Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.12.2003, Az.: 4 LC 153/03

Beitrag; Eltern; Ersparnis; Hilfeleistung; Jugendhilfe; Kosten; Unterhalt; Vergangenheit; Vertrauensschutz; Zeitraum

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.12.2003
Aktenzeichen
4 LC 153/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48297
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.02.2003 - AZ: 6 A 134/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Will der Träger der Jugendhilfe von den Eltern einen Beitrag zu der dem Kind oder Jugendlichen gewährten Hilfe zur Erziehung oder Eingliederungshilfe bei seelischer Behinderung verlangen, muss er sie vor oder bei Beginn der Maßnahme hierauf hinweisen und die Beitragsforderung alsbald geltend machen. Diese zeitliche Grenze kann auch noch eineinhalb Jahre nach Beginn der Maßnahme gewahrt sein, wenn die Maßnahme noch nicht abgeschlossen ist, die Eltern von der Übernahme der nicht unerheblichen Kosten durch den Träger der Jugendhilfe gewusst haben und deshalb vernünftigerweise nicht darauf vertrauen durften, dass sie noch nicht einmal den durch die ihrem Kind gewährte Betreuung ersparten, diesem sonst geschuldeten Unterhalt würden einsetzen müssen.

Tatbestand:

1

Der Beklagte gewährte für den 1988 geborenen Sohn A. des Klägers in der Zeit vom 29.08.1999 bis 29.06.2001 gemäß Bescheid vom 08.07.1999 Hilfe zur Erziehung gemäß § 34 SGB VIII [vollstationäre Unterbringung im Sprachheilzentrum „W...“ in B. wegen erheblicher schulischer und familiärer Probleme des Sohnes]. Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang der Kläger hierfür einen Kostenbeitrag zu zahlen hat.

2

Der Kläger beantragte die Hilfe für seinen Sohn am 29.01.1999 auf einem Formular, das am Ende unmittelbar über der Unterschrift den Hinweis enthielt: „Ich/wir bin/sind darüber informiert, dass ich/wir gegebenenfalls zu den Kosten der beantragten Maßnahme herangezogen werde(n).“ Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.1999, mit dem dieser seine Bereitschaft zur Übernahme der Kosten der Maßnahme erklärte, enthielt einen entsprechenden Hinweis: „Über eine eventuelle Heranziehung zu einem von Ihnen zu leistenden Kostenbeitrag erhalten Sie einen gesonderten Bescheid.“

3

Durch Bescheid vom 26.02.2001 wurde der Kläger auf die Höhe der Kosten in Höhe von seinerzeit 7.000,00 DM monatlich sowie seine Kostenbeitragspflicht nach §§ 91 ff. SGB VIII hingewiesen und aufgefordert, im einzelnen seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen.

4

Mit weiterem Bescheid vom 26.02.2001 setzte der Beklagte mit Wirkung vom 29.08.1999 einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes fest und zweigte dieses mit Schreiben an das Arbeitsamt vom selben Tage mit sofortiger Wirkung an sich ab.

5

Unter dem 06.03.2001 legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus: Er wende sich nicht gegen die Auskunftsverpflichtung. Er sei jedoch nicht damit einverstanden, für die Vergangenheit und die Zukunft zu Leistungen herangezogen zu werden. Er habe Unterhaltsaufwendungen nicht erspart, auch wenn dabei berücksichtigt werde, dass das Kindergeld bislang an ihn ausgezahlt worden sei. Sein Sohn habe sich fast jedes Wochenende sowie in den Ferien bei ihm aufgehalten. Ferner seien die damit zusammenhängenden Fahrtkosten zu berücksichtigen. Die Kindesmutter sei wirtschaftlich nicht in der Lage, Unterhalt zu zahlen.

6

Durch Bescheid vom 30.03.2001 setzte der Beklagte nach Anhörung des Klägers die von diesem als Kostenbeitrag monatlich zu leistenden Beträge wie folgt fest:

7
29.08. bis 31 .12.1999340,00
01.01. bis 19.01.2000330,00
20.01. bis 31.05.2000416,00
01.06. bis 31.12.2000387,00
ab 01.01.2001416,00
8

Bei der Ermittlung dieser Beträge wurde abgezweigtes Kindergeld zur Hälfte berücksichtigt.

