Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.10.2010, Az.: 15 V 340/10

Rechtsmittel gegen den Antrag des Finanzamts auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens; Zweifel an der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners als Insolvenzgrund bei Rückständen in nur geringer Höhe; Ergehen einer endgültigen Regelung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
27.10.2010
Aktenzeichen
15 V 340/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 35281
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2010:1027.15V340.10.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 28.02.2011 - AZ: VII B 224/10

Fundstelle

  • ZInsO 2011, 587-590

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Anträge des Finanzamts auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens können vor dem FG im Wege einstweiligen Rechtsschutzes überprüft werden.

  2. 2.

    Ein auf einen Rückstand in geringer Höhe gestützter Antrag ist ermessensfehlerhaft und lässt Zweifel an der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners aufkommen.

  3. 3.

    Eine endgültige Regelung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann ausnahmsweise ergehen, wenn die wirtschaftliche Existenz des Schuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unmittelbar bedroht ist

Gründe

1

I.

Der Antragsteller erzielt Einkünfte aus einer gewerblichen Zimmervermietung. Im Anschluss an eine Außenprüfung geriet er mit Einkommensteuer- und USt-Zahlungen zzgl. Nebenleistungen in Rückstand. Es handelte sich zunächst um Steuerfestsetzungen für die Jahre 2005 - 2008. Die vollstreckbaren Rückstände betrugen nach einer Aufstellung v. 2.9.2009 57.472,19 EUR.

2

Das Finanzamt (FA) brachte folgende Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aus: am 2.9.2009 über den Gesamtbetrag von 57.495,59 EUR gegenüber der Kreissparkasse xxx am 5.10.2009 über den Betrag von 64.780,40 EUR gegenüber der xxx Bank, am 1.12.2009 gegenüber der Sparkasse xxx den Betrag 65.023,95 EUR, am 1.12.2009 gegenüber der Zweckverbandssparkasse xxx über den Betrag von 65.027,40 EUR.

3

Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gingen ins Leere, weil die gepfändeten Konten entweder nur ein geringfügiges Guthaben aufwiesen oder es überhaupt an einer Geschäftsbeziehung zwischen Drittschuldnerin und Antragsteller fehlte.

4

Ferner überprüfte das FA, ob die Ablösung eines Kredite i.H.v. 24.224,89 EUR zzgl. Zinsen zum 30.9.2009, den der Antragsteller für den Ankauf eines Pkw Porsche Cayenne unter Eigentumsvorbehalt, bei der xxx aufgenommen hatte, in Betracht kommen könnte, um im Wege einer Pfändung und Verwertung des Pkw Steuerforderungen zu realisieren. Aufgrund des Gutachtens eines Kfz-Sachverständigen zum Bewertungsstichtag v. 23.12.2009, der einen Händlereinkaufswert von netto 22.478,99 EUR ermittelte und einen Händlerverkaufswert von 27.184,87 EUR verfolgte das FA diese Verwertungsmöglichkeit nicht weiter.

5

Das FA stellte ein Kontenabrufersuchen nach §§ 93, 93b AO an das Bundeszentralamt für Steuern. Nach der Auskunft v. 13.11.2009 war der Antragsteller nicht Kontoinhaber weiterer Konten über die Konten hinaus, für die das FA bereits Pfändungs- und Einziehungsverfügungen ausgebracht hatte.

6

Einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung und einen Antrag auf Stundung lehnte das FA mit Bescheid v. 15.10.2009 und 22.10.2009 bzw. 18.12.2009 als unbegründet ab. Die hiergegen erhobenen Einsprüche blieben erfolglos. Die Einspruchsbescheide wurden bestandskräftig.

7

Das FA brachte ferner anlässlich eines Besuchs des Vollziehungsbeamten am 1.10. Sachpfändungen für einen Laptop sowie einen Fernseher aus, die jedoch in der Folgezeit wieder aufgehoben wurden.

