Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 26.05.2004, Az.: 3 A 43/04
Beseitigungsanspruch; Graben; Räumung; Unterhaltungspflicht; Wasserrecht
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 26.05.2004
- Aktenzeichen
- 3 A 43/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50609
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1004 BGB
- § 97 WasG ND
- § 98 WasG ND
- § 28 WHG
- § 1 Abs 2 WasVerbG
- § 2 WasVerbG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein Anspruch eines Nachbarn auf Grabenräumung ergibt sich nicht aufgrund des Niedersächsischen Wassergesetzes, da dieses unmittelbar keine subjektiv-öffentlichen Rechte begründet. Gleiches gilt für das Wasserverbandsgesetz und die Satzung eines Wasserverbandes, wenn der Grundstückseigentümer nicht Verbandsmitglied ist. Ein Anspruch auf Räumung kann sich aber aus dem Gesichtspunkt eines öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruches in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB ergeben. Führt die Verletzung der Unterhaltungspflicht zu einem Eingriff in das Eigentum, geht der Anspruch des Dritten nicht auf die Erfüllung der wasserrechtlichen Unterhaltungspflicht unmittelbar, sondern auf die Abwehr des Eingriffs in das Eigentum. Die unterlassene Grabenräumung ist insoweit nur die Ursache der Eigentumsverletzung.
2. Zum Umfang der Unterhaltungspflicht und zu ihrer Ursächlichkeit für eine Grundstücksvernässung.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Verpflichtung des beklagten Verbandes, einen in seinem Eigentum stehenden Graben zu räumen und auszubaggern.
Sie sind Eigentümer des Grundstückes Hornweg 13 in Winsen/Luhe, Ortsteil Sangenstedt. Der Hornweg geht im Westen von der Dorfstraße ab und verläuft in östliche Richtung. Zunächst ist er beidseitig bebaut, dann im weiteren Bereich nur noch südlich. Dort liegt auch das Grundstück der Kläger. Im Anschluss an zwei, drei weitere bebaute Grundstücke geht der Hornweg in den Außenbereich über. In älteren Bestandskarten liegt zwischen dem Hornweg und den südlich angrenzenden Grundstücken ein Entwässerungsgraben. Dieser ist aber verfüllt worden und in der Örtlichkeit nicht auszumachen. Östlich der Bebauung verläuft parallel zum Hornweg der sogenannte Graben N, der im Eigentum der Stadt Winsen steht. Nach einer Unterführung unter einer landwirtschaftlichen Überfahrt wird der Graben N als sogenannter Graben O weitergeführt, der im Eigentum des beklagten Verbandes steht. An der Schnittstelle der Gräben N und O, die hier parallel zur Straße verlaufen, knickt der Graben O nach Norden ab und wird nach einer Unterführung unter dem Hornweg nach Norden hin parallel zu einem Wirtschaftsweg weiter geführt, der Graben mündet in den Schleusengraben. Das Verbandsgebiet des Beklagten fängt erst weiter nördlich an, und es umfasst eine Reihe von weiteren, nur mit Großbuchstaben bezeichneten Gräben. Der Graben O liegt deshalb im südlichen Bereich außerhalb des Verbandsgebietes, und der Beklagte ist im Rahmen einer Flurbereinigung Eigentümer dieses Gewässers geworden. Die genauen Lagen des Grundstückes der Kläger und der Gewässer ergeben sich aus mehreren Karten, die vom Beklagten zu den Gerichtsakten gereicht worden sind.
Im August 2002 und im Februar 2003 wandten sich die Kläger an den Beklagten, damit dieser den Graben O räumt. Die Kläger trugen vor, der Graben sei vollkommen verwildert und bewachsen, er erfülle seine Funktion nicht. Als Folge davon komme es zu Vernässungen auf den anschließenden Feldern, die sich bis hinter ihr - der Kläger - Grundstück hinzögen. Der Beklagte lehnte die Durchführung von Räummaßnahmen ab, nachdem der Ausschuss des Verbandes bei seiner Verbandsschau im März 2003 entsprechend entschieden hatte.
