Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.12.2003, Az.: 2 LA 382/03

Alternativbegründung; Alternative; Asyl; Asylbewerber; Ausländer; Begründung; Berufungszulassung; Darlegung; Rechtsmittel; Rechtsmittelzulassung; Zulassung; Zulassungsgrund

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.12.2003
Aktenzeichen
2 LA 382/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48439
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.10.2003 - AZ: 1 A 82/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird ein verwaltungsgerichtliches Urteil alternativ begründet und kann der Zulassungsantragsteller für eine der beiden Begründungen einen Zulassungsgrund darlegen, so ist die Berufung auch dann zuzulassen, wenn für die andere Begründung Zulassungsgründe nicht dargelegt werden.

Gründe

1

1. Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2003 zuzulassen, hat Erfolg, soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht seine Klage auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz gegen die Abschiebungsandrohung bezüglich des Herkunftslands Syrien abgelehnt hat. Denn zumindest der geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO), greift durch.

2

Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO), verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen (s. a. §§ 86 Abs. 2 und 3, 104 Abs. 1, 109 Abs. 2 VwGO). Im Asylprozess verpflichtet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) das Verwaltungsgericht, seine Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweismittel zu stützen, zu denen sich die Beteiligten deshalb zuvor äußern konnten, weil diese im Einzelnen bezeichnet und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, s. z. B. BVerfG, Beschl. v. 18.6.1985 - 2 BvR 414/84 - , BVerfGE 70, 180(189) u. Beschl. v. 15.3.1999 - 2 BvR 243/96 -, InfAuslR 1999, 260(261), des Bundesverwaltungsgerichts, s. z. B. BVerwG, Urt. v. 1.10.1985 - BVerwG 9 C 20.85 - , DVBl. 1986, 102 = InfAuslR 1986, 56 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 37, und des Senats, s. etwa die Beschl. v. 26.3.2001 - 2 LA 101/01 - u. v. 13.8.2002 - 2 LA 2240/00 -). Ist ein entscheidungserhebliches, von dem Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung verwertetes Erkenntnismittel, bei dem es sich nicht um eine sog. allgemeinkundige Tatsache handelt (s. dazu Marx, AsylVfG, 4. Aufl. 1999, RdNr. 190 zu § 78), nicht ordnungsgemäß in das (Asyl-)Verfahren eingeführt worden, so kann dies die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen Verstoßes gegen das Gehörsgebot rechtfertigen.

3

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist hier auf den Zulassungsantrag des Klägers vom 17. November 2003 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2003 zumindest deshalb nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil es das Verwaltungsgericht versäumt hat, zu Syrien irgendwelche Erkenntnismittel in das Verfahren einzuführen; statt dessen sind von ihm nur Erkenntnismittel betreffend den Libanon zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Da aber das Verwaltungsgericht sein klageabweisendes Urteil alternativ auch auf die Erwägung gestützt hat, der Kläger könne (als staatenloser Kurde) aus Syrien stammen, auch seien staatenlose Kurden aus Syrien von einem - asyl- und abschiebungsschutzrechtlich nicht relevanten - Wiedereinreiseverbot betroffen, weshalb mangels Rückkehrmöglichkeit nach Syrien nicht mehr geprüft werden müsse, ob ihnen dort politische Verfolgung drohe, muss es damit zu dem Herkunftsland Syrien entscheidungserhebliche Erkenntnismittel wie etwa den (aktuellen) Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2002, in dem zum Wiedereinreiseverbot für staatenlose Kurden Stellung genommen wird, zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht haben. Zu diesen Erkenntnismitteln konnte sich der Kläger aber vor dem Erlass des angefochtenen Urteil nicht äußern, weil er aufgrund der nur zum Libanon übersandten Erkenntnismittelliste und des Umstandes, dass er in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. März 2003 als aus dem Libanon gebürtig angesehen worden war, nicht damit rechnen musste, er werde in den Gründen des angefochtenen Urteils (entscheidungserheblich) auch als Staatenloser mit dem Herkunftsland Syrien eingeordnet werden. Das Verwaltungsgericht hat es auch unterlassen, in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2003 Erkenntnismittel zu Syrien in das Verfahren einzuführen oder auch nur darauf hinzuweisen, es werde auch erwogen, als Herkunftsland des Klägers (alternativ auch) Syrien in die rechtliche Beurteilung einzubeziehen. Vielmehr hat es in der mündlichen Verhandlung laut Protokoll lediglich den (aktuellen) Lagebericht für den Libanon vom 17. Juli 2003 in das Verfahren eingeführt, was den Kläger nur darin bestärken konnte, auch das Verwaltungsgericht gehe wie die Verwaltungsbehörde davon aus, dass er aus dem Libanon stamme.

4

Soweit das Verwaltungsgericht sein klageabweisendes Urteil - alternativ - auch auf die Erwägung gestützt hat, der Kläger könne auch dann nicht als Asylberechtigter anerkannt oder ihm Abschiebungsschutz nach den §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG gewährt werden, wenn er aus dem Libanon stamme, so steht dies dem Erfolg des Zulassungsbegehrens nicht im Wege.

5

Allerdings ist ein Zulassungsantragsteller für den Fall, dass das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil auf mehrere, und zwar auf zwei selbständig tragende Erwägungen gestützt ist, gehalten, sich mit jeder dieser Begründungen zu befassen und hierfür jeweils einen (tatsächlich vorliegenden) Zulassungsgrund darzulegen, soll der Zulassungsantrag Erfolg haben (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, s. z. B. den Beschl. v. 20.8.1993 - BVerwG 9 B 512.93 -, DVBl. 1994, 210 u. st. Rspr. des Nds. Oberverwaltungsgerichts, s. etwa die Beschl. v. 26.4.2001 - 12 LA 1554/01 -, v. 16.7.2002 - 2 LA 130/02 - u. v. 23.7.2003 - 2 LA 160/03 - ; s. auch Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2003, RdNr. 25 zu § 124 u. RdNr. 53 zu § 132). Ist aber die mehrfache Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht kumulativ, sondern - wie hier - alternativ ausgestaltet, so genügt es (für einen erfolgreichen Zulassungsantrag), wenn für eine der alternativen Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt werden kann (Meyer-Ladewig, aaO; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 26.5.1993 - BVerwG 4 NB 3.99 -, NVwZ 1994, 269f. [BVerwG 26.05.1993 - BVerwG 4 NB 3.93] - für die Nichtvorlagebeschwerde nach § 47 Abs. 7 VwGO a. F.).

6

Ist die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts schon wegen der Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren, nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen, so bedarf es keines Eingehens darauf, ob die von dem Kläger zusätzlich geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) und der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) zur Zulassung der Berufung führen könnten.

7

2. Der Zulassungsantrag bleibt aber erfolglos, soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht seine Klage auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz sowie gegen die Abschiebungsandrohung bezüglich des Herkunftslands Libanon abgelehnt hat. Denn insoweit enthält der Zulassungsantrag keine Darlegungen, weshalb er insoweit mangels hinreichender Darlegung (s. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) als unzulässig zu verwerfen ist. Insoweit, d.h. hinsichtlich des Herkunftslands Libanon ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts mithin unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

8

3. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylVfG).