Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 18.05.2017, Az.: 8 B 94/17
Drittschutz; Dublin-Verfahren; Wiederaufnahmebereitschaft; Wiederaufnahmegesuch
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 18.05.2017
- Aktenzeichen
- 8 B 94/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 53908
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 29 AsylVfG
- Art 23 Abs 3 EUV 604/2013
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Auf den Zuständigkeitsübergang wegen Ablaufs der Frist des Art. 23 Abs. 3 Dublin III-Verordnung kann sich der Asylsuchende nicht berufen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Asylantrag in dem anderen Mitgliedstaat bereits abgelehnt wurde und der andere Mitgliedstaat darum gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-Verordnung zur Wiederaufnahme des Asylsuchenden verpflichtet ist (vgl. EuGH, Urt. v. 07.06.2016 - C-1565/15 (Karim); vgl. EuGH Urt. v. 07.06.2016 - C-63/15 (Ghezelbash), vgl. BVerwG, Urt. v. 09.08.2016 - 1 C 6/16 -, juris, Rn. 22 f.; Anschluss VG Hannover, Beschl. v. 12.09.2016 - 1 B 4090/16 -, juris).
Gründe
I.
Der Antragsteller, pakistanischer Staatsangehöriger, Volkszugehöriger der Panschabi und Angehöriger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft, hatte zunächst für den 3. November 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Termin zum persönlichen Gespräch gemäß Art. 5 Dublin III-Verordnung (Erstbefragung) erhalten. Zu diesem Termin erschien der Antragsteller nicht.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 teilte die zuständige Ausländerbehörde dem Bundesamt mit, der Antragsteller habe sich bis zum Herbst 2015 in der ihm in der Stadt B. zugewiesenen Flüchtlingsunterkunft aufgehalten. Dort sei er aber mittlerweile abgemeldet worden, nachdem er dort etwa zwei Monate lang nicht mehr gesehen worden sei.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2016 teilte die Ausländerbehörde dem Bundesamt mit, der Antragsteller halte sich seit dem 6. Mai 2016 wieder in B. auf. Er habe bei der Vorsprache angegeben, in den vergangenen Monaten in Belgien gewesen zu sein, wo er auch einen Asylantrag gestellt habe.
Mit einem dem Bundesamt am 3. August 2016 zugegangenen Schreiben bat der Antragsteller um einen neuen Termin zur erkennungsdienstlichen Behandlung.
Mit Schreiben vom 14. März 2017 lud das Bundesamt den Antragsteller auf den 21. März 2017. Eine ebenfalls am 14. März 2017 durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab zwei Treffer der Kategorie 1 für Belgien (BE1870101059686 sowie BE1870103088004).
Am 21. März 2017 erschien der Antragsteller zum anberaumten Termin beim Bundesamt und stellte einen förmlichen Asylantrag. In der Befragung gab er an, sein Herkunftsland erstmalig im Frühsommer 2011 verlassen zu haben, mit einem Schengen-Visum nach Italien geflogen und von dort mit dem Zug nach Belgien gereist zu sein. Dort habe er sich zwischen 2011 und 2015 aufgehalten. Am 9. Januar 2015 sei er nach Deutschland gereist, wo ihm Fingerabdrücke abgenommen worden seien und ihm mitgeteilt worden sei, er werde nach Belgien abgeschoben werden. Nach einem Aufenthalt von 10 Monaten sei er darum nach Belgien zurückgekehrt. In Belgien habe er insgesamt zweimal einen Asylantrag gestellt, die beide abgelehnt worden seien. Dorthin wolle er darum nicht überstellt werden, sondern in Deutschland bleiben. In Deutschland würden die Asylanträge der Ahmaddiyya anders als in Belgien anerkannt. Zudem habe er einen Cousin, der bei Frankfurt lebe. Seine Frau und seine Kinder seien nach wie vor in Pakistan, wo sie gefährdet seien.
Am 24. März 2017 richtete das Bundesamt unter Angabe der für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung an Belgien.
Die belgischen Behörden lehnten ihre Zuständigkeit nach der Dublin III-Verordnung zunächst mit Schreiben vom 29. März 2017 ab. Zwar habe der Antragsteller am 20. Juni 2011 und am 15. Oktober 2015 Asylanträge in Belgien gestellt, die am 24. November 2011 bzw. am 4. Dezember 2015 abgelehnt worden seien. Es lägen aber nicht genügend Informationen vor, um zu prüfen, ob Belgien nach wie vor der zuständige Mitgliedstaat sei. Die Zuständigkeit Belgiens könne zwischenzeitlich insbesondere nach Art. 19 Abs. 1 oder Abs. 2 Dublin III-Verordnung auf einen anderen Mitgliedstaat übergegangen sein.