8

Anlässlich eines Gesprächs des Bevollmächtigten des Antragsteller und Vertretern des FA wurde am 19.1.2010 eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen. Danach sollte der Antragsteller den Zahlungspflichten für neu festgesetzte Einkommensteuer-Vorauszahlungen nachkommen und die USt nach ordnungsgemäßer Buchhaltung quartalsweise zeitnah begleichen. Ferner wurde die Zahlung einer monatlichen Rate von 1.000 EUR sowie die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vereinbart. Nach einer handschriftlichen Notiz v. 20.1.2010 sollte der Antragsteller Zahlungen von 1.000 EUR alle 14 Tage leisten. Wegen der Einzelheiten der Vereinbarung wird auf Bl. 210, 213, 214 der Vollstreckungsakte Bd. I Bezug genommen.

9

Der Antragsteller gab am 1.2.2010 die eidesstattliche Versicherung ab. Wesentliches pfändbares Vermögen ergab sich daraus nicht.

10

Nach einer Aufstellung der vollstreckbaren Rückstände v. 21.7.2010 betrugen die vollstreckbaren Rückstände noch 42.548,39 EUR. Nach einem Vermerk der Vollstreckungsstelle hatte der Antragsteller die vereinbarten 14-tägige Raten auf den Betrag von 500 EUR reduziert. Das FA stellte ferner fest, dass zugunsten des Antragstellers eine luxemburgische Lebensversicherung bestand, die aus dem anlässlich der eidesstattlichen Versicherung abgegebenen Vermögensverzeichnis nicht ersichtlich war. Das FA nahm den Rückkaufswert der Lebensversicherung mit einem Betrag von ca. 500 EUR an. Ferner bezog das FA noch in seine Überlegungen ein, dass zugunsten des Antragstellers möglicherweise ein Schmerzensgeldanspruch aufgrund einer Messerstecherei bestehen könnte, von dem jedoch nicht ersichtlich sei, in welcher Höhe dieser schwer zu beziffernde Anspruch realisierbar sei.

11

Das FA stellte am 22.7.2010 beim AG Göttingen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens - 74 IN 174/10. In der Anhörung zum Insolvenzverfahren wies der Antragsteller darauf hin, dass er nunmehr die Gewinnermittlung für 2007 vorlegen könne, die einen Verlust ausweise und zur Herabsetzung der Einkommensteuer 2007 und einem Erstattungsanspruch führen werde. Ferner sei auch im Rahmen eines Einspruchsverfahrens die Einkommensteuer für 2008 herabzusetzen. Tatsächlich erteilte das FA am 11.8.2010 für den Veranlagungszeitraum 2007 einen Bescheid über die, Aussetzung der Vollziehung betreffend Einkommensteuer 2007 in Höhe eines Teilbetrags von insgesamt 8.552,64 EUR.

12

Am 28.9.2010 ging bei Gericht ein Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 114 FGO ein, mit dem der Antragsteller begehrt, das FA zur Rücknahme des Antrags auf Insolvenzeröffnung zu verpflichten. Er sei zahlungswillig und im Rahmen seiner Möglichkeiten auch zahlungsfähig. Dies bedeute, dass er monatlich eine Rate von 1.000 EUR leisten könne. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei ermessensfehlerhaft und deshalb rechtswidrig, weil er nur der Existenzvernichtung des Steuerpflichtigen dienen solle. Die Ermessensfehlerhaftigkeit beruhe insbesondere darauf, dass sich die Steuerrückstände im Zuge von Einspruchsverfahren kurzfristig drastisch reduzieren würden. Dies sei bereits daraus ersichtlich, dass die vollstreckbaren Rückstände zum 26.8.2010 nur noch 34.441,40 EUR betragen hätten. Er werde baldmöglichst auch die Steuererklärungen für 2009 abgeben, aus denen sich nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse keine Einkommensteuer und eine kleine Erstattung bei der USt ergeben werde. Weitere Gläubiger als das FA habe er nicht.

