Landgericht Hannover
Urt. v. 19.05.2021, Az.: 14 O 112/19
Darlegen eines Anspruchs auf eine Bezahlung des Wohngruppenzuschlags (hier: Bezahlung von Pflegeleistungen des verstorbenen Ehemanns)
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 19.05.2021
- Aktenzeichen
- 14 O 112/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2021:0519.14O112.19.00
Rechtsgrundlagen
- § 323 Abs. 1 BGB
- § 38a SGB XI
In dem Rechtsstreit
- Klägerin -
gegen
- Beklagte -
hat das Landgericht Hannover - 14. Zivilkammer - durch die als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 04.05.2021 für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.723,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 12.008,34 € seit dem 5. August 2019 und auf weitere 5.715,53 € seit dem 6. Februar 2020 zu zahlen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- 4.
Streitwert: € 17.723
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns auf Bezahlung von Pflegeleistungen in Anspruch.
, eingestuft mit einem Pflegegrad V, wurde durch die Klägerin aufgrund des als Anlage K2 vorgelegten Pflegevertrages infolge seiner Pflegebedürftigkeit gepflegt und wohnte in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit intensiv - pflegerischem Bedarf. Mit der Klage beansprucht die Klägerin eine Bezahlung für Pflegeleistungen, wobei sie die Zahlungsforderung auf die als Anlage K8 vorgelegte Addition der Einzelrechnungen aus dem Zeitraum vom 26. Juli 2018 bis zum 2. Dezember 2019 stützt. Für den Ehemann der Beklagten bestand gegenüber seiner privaten Pflegeversicherung und der Beihilfestelle ein Anspruch auf Erstattung von Zahlungsverpflichtungen aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Pflegevertrag. In Höhe des jeweils in den Rechnungen ausgewiesenen Teilbetrages erfolgte eine Bezahlung der Rechnungsforderung durch die private Pflegeversicherung. Die Beihilfestelle bezahlte den weiteren Leistungsanteil der Rechnungen der Klägerin direkt an den Betreuten.
Die Klägerin behauptet, die abgerechneten Leistungen vollständig ordnungsgemäß erbracht zu haben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 17.723,87 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf Euro 12.008,34 seit dem 5. August 2019 und auf 5715,53 seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung aus dem Schriftsatz vom 17. Januar 2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt den Standpunkt ein, teilweise rechne die Klägerin Leistungen ab, für welche aus Rechtsgründen keine Anspruchsgrundlage bestehe. Im Übrigen sei eine Schlechterfüllung der Vertragspflicht der Klägerin gegeben. Aus diesem Grund sei ein Anspruch auf Minderung der Vergütung der Klägerin berechtigt. Im Hinblick darauf, dass durch einen anderen Kostenträger jeweils bereits eine anteilige Bezahlung der Rechnungsforderung der Klägerin erfolgt sei - was zwischen den Parteien unstreitig ist - sei keine weitere offene Vergütungsforderung der Klägerin mehr gegeben. Die jeweils an die Klägerin erbrachte Zahlung umfasse den jeweils begründeten maximalen Forderungsbetrags. Infolge einer jeweils aus der Sicht der Beklagten berechtigten Minderung sei keine weitere Vergütungsforderung begründet. Wegen der Einzelheiten wird auch auf die Darstellung im Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 4. Mai 2021, GA 197 ff, verwiesen.
Die Beklagte nimmt den Standpunkt ein, der jeweils von der Klägerin abgerechnete Wohngruppenzuschlag sei von dieser nicht verdient, da die beauftragte Person nicht vor Ort gewesen sei, sondern in den Räumlichkeiten der Wohngemeinschaft jeweils nur eine Pflegekraft. Aus der Sicht der Beklagten sei auch der abgerechnete Entlastungsbetrag von der Klägerin nicht verdient, da keine Entlastung stattgefunden habe. Eine Mobilisation des Betreuten habe nur selten und auch nur auf mehrfache Anforderung hin stattgefunden; dieser sei durch die Klägerin nicht beschäftigt worden. Es seien keine täglichen Haushaltsleistungen seitens der Klägerin erbracht worden, da das Zimmer nur sehr sporadisch gewischt worden sei, Einkäufe von den Angehörigen getätigt worden seien und die Toilette verschmutzt gewesen sei. Eine Wegeleistung sei nicht angefallen. Es habe auch nachträgliche Veränderungen in der Leistungsdokumentation der Klägerin gegeben.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat die Geschäftsführerin der Klägerin sowie die Beklagte informatorisch zur Sachverhaltsaufklärung angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die Protokollniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
Aufgrund des zwischen der Klägerin und dem Rechtsvorgänger der Beklagten abgeschlossenen Pflegevertrages, eines typengemischten Vertrages, hat die Klägerin gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin einen Anspruch auf Bezahlung des noch offenen Restbetrages der streitgegenständlichen Rechnungen.
