Verwaltungsgericht Lüneburg
v. 26.05.2004, Az.: 1 A 211/02
Aufwendungen; Beihilfe; Beihilfefähigkeit; Eigenvorsorge; Fürsorgepflicht; Hilfsmittel; Tandem für Behinderte; Zweirad; Zweirad für Behinderte
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 26.05.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 211/02
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2004, 50626
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 Nr 4 BhV
- § 6 Abs 1 Nr 4 Anl 3 BhV
- § 87c Abs 1 BG ND
- § 6 Abs 4 BhV
- § 5 Abs 1 BhV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Zweirad für Behinderte ist auch in Form des Tandems kein Hilfsmittel im Sinne des Beihilferechts und von der Beihilfefähigkeit ausgenommen.
Tatbestand:
Die Klägerin - eine Lehrerin im Ruhestand des Landes Niedersachsen - begehrt die Gewährung einer Beihilfe zu Aufwendungen für ein zweirädriges Spezial-Tandem.
Die am 8. September 1948 geborene Klägerin ist als niedersächsische Beamtin im Ruhestand dem Grunde nach beihilfeberechtigt und zwar zu einem Bemessungssatz von 70 %. Sie ist nach einem Schlaganfall mit Gehirnbluten und mehreren chirurgischen Eingriffen in der Mobilität eingeschränkt und dauernd pflegebedürftig.
Mit Schreiben vom 16. März 2002 beantragte sie die Gewährung einer Beihilfe zur Anschaffung eines zweirädrigen Spezial-Tandems, welches ihr von ihrem Hausarzt verordnet worden war. Nach einer ärztlichen Bescheinigung ihres Hausarztes vom 5. März 2002 sollen folgende Therapieziele durch das Tandem erreicht werden: Anregung der Herz- und Kreislauffunktion, Muskeltraining, Koordinationsförderung zwischen linker und rechter Körperhälfte, Unterstützung bzw. Ersatz der krankengymnastischen Behandlung, Zunahme des psychischen und physischen Durchhaltevermögens (bei bestehender Antriebsstörung) und erhöhte Mobilität.
Das beklagte Amt teilte der Klägerin mit Schreiben vom 22. März 2002 mit, dass die geplante Anschaffung des Spezial-Tandems (Modell „Pino“ der Firma Hase) nicht beihilfefähig sei, da es sich nicht um ein anerkanntes Hilfsmittel und darüber hinaus um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand handele.
Mit Schreiben vom 26. März 2002 bat die Klägerin nochmals um Überprüfung der Entscheidung. Sie verwies darauf, dass das Spezial-Tandem bei ihr als Rehabilitationsmittel eingesetzt werden solle und auch nach der Bescheinigung des Hausarztes therapeutischen Zwecken diene.
Das beklagte Amt lehnte mit Schreiben vom 22. April 2002 erneut die Gewährung einer Beihilfe ab, weil sich der Umfang der Beihilfefähigkeit von Hilfsmitteln nach Anlage 3 zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV bestimme. Dort sei u.a. geregelt, dass Gegenstände, die der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen seien, nicht zu den Hilfsmitteln zählten. In dem aufgestellten Katalog sei auch das Tandem aufgeführt.
Den dagegen eingelegten Widerspruch, in dem zusätzlich auf die Kostenzusage der privaten Krankenversicherung verwiesen wurde, wies das beklagte Amt mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2002 (zugestellt am 5.6.2002) zurück. Darin wurde nochmals dargelegt und erläutert, dass ein Zweirad-Tandem nach Anlage 3 zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV nicht zu den beihilfefähigen Hilfsmitteln zähle und daher eine Beihilfe nicht gewährt werden könne. Dass Therapien für die Klägerin angezeigt seien, werde nicht bezweifelt. Hierfür ständen jedoch andere Hilfsmittel zur Verfügung. Auch Fürsorgegesichtspunkte könnten zu keiner anderen Entscheidung führen.
Am 5. Juli 2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren. Sie weist nochmals darauf hin, dass das Tandem bei ihr vorwiegend der Gesundung und des Aufbaus und Training von Herz- und Kreislauffunktion, Muskeltraining sowohl Koordinationsförderung zwischen rechter und linker Körperhälfte diene. Ihre Psyche und Physis würden durch den Gebrauch des Tandems deutlich gestärkt werden. Andere Fortbewegungsmittel kämen bei ihr nicht in Betracht. Bei ihr sei das Tandem mithin Hilfsmittel im Sinne der Beihilfevorschriften.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide des beklagten Amtes vom 22. März und 22. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2002 aufzuheben und das beklagte Amt zu verpflichten, ihr eine Beihilfe in Höhe von 2.905,- EUR für die Anschaffung des Spezial-Tandems „Pino“ zu gewähren.