9

Der Kläger legte dagegen mit Schreiben vom 19.04.2001 Widerspruch ein. Zur Begründung machte er geltend:

10

Er habe darauf vertraut, dass er nicht zu einem Kostenbeitrag herangezogen werde, da der Beklagte diesbezüglich in der Vergangenheit nicht an ihn herangetreten sei. Deswegen seien zu seinen Gunsten bestimmte Verbindlichkeiten (Anschaffung eines Motorrades im Mai 2000 und eines PKW im Dezember 2000), die er ohne Kenntnis seiner Beitragspflicht eingegangen sei, einkommensmindernd zu berücksichtigen. Entsprechendes gelte für die von ihm geleistete Steuernachzahlung.

11

Er komme auch seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn in erheblichem Umfang nach. In diesem Zusammenhang seien die Wochenend- und Ferienaufenthalte seines Sohnes bei ihm sowie die damit zusammenhängenden Fahrtkosten zu berücksichtigen. Das an ihn ausgezahlte Kindergeld sei für Unterhaltszwecke zu Gunsten des Kindes eingesetzt worden.

12

Schließlich sei zu berücksichtigen, dass er neben seiner vollen Berufstätigkeit ein weiteres Kind aufziehe.

13

Durch Bescheid vom 13.09.2001 beschied der Beklagte den Kläger wie folgt:

14

Der Widerspruch vom 06.03.2001 gegen seine Verfügung vom 26.02.2001 werde zurückgewiesen.

15

Der Widerspruch vom 29.03.2001 gegen seine Verfügung vom 12.03.2001 werde zurückgewiesen.

16

Seine Ausgangsbescheide hebe er mit Ablauf vom 29.06.2001 auf, da die Hilfe zur Erziehung mit Ablauf des 29.06.2001 eingestellt worden sei.

17

Neben Ausführungen zur Bemessung des Kostenbeitrages heißt es zur Begründung u. a.:

18

Der mit Bescheid vom 26.02.2001 festgesetzte Mindestkostenbeitrag regele einen Teil des insgesamt von dem Kläger zu zahlenden Kostenbeitrages, welcher mit dem Bescheid vom 12.03.2001 festgesetzt worden sei.

19

Der Kläger habe am 29.01.1999 einen Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gestellt. In dem Antragsformular sei er darüber informiert worden, dass er zu den Kosten der Maßnahme herangezogen werden könne. Entsprechendes gelte für den Bewilligungsbescheid vom 08.07.1999. Es treffe zwar zu, dass die tatsächliche Inanspruchnahme erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sei und sich daraus ein erheblicher Nachzahlungsbetrag ergebe. Dies ändere jedoch nichts an der grundsätzlich bestehenden Kostenbeitragspflicht. Da der Kläger um seine Verpflichtung gewusst habe, wäre es ihm durchaus zumutbar gewesen, Informationen über die Höhe einer Zahlungsverpflichtung einzuholen.

20

Für den Zeitraum vom 29.08.1999 bis 28.02.2001 ergebe sich eine Gesamtforderung von 8.611,32 DM. Ferner habe der Kläger für den genannten Zeitraum von der Familienkasse Kindergeld in einer Gesamthöhe von 4.804,19 DM erhalten. Auch dieser Betrag sei zu erstatten.

21

Der Kläger hat am 27.09.2001 Klage erhoben und zu deren Begründung ergänzend vorgetragen:

22

Der von ihm und seiner Ehefrau unterschriebene Antragsvordruck habe die Mitteilung enthalten, er werde "ggf. zu den Kosten der beantragten Maßnahme herangezogen". Durch den Bewilligungsbescheid vom 08.07.1999 sei ihm mitgeteilt worden, dass er, der Kläger, zu einem von ihm zu leistenden Kostenbeitrag einen gesonderten Bescheid erhalte. Bis Ende Februar 2001 habe der Beklagte keinerlei Forderungen an ihn gerichtet. Da von einer "eventuellen Heranziehung" die Rede gewesen sei, habe er darauf vertraut, dass er nicht mehr zu einem Kostenbeitrag herangezogen werde; es sei nicht seine Sache gewesen, bezüglich etwaiger Verpflichtungen Auskünfte einzuholen oder Rücklagen zu bilden.

23

Es sei nicht nachvollziehbar, dass nicht wenigstens zeitgleich mit der Unterbringung das Kindergeld abgezweigt worden sei, obwohl nach der Begründung des Widerspruchsbescheides ein Kostenbeitrag in dessen Höhe "immer" gefordert werde.

