Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.11.2006, Az.: 1 B 5010/06

Anspruch auf Verwendung eines bestimmten Namens für eine Fraktion; Anforderungen an die Gründung einer Fraktion; Entscheidung über die kommunalrechtlichen Auswirkungen der Namensführung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
22.11.2006
Aktenzeichen
1 B 5010/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 29202
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2006:1122.1B5010.06.0A

Verfahrensgegenstand

Fraktionsbildung

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 1. Kammer -
am 22. November 2006
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung, den Namen S. für eine Fraktion im Rat der Stadt W. in Anspruch nehmen zu dürfen.

2

Bei den Kommunalwahlen zum Rat der Stadt W. entfielen auf den Wahlvorschlag der S. 17 Sitze.

3

Unter anderem wurden H. und Frau N. gewählt. Die gewählten Parteimitglieder wurden vom S.- Stadtverband für den 20. September 2006 zur konstituierenden Sitzung der Stadtratsfraktion geladen.

4

Weil die Wahlen nicht geheim durchgeführt worden waren, wurde die Konstituierung der Fraktion am 9. Oktober 2006 wiederholt. An dieser Sitzung nahmen Herr H. und Frau N. nicht teil.

5

Sie hatten bereits am 7. Oktober 2006 die Bildung einer eigenen Fraktion beschlossen. Ihrer Ansicht nach war sowohl die Wahl vom 20. September als auch vom 9. Oktober 2006 rechtswidrig, weil auch Teilnehmer außerhalb der Fraktion anwesend gewesen seien. Der Stadtverband der S. wies diese Einwendungen zurück. Unter dem 1. November 2006 meldete Herr H. die Antragstellerin beim Bürgermeister zur Vorbereitung der ersten Sitzung des Rates der Stadt. Gegenüber dem Stadtverband und dem Kreisverband der S. erklärten Herr H. und Frau N. wiederholt, sie könnten für die von ihnen gebildete Fraktion den Namen S. in Anspruch nehmen, weil die Fraktionsbildung der übrigen 15 Mitglieder der S. an schweren Rechtsfehlern leide.

6

Gegen Herrn H. ist ein parteiinternes Ordnungsverfahren eingeleitet worden. Der S. Bezirk Weser- Ems hat das Ruhen aller Mitgliedsrechte angeordnet und den Parteiausschluss beantragt.

7

Die S. Bundespartei hat unter dem 15. November 2006 beim Landgericht Aurich eine einstweilige Verfügung beantragt, Herrn H. und Frau N. untersagen zu lassen, für die von ihnen gebildete Fraktion im Rat der Stadt W. die Bezeichnung S. zu verwenden.

8

Am 14. November 2006 hat die von Herrn H. und Frau N. gebildete S. Fraktion im Rat der Stadt W. beim Verwaltungsgericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Die von Herrn H. vertretene Antragsgegnerin führe den Namen S.-Fraktion zu Unrecht, weil die Fraktionsbildung nicht rechtmäßig erfolgt sei und auch inhaltlich kein ausreichender Konsens über die Fraktionsarbeit erzielt worden sei. Als die im Jahre 2001 gebildete S.-Fraktion ihr Ende gefunden habe, sei gleichzeitig auch das Namensrecht erloschen und könne von der Antragstellerin in Anspruch genommen werden.

9

Die Antragstellerin beantragt,

der Antragsgegnerin die Bezeichnung S.-Fraktion im Rat der Stadt W. zu untersagen und festzustellen, dass außer der Antragstellerin rechtlich keine weitere S.-Fraktion im Rat der Stadt W. zu Stande gekommen sei.

10

Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen.

11

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 123 VwGO statthaft. Das Verfahren ist vor dem Verwaltungsgericht als kommunalverfassungsrechtlicher Streit zu führen. Die Antragstellerin ist eine Fraktion im Rat der Stadt W. und hat als solche eigene Rechte, etwa aus § 39 b NGO, die sie gegebenenfalls vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen und im vorläufigen Rechtsschutz sichern oder regeln lassen kann.