Das beklagte Amt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft es im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Amts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für das von ihr begehrte zweirädrige Spezial-Tandem. Die ablehnenden Bescheide des beklagten Amtes vom 22. März und 22. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2002 sind daher rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Nach § 87 c NBG erhält die Klägerin als niedersächsische Landesbeamtin im Ruhestand für Aufwendungen in Krankheitsfällen Beihilfe nach den für die Beamten des Bundes geltenden Vorschriften, also nach den zur Zeit der Entstehung der Aufwendungen geltenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung einer Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen in der ab 1. Januar 2002 geltenden Neufassung vom 1. November 2001 (GMBl S. 918) - BhV - .
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Abs. 1 BhV sind aus Anlass einer Krankheit beihilfefähig u.a. Aufwendungen für die Anschaffung der vom Arzt schriftlich verordneten Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und zur Selbstkontrolle und es bestimmen sich die Voraussetzungen im Umfang der Beihilfefähigkeit nach der Anlage 3 zu dieser Vorschrift. In Nr. 1 dieser Anlage ist geregelt, dass die notwendigen und angemessenen Aufwendungen für die Anschaffung der Hilfsmittel und Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle beihilfefähig sind - ggf. im Rahmen der Höchstbeträge -, wenn sie vom Arzt schriftlich verordnet und nachstehend aufgeführt sind. Als Fortbewegungsmittel ist nur das Behindertendreirad aufgeführt. In Nr. 9 der Anlage 3 ist ausgeführt, dass zu den Hilfsmitteln nicht Gegenstände gehören, die nicht notwendig und angemessen (§ 5 Abs. 1 BhV), von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis (§ 6 Abs. 4 Nr. 3 BhV) sind oder der allgemeinen Lebenshaltung unterliegen. Insbesondere sind hier aufgeführt als Fortbewegungsmittel: Zweirad für Behinderte.
Aus dieser Regelung ergibt sich eine Einschränkung des Begriffs des Hilfsmittels im Wege der authentischen Festlegung des Normgebers. Danach steht eindeutig fest, dass ein Zweirad für Behinderte, für das die Klägerin eine Beihilfe begehrt, kein Hilfsmittel im Sinne des Beihilferechts und von der Beihilfefähigkeit ausgenommen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11. 1990 - 2 C 13.88 und 13.90 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 271 Nr. 9 und OVG Lüneburg, Urteil vom 2.10.1996 - 5 L 1037/96 -).
Dieser in der Anlage 3 zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV festgelegte Ausschluss der Beihilfefähigkeit für Zweirad-Tandem verstößt nicht gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht. Der Dienstherr eines Beamten erfüllt seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Beamten in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen durch die Gewährung von Beihilfen. Die Beihilfevorschriften konkretisieren die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn für den Bereich der Krankenvorsorge. Für die Regelung der Beihilfe im Einzelnen steht dem Dienstherrn grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung, innerhalb dessen er die Voraussetzungen, den Umfang sowie die Art und Weise dieser speziellen Fürsorge bestimmen kann. Durch den Ausschluss von Zweirad-Tandems bei der Gewährung einer Beihilfe für Hilfsmittel hat der Dienstherr die Grenzen dieses Gestaltungsspielraums nicht überschritten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes fordert die Fürsorgepflicht nicht den Ausgleich jeglicher aus Anlass von Krankheit entstandenen Aufwendungen und auch nicht deren Erstattung in jeweils vollem Umfang. Die Beihilfe muss nur sicherstellen, dass die Beamten im Krankheitsfall nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleiben, die sie auch über eine zumutbare Eigenvorsorge nicht abdecken können. Dies bedeutet aber nicht, dass der Dienstherr verpflichtet ist, die Beihilfebestimmungen den Krankenversicherungsmöglichkeiten lückenlos anzupassen. Insbesondere sind Härten und Nachteile, die sich aus der pauschalierenden und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht durch die Beihilfevorschriften ergeben und die keine unzumutbare Belastung bedeuten, hinzunehmen (vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 - 2 C 36.02 -, NJW 2004, 308; OVG Lüneburg, Urteil vom 23.4.2002 - 2 LB 3367/01 -, NdsVBl 2003, 80/81; VGH Mannheim, Beschluss vom 21.11.200 - 4 C 2016/00 -, DÖD 2001, 91 [VGH Baden-Württemberg 21.11.2000 - 4 S 2016/00]).
Dass das zweirädrige Spezial-Tandem im vorliegenden Einzelfall aus medizinischen Gründen indiziert sein kann, führt zu keiner anderen Entscheidung. Die Voraussetzungen für die Annahme eines besonderen Ausnahmefalls, in welchem die Versagung der Beihilfe zu einer mit der Fürsorgepflicht schlechthin nicht vereinbaren Beeinträchtigung führen, sie in ihrem Wesenskern verletzen würde, weshalb ein unmittelbarer Rückgriff auf die Fürsorgepflicht in Betracht kommen würde, sind hier trotz des recht hohen Preises für das Tandem im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Klägerin noch nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.