24

Die rückwirkende Inanspruchnahme bedeute für ihn eine besondere Härte, da er sich nicht darauf habe einstellen können. Er sei zu keinem Zeitpunkt darüber informiert worden, dass er zumindest in Höhe des Kindergeldes zu den Unterbringungskosten beizutragen und darüber hinaus mit weiteren nicht unerheblichen Kosten zu rechnen habe.

25

Er habe auch deswegen nicht mit seiner Inanspruchnahme gerechnet, weil die Unterbringung seines Sohnes im Sprachheilzentrum W. einer stationären Krankenbehandlung nahegekommen sei, für die Krankenversicherungsschutz bestehe.

26

Aus dem Umstand, dass ihm die Verpflegungsleistungen für die Abwesenheitszeiten seines Sohnes von der Einrichtung ausgezahlt worden seien, habe er nicht ableiten können, dass die Hilfegewährung für ihn kostenpflichtig sei, da er als rechtlicher Laie ggf. nicht mit einer Auszahlung dieser Beträge, sondern mit deren Verrechnung gerechnet hätte.

27

Nachdem der Kläger die Bescheide des Beklagten vom 26.02. und 30.03.2001 zunächst in vollem Umfang angefochten hatte, hat er sein Aufhebungsbegehren in dem Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht vom 05.12.2002 auf den Zeitraum bis Ende Februar 2001 beschränkt. Er hat beantragt,

28

die Bescheide des Beklagten vom 26.02. und 30.03.2001 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 13.09.2001 aufzuheben, soweit diese sich auf den Zeitraum ab Beginn der Jugendhilfeleistungen bis einschließlich Februar 2001 beziehen.

29

Der Beklagte hat beantragt,

30

die Klage abzuweisen.

31

Zur Begründung hat er seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden ergänzt und vertieft.

32

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Februar 2003 das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 2 VwGO eingestellt, soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, und im Übrigen der Klage antragsgemäß stattgegeben Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt:

33

Die Kostenbeitragspflicht des Klägers folge dem Grunde nach aus § 91 Abs. 1 Ziff. 4 Buchst. c) SGB VIII. Danach würden u. a. die Eltern zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung in einem Heim (§ 34 SGB VIII) herangezogen, soweit das Kind oder der Jugendliche die Kosten nicht selbst tragen könnten (Abs. 5).

34

Gemäß § 92 Abs. 1 SGB VIII sei der Umfang der Kostentragungspflicht davon abhängig, inwieweit der kostentragungspflichtigen Partei die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nach Maßgabe der §§ 93, 94 SGB VIII zuzumuten sei. In den Fällen der Hilfe zur Erziehung erfolge die Beitragsbemessung nach Maßgabe der Sonderregelungen des § 94 SGB VIII. Danach beschränke sich die Heranziehung zu den Kosten bei Eltern, die - wie hier der Fall - mit dem Kind vor Beginn der Hilfe zusammengelebt hätten, auf die durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen, für die nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge festgelegt werden sollten (Abs. 2 Sätze 1 und 2).

35

Im vorliegenden Falle erübrigten sich weitere Ausführungen zur Höhe des vom Kläger danach geschuldeten Kostenbeitrages, da die angefochtenen Bescheide vom 26.02.2001 und 30.03.2001 insoweit aufzuheben seien, als der Kläger damit für einen zurückliegenden Zeitraum in Anspruch genommen werde.

36

Die Unzulässigkeit der rückwirkenden Heranziehung zu einem Kostenbeitrag folge aus dem Gebot der Rechtssicherheit. Nach den im Sozialhilferecht geltenden Grundsätzen könne ein Kostenbeitrag nachträglich nur erhoben werden, wenn dem Hilfeempfänger bei Beginn der Hilfe eine entsprechende Absicht eröffnet worden sei (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.04.1972 - BVerwG 5 C 72.71 - a. a. O.; Urt. v. 25.1 1.1982 – BVerwG 5 C 13.82 – a. a. O., 411; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 10.10.1990 - 6 S 1807/89 - FEVS Bd. 41, 463; W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 29 Rz. 19). Nichts anderes gelte im Grundsatz für den Leistungsbescheid nach § 93 Abs. 1 SGB VIII (ebenso Schellhorn, SGB VIII, 2. Aufl. 2000, § 93 Rz. 13). Soweit im Sozialhilferecht maßgeblich darauf abgestellt werde, dass die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag im Ermessen des Sozialhilfeträgers stehe, und die Möglichkeit einer nachträglichen Ermessensentscheidung in diesem Zusammenhang verneint werde (so VGH Baden-Württemberg, a. a. O.), rechtfertige dies im Grundsatz nicht eine abweichende Betrachtung bezüglich des Kostenbeitragsbescheides nach § 93 Abs. 1 SGB VIII, welcher als gebundene Entscheidung ergehe. Vielmehr folge daraus nur, dass (lediglich) die anfängliche Kenntnis des Leistungsempfängers von seiner Pflicht zum (unbedingten) Einsatz eigener Mittel Voraussetzung dafür sei, um überhaupt den Einsatz auch noch nachträglich verlangen zu können.