12

Der Fraktionsstatus der Antragstellerin wird von der Antragsgegnerin nicht ernsthaft infrage gestellt und kann nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht bezweifelt werden. Eine Fraktion kann definiert werden als freiwilliger für eine Wahlperiode angelegter Zusammenschluss von Ratsmitgliedern mit gemeinsamer kommunalpolitischer Grundanschauung und dem Ziel, ihre Vorstellungen aufeinander abzustimmen und ihnen im Zusammenwirken zu besserer Wirksamkeit zu verhelfen (Wefelmeier, KVR Nds. Anm 6 zu § 39 b NGO). Diese Voraussetzungen sind für die Antragstellerin gegeben.

13

An die Gründung einer Fraktion stellt die NGO nur geringe Anforderungen. Ob die von Parteien aufgestellten Regeln für die Konstituierung von Fraktionen, wie sie etwa vom S.-Bezirk Weser- Ems in den Richtlinien vom 18. 11. 2000 enthalten sind, wesensbestimmend für die Annahme einer Fraktion nach § 39 b NGO sind, und über die parteiinterne Verbindlichkeit auch auf die NGO ausstrahlen, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Die Antragstellerin hat die gesetzliche Mindestzahl von zwei Mitgliedern nach § 39 b Abs. 1 NGO, die sich auf eine gemeinsame Basis für ihre politische Arbeit geeinigt haben. Sie haben ihre Fraktionsbildung dem Bürgermeister schriftlich entsprechend § 17 der Geschäftsordnung des Rates angezeigt. In der Anzeige ist die Bezeichnung der Fraktion, der Name des Vorsitzenden und dessen Stellvertreters sowie die Namen aller Fraktionsangehörigen angegeben. Dass die übrigen 15 Mitglieder des Wahlvorschlages der S. außer Herrn H. und Frau N. eine Fraktion bilden wollen oder gebildet haben, stellt die Fraktionseigenschaft der Antragstellerin nicht infrage. Es ist rechtlich nicht zwingend geboten, dass alle Angehörigen eines Wahlvorschlages eine Fraktion bilden. Insbesondere bei Richtungsstreitigkeiten können diese sich auch dann in zwei Fraktionen niederschlagen, wenn alle Beteiligten in einem Wahlvorschlag aufgeführt waren (Wefelmeier a.a.O. Anm. 17). Im Übrigen ist der Zwang zum Anschluss an eine Fraktion nicht mit dem freien Mandat der - 5 - - 4 - Ratsmitglieder zu vereinbaren.

14

Auch an der Fraktionseigenschaft der Antragsgegnerin bestehen nach der im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sachlage keine durchgreifenden Zweifel. Auch sie ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Ratsmitgliedern zur Erreichung gemeinsamer kommunalpolitischer Ziele. Sie ist im wesentlichen die Nachfolgerin der S. Fraktion im Rat der Stadt W. aus den Jahren 2001 bis 2006.

15

Die von der Antragstellerin behaupteten Gründungsmängel sind - selbst wenn sie glaubhaft gemacht worden wären, - nicht geeignet, die Wirksamkeit der Fraktionsbildung in Frage zu stellen.

16

Das Verwaltungsgericht ist zuständig, soweit es um die öffentlich rechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten geht. Die Berechtigung, im Verkehr nach außen den Namen S. führen zu dürfen, ist Gegenstand eines Verfahrens vor dem Zivilgericht und ist von diesem zu entscheiden.

17

Das Verwaltungsgericht ist dem gegenüber zur Entscheidung über die kommunalrechtlichen Auswirkungen der Namensführung und einer damit zusammenhängenden Verwechslungsgefahr berufen, so weit sie sich auf die Ratsarbeit auswirkt.

18

Der Antrag auf Feststellung, dass es rechtlich außer der Antragstellerin keine weitere S.-Fraktion im Rat der Stadt W. gibt, kann keinen Erfolg haben. Abgesehen davon, dass für Feststellungen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich kaum Raum ist, besteht auch kein Anordnungsanspruch. Die Antragsgegnerin ist, wie oben festgestellt, eine Fraktion. Sie besteht ausschließlich aus Mitgliedern der S. und führt die Bezeichnung der Partei mit deren Einverständnis.

