Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 26.05.2004, Az.: 1 A 219/02

Allergietest; Aufwendungen; Beihilfe; Beihilfefähigkeit; IgT-Antikörperbestimmung; Lebensmittelallergie; Lebensmittelallergietest

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
26.05.2004
Aktenzeichen
1 A 219/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50602
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die IgG-Bestimmung ist im Gegensatz zur IgE-Bestimmung keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode zur Austestung einer Lebensmittelallergie.

Tatbestand:

1

Der Kläger, der Kommunalbeamter im Dienst der Beklagten ist, begehrt Beihilfe für eine Lebensmittelallergietestung im Wege der Immunglobulin G(IgG) - Antikörper-Bestimmung bei sich und seiner Ehefrau.

2

Der am 26. Juli 1938 geborene Kläger litt seit 1991 an einer Hautallergie in Form von zeitlich unregelmäßigem Auftreten großer Hautquaddeln mit zeitweiliger Ausdehnung der Symptome auf den Mundinnenbereich bis hin zum Zuschwellen des Rachens. Die Behandlung der Symptome mit diversen Arzneimitteln führte zu keinem zuverlässigen Erfolg.

3

Die am 16. November 1939 geborene Eherau litt seit August 2000 an einer allergischen Diathese sowie einer chronischen, therapieresistenten Dermatose mit dem Vollbild einer Lebensmittelallergie Typ II und Typ III. Eine ambulante und sodann stationäre im Wesentlichen symptomatische Behandlung veränderte das Krankheitsbild nicht positiv.

4

Auf Veranlassung der Klinik B. führte Dr. C., Facharzt für Allgemeinmedizin, für den Kläger sowie dessen Ehefrau 45mal eine IgG-Bestimmung auf Nativlebensmittel durch.

5

Für die mit Rechnung vom 15. Januar 2001 und Rechnung vom 23. Februar 2001 geltend gemachten Aufwendungen für eine IgG-Bestimmung in Höhe von jeweils 1.494,54 DM beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Beihilfe.

6

Der um Prüfung hinsichtlich der Notwendigkeit und Angemessenheit der in Rechnung gestellten IgG-Bestimmung von dem Beklagten eingeschaltete Amtsarzt kam in zwei Stellungnahmen vom 15. März 2001 bei beiden Rechnungen zu folgendem Ergebnis:

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„Für eine IgG-Bestimmung in diesem Umfang im Zusammenhang mit den angebotenen Diagnosen gibt es zur Zeit keine medizinisch-wissenschaftliche Begründung. Es wird daher empfohlen, die Kosten dieser Diagnostik nicht aus Beihilfemitteln zu erstatten.“

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Mit Beihilfebescheid vom 28. März 2001 lehnte der Beklagte daraufhin unter Hinweis auf die beiden Stellungnahmen des Amtsarztes die Gewährung einer Beihilfe zu beiden IgG-Bestimmungen ab.

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Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein. Zur Begründung verwies er auf ein Attest der Klinik B. vom 11. Juli 2001, in dem die Notwendigkeit der IgG-Bestimmung, die keine Kassenleistung darstelle, bescheinigt und dargelegt wurde.

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Der daraufhin vom Amtsarzt eingeschaltete ärztliche Direktor und Direktor der Abteilung für Innere Medizin des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg, D. kam in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 29. Januar 2002 zu dem Ergebnis, dass die Bestimmung spezifischer IgG-Antikörper gegen Lebensmittelallergien kein eindeutig medizinisch-wissenschaftlich anerkanntes Testverfahren sei. Die Bestimmung spezifischer IgG4-Antikörper auf Nativlebensmittel sei nicht notwendig und angemessen im Sinne der Beihilfevorschriften. Allerdings sei der Umfang der bisherigen allergologischen Diagnostik und allergologischen Anamnese nicht bekannt.

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Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2002 (zugestellt am 2.7.2002) unter Hinweis auf die gutachterlichen Stellungnahmen zurück.