Das Bundesamt informierte die belgischen Behörden mit Schreiben vom 30. März 2017, der Antragsteller habe angegeben, sich in Belgien aufgehalten zu haben, bis er im März 2016 nach Deutschland gereist sei. Mit den deutschen Behörden sei er erst am 29. April 2016 zum ersten Mal in Kontakt getreten. Einen Asylantrag habe er am 14. März 2017 gestellt; erst zu diesem Zeitpunkt seien dem Antragsteller auch Fingerabdrücke abgenommen worden. Aufgrund dieser weitergehenden Informationen nahmen die belgischen Behörden das Wiederaufnahmeersuchen mit Schreiben vom 3. April 2017 an.
Mit Bescheid vom 4. April 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragsteller als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Belgien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Hiergegen hat der Antragsteller am 18. April 2017 Klage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er macht geltend, die Zuständigkeit zur Durchführung sei gemäß Art. 23 Abs. 3 Dublin III-Verordnung wegen eines verspätet gestellten Wiederaufnahmegesuchs auf Deutschland übergangen; jedenfalls habe Deutschland aufgrund der überlangen Verfahrensdauer sein Selbsteintrittsrecht auszuüben.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit §§ 34a Abs. 2, 75 Abs. 1 AsylG zulässig, aber nicht begründet.
Bei der vom Gericht zu treffenden Entscheidung, ob es gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnet, sind die einander widerstreitenden beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen. Dabei sind der Zweck des Gesetzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens besondere Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren sind, desto geringer sind die an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellenden Anforderungen. Das öffentliche Interesse wiegt demgemäß umso schwerer, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 158 m.w.N.). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zudem die Grundentscheidung des Gesetzgebers aus § 75 Abs. 1 AsylG zu beachten, wonach Klagen gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz - außer in den dort genannten Fällen - keine aufschiebende Wirkung entfalten.
Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechts-schutzes keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid erweist sich als rechtmäßig. Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass der Asylantrag des Antragstellers unzulässig ist (1.) und auf dieser Grundlage die Abschiebung nach Italien angeordnet (2.).
1. Ein Asylantrag ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
a) Hier ist Belgien nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin III-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und zur Übernahme des Antragstellers verpflichtet.
Dabei kann offen bleiben, ob aufgrund der Angaben des Antragstellers, zunächst mit einem Schengen-Visum nach Italien gereist zu sein, ursprünglich Italien bzw. der das Schengen-Visum ausstellende Mitgliedstaat gemäß Art. 12 Abs. 1 oder 2 Dublin III-Verordnung zuständig war, oder ob die Zuständigkeit im Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung durch den Antragsteller bereits gemäß Art. 12 Abs. 4 UAbs. 2 Dublin III-Verordnung auf Belgien übergegangen war, weil das dem Antragsteller erteilte Visum bei Antragstellung in Belgien mehr als sechs Monate zuvor abgelaufen war. Auch kann offen bleiben, ob die Angaben des Antragstellers, er habe bei seiner Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten ein Schengen-Visum besessen, zutreffen, oder ob er tatsächlich illegal eingereist ist, so dass sich die Zuständigkeit nach Art. 13 Dublin III-Verordnung richten würde.
Denn jedenfalls ist Belgien gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zuständig geworden. Danach kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Ob dieses Selbsteintrittsrechts tatsächlich ausgeübt wird, ergibt sich aus dem Willen des betreffenden Mitgliedstaats, hier Belgien. Einen konkludenten Selbsteintritt wird man insbesondere dann annehmen können, wenn der Mitgliedstaat bereits eine erstinstanzliche Entscheidung über den Antrag getroffen hat (Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand: 1.2.2014, Art. 17, Rn. K12.). Das ist hier der Fall. Belgien hat bereits zweimal sachlich über einen Asylantrag des Antragstellers entschieden und damit seine Zuständigkeit jedenfalls konkludent anerkannt.
b) Ob die Zuständigkeit - objektiv - gemäß Art. 24 Abs. 3 Dublin III-Verordnung zwischenzeitlich auf Deutschland übergegangen ist, kann dahinstehen (dazu aa)); denn jedenfalls könnte sich der Antragsteller auf einen solchen Zuständigkeitsübergang nicht berufen (bb)).
aa) Ein Zuständigkeitsübergang findet nach Art. 24 Abs. 3 Dublin III-Verordnung dann statt, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Art. 9 Abs. 5 der Eurodac -Verordnung gestellt wird; in den Fällen, in denen sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System stützt, beträgt die Frist drei Monate und beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf internationalen Schutz i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-Verordnung gestellt wurde.
Maßgeblich ist nach Vorstehendem für den Fristbeginn hier grundsätzlich der laut den Verwaltungsvorgängen am 14. März 2017 erzielte Eurodac-Treffer. Der Zeitpunkt der Antragstellung i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-Verordnung wäre demgegenüber nach dem Wortlaut der Vorschrift nur dann relevant, wenn sich das Wiederaufnahmegesuch „auf andere Beweismittel als Angaben als Angaben aus dem Eurodac-System“ stützt.
Ob dies allerdings auch dann gelten kann, wenn im Zeitpunkt der Eurodac-Treffermeldung bzw. des Wiederaufnahmegesuchs die gemäß Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-Verordnung geltende Dreimonatsfrist ab Antragstellung bereits abgelaufen ist, kann nicht nur im Rahmen der Fristenregelung in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-Verordnung, mit der sich der vom Antragsteller angeführte Beschluss des VG Minden Beschl. v. 22.12.2016 - 10 K 5476/16.A, juris, Rn. 30) befasst, sondern - trotz der anderslautenden Formulierung - auch im Rahmen des Art. 23 Abs. 1 Dublin III-Verordnung in Frage gestellt werden. Für ein Verständnis dieser Fristenregelungen, wonach ein später erzielter Eurodac-Treffer für die Fristberechnung unmaßgeblich ist, wenn die ab Antragstellung laufende Frist bereits verstrichen ist, spricht insbesondere, dass die Eurodac-Verordnung (VO (EU) Nr. 603/2014) in Art. 9 Abs. 1 eine enge zeitliche Verbindung zwischen Antragstellung und Eurodac-Abfrage bzw. -Treffermeldung herstellt. Denn dort wird angeordnet, dass die Fingerabdruckdaten „so bald wie möglich, spätestens aber 72 Stunden nach Antragstellung gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 [Dublin III-Verordnung] an das Zentralsystem“ übermittelt werden. Vor diesem Hintergrund erschiene es als Widerspruch, wenn dem ersuchenden Mitgliedstaat ermöglicht würde, durch eine - unter Verstoß gegen die Vorgaben der Eurodac-Verordnung - deutlich verspätete Eurodac-Abfrage die Frist zur Stellung des Wiederaufnahmegesuchs praktisch unbegrenzt hinauszuzögern.
Bei einem solchen Verständnis der Fristenregelung des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung käme es somit darauf an, wann der Antragsteller einen Antrag i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-Verordnung gestellt hätte. Zwar kommen auch im hier zu entscheidenden Fall verschiedene Zeitpunkte in Betracht (vgl. dazu ausführlich VG Minden, v. 22.12.2016 - 10 K 5476/16.A, juris. Rn. 32 ff.), was unter Umständen zu der Annahme führen könnte, dass das Wiederaufnahmeversuch verspätet gestellt wurde.
bb) Die Frage, wann der Antragsteller hier seinen Antrag i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-Verordnung gestellt hat - ob mit Zugang der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender beim Bundesamt (vgl. VG Münster, Beschl. v. 11.1.2017 - 8 L 1597/16.A -, juris, Rn. 12), oder mit dem Schreiben des Antragstellers an das Bundesamt vom 3. August 2016, mit dem er um erkennungsdienstliche Behandlung bat, oder ob der Antrag erst mit der förmlichen Stellung des Asylantrags am 21. März 2017 als gestellt galt, kann hier gleichwohl dahinstehen, weil sich der sich der Antragsteller auf einen nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-Verordnung bewirkten Zuständigkeitsübergang nicht berufen könnte.
Zwar hat der EuGH in der Rechtssache „Ghezelbash“ (Urt. v. 7.6.2016 - C-63/15, juris) entschieden, dass „insbesondere“ die originären Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels III der Dublin III-Verordnung (auch) individualschützenden Charakter haben und damit grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass auch weiteren Vorschriften der Dublin III-Verordnung ein solcher Gehalt zukommen kann. In der Rechtssache „Karim“ (Urt. v. 7.6.2016 - C-155/15 -, juris) hat der EuGH auch der Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung (Kapitel IV) einen solchen individualschützenden Gehalt zuerkannt.