19

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Untersagung der Bezeichnung S.-Fraktion durch die Antragsgegnerin nimmt die Entscheidung in der Hauptsache vorweg. Eine solche Entscheidung ist nur dann möglich, wenn es dem Antragsteller billigerweise nicht zugemutet werden kann, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten und wenn an seinem Anspruch ernstliche Zweifel nicht bestehen. Auch wenn hier eine Dringlichkeit gegeben ist, so kann die einstweilige Verfügung schon deshalb nicht ergehen, weil die Antragstellerin ihren Anspruch auf das alleinige Recht, den Namen S. in ihrer Fraktionsbezeichnung zu führen, nicht glaubhaft gemacht hat. Es bestehen im Gegenteil erhebliche Zweifel an ihrer Berechtigung zur Führung dieses Namens. Die Inhaberin des Namensrechts hat ihr dieses Recht abgesprochen und führt deswegen sogar einen Unterlassungsstreit vor dem Landgericht in Aurich. Selbst wenn man der Ansicht der Antragstellerin folgen sollte, dass die Konstituierung der Antragsgegnerin mit ihren 15 - 6 - - 5 - S.-Abgeordneten nicht frei von Fehlern war, gibt das nichts für das von der Antragstellerin behauptete Recht auf alleinige Benutzung des Parteinamens her. Auch wenn es bei der Konstituierung der Antragstellerin eine andere Fraktion der S. noch nicht gab, weil diese erst am 9. Oktober gebildet wurde, so erwächst daraus noch kein Recht der Antragstellerin, über den Namen S.D zu verfügen, wenn ihr dies von der Inhaberin des Namens untersagt wird. Ein Recht auf den ersten Zugriff auf einen frei verfügbaren Namen gibt es dann nicht.

20

Da die Antragstellerin sich S.-Fraktion nennt und einer weiteren Fraktion dieser Name von der Namensträgerin gestattet worden ist, bestehen im Rat der Stadt W. 2 Fraktionen mit gleicher Bezeichnung. Das Verwaltungsgericht kann mit den hier vorgegebenen Beteiligten der Antragstellerin die Bezeichnung S. nicht untersagen und kann der Antragsgegnerin das Recht nicht verwehren sich S. zu nennen.

21

An der Eindeutigkeit der Bezeichnung von Fraktionen und Gruppen besteht jedoch ein erhebliches öffentliches Interesse. Es muss vermieden werden, dass Fraktionen oder Gruppen entweder unter gleichem oder zu Verwechselungen Anlass gebenden Namen auftreten. Allein wegen der Funktionsfähigkeit der Ratsarbeit muss die Fraktionsbezeichnung eindeutig sein, damit etwa Anträge oder Meinungsäußerungen den sie tragenden Gruppierungen zuzurechnen sind. Für die Verteilung der Ausschüsse, die in der nächsten Ratssitzung ansteht, ergibt sich dies von selbst.

22

Auch die Zurechenbarkeit politischer Entscheidungen und Meinungsbildungsprozesse in der Öffentlichkeit setzt eine eindeutige Fraktionsbezeichnung voraus. Dieses Allgemeininteresse an der ordnungsgemäßen Durchführung der Ratsarbeit kann jedoch von der Antragstellerin nicht gegenüber der Antragsgegnerin durchgesetzt werden. Darüber ist der Rat in seiner Gesamtheit zur Entscheidung befugt.

23

Zur vorläufigen Regelung ordnungsgemäßer Ratstätigkeit kann der Rat darauf hinwirken, dass aussagefähige aber nicht diskriminierende Zusatzbezeichnungen verwandt werden, die etwa aus den Namen der jeweiligen Vorsitzenden bestehen können. Dann sind Rechte und Pflichten aber auch Anträge und Meinungsäußerungen eindeutig einer der beiden Beteiligten zuzuordnen.

24

Solche Maßnahmen liegen im Zuständigkeitsbereich des Rates, der umfassend für sein Organisationsrecht zuständig ist und in diesem Rahmen Maßnahmen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der Grundrechte etwaiger Rechtsträger auch ergreifen darf (vergl. OVG Lüneburg, Urt. v. 30.11.1993, 10 L 5279/91, Rathaus und Recht, 6/2004, S. 1).

25

Die Erforderlichkeit und Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme ergibt sich aus der analogen Anwendung von § 2 Abs. 3 GO Landtag. Danach ist die Entscheidung des Landtages herbeizuführen, wenn Fraktionsbezeichnungen zu Missdeutungen Anlass geben können. Zwar ist der Gemeinderat kein Parlament, sondern ein Kollegialorgan. Dennoch ist hier ein Vorgehen wie im Landtag zur vorläufigen Regelung angebracht, weil der gleiche Regelungsbedarf gegeben ist.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Janssen
Riemann
Ahrens