13

Er besitze kein weiteres Vermögen, sodass die Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse wahrscheinlich sei.

14

Der Antragsteller beantragt,

den Beklagten im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, gestellt beim AG Göttingen unter dem Az. 74 IN 174/10, über sein Vermögen zurückzunehmen.

15

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

16

Nach einer Aufstellung v. 14.10.2010 betrügen die vollstreckbaren Rückstände 34.264,61 EUR. Dabei sei eine einvernehmliche Regelung über die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 in den anhängigen Einspruchsverfahren getroffen worden: die in dieser Aufstellung bereits ihren Niederschlag gefunden habe. Eine weitere Minderung der vollstreckbaren Rückstände sei deshalb nichts zu erwarten.

17

Es sei darauf hinzuweisen, dass dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorausgegangen seien. Nach der Vereinbarung v. 19.1.2010 habe der Antragsteller bei Zahlung einer 14-tägigen Rate i.H.v. 1.000 EUR seine Rückstände und seine laufenden steuerlichen Verpflichtungen tilgen sollen. Diese Bedingungen habe er nicht erfüllt. Das FA habe mit Einspruchsbescheid v. 13.7.2010 eine weitere Aussetzung der Vollstreckung abgelehnt.

18

Das FA sei als Gläubiger der bestehenden Abgabenrückstände berechtigt, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Die vollstreckbaren Rückstände beruhten im Wesentlichen auf bestandskräftigen Steuerfestsetzungen, im vorliegenden Fall sei von der Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers auszugehen, nämlich von seinem dauernden Unvermögen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden zu berichtigen. Mindestens könne der Antragsteller in einem Zeitraum von 6 Monaten seine Rückstände nicht begleichen. Auf eine bestehende mögliche Zahlungswilligkeit komme es deshalb nicht an. Ein weiterer Vollstreckungsaufschub hätte einen nicht absehbaren Tilgungszeitraum und ein anwachsen der Abgabenrückstände durch laufend fällig werdende Beträge zur Folge gehabt.

19

Ob eine die kostendeckende Insolvenzmasse vorhanden sei, sei nicht durch das FA, sondern durch das Insolvenzgericht zu entscheiden.

20

II.

1.

Der Antrag, das FA im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO zu verpflichten, den beim AG Göttingen gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers zurückzunehmen, ist zulässig.

21

Insbesondere ist der Finanzrechtsweg eröffnet. Unabhängig davon, dass gegen den Eröffnungsbeschluss und gegen die Abweisung des Insolvenzantrags Rechtsmittel zu den ordentlichen Gerichten gegeben sind (§§ 34 Abs. 2, 6 und 7 InsO) gehört die Rechtsfrage, ob das FA im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit eine fehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen hat, in die Zuständigkeit der FG (Urteil des BFH v. 19.12.1989 - VII R 30/89, BFH/NV 1990, 710).

22

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch im Hinblick auf § 114 Abs. 5 FGO statthaft. Denn bei dem durch das FA gestellten Insolvenzantrag handelt es sich nach Auffassung des Senats nicht um einen Verwaltungsakt, weil der Antrag selbst keine unmittelbare nach außen gerichtete Rechtswirkung entfalte. Durch den Antrag selbst wird nämlich noch keine Regelung getroffen, vielmehr soll eine Regelung durch das AG - nämlich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens - herbeigeführt werden ( Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 251 AO Tz. 18 m.w.N. und Urteil des BFH v. 19.12.1989 - VII R 30/89, a.a.O.). Dementsprechend kommt als vorläufiger Rechtsschutz für das auf Rücknahme des Insolvenzantrags gerichtete Begehren des Antragstellers die einstweilige Anordnung und nicht ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO in Betracht.

23

2.

Der Antrag ist begründet.

24

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (sog. Regelungsanordnung) nach § 114 Abs. 1 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 1 und 2 ZPO setzt voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden.