1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine Bezahlung des streitgegenständlichen Wohngruppenzuschlags nachvollziehbar dargelegt, ohne dass die Beklagte dem mit erheblichem Vortrag entgegengetreten ist.
Ein Anspruch auf Bezahlung eines Wohngruppenzuschlags (§ 38 a SGB XI) ist begründet, sofern der Pflegebedürftige in einer Wohngemeinschaft von mindestens 2 bis höchstens 11 Personen betreut wird und die Mitglieder der Wohngruppe eine Person gemeinschaftlich beauftragen, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten.
Aus der Anlage B3 ergibt sich, was hier konkret zwischen den Parteien für die Organisation der Wohngruppe vereinbart worden ist. Die Klägerin hat ausgeführt (GA 61), die gemeinschaftlich für die Wohngruppe beauftragte Personen, , habe die Organisation der Wohngemeinschaft aus bis zu 8 pflegebedürftigen Bewohnern koordiniert. Diesbezüglich sei die Zulieferung für Pflege- und Medizinprodukte sowie die gemeinschaftlich genutzten Verbrauchsmittel koordiniert worden. Ebenso sei das Verordnungsmanagement mit den Pflege- und Krankenkassen sowie die Termine für Arztbesuche, Therapie und anderer an der Versorgung beteiligter Dienstleister organisiert worden. Dass diese differenziert dargestellten Tätigkeiten nicht ausgeführt worden seien, lässt sich dem Tatsachenvortrag der Beklagten nicht entnehmen. Dass es solche Organisationstätigkeiten nicht gegeben habe, stellt die Beklagte gerade nicht da. Eine Verpflichtung, vor Ort in der Wohngruppe anwesend zu sein, ist vertraglich nicht geregelt. Es ist auch nicht erkennbar, dass dies für die vereinbarten organisatorischen Tätigkeiten erforderlich gewesen wäre. Die Versorgung des Betreuten an dessen Aufenthaltsort ist den dort anwesenden Pflegekräften übertragen gewesen. Die Organisationspflichten, die durch den Wohngruppenzuschlag abgegolten sind, waren nicht primär vor Ort zu leisten.
Damit ist die Forderung auf Bezahlung des jeweiligen Wohngruppenzuschlags begründet.
2. Die Klägerin hat auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Beanspruchung des monatliche Entlastungsbetrags gemäß § 45 b SGB XI nachvollziehbar dargelegt. Die Beklagte ist dem nicht mit erheblichem Vorbringen entgegengetreten.
Dieser monatliche Entlastungsbetrag ist u.a. verdient bei einer Entlastung der Angehörigen des Pflegebedürftigen infolge einer Inanspruchnahme von Leistungen der Tages- oder Nachtpflege. Der Betrag dient der Entlastung eines pflegenden Angehörigen, indem dieser statt einer eigenen pflegerischen Tätigkeit externe Leistungen zu Tages- und Nachtpflege in Anspruch nehmen kann (vergleiche Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 112 EL, § 45 b Rn. 15, zitiert nach Beck-online). Die Beklagte bestreitet nicht, dass die Tages- und Nachtpflege durch die Klägerin im Rahmen der Unterbringung des Erblassers in der von der Klägerin betreuenden Wohngemeinschaft erfolgt ist. Somit ist auch der Entlastungsbetrag zu bezahlen.
3. Im Übrigen moniert die Beklagte bei den einzelnen nicht bezahlten Rechnungen, es habe keine täglichen Haushaltsleistungen gegeben. Ausdrücklich ist durch die Beklagte erklärt worden (GA 197 R), die Zahlungsverweigerung werde darauf gestützt, dass bei den Rechnungen jeweils ein Minderungsbetrag angenommen werde. Da unstreitig durch den anderen Kostenträger auf jede Rechnungsforderung bereits eine Zahlung erfolgt ist rechtfertige die seitens der Beklagten angenommene Schlechterfüllung der Vertragspflichten der Klägerin die Nichtbezahlung des noch offenen Restbetrages. Die Schlechtleistung beziehe sich darauf, dass das Zimmer nur sporadisch gewischt worden, Einkäufe durch Angehörige erfolgt seien und die Toilette verschmutzt gewesen sei.
a) Eine Berechtigung, die Vergütung für die hauswirtschaftliche Versorgung zu verweigern, ist nicht ersichtlich. Aus dem Tatsachenvortrag der Beklagten lässt sich nicht ableiten, es habe keine hauswirtschaftliche Versorgung gegeben.
