Landgericht Hannover
Urt. v. 02.03.2021, Az.: 9 O 11/20

Schadensersatz nach dem Erwerb eines Dieselfahrzeuges mit einer illegalen automatischen Abgasabschalteinrichtung

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
02.03.2021
Aktenzeichen
9 O 11/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 73400
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2021:0302.9O11.20.00

In dem Rechtsstreit
XXX
- Kläger Prozessbevollmächtigte:
XXX
gegen
XXX
- Beklagte
Prozessbevollmächtigte:
XXX
hat das Land ericht Hannover - 9. Zivilkammer - durch die Richterin am Landgericht
Is Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 29.012021 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

  3. 3

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1 10 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines vom Kläger gekauften Fahrzeugs im Zusammenhang mit dem sogenannten Diesel-Abgasskandal in Anspruch. Im September 2018 erwarb der Kläger den streitgegenständlichen Pkw Mercedes Benz C 200 d mit der Fahrgestellnummer: XXX zu einem Kaufpreis von 22.350,00 €, wobei ausweislich des Kaufvertrages eine Zahlung per Finanzierung erfolgte (Anlage K 1, Seite 5). Die Laufleistung betrug bei Erwerb durch den Kläger 44.678 km. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor verbaut, wobei das Fahrzeug in die Schadstoffklasse 6 eingeordnet ist. Zur Reduktion der Stickoxidemissionen verfügt das Fahrzeug über eine Abgasrückführung und eine Diesel-Abgasreinigungsanlage (blue-tec). Die Parteien streiten insbesondere darum, ob der Motor eine unzulässige Abschaltvorrichtung enthält oder ein zulässiges sogenanntes Thermofenster. Auf das Fahrzeug wurde ein Software-Update aufgespielt.

Der Kläger trägt vor, das verbaute Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil die Rate der Abgasrückführung von der Ladeluft-/Außentemperatur abhänge und bei niedrigeren Temperaturen betriebspunktabhängig geringer sei als bei höheren Temperaturen. Ab 9 Grad Celsius sei die Rate der Abgasrückführung um 40 % geringer. Damit liege eine Täuschung des Klägers vor. In der mündlichen Verhandlung und mit Schriftsatz vom selben Tag hat der Kläger ferner behauptet, die Beklagte habe im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem IKBA falsche Angaben über das Thermofenster gemacht, weshalb das KBA die Typengenehmigung erteilt habe.

Der Kläger hat ursprünglich beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Pkw Mercedes-Benz C 200 d, Fahrgestellnummer- 22.350,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2018 zu bezahlen;

  2. 2.

    festzustellen, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1242,84 € freizustellen.

Am 01.06.2020 hat der Kläger das Fahrzeug zum Preis von 18.900,00 weiterverkauft. Zum Verkaufszeitpunkt hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 66.500 km, weshalb er seinen behaupteten Schadensersatzanspruch nunmehr wie folgt beziffert:

Kaufpreis22.350,00 €
abzgl. Verkaufspreis18.900,00 €
Zwischensumme3.450,00 €
abzgl. Nutzungswertersatz1.908,46
verbleibender Schaden.1.541 , 54 €

Den Nutzungswertersatz hat der Kläger wie folgt berechnet:

22.350,00 € (Kaufpreis) x 21.800 € (Fahrleistung) / 255.300 km (Restlaufleistung) - - 1.908,46 Der Kläger beantragt nunmehr,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.541 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2019 zu zahlen

  2. 2.

    festzustellen, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet;

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1242,84 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt}

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation des Beklagten, Rückabwicklungsansprüche geltend zu machen, weil das Fahrzeug finanziert worden sei. Sie trägt im Wesentlichen vor, deliktische Ansprüche seien nicht gegeben, weil die Beklagte bei der Herstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Hinblick auf dessen NOx-Emissionen einer vertretbaren Rechtsauffassung gefolgt sei, so dass für Vorsatz oder Sittenwidrigkeit von vornherein kein Raum sei. Der Einsatz von Thermofenstern sei gängiger Industriestandard und keine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte habe davon ausgehen dürfen, dass eine temperaturabhängige Abgasregelung schon keine Abschalteinrichtung darstelle, jedenfalls aber aus Gründen des Motorschutzes zulässig sei. Die uneingeschränkte wirksame EGTypengenehmigung sei ein die Zivilgerichte bindender, bestandskräftiger Verwaltungsakt. Bei 9 Grad Celsius erfolge bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine Reduzierung der Abgasrückführungsrate wegen der Außentemperatur. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Vertragliche Schadensersatzansprüche gemäß SS 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1, Abs. 2, 433, 434, 437 Nr. 3 BGB scheiden - unabhängig von der Frage der Aktivlegitimation bereits deshalb aus, weil der Kläger vertragliche Rückabwicklungsansprüche nicht dargelegt hat. Insbesondere fehlt jeder Vortrag dazu, dass er der Beklagten eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat oder diese entbehrlich gewesen wäre.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Schadensersatz aufgrund einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu S 826 BGB ist ein Verhalten sittenwidrig, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19 - Rn. 14, juris, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20 juris Rn. 29).