Der EuGH hat indes gerade nicht sämtlichen Vorschriften der Dublin III-Verordnung individualschützenden Charakter zugesprochen, sondern vielmehr formuliert, „im Übrigen“, d. h. außerhalb der Vorschriften des Kapitels III, beruhe die Anwendung der Dublin III-Verordnung „im Wesentlichen auf der Durchführung eines Verfahrens zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaats“ (EuGH, Urt. v. 7.6.2016 - C-155/15 (Karim) -, juris, Rn. 23). Den drittschützenden Charakter der - außerhalb des Kapitels III in Kapitel IV befindlichen - Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung hat der EuGH dementsprechend mit dem konkreten Regelungsgehalt dieser Vorschrift begründet, der dazu führt, dass das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats neu und unter Anwendung der - drittschützenden Kriterien - des Kapitels III der Dublin III-Verordnung - durchzuführen ist, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige nach der einem ersten Antrag in einem Mitgliedstaat das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat (EuGH, Urt. v. 7.6.2016 - C-155/15 (Karim) -, juris, Rn. 24 f.).
Anderen Vorschriften der Dublin III-Verordnung kann - auch und gerade unter Berücksichtigung dieser EuGH-Rechtsprechung - ein drittschützender Gehalt keineswegs generell zugesprochen werden (ausführlich dazu s. VG Hannover, Beschl. v. 12.9.2016 - 1 B 4090/16 -, juris). Vielmehr ist jeweils konkret zu prüfen, inwiefern die jeweilige Vorschrift (auch) Interessen des Antragstellers dient. Dabei sind die unterschiedlichen Schutzzwecke der Dublin III-Verordnung zu berücksichtigen. Ein drittschützender Gehalt einer Vorschrift kann insbesondere dann bejaht werden, wenn die Situation eines „refugee in orbit“ droht. Den außerhalb des Kapitels III der Dublin III-Verordnung geregelten Fristen kann darum dann ein drittschützender Gehalt zukommen, wenn die (Wieder-)aufnahmebereitschaft des anderen Mitgliedstaats nicht positiv feststeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.8.2016 - 1 C 6/16 -, juris, Rn. 22 f.). Gegen einen drittschützenden Gehalt kann demgegenüber sprechen, dass dies im Hinblick auf die konkret in Frage stehende Vorschrift zu einem „forum shopping“ führen würde, also zu einem Zustand, in dem sich der Antragsteller den zuständigen Mitgliedstaat nach seinem Belieben aussuchen kann, was durch die Dublin III-Verordnung gerade unterbunden werden soll (EuGH, Urt. v. 7.6.2016 - C-63/15 (Ghezelbash) -, juris, Rn. 54; VG Minden, Beschl. v. Beschl. v. 22.1.2.2016 - 10 K 5476/16.A -, juris, Rn. 36).
Nach diesen Vorgaben kann sich der Antragsteller hier nicht auf einen etwaigen Zuständigkeitsübergang gemäß Art. 23 Abs. 3 Dublin III-Verordnung von Belgien auf Deutschland berufen.
Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Fristenregelung, der als solcher nur ein verfahrensrechtlicher Gehalt zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaats zukommt und damit lediglich das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten betrifft. Könnte sich ein Asylbewerber auf den etwaigen Ablauf der Frist für das Wiederaufnahmegesuchen berufen, würde dies zum forum shopping ermutigen, weil sich der Asylbewerber nach seinem Belieben durch seine Ausreise in einen anderen Mitgliedstaat die Chance eines Zuständigkeitsübergangs verschaffen könnte (VG Hannover, Beschl. v. 12.9.2016 - 1 B 4090/16 -, juris; VG Stade, VG Stade, Beschl. v. 2.1.2017 – 6 B 3225/16 -; VG Lüneburg, Beschl. v. 9.2.2017 - 8 B 11/17 -; so auch VG Minden, Beschl. v. 22.1.2.2016 - 10 K 5476/16.A -, juris, Rn. 46).
Eine individualschützender Gehalt kann hier auch nicht aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls daraus abgeleitet werden, dass sich aufgrund eines Streits über die Fristenregelung weder Belgien noch Deutschland als unzuständig ansehen würden und so die Situation eines „refugee in orbit“ drohen würde. Denn die Übernahmebereitschaft Belgiens steht hier positiv fest.
Schließlich würde hier die Annahme eines individualschützenden Gehalts des Art. 23 Abs. 3 Dublin III-Verordnung Sinn und Zweck des Dublin III-Verordnung in besonderem Maße unterlaufen. Der Asylantrag des Antragstellers ist in Belgien bereits zweimal i. S. d. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung sachlich ablehnend beschieden worden. Würde auch dem abgelehnten Antragsteller nach Abschluss seines Asylverfahrens die Möglichkeit gegeben werden, durch seine Ausreise aus dem zuständigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat zu übertragen, und sich hierauf zu berufen, würde dies das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens erheblich beeinträchtigen. Denn damit würden - allein aufgrund der Ausreise des Antragstellers - die ablehnenden Asylentscheidungen der belgischen Behörden nachträglich und außerhalb des belgischen Rechtsschutzsystems in Frage gestellt. Auch das Anliegen der Dublin III-Verordnung, eine Prüfung jedes Asylantrages sicherzustellen und Mehrfachprüfungen in verschiedenen Mitgliedstaaten durch die vorab vorzunehmende Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zu verhindern, würde damit unterlaufen.