37

Im vorliegenden Falle sei dem Kläger aus dem Antragsvordruck bekannt gewesen, dass er "ggf. zu den Kosten der beantragten Maßnahme herangezogen" werde. Danach sei zwar offen geblieben, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe er zu einem Kostenbeitrag herangezogen werden würde. Dies schließe jedoch nicht aus, dass er grundsätzlich mit seiner Heranziehung habe rechnen müssen. Gleiches gelte auf Grund des in dem Bewilligungsbescheid vom 08.07.1999 enthaltenen Hinweises, dass er über eine "eventuelle Heranziehung zu einem (von ihm) zu leistenden Kostenbeitrag" einen gesonderten Bescheid erhalte.

38

Damit komme es darauf an, ob ein Kostenbeitrag, soweit er für die Vergangenheit geltend gemacht werden solle, innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu erheben sei, um dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen und dem Beitragspflichtigen Gewissheit darüber zu verschaffen, welche finanziellen Belastungen er auf Grund der Hilfegewährung zu tragen habe. Dazu habe das BVerwG (Urt. v. 19.04.1972 - BVerwG 5 C 72.71 - a. a. O.) für den sozialhilferechtlichen Kostenbeitrag ausgeführt:

39

„Die Möglichkeit der nachträglichen Beteiligung an den Kosten der Heilbehandlung muß jedoch nicht notwendig die Befugnis einschließen, zu jeder beliebigen Zeit und in jeder beliebigen Höhe um einen Kostenbeitrag nachzusuchen.

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Einmal wird gefordert werden müssen, dass dem Hilfeempfänger vor oder zu Beginn der Heilbehandlung die Absicht eröffnet wird, notfalls einen Kostenbeitrag zu fordern. Handelt es sich bei der vollen Übernahme der Kosten in erster Linie um ein Mittel, die Heilbehandlung in eigener Hand zu behalten, so kann doch nicht übersehen werden, dass die Übernahme dem Hilfesuchenden gegenüber zugleich eine Maßnahme der wirtschaftlichen Hilfe darstellt. Diese muss aber ihrer Höhe nach umgrenzt werden, und zwar notfalls unter Hinweis auf eine demnächst ergehende abschließende Entscheidung über einen etwaigen Kostenbeitrag. Ein derartiger Vorbehalt ist im vorliegenden Falle gemacht worden. Freilich könnte gefragt werden, ob nicht von dem Vor behalt alsbald hätte Gebrauch gemacht werden müssen. Auch unter Berücksichtigung des die Beziehungen zwischen Hilfesuchendem und der Träger der Sozialhilfe beherrschenden Vertrauensverhältnisses kann aber von einer treuwidrigen verspäteten Geltendmachung im vorliegenden Falle (noch) nicht die Rede sein. Einmal ist es üblich, über die Gesamtkosten einer Behandlung erst am Schluß Rechnung zu legen, soweit es sich nicht um eine Dauerbehandlung handelt. Zum anderen muß die Behörde in Fällen der vorliegenden Art schon mit Rücksicht auf den Kranken einstweilen zuwarten können, will man nicht von ihr verlangen, daß sie in die Heilbehandlung mit Anfragen, Rechnungen und dergleichen störend eingreift.“