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist von dem Kläger nicht substantiiert dargetan. Der von dem Kläger erhobene Vorwurf, die Beklagte habe ein sogenanntes "Thermofenster" verbaut, reicht für sich genommen nicht aus, um die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit zu bejahen. Wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.012021 überzeugend festgestellt hat, reicht eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein besonders verwerfliches, sittenwidriges Gepräge zu geben. Anders als bei der in den Motoren EA 189 verbauten Motorsteuerungssoftware ist bereits nicht vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet.

Selbst wenn man jedoch unterstellt, dass es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung 715/2007/EG handeln sollte, bedarf es weiterer Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchssteller (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 -VI ZR 433/19 - Rn. 19, juris).

Diesen Vorwurf der Sittenwidrigkeit hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Die pauschale Behauptung, die Beklagte habe im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem IKBA falsche Angaben gemacht, ermangelt jeglicher konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte, so dass dieser Vortrag als unsubstantiierter Vortrag ins Blaue hinein nicht zu beachten ist. Darüber hinaus ist dieser Vorwurf auch wegen Verspätung gemäß S 296 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Entgegen der Ausführungen des Klägers handelt es sich um einen neuen Vortrag, da der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung nur eine Täuschung des Klägers behauptet hat. Aus dem Vortrag, der Kläger sei getäuscht worden ergibt sich auch nicht offensichtlich, dass dann und in welcher Form das IKBA getäuscht wurde. Die sich aus diesem neuen Vortrag ergebende, mögliche Beweisaufnahme oder jedenfalls Rückfrage beim KBA würde zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führen und der Kläger hat nicht dargelegt, dass dieser erst am Tage der mündlichen Verhandlung erhobene Vortrag nicht auf grober Nachlässigkeit beruht.

Darüber hinaus scheitert die Klage auch daran, dass der Kläger seinen Schaden nicht dargelegt hat. Der Kläger berechnet seinen Schaden, indem er von dem ursprünglich gezahlten Kaufpreis den Verkaufserlös und den Nutzungswertersatz abzieht. Der von dem Kläger behauptete Vermögensschaden kann zwar grundsätzlich darin bestehen, dass der Kläger durch ein inkriminiertes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht wird, den er sonst nicht abgeschlossen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris). Von dieser "ungewollten" vertraglichen Verpflichtung ist der Kläger durch den Verkauf des

Fahrzeugs aber nunmehr befreit. Nach der Rechtsprechung des OLG Celle ist in einem solchen Fall der Schaden nach der Differenzmethode zu berechnen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.10.2020 - 7 U 942/20). Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er für den Wagen einen geringeren Verkaufserlös erzielt hätte, als für ein ansonsten identisches, nicht mit einem Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug. Damit ist auch nicht ersichtlich, dass sich die berechtigten Erwartungen aus dem Vertragsschluss beim Erwerb des Fahrzeugs nicht erfüllt hätten.

Weitere Anspruchsgrundlagen kommen auch nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu dem Motor EA 189 nicht in Betracht.

Ein Anspruch gemäß S 823 BGB in Verbindung mit SS 6, 27 EG-FGV scheidet aus, da es sich bei der Verordnung nicht um ein Schutzgesetz für den Käufer handelt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 222/19 -, juris). Das Gleiche gilt auch in Bezug auf die Regelung des Artikels 5 VO (EG) Nr. 715/2007 (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20 juris). Schließlich besteht auch kein Anspruch gemäß S 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit SS 263 StGB, 31 BGB, da es dafür an der erforderlichen Stoffgleichheit fehlt.

Da dem Kläger keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen, waren auch die darüber hinaus geltend gemachten Ansprüche abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus SS 91, 709 ZPO.