12

Am 24. Juli 2002 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Die durchgeführte Lebensmittelallergietestung sei beihilfefähig. Dem eingeholten Gutachten sei nicht zu entnehmen, dass es überhaupt eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Testung von Lebensmittelallergien gebe. Wenn es eine solche aber noch nicht gebe, könne die hier angewandte Methode nicht ausgeschlossen werden. Auch wenn es andere anerkannte Testmethoden geben sollte, sei dies unerheblich, weil diese von seinen Ärzten nicht angewandt worden seien, sondern die IgG-Methode. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass er selbst seit 1991 diverse Behandlungen ohne Erfolg gehabt habe. Alle durchgeführten Testverfahren seien erfolglos geblieben. Erst nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen sei die IgG-Methode angewandt worden. Seine Frau habe ebenfalls bereits einige Therapien erfolglos hinter sich. Angesichts dessen, dass er bereits über so lange Zeit ohne Erfolg behandelt worden sei, sei ihr nicht zumutbar gewesen, noch weitere, klassische Methoden auszuprobieren. Letztendlich sei zu berücksichtigen, dass die IgG-Bestimmung bei ihm Erfolg gehabt habe.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Beihilfe zu den geltend gemachten Aufwendungen seiner Allergietestung in Höhe von 50 % des Rechnungsbetrages und zu den Aufwendungen der Allergietestung seiner Ehefrau in Höhe von 70 % des Rechnungsbetrages zu gewähren, sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2002 aufzuheben, soweit er dem Begehren entgegensteht.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung trägt er vor, dass eine Beihilfe zu den beiden Allergietestungen nicht gewährt werden könne. Die angewandte Methode sei wissenschaftlich nicht anerkannt. Es gebe eine große Bandbreite wissenschaftlich abgesicherter Methoden. Diese seien von dem Kläger und seiner Ehefrau nicht ausgeschöpft worden.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

20

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Beihilfe zu den Aufwendungen der bei ihm und seiner Ehefrau durchgeführten Lebensmittelallergietestung im Wege der IgG-Antikörper-Bestimmung. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2002 ist mithin insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).

21

Nach § 87c NBG erhält der Kläger als niedersächsischer Kommunalbeamter für sich und seine berücksichtigungsfähige Ehefrau für Aufwendungen in Krankheitsfällen Beihilfe nach den für die Beamten des Bundes geltenden Vorschriften. Das sind hier die zurzeit der Entstehung der Aufwendungen (Januar, Februar 2001) geltenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung einer Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen vom 10. Juli 1995 (GMBl S. 470), zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. Januar 1999 (GMBl S. 58) und vom 20. Februar 2001 (GMBl. S. 186) - BhV -.

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Beihilfefähig sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV Aufwendungen für ärztliche Leistungen aus Anlass einer Krankheit. Dabei sind solche Aufwendungen beihilfefähig, die dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BhV). Das Bundesministerium des Innern kann darüber hinaus die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für eine Untersuchung und Behandlung nach einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Methode begrenzen oder ausschließen (§ 6 Abs. 2 BhV) und bestimmte Arzneimittel, Heilbehandlungen und Hilfsmittel von der Beihilfefähigkeit ausschließen (§ 6 Abs. 4 BhV); dies ist grundsätzlich mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, wie sie für den Bereich der Krankenfürsorge durch die Beihilfevorschriften konkretisiert wird, vereinbar. Schließlich sind in § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV Aufwendungen für bestimmte Arzneimittel für nicht beihilfefähig erklärt worden.