41

Dieser vom BVerwG mit Urteil vom 25.11.1982 – BVerwG 5 C 13/82 - (a. a. O. ) bestätigten Rechtsprechung sei zu folgen. Aus ihr ergebe sich, dass die rückwirkende Erhebung eines Kostenbeitrages nur unter der (zusätzlichen) Voraussetzung zulässig sein solle, dass von dem Vorbehalt der Inanspruchnahme des Hilfeempfängers auch alsbald Gebrauch gemacht werde (ebenso Schellhorn, a. a. O.). Im vorliegenden Falle sei die Aufforderung an den Kläger, seine Einkommensverhältnisse für die Bemessung eines etwaigen Kostenbeitrages offen zu legen, (erst) anderthalb Jahre nach Einsetzen der Jugendhilfe ergangen. Da es sich um eine auf längere, zunächst nicht absehbare Dauer angelegte Hilfeleistung gehandelt habe, habe die Geltendmachung des Kostenbeitrages im Interesse des Pflichtigen nicht für einen derart langen Zeitraum zurückgestellt werden können, wie nicht zuletzt die Höhe der zwischenzeitlich aufgelaufenen Rückstände deutlich mache. Vielmehr wären die erforderlichen Ermittlungen alsbald nach Einsetzen der Hilfeleistung durchzuführen gewesen, ohne dass davon die Hilfeleistung selbst in irgendeiner Weise betroffen gewesen wäre. Dies müsse um so mehr gelten, als jedenfalls der aus behördlicher Sicht ohne vorherige Ermittlung der sonstigen Einkommensverhältnisse zulässige und gebotene Zugriff auf das Kindergeld ohne jeden Verwaltungsaufwand zeitnah möglich gewesen wäre. Damit sei die zeitliche Grenze, wie sie nach allgemeinem Sprachgebrauch vor dem Hintergrund der in diesem Zusammenhang zu beachtenden Belange des Beitragspflichtigen wie der Behörde mit dem Begriff "alsbald" verbunden werde, jedenfalls überschritten. Weiterer Ausführungen zur Konkretisierung des von der Behörde einzuhaltenden zeitlichen Rahmens bedürfe es unter den gegebenen Umständen nicht.

42

Sei die zeitliche Grenze für einen den gesamten bisherigen Leistungszeitraum rückwirkend erfassenden Kostenbeitrag überschritten, komme eine Heranziehung des Beitragspflichtigen nachfolgend nur noch mit Wirkung für die Zukunft, nicht etwa rückwirkend für einen eingeschränkten Zeitraum in Betracht, wie er mit einer anfänglichen, alsbald erfolgenden Heranziehung längstens abgedeckt werden könnte. Auch eine derart begrenzte "gleitende" Rückwirkung widerspräche dem Vertrauensschutz des Beitragspflichtigen, der nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums nicht mehr mit seiner Inanspruchnahme für die Vergangenheit zu rechnen brauche, während ein etwaiges Vertrauen darauf, für noch bevorstehende Leistungszeiträume von Kostenbeiträgen gleichermaßen verschont zu bleiben, grundsätzlich nicht schutzwürdig sei.

43

Dem Kläger könne nicht entgegengehalten werden, sich seinerseits treuwidrig verhalten zu haben, indem er es unterlassen habe, von sich aus an den Beklagten heranzutreten und die Frage der Erhebung eines Kostenbeitrages zu klären. Eine entsprechende Verpflichtung habe sich insbesondere nicht daraus ergeben, dass ihm von der Einrichtung, in der sein Sohn betreut worden sei, für Abwesenheitszeiten die Verpflegungsleistungen ausgezahlt worden seien. Insoweit berufe sich der Kläger nachvollziehbar darauf, dass eine unmittelbare Verrechnung im Rahmen der Abrechnung zwischen der Einrichtung und dem Jugendhilfeträger durchaus nahegelegen hätte. Jedenfalls habe sich dem Kläger auf Grund der Tatsache, dass die entsprechenden Beträge an ihn ausgezahlt worden seien, keineswegs aufdrängen müssen, dass der Beklagte nach wie vor die Erhebung eines Kostenbeitrages beabsichtige. Im übrigen sei es grundsätzlich Sache des Gläubigers, seine Forderungen geltend zu machen, und nicht Aufgabe des Schuldners, sich seinerseits in Erinnerung zu bringen.