25

a)

Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil die Antragstellung durch das FA am 22.6.2010 unter Abwägung aller den Sachverhalt kennzeichnenden Gesichtspunkte nicht als ermessenfehlerfrei anzusehen ist.

26

Die Entscheidung des FA, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, ist als Vollstreckungsmaßnahme in das pflichtgemäße Ermessen des FA gestellt. Damit ist den Finanzbehörden ein nicht bis zum letzten nachprüfbarer Ermessensbereich zugewiesen. Die Entscheidung ist gem. § 102 FGO gerichtlich nur darauf überprüfbar, ob der Antrag deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (Beschluss des BFH v. 11.12.1990 - VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787). Im vorliegenden Fall ist ein Ermessensfehler anzunehmen.

27

aa)

Nach §§ 16, 17 InsO kann das Insolvenzverfahren bei Zahlungsunfähigkeit eröffnet werden. Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist dabei das auf den Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden zu berichtigen (Beschluss des BFH v. 23.7.1985 - VII B 29/85, BFH/NV 1986, 41, 43 m.w.N.).

28

Im vorliegenden Fall bestehen schon Zweifel daran, dass Zahlungspflichten wie vom FA im Insolvenzantrag genannt von 42.548,39 EUR nach der Aussetzung der Vollziehung gemindert um 8.562,64 EUR, fällig waren.

29

Die protokollierte Vereinbarung v. 19.1.2010 enthält weder einen Widerrufsvorbehalt für den Fall des Abweichens von der Ratenzahlungsvereinbarung durch den Antragsteller, die das FA berechtigt hätte, den Widerruf der Vereinbarung v. 19.1.2010 auszusprechen und damit die rückständigen Beträge wieder fällig zu stellen, noch wurde diese Vereinbarung unter einer auflösenden Bedingung, etwa des Inhalts getroffen, dass im Fall der Zahlungsverzögerung oder verringerter Ratenzahlung die Wirkung des Rechtsgeschäfts hier der Vereinbarung v. 19.1.2010 - endet und mit diesem Zeitpunkt der frühere Rechtszustand wieder eintritt. Der Antragsteller war im Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dieser Vereinbarung allenfalls mit Raten i.H.v. 3 × 1000 EUR (Mai - Juli 2010) in Rückstand. Ein vollstreckbarer Rückstand in derart geringer Höhe lässt aber den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als ermessensfehlerhaft erscheinen.

30

Ferner bestehen Zweifel an der Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzgrund, auf den das FA seinen Antrag v. 22.7. gestützt hat, weil der Antragsteller tatsächlich weitere Ratenzahlungen nach Auskunft des FA in der Zeit von Mai - August i.H.v. 500 EUR alle 14 Tage geleistet hat. Im September 2010 sind nach fernmündlicher Auskunft des FA noch weitere 299 EUR und am 5.10. 658,30 EUR geflossen. Es handelt es dabei jedenfalls noch um nennenswerte Ratenzahlungen, die nicht zwingend den Schluss zulassen, dass der Antragsteller gänzlich zahlungsunfähig sei. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weitere Gläubiger des Antragstellers nicht bekannt sind, die den Antragsteller im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch nehmen.

31

Aus alledem folgt, dass eine Zahlungsunfähigkeit nicht anzunehmen ist. Das FA hat jedenfalls keine Ermessenerwägungen dazu angestellt, warum Zahlungsfähigkeit anzunehmen ist, obwohl der Schuldner seine Zahlungen noch nicht eingestellt hat. Denn er hat auch mit der Zahlung von 1.000 EUR monatlich in den Monaten Mai - August 2010, 299 EUR im September und 658,30 EUR im Oktober 2010 erhebliche Beträge geleistet.