Der Ehemann der Beklagten war selbst nicht in der Lage hauswirtschaftliche Tätigkeiten zu erbringen (Pflegegrad V). Tatsächlich ist er in der durch die Klägerin organisierten Wohngruppe versorgt worden. Die Beklagte moniert einzelne Defizite der Haushaltsführung (verschmutzte Toilette, sporadisches Wischen) und erklärt, Einkäufe seien von Angehörigen getätigt worden. Indes macht die Beklagte gerade nicht geltend, die vollständige Versorgung des Betreuten mit Lebensmitteln sei durch die Angehörigen und nicht durch die Klägerin erfolgt. Dass seitens der Beklagten darüber hinaus individuelle Bedarfsgegenstände für den Betreuten selbst besorgt worden sind schließt eine Bezahlung der Klägerin für die Ausübung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten gerade nicht aus.
Die Beklagte moniert, das Zimmer sei nur sporadisch gewischt worden, die Toilette verschmutzt. Daraus lässt sich jedoch keine die Leistungskürzung rechtfertigende Schlechterfüllung der Leistungspflichten der Klägerin ableiten. Es wäre darzustellen gewesen, zu welchen konkreten Zeitpunkten im Hinblick auf den Zustand eine Reinigung erforderlich gewesen wäre aber unterblieben sei.
b) Außerdem wäre der Höhe nach auch die vorgenommene Minderung nicht gerechtfertigt.
Entsprechend der als Anlage K 11 vorgelegten Anlage zum Rahmenvertrag ist bezüglich des Leistungskomplexes 19, Hauswirtschaftliche Versorgung, im Einzelnen dargestellt, welche Leistungen als Gegenleistung für den diesbezüglich berechneten Gesamtbetrag zu erbringen sind. Mit der abgerechneten Pauschale sind die umfangreichen, im Einzelnen in Leistungskomplex 19 dargestellten, Tätigkeiten abgegolten. Die Beklagte moniert lediglich untergeordnete Einzeltätigkeiten. Tatsächlich war durch diesen Leistungskomplex jedoch die gesamte Tätigkeit zur Haushaltsführung für den Pflegebedürftigen durch dessen Leben in der Wohngemeinschaft abgegolten. Hinsichtlich der unbezahlten Rechnungen betrifft der Leistungsanteil für den Leistungskomplex 19 (hauswirtschaftliche Versorgung) monatlich einen Teilbetrag zwischen jeweils 318,60 € und maximal Euro 343,68. Die monierten untergeordneten Schlechterfüllungen rechtfertigen eine Leistungskürzung in diesem Umfang nicht. Insoweit ist außerdem keine angemessene Frist zur Nacherfüllung (§ 323 Abs. 1 BGB) bzw. eine Abmahnung (§ 323 Abs. 3 BGB) ausgesprochen worden. Dass derartiges ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre, lässt sich dem Tatsachenvortrag der Beklagten nicht entnehmen.
4. Die Beklagte moniert weiter eine teilweise Schlechterfüllung von Pflegeleistungen. Eine Mobilisation des Betreuten habe nur selten stattgefunden. Eine wirkliche Schlechterfüllung ist dadurch nicht ausreichend mit Tatsachen dargestellt. Dazu wäre es notwendig gewesen, konkrete Zeitpunkte, zu denen eine Mobilisierung im Hinblick auf den individuellen Gesundheitszustand sowie den Gesamtzuschnitt der Wohngruppe zwingend hätte erfolgen müssen darzustellen und zu erklären, dass zu solchen konkreten Zeitpunkten tatsächlich keine Mobilisation stattgefunden habe.
Eine nachvollziehbare Bezifferung eines Minderungsbetrages ist durch die Beklagte ebenfalls nicht erfolgt. Dem Gericht wäre diesbezüglich mangels Grundlage auch keine Schätzung möglich (§ 287 ZPO).
5. Weiter nimmt die Beklagte den Standpunkt ein, ein Anspruch der Klägerin auf Bezahlung eines Wegegeldes bestehe nicht. Diese Vergütung entspricht dem Leistungskomplex 21 "Wegepauschalen" (Anlage K 11). Dass die Pflegepersonen jeweils die Wohngemeinschaft in , in welcher der Betreute lebte, aufgesucht haben, nimmt die Beklagte nicht in Abrede. Vor diesem Hintergrund ist die jeweils abgerechnete Wegepauschale verdient.
6. Unter dem Gesichtspunkt des Verzuges ist die begründete Klageforderung wie zuerkannt zu verzinsen (§§ 286, 288 BGB).
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.