 2010, 892, 894 [BSG 23.03.2010 - B 8 SO 2/09 R]). In jedem Fall muss aber eine sich in der Person des Erben realisierende Härte gegeben sein, weil dieser vor einer unbilligen Inanspruchnahme durch die Staatskasse geschützt werden soll (vgl. BGH, Beschluss vom 27.08.2014 - XII ZB 133/12).

Eine besondere Härte in diesem Sinne besteht vorliegend nicht. Die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes kann das aus entsprechenden Beträgen aufgebaute Vermögen nach dem Tod des Betroffenen nicht mehr erfüllen. Die Beschwerdeführerinnen können eine solche Härte auch nicht daraus herleiten, dass dem Betroffenen mit der Rückforderung letztlich die Möglichkeit der Vererbung seines Schonvermögens genommen würde und sie selbst die „nachträgliche Umwidmung des Schmerzensgeldes erleben“ müssten.

Für den Bereich der Sozialhilfe hat das Bundessozialgericht bereits im Jahre 2010 entschieden, dass die Inanspruchnahme der Eltern eines contergangeschädigten Kindes als Erben für die Kosten der Sozialhilfe keine besondere Härte bedeutet (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 2/09). Denn die Vorschriften über nicht einzusetzendes Einkommen und Schonvermögen dienten allein dem Schutz des Sozialhilfeberechtigten, nicht aber dem seiner Erben. An der Ersatzpflicht ändere auch nichts, dass die Zuwendung an die Eltern zu Lebzeiten des Kindes im Rahmen dessen freien Verfügungsrechts möglich gewesen wäre und eine Begünstigung der Eltern und nicht des Sozialleistungsträgers dem mutmaßlichen Willen des Kindes entsprochen hätte, weil dieser Einwand in gleicher Weise für jedes andere nach § 88 BSHG privilegierte Vermögen gälte und den Ersatzanspruch gegen den Erben leerlaufen ließe. Eine besondere Härte führe etwa dann zum Ausschluss des Ersatzanspruchs, wenn ein der Nr. 2 des § 92c Abs. 3 BSHG vergleichbarer Fall vorliege, weil der Hilfebedürftige von dem mit ihm verwandten Erben bis zum Tod des Hilfeempfängers gepflegt wurde. Im Übrigen liege ein die „besondere Härte“ begründender atypischer Lebenssachverhalt nur dann vor, wenn der Nachlass auch für die Eltern Schonvermögen wäre. Das sei jedoch nach dem StiftHG gerade nicht der Fall. Eine besondere Härte liege schließlich auch nicht darin, dass die Zuwendung (der Schadensersatzleistung) an die Eltern zu Lebzeiten des Kindes im Rahmen des freien Verfügungsrechts möglich gewesen wäre und dessen mutmaßlichem Willen entsprochen hätte, denn dies begründe keine solche Besonderheit, die zum Überschreiten der Schwelle zur Atypik führe und die Annahme einer besonderen Härte rechtfertige (vgl. BSG, wie vorstehend).

Diese Rechtsprechung zum Sozialhilferecht ist wegen der entsprechenden Anwendbarkeit des § 102 Abs. 3 und 4 SGB-XII auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Beschwerdeführerinnen können sich schließlich auch nicht auf die Wertung des Gesetzgebers in § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB-XII berufen. Der besondere Schutz des Erben über den erhöhten Freibetrag von 15.340,- € kommt danach nur demjenigen Erben zugute, der mit dem Betroffenen verwandt war und ihn gepflegt hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27.08.2014 - XII ZB 133/12). Auch das trifft auf die Beschwerdeführerinnen nicht zu.

Deshalb hat das Amtsgericht zutreffend die auf die Staatskasse übergegangenen Vergütungs- bzw. Aufwendungsersatzansprüche - begrenzt auf die letzten drei Auszahlungsjahre (vgl. BGH, Beschluss vom 25.01.2012 - XII ZB 461/11) - gegen die Beschwerdeführerinnen festgesetzt.

Die Beschwerde war danach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 81, 84 FamFG i.V. m. §§ 22, 25 Abs. 2 GNotKG.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wurde gemäß §§ 59, 61 GNotKG festgesetzt.

Die Voraussetzungen gemäß § 70 Abs. 2 FamFG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.