32

bb)

Als weiterer Insolvenzgrund könnte Oberschuldung nach § 19 InsO anzunehmen sein. Überschuldung liegt gem. § 19 Abs. 2 vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

33

Das FA hat zum einen seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht auf den Insolvenzgrund der Überschuldung gestützt. Es hat zudem keine Ausführungen dazu gemacht; ob und ggf. aus welchen Gründen im vorliegenden Fall ein Insolvenzgrund in Gestalt der Überschuldung i.S.d. § 19 InsO gegeben ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nur ein anderer Gläubiger des Antragstellers die den Pkw finanzierende Bank - bekannt ist, deren Forderungen der Antragsteller offenbar laufend begleicht. Dieser Kreditverbindlichkeit bei der Baden-Württembergischen Bank von ca. 24.000 EUR steht zudem der Wert des Pkw gegenüber, den der vom FA beauftragte Sachverständige mit dem Betrag von ca. 22.500 EUR ermittelt hat, sodass aus diesem Grund auch nicht von einer Überschuldung des Antragstellers auszugehen wäre.

34

b)

Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor.

35

Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe "wesentliche Nachteile" und "drohende Gewalt" setzen den Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob ein Grund i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO gegeben ist. Danach kommt eine einstweilige Anordnung grds. nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei der Vollstreckung zu erwarten sind. Solche existenzbedrohenden, wesentlichen Gründe sind im Streitfall darin zu sehen, dass die, wirtschaftliche Existenz des Antragstellers durch die Eröffnung des vom FA beantragten Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen unmittelbar bedroht ist.

36

Die drohende Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, die einem Vollstreckungsschuldner jede wirtschaftliche Handlungsmöglichkeit nimmt, weil gem. § 80 InsO ein Verwaltungs- und Verfügungsverbot zulasten des Vollstreckungsschuldners eintritt, stellt einen solchen wesentlichen Nachteil dar.

37

Dem Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung steht auch nicht entgegen, dass hierdurch die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.

38

Zwar widerspricht ein solches Rechtsschutzziel grds. der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes. Denn eine Regelungsanordnung darf nach st. Rspr. grds. nur eine einstweilige Regelung enthalten und das Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen oder diesem endgültig vorgreifen ( Gräber, FGO, § 114 Anm. 66 m.w.N. zur Rechtsprechung). Ausnahmsweise kann jedoch eine die endgültige Regelung vorwegnehmende Anordnung erfolgen, wenn Rechtsschutz auf andere Weise nicht zu erlangen ist und die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu unerträglichen Folgen für den Antragsteller führen würde ( Gräber, a.a.O., § 140 Anm. 69 m.w.N. zur Rechtsprechung).

39

Der Senat hält die Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache für zulässig, da anderenfalls kein effektiver Rechtsschutz durch die Finanzgerichtsbarkeit gewährt werden könnte. Denn nach Ergehen des Eröffnungsbeschlusses durch das AG werden vollendete Tatsachen geschaffen, die in einem Hauptverfahren nicht korrigierbar und im Hinblick auf die einschneidenden Folgen der Vollstreckungsmaßnahme oder effektiven Rechtsschutz nicht hinnehmbar sind. Denn nach § 13 Abs. 2 InsO kann der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur zurückgenommen werden, bis das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag rechtskräftig abgewiesen ist. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll nach dem Willen des Gesetzgebers im Interesse der Rechtssicherheit die Eröffnung des Verfahrens wegen ihrer Wirkungen gegenüber Dritten durch die Rücknahme des Antrags nicht mehr infrage gestellt werden können; nicht erforderlich ist es, dass der Beschluss über die Verfahrenseröffnung rechtskräftig ist. Die Möglichkeit der Rückgängigmachung des Verfahrens und seiner Wirkungen entfällt daher mit dem Wirksamwerden des Eröffnungsbeschlusses (Urteil des BFH v. 19.12.1989 - VII R 30/89, a.a.O.). Zudem ist das FA nicht gehindert, erneut einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.

40

Dem Antrag war nach alledem zu entsprechen.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; der Antragsgegner ist der unterlegene Beteiligte.