Die Kläger haben am 12. Juni 2003 Klage erhoben. Die Klage ist vom Amtsgericht Lüneburg an das Amtsgericht Winsen und von diesem an das Verwaltungsgericht verwiesen worden. Die Kläger tragen vor: Als Eigentümer sei der Beklagte verpflichtet, den Graben O ordnungsgemäß zu unterhalten, zu räumen und auszubaggern. Die Abführung des Wassers sei nicht mehr gewährleistet. In feuchten Perioden stünden anliegende Felder, aber auch ihr eigenes Grundstück unter Wasser. Der Graben sei seit über 15 Jahren nicht mehr geräumt worden, er habe sich mit Erde, Laub und den Wurzeln der Pflanzen zugesetzt, so dass das Wasser aufgestaut werde. Durch die mangelnde Unterhaltung werde ihr Grundstück in einer nicht hinnehmbaren Art und Weise beeinträchtigt.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verpflichten, den Entwässerungsgraben in Winsen/Luhe, Ortsteils Sangenstedt, Graben O, auf ganzer Länge zu räumen und auszubaggern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er steht auf dem Standpunkt, der Graben O entwässere ordnungsgemäß und er - der Beklagte - verletze seine Unterhaltungspflichten nicht.
Der Einzelrichter hat die Örtlichkeit am 26. Mai 2004 in Augenschein genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, des Terminsprotokolls und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte verpflichtet wird, den Entwässerungsgraben O auf ganzer Länge zu räumen und auszubaggern.
1. Der Anspruch ergibt sich nicht aufgrund unmittelbarer Anwendung der Vorschriften des Niedersächsischen Wassergesetzes.
Nach § 107 Abs. 1 Satz 1 NWG obliegt die Unterhaltung der Gewässer dritter Ordnung dem Eigentümer. Nach § 98 NWG umfasst die Unterhaltung die Erhaltung eines ordnungsgemäßen Zustandes für den Wasserfluss. Dabei ist den Belangen des Naturhaushalts Rechnung zu tragen, und die biologische Funktion der Gewässer und ihrer Ufer ist zu erhalten. Zu den Maßnahmen der Gewässerunterhaltung gehören insbesondere die Reinigung, die Räumung, die Freihaltung und der Schutz des Gewässerbettes einschließlich seiner Ufer. Die Unterhaltung der Gewässer ist eine öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit (§ 97 NWG).
Danach können die Kläger aufgrund der Vorschriften des Niedersächsischen Wassergesetzes unmittelbar keine subjektiv-öffentlichen Rechte zur Begründung ihres Anspruches herleiten. Denn die Gewässerunterhaltung besteht aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes allein im Interesse der Allgemeinheit, nicht einzelner Grundstückseigentümer in der Nachbarschaft. Die Gewässerunterhaltung soll nicht einzelne Nachbarn begünstigen (BGH, Urt. v. 25.02.1993 - III ZR 9/02 - NJW 1993, Seite 1799; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.08.1969 - 3 A 143/65 - Verwaltungsrechtsprechung Bd. 21 Nr. 224; BVerwG, Urt. v. 14.12.1973 - 4 C 50.71 -, BVerwGE Bd. 44, Seite 235).
2. Ein subjektiv-öffentliches Recht, wonach die Kläger die Räumung des Grabens O verlangen könnten, ergibt sich auch nicht aus der Verbandssatzung des Beklagten und dem Wasserverbandsgesetz.
Zwar hat der Verband nach § 2 seiner Satzung die Unterhaltung von Gewässern zur Aufgabe. Indes dient der Verband (lediglich) „dem öffentlichen Interesse und dem Nutzen seiner Mitglieder“ (§ 1 Abs. 3 der Satzung). Dies entspricht dem Wasserverbandsgesetz, welches in § 1 Abs. 2 eindeutig bestimmt: „Der Verband dient dem öffentlichen Interesse und dem Nutzen seiner Mitglieder“. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfes hebt hervor: „Die Tätigkeit des Verbandes beschränkt sich auf seine Mitglieder und Nutznießer“ (BT-Drs. 11/6764 S. 23 zu § 1).
Damit können die Kläger, die nicht im Verbandsgebiet liegen und auch keine Verbandsmitglieder sind, als außenstehende Dritte aus dieser Vorschrift keine subjektiven Rechte auf Durchführung bestimmter Arbeiten herleiten. Nichtmitglieder des Verbandes haben keinen einklagbaren Anspruch darauf, dass der Verband seine Aufgaben innerhalb oder außerhalb des Verbandsgebietes erfüllt (vgl. auch Rapsch, Wasserverbandsrecht, 1993, Rdnr. 236; derselbe, Kommentar zur WVVO, 1989, § 2 Rdnr. 15).
3. Der Anspruch der Kläger auf Räumung und Ausbaggerung des Grabens O ergibt sich schließlich nicht aus dem Gesichtspunkt eines öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruches in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB.
Allerdings: Eine Verletzung der wasserrechtlichen Unterhaltungspflicht, die zu einem Eingriff in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum eines Dritten führt, kann einen dem § 1004 BGB entsprechenden öffentlich-rechtlichen Anspruch des Betroffenen auf Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes gegenüber dem säumigen Unterhaltungspflichtigen begründen. Führt die Verletzung der Unterhaltungspflicht zu einem Eingriff in das Eigentum, geht der Anspruch des Dritten nicht auf die Erfüllung der wasserrechtlichen Unterhaltungspflicht unmittelbar, sondern auf die Abwehr des Eingriffs in das Eigentum. Die Verletzung der wasserrechtlichen Unterhaltungspflicht ist insoweit nur die Ursache der Eigentumsverletzung (BVerwG, Urt. v. 14.12.1973 - 4 C 50.71 -, BVerwGE Bd. 44, Seite 235; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.1997 - 7 UE 2907/94 -, NVwZ-RR 1997 S. 612; VGH Mannheim, Urt. v. 29.04.1993 - 8 S 2834/92 -, NVwZ 1994, S. 1035 [VGH Baden-Württemberg 29.04.1993 - 8 S 2834/92]).
Jedoch: Die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruches liegen im vorliegenden Fall nicht vor.
Es kann schon nicht festgestellt werden, dass der Beklagte seine Unterhaltungspflichten in Bezug auf den Graben O verletzt hat. Ziel einer Unterhaltung ist es, einen ordnungsgemäßen Wasserabfluss zu gewährleisten. Ordnungsmäßig ist der Zustand, der sich über längere Zeit entwickelt hat und als der normale Zustand betrachtet wird (Haupt/Reffken/Rhode, NWG, Kommentar, Stand: November 2003, § 98 Rdnr. 8). Dabei sind die Ziele des § 98 NWG und des § 28 WHG zu beachten, wonach den Belangen des Naturhaushalts Rechnung zu tragen und die biologische Funktion der Gewässer als Lebensraum für Pflanzen und Tiere zu erhalten ist. Der Unterhaltungspflichtige muss deshalb nicht das Gewässer ständig in seiner bisherigen Lage erhalten. Die Unterhaltung ist flexibel zu handhaben, wobei auch Gesichtspunkte der Zumutbarkeit von Bedeutung sein können. Ein optimaler Zustand kann nicht verlangt werden (Czychowski WHG, Kommentar, 7. Aufl. 1998, § 28 Rdnr. 12, 20).
Nach dem bei der Ortsbesichtigung gewonnen Erscheinungsbild hatte der Graben O keinen Zustand, der mit der Verpflichtung zur Unterhaltung im Sinne der §§ 98 NWG und 28 WHG unvereinbar wäre. Die Breite des Grabens O war nicht geringer als diejenige des Grabens N, der sich im Eigentum der Stadt Winsen befindet. Auch die Tiefe war nicht geringer. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, dass nicht nur der Beklagte, sondern auch die an diesem Verfahren nicht beteiligte Stadt Winsen/Luhe Breite und Tiefe der Gräben als ordnungsgemäß ansieht. Ein Erfordernis eines weiteren oder tieferen Ausbaues des Gewässerbettes ergibt sich damit nicht. In dem nach Norden führenden Graben O waren im vergangenen Winter zudem Bäume und auch Buschwerk gerodet worden. Die in dem gesamten besichtigten Grabensystem vorhandenen Grünpflanzen sind jahreszeitgemäß. Das in den Gräben liegende abgeschnittene und eingeworfene Strauchwerk bildet kein erhebliches Abflusshindernis. Ablagerungen von Schlamm, Geschiebe, Laub, Krautbewuchs und im Graben befindliche Äste gehören zum normalen Zustand eines Grabens in ländlichem Raum und bilden geringfügige Hindernisse, die dem ungehinderten und gefahrlosen Abfluss des Wassers nicht entgegenstehen und diesen mehr als nur unerheblich erschweren oder ganz und gar verhindern würden. Die Kläger verkennen, dass der Beklagte nicht zu Unterhaltungsmaßnahmen gezwungen werden kann, wonach die Gräben geradlinig, metertief und völlig bewuchsfrei ausgestaltet werden und jede Veränderung durch sofortige Maßnahmen verhindert wird. Vielmehr muss auch der Beklagte auf eine Erhaltung des biologischen Gleichgewichts der Gewässer und auf eine naturgemäße Ufergestaltung hinwirken, um die Lebensmöglichkeiten für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt zu verbessern. Damit ist es auch vereinbar, den Graben O lange Zeit nicht auszubaggern. Die Kläger selbst haben in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass das Wasser niemals über die Ufer getreten ist. Unstreitig haben auch keine Uferabbrüche vorgelegen, die auf Rückstau und unzureichende Unterhaltung und Funktion der Gräben hinweisen würden. Stehendes Wasser im Graben und der Bewuchs mit Entenflott ist normal und verlangt nicht nach Ausbaggerung oder anderen Unterhaltungsmaßnahmen. Die Kläger können nicht verlangen, dass das Wasser in den Gräben eine Fließgeschwindigkeit erhält wie in der Elbe. Schließlich ist es unter Berücksichtigung der Verrohrungen unterhalb der Überfahrten und ihrer Höhenlage nicht erkennbar, dass die Gräben sich soweit verfüllt hätten, dass sofortige Unterhaltungsmaßnahmen unabdingbar erscheinen. Eine Verletzung der Unterhaltungspflicht ist nicht gegeben.
Nicht nur ist eine Verletzung der Unterhaltungspflicht des Beklagten im Hinblick auf den Graben O nicht feststellbar, auch fehlen konkrete Anhaltspunkte dafür, inwieweit eine von den Klägern angenommene Verletzung der Unterhaltungspflicht ursächlich ist für die Vernässungen auf ihrem Grundstück.
Das Grundstück der Kläger liegt in einem feuchten Gebiet. Dies zeigen nicht nur die verschiedenen zum Schleusengraben verlaufenden Entwässerungsgräben, die in einer Übersichtskarte mit den Buchstaben von A bis Z gekennzeichnet sind. Dies zeigt auch der Umstand, dass entlang des Hornweges früher ein Entwässerungsgraben vorhanden war, der mittlerweile verfüllt ist. Dies zeigt schließlich die Tatsache, dass neben dem Flurstück 68/2 zum Flurstück 56 hin ein Graben vorhanden gewesen ist, der in einen auf dem jetzt von den Klägern bewohnten Flurstück seinerzeit vorhandenen Teich entwässert hat und von dort in den Wegeseitengraben. Diesen Teich haben die Kläger bei Erwerb des Grundstückes im Jahre 1986 verfüllt (so ihre Angaben im Termin vor dem Amtsgericht Winsen am 07.10.2003). Die Fotos, die die Kläger vorgelegt haben, zeigen die Feuchtigkeit des Gebietes eindrucksvoll. Zwischen der Bebauung am Hornweg und derjenigen an der Dorfstraße sind riesige Wasserlachen zu sehen, die nicht ablaufen. Eines der Fotos zeigt, wie auf dem höher gelegenen Acker Wasser steht, obwohl das Wasserniveau auf dem daneben verlaufenden Graben erheblich niedriger ist. Dass Wasser aus dem Graben O herausgelaufen und über die Felder bis zum Grundstück der Kläger gelangt wäre, haben die Kläger nicht dargetan. Der Graben O liegt immerhin 150 m von dem Grundstück der Kläger entfernt (Beschl. d. Amtsgerichts Winsen/Luhe v. 10.02.2004). Die Kläger können nicht erwarten, dass nach Verfüllung des Entwässerungsgrabens vor ihrem Grundstück und den Nachbargrundstücken durch die Anwohner die Entwässerungsaufgaben nunmehr von dem Graben O in 150 m Entfernung vollständig und ersatzlos erfüllt werden. Die Vernässung des Grundstücks in Feuchtperioden hat ihre Ursache in der durch die Verfüllung des Seitengrabens durch die Anwohner teilweise auch selbst herbeigeführten Situationsgebundenheit des Grundstücks und nicht in mangelnden Unterhaltungsmaßnahmen des Beklagten für den Graben O.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.