23

Die IgG-Bestimmung ist vom Bundesminister des Innern zwar nicht gemäß § 6 Abs. 2 BhV ausdrücklich ausgeschlossen oder begrenzt worden. Dies ist ausdrücklich nur für cytotoxologische Lebensmitteltests geschehen (Hinweise zu § 6 Abs. 2 BhV). Bei dem Lebensmittelallergietest durch IgG-Antikörper-Bestimmung handelt es sich aber um eine wissenschaftlich noch nicht allgemein anerkannte Methode mit der Folge, dass sie in der Regel dem Grunde nach nicht notwendig ist im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV. Als wissenschaftlich anerkannt sind nur solche Methoden und Heilmittel anzusehen, die von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für die Behandlung der jeweiligen Krankheit - sei es als alleinige Heilmittel oder als zusätzliche Therapie - als wirksam und geeignet erachtet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.6.1998 - 2 C 24.97 - NJW 1998, 3436 und Urteil vom 29.6.1995 - 2 C 15.94 -, DÖV 1996, 37; OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.4.2004 - 2 LA 293/03 - und Urteil vom 10.11.1998 - 5 L 2829/96 -). Die angewandte IgG-Antikörper-Bestimmung ist nach der in sich schlüssigen und nachvollziehbaren gutachterlichen Stellungnahme von E. vom 29. Januar 2002 kein medizinisch-wissenschaftlich anerkanntes Testverfahren. Dies ergibt sich auch aus dem von dem Beklagten überreichten Aufsatz „Lebensmittelallergie und -intoleranz“ von Frau Dr. T., Leiterin des Fachbereichs Allergologie der Deutschen Klinik für Diagnostik aus dem Jahre 1998.

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Allerdings kann nach den bereits erwähnten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 1995 und 18. Juni 1998, denen sich das Oberverwaltungsgericht Lüneburg und das erkennende Gericht angeschlossen haben, das von der Fürsorgepflicht getragene Gebot des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV, eine Beihilfe zu „dem Grunde nach“ notwendigen Aufwendungen zu leisten, den Dienstherrn in Ausnahmefällen auch dazu verpflichten, die Kosten einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode nach den jeweiligen Bemessungsgrundsätzen zu erstatten. Diese Verpflichtung besteht dann, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit - z.B. unbekannter Genese - noch nicht herausgebildet hat, wenn im Einzelfall - z.B. wegen einer Gegenindikation - das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder wenn ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist. Weitere Voraussetzung der Beihilfefähigkeit ist, dass die wissenschaftlich noch nicht allgemeine Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann. In derartigen Ausnahmefällen ist einerseits unerheblich, ob die angewandte Behandlungsmethode durch allgemeine Verwaltungsvorschriften als „wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt“ von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen worden ist. Andererseits kommt es auch nicht darauf an, ob die wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode im konkreten Einzelfall zu einem therapeutischen Erfolg geführt hat; eine solche Erfolgsabhängigkeit ist in hier maßgeblichen Beihilferecht fremd (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.4.2004, aaO).

25

Die sich hieraus ergebenden Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Beihilfefähigkeit der umstrittenen Aufwendungen liegen nicht vor. Es ist zum einen nicht erkennbar, dass nach dem Stand der Wissenschaft die Aussicht, d.h. die begründete Erwartung, auf wissenschaftliche Anerkennung der IgG-Bestimmung bei der hier vorliegenden Indikationslage besteht. Dass die hier strittige Methode wissenschaftlich nicht endgültig verworfen ist und eine Anerkennung in Zukunft doch in Betracht kommen könnte, genügt nicht, um ausnahmsweise die Beihilfefähigkeit einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Untersuchungsmethode zu rechtfertigen. Zum anderen ist nicht dargelegt, dass die Allergien des Klägers und seiner Ehefrau nicht mit anerkannten Untersuchungsverfahren hätten ausgetestet werden können oder eine solche Testung bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist. Der Kläger hat selbst eingeräumt, dass nicht alle Testverfahren durchgeführt worden sind. Insbesondere ist nicht dargelegt, dass die wissenschaftlich anerkannte Allergietestung nach der IgE-Antikörperbestimmung erfolglos durchgeführt worden ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.