44

Den vorstehenden Erwägungen sei durch die Neuregelung der Verjährungsfristen im Rahmen der Schuldrechtsreform nicht die Grundlage entzogen. Bei der Kostenbeitragsforderung handele es sich – abweichend von dem nach § 94 Abs. 3 SGB VIII übergehenden Unterhaltsanspruch – ungeachtet ihrer Ausrichtung an den Grundsätzen des zivilrechtlichen Unterhaltsrechts um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch. Dies habe zugleich zur Folge, dass sich auch die in der Zivilrechtsprechung zur Verwirkung von Unterhaltsansprüchen entwickelten Grundsätze darauf nicht oder allenfalls eingeschränkt übertragen ließen. So argumentiere der BGH in seiner vom Beklagten zitierten Entscheidung u. a. maßgeblich mit der besonderen Interessenlage von Unterhaltsgläubiger und Unterhaltsschuldner, die für die Rechtsbeziehungen zwischen Kostenbeitragspflichtigem und Jugendhilfeträger nicht einschlägig sei.

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Seien die angefochtenen Bescheide somit für die Vergangenheit bereits deswegen aufzuheben, weil es an den besonderen Voraussetzungen für eine rückwirkende Heranziehung des Klägers zu den Kosten der für seinen Sohn geleisteten Jugendhilfe fehle, bedürfe es keiner Erörterung, inwieweit der Bescheid vom 26.02.2001 zusätzlich deswegen nicht Bestand haben könnte, weil ein isolierter, einkommensunabhängiger Zugriff auf das dem Beitragspflichtigen gewährte Kindergeld, wie er mit diesem Bescheid vorab erfolgt sei, mit der kostenbeitragsrechtlichen Vorschrift des § 94 Abs. 2 SGB VIII u. U. nicht im Einklang stehe (dazu: Urt. der Kammer vom 18.12.2002 - 6 A 135/01 - > NdsOVG 4 LC 47/03 <über die Berufung ist noch nicht entschieden worden>).

46

Gegen dieses Urteil richtet sich die von dem Verwaltungsgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Erhebung eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrages zugelassene Berufung des Beklagten. Er meint weiterhin, dass aufgrund der Hinweise aus dem Jahr 1999 der Kläger nicht allein wegen des Zeitablaufs habe annehmen können, dass er im Jahr 2001 zu einem Kostenbeitrag nicht mehr herangezogen werde.

47

Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

49

Der Kläger beantragt,

50

die Berufung zurückzuweisen.

51

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

52

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und des Inhalts des angefochtenen Urteils wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

53

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO).

54

Die Berufung des Beklagten ist begründet.

55

Die Kostenbeitragspflicht des Klägers ergibt sich dem Grunde nach aus § 91 Abs. 1 Ziff. 4 Buchst. c) SGB VIII. Danach werden u. a. die Eltern zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung in einem Heim (§ 34 SGB VIII) herangezogen, soweit das Kind oder der Jugendliche die Kosten nicht selbst tragen können (Abs. 5).

56

Gemäß § 92 Abs. 1 SGB VIII ist der Umfang der Kostentragungspflicht davon abhängig, inwieweit der kostentragungspflichtigen Partei die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nach Maßgabe der §§ 93, 94 SGB VIII zuzumuten ist. In den Fällen der Hilfe zur Erziehung erfolgt die Beitragsbemessung nach Maßgabe der Sonderregelungen des § 94 SGB VIII. Danach beschränkt sich die Heranziehung zu den Kosten bei Eltern, die – wie im vorliegenden Fall – mit dem Kind vor Beginn der Hilfe zusammengelebt haben, auf die durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen, für die nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge festgelegt werden sollen (Abs. 2 Sätze 1 und 2). Für die Vergangenheit können die Eltern oder Elternteile außer unter den Voraussetzungen des bürgerlichen Rechts nur in Anspruch genommen werden, wenn ihnen die Gewährung von Jugendhilfe unverzüglich schriftlich mitgeteilt worden ist (Abs. 3 Satz 3).

57

Von der Gewährung der Jugendhilfe ist der Kläger durch den Bewilligungsbescheid und damit „unverzüglich“ unterrichtet worden. Davon zu unterscheiden ist die Frage, in welchem zeitlichen Umfang nachträglich eine Kostenbeteiligung von dem Betroffenen bzw. seinen Eltern gefordert werden kann. Den grundsätzlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu schließt sich der Senat im vollem Umfang an. Er hält aber entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts die Geltendmachung der Kostenbeitragsforderung im vorliegenden Fall noch für hinreichend zeitnah zu der Hilfegewährung.

58

Nach der von dem Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 19.04.1972 - BVerwG 5 C 72.71 - a. a. O.) ist die Kostenbeitragsforderung „alsbald“ geltend zu machen, um dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen und dem Beitragspflichtigen Gewissheit darüber zu verschaffen, welche finanziellen Belastungen er auf Grund der Hilfegewährung zu tragen habe. Gerade im Bereich des Jugendhilferechts kommt hinzu, dass mit der Heranziehung der Eltern zu einem Beitrag zu den Kosten der Hilfe, die dem Kind oder Jugendlichen gewährt wird, verdeutlicht wird, dass die Eltern nicht durch die Hilfegewährung aus ihrer eigenen Verantwortlichkeit für das Kind gleichsam entlassen sind. Auch das spricht für eine möglichst zeitnah zum Beginn der Hilfegewährung erfolgende Heranziehung zu einem Kostenbeitrag.

59

Im vorliegenden Falle hat der Kläger gewusst, dass die Betreuung seines Sohnes in der Einrichtung nicht etwa kostenlos erfolgte, sondern der Träger der Jugendhilfe für die Kosten aufkam. Der Kläger hat ab Beginn der Hilfegewährung, deren Dauer nicht absehbar war, nicht nur den laufenden Unterhalt für seinen Sohn erspart. Ihm ist vielmehr für Zeiten, in denen sich sein Sohn zu Hause aufgehalten hat, über die Einrichtung ein entsprechender Anteil der Hilfe (Verpflegungsgeld) zusätzlich ausgezahlt worden. Aus dem Antragsvordruck ist ihm auch bekannt gewesen, dass er "ggf. zu den Kosten der beantragten Maßnahme herangezogen" würde. Dasselbe ergab sich für ihn aus dem in dem Bewilligungsbescheid vom 08.07.1999 enthaltenen Hinweis, dass er über eine "eventuelle Heranziehung zu einem (von ihm) zu leistenden Kostenbeitrag" einen gesonderten Bescheid erhalte. Es mag zwar sein, dass der Kläger gemeint hat, er werde jedenfalls nicht mehr rückwirkend zu den Kosten der seinem Sohn gewährten Hilfe herangezogen. Unter den beschriebenen Umständen wäre eine solche Vorstellung aber so abwegig, dass sie rechtlich nicht schutzwürdig wäre und die rückwirkende Erhebung eines Kostenbeitrags jedenfalls – wie hier – noch während der laufenden Hilfegewährung nicht ausschlösse (vgl. zur rückwirkenden Heranziehung eines Hilfeempfängers zu den Kosten seiner stationären Betreuung nach Sozialhilferecht: Urt. d. Sen. V. 17.10.2001 – 4 L 3963/00 -, FEVS Bd. 53, 232, 240). Auch wenn dem Kläger die mögliche Höhe des Kostenbeitrags nicht schon kurz nach Beginn der Hilfeleistung mitgeteilt worden ist, konnte er jedenfalls vernünftigerweise nicht darauf vertrauen, dass er nicht einmal den durch die Unterbringung seines Sohnes ersparten, diesem sonst geschuldeten Unterhalt würde einsetzen müssen. Nur insoweit wird er aber mit den angefochtenen Bescheiden zu den Kosten der Maßnahme herangezogen.

60

Gegen die Berechnung der Höhe des Kostenbeitrags durch den Beklagten erhebt der Kläger Einwände nicht. Auf die von dem Verwaltungsgericht angesprochene Frage, inwieweit der Bescheid vom 26.02.2001 deswegen nicht Bestand haben könnte, weil ein isolierter, einkommensunabhängiger Zugriff auf das dem Beitragspflichtigen gewährte Kindergeld, wie er mit diesem Bescheid vorab erfolgt sei, mit der kostenbeitragsrechtlichen Vorschrift des § 94 Abs. 2 SGB VIII u. U. nicht im Einklang stehe, kommt es hier nicht an. Denn die dort verfügte Abzweigung des Kindergeldes „mit sofortiger Wirkung“ wirkte sich erst ab März 2001 auf die Kindergeldleistungen aus. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist aber nur die Kostenbeitragspflicht des Klägers bis einschließlich Februar 2001. Dass der Beklagte dennoch bei der Ermittlung der Kostenbeiträge für die Zeit bis einschließlich Februar 2001 jeweils die Hälfte des Kindergeldes abgesetzt hat, obwohl der Kläger es in dieser Zeit noch ganz erhalten hat, wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers aus.