c) Der Zuständigkeit Belgiens steht schließlich auch die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO nicht entgegen. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht deshalb auf Deutschland übergegangen, weil die Überstellung des Antragstellers nach Belgien aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in Belgien ausgeschlossen wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Es obliegt den nationalen Gerichten zu prüfen, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Antragsteller führen, bei einer Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr aufgrund des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist darum nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 -, juris).
Nach diesen Vorgaben sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Vermutung für Belgien widerlegt ist. Sie resultieren insbesondere nicht daraus, dass der Asylantrag des Antragstellers in Belgien abgelehnt worden ist. Es entspricht gerade Sinn und Zweck der Dublin III-Verordnung, eine Prüfung jedes Asylantrages sicherzustellen und Mehrfachprüfungen in verschiedenen Mitgliedstaaten durch die vorab vorzunehmende Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zu verhindern, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 Dublin III-Verordnung (VG Greifswald, Beschl. v. 10.1.2017 – 3 B 2155/16 As HGW –, juris). Auf eine „Zweitprüfung“ des Schutzbegehrens durch das Bundesamt nach erfolglosem Durchlaufen des Asylverfahrens hat ein Asylbewerber keinen Anspruch, wenn es - wie hier - an jedem Anhaltspunkt dafür fehlt, dass das Asylverfahren im nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Staat nach seiner Ausgestaltung oder nach der dortigen Rechtspraxis nicht den unions- oder konventionsrechtlichen Anforderungen genügt (VG Lüneburg, Beschl. v. 17.11.2016 - 8 B 56/16 -; VG Hamburg, Beschl. v. 25.2.2014 - 7 AE 534/14 -, juris (zu Schweden)).
Hinreichende Anhaltspunkte für die Widerlegung der Vermutung der Unions- und Kon-ventionskonformität bestünden selbst dann nicht, wenn die Asylanträge des Antragstellers in Belgien zu Unrecht abgelehnt worden wären. Aufgrund des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens verbietet es sich, das in Belgien durchgeführten Asylverfahren und dessen Ergebnis in Frage zu stellen, zumal dem Gericht die Einzelheiten dieses Verfahrens unbekannt sind. Zudem würde dies auch deshalb keine Anhaltspunkte für systemische Schwachstellen begründen, weil einzelne Rechtsverstöße für sich genommen von vornherein nicht geeignet sind, systemische Schwachstellen zu belegen. Schließlich hätte der Antragsteller in dem Fall, dass seine Anträge aus seiner Sicht zu Unrecht abgelehnt worden wäre, in Belgien um Rechtsschutz nachsuchen können und dies auch tun müssen. Dass ihm dort Rechtsschutz verwehrt worden wäre, ist nicht ersichtlich.
d) Schließlich ist die Bundesrepublik Deutschland auch nicht aufgrund der vom Antragsteller angeführten überlangen Verfahrensdauer verpflichtet, die Zuständigkeit für das Asylverfahrens des Antragstellers im Wege des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung an sich zu ziehen. Dies gilt bereits deshalb, weil das Asylverfahren des Antragstellers bereits vor der Ausreise des Antragstellers nach Deutschland in Belgien abgeschlossen wurde und die weitere, Sinn und Zweck der Dublin-Verordnung widersprechende Fortdauer des Verfahrens allein auf die Ausreise des Antragstellers nach Deutschland zurückzuführen ist.
2. Die Abschiebungsanordnung beruht auf § 34 a AsylG. Danach ordnet das Bundes-amt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, wenn feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Abschiebung muss also zeitnah tatsächlich möglich und rechtlich zulässig sein. Hier sind keine Gründe ersichtlich, die einer zeitnahen Abschiebung entgegenstehen würden.
Belgien hat ausdrücklich seine Bereitschaft zur Übernahme des Antragstellers erklärt. Die Abschiebung scheitert auch nicht am Vorliegen von Duldungsgründen i. S. d. § 60a Abs. 2 AufenthG, deren Prüfung dem Bundesamt aufgrund der Regelung des § 34a AsylG obliegt. Der Antragsteller hat derartige Gründe nicht geltend gemacht und sie sind auch nicht ersichtlich. Schließlich liegen nach dem unter 1. Gesagten auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse vor.