Landgericht Verden
Beschl. v. 07.01.2008, Az.: 1 T 323/07

Erhöhung des pfandfreien Betrags nach Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens bei Behandlung mit Alternativer Medizin; Notwendigkeit einer medizinischen Indikation der fraglichen Behandlungsmaßnahmen

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
07.01.2008
Aktenzeichen
1 T 323/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 53733
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:2008:0107.1T323.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Verden - 09.07.2007 - AZ: 11 IK 235/05
nachfolgend
BGH - 23.04.2009 - AZ: IX ZB 35/08

In der Beschwerdesache
Insolvenzsache über das Vermögen xxx
der xxx
Beschwerdeführerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte xxx
Geschäftszeichen: xxx
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Verden am 07.01.2008 durch den Vizepräsidenten des Landgerichts xxx den Richter am Landgericht xxx, den Richter am Landgericht xxx
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde vom 23.07.2007 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 09.07.2007 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Durch Beschluss vom 03.01.2006 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Beschwerdeführerin eröffnet. Mit Schreiben vom 05.02.2007 hat diese beantragt, den pfandfreien Betrag zu erhöhen, da sie Mehraufwendungen für therapeutische Maßnahmen habe. Sie leide an einer Somatisierungsstörung, einer Dysthymia sowie einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Zur Behandlung seien eine multimodale Therapie mit energetischen Massagen, Osteopathie etc. sowie "Aura-Gruppensitzungen" erforderlich. Sie bezieht sich insoweit insbesondere auf Bescheinigungen der behandelnden Ärzte vom 2.12.05 (Bl. 186), vom 22.1.2007 (Bl. 135), vom 30.4.2007 (Bl. 202) und vom 15.12.2007 (Bl. 318). Für die energetischen Massagen fielen 14-tägig Kosten in Höhe von 26,- EUR an, für die-Aura-Gruppensitzungen 14-tägig Kosten in Höhe von 23,- EUR. Hinzu kämen unregelmäßig Mehrkosten für Medikamente. Die Kostenübernahme wurde von der Krankenkasse durch Schreiben vom 23.5.2007 (Bl. 216) abgelehnt, da die Voraussetzungen für eine Erstattungsfähigkeit von Kosten alternativer Behandlungsmethoden nicht erfüllt seien.

Mit Beschluss vom 9.7.2007 hat das Amtsgericht den Antrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen, da nicht hinreichend konkret belegt sei, dass der bislang pfandfrei verbleibende Betrag zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht ausreiche. Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde, für die die Beschwerdeführerin weiter Prozesskostenhilfe begehrt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Erhöhung des unpfändbaren Betrages nach § 850 f Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

1.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind zwar die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin ausreichend dargelegt. Es ist jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass "besondere Bedürfnisse" i.S.d. § 850 f Abs. 1 lit. b) ZPO bestehen.

Besondere Bedürfnisse i.S.d. § 850 f Abs. 1 lit. b) ZPO erfordern eine solche Erhöhung des pfändungsfreien Betrages u.a. dann, wenn besondere medizinisch indizierte Therapien besondere Kosten verursachen, sofern diese nicht durch die Krankenkasse übernommen werden.

a) Unter Berücksichtigung des Gesetzeszweckes ist dafür allerdings nicht ausreichend, dass die fragliche Therapie lediglich in einem nicht näher konkretisierten Umfang hilfreich oder sinnvoll ist. Vielmehr ist eine Einschränkung der Berücksichtigungsfähigkeit derartiger Kosten aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen den Gläubigerinteressen und dem Schuldnerschutz vorzunehmen, das § 850 f Abs. 1 lit. b) ZPO zugrunde liegt. Diese Vorschrift regelt nicht, welche Bedürfnisse der Schuldner überhaupt befriedigen darf, sondern wann die Kosten hierfür mittelbar von den Gläubigern zu tragen sind. Eine Erhöhung des pfandfreien Betrages führt zu einer besonderen Belastung der Gläubiger. Sie setzt deshalb voraus, dass ein objektivierbares besonderes Bedürfnis des Schuldners besteht, auf das billigerweise bei der Vollstreckung Rücksicht zu nehmen ist. Ein derartiges Bedürfnis besteht jedoch nicht schon aufgrund des Wunsches, bei chronischen Erkrankungen Behandlungen nach Außenseitermethoden durchzuführen, für deren Wirksamkeit etc. es keine wissenschaftlich nachgewiesenen Anhaltspunkte gibt.

Derartige besondere Bedürfnisse liegen im Hinblick auf medizinische Behandlungen nur vor, wenn dem Schuldner nicht zugemutet werden kann, aus wirtschaftlichen Gründen eine erforderliche Behandlung zu unterlassen. Hierfür muss die Behandlung dergestalt indiziert sein, dass der Betroffene auf sie aus medizinischen Gründen zwingend angewiesen ist, um eine Besserung seiner Krankheit oder ihrer Symptome zu erfahren oder einer Verschlechterung vorzubeugen. Diese Wirkung der Behandlung muss objektivierbar, also wissenschaftlich nachgewiesen oder zumindest nachweisbar sein. Darüber hinaus müssen die Kosten, die für die Therapie anfallen, verhältnismäßig sein, also in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.

Diese Grundsätze liegen auch dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde, so dass derartige Kosten regelmäßig nach § 850 f Abs. 1 lit. b) ZPO nicht zu berücksichtigen sind, die von der gesetzlichen Krankenkasse mangels Indikation bzw. mangels Wirtschaftlichkeit nicht zu erstattet sind.

Diese Grundsätze stehen nicht im Widerspruch etwa zu den Entscheidung, nach denen die Kosten für eine spezielle Diätverpflegung berücksichtigt werden können (LG Essen u.a., Rechtspfleger 1990, 470), da es sich bei derartigen Diäten schon nicht um Behandlungen handelt, so dass die Erstattungsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung dort aus anderen Gründen nicht in Betracht kam.

b) Im vorliegenden Fall macht die Beschwerdeführerin Kosten für alternative Behandlungsmethoden geltend, die von ihrer gesetzlichen Krankenkasse unter den besonderen Voraussetzungen insbesondere des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 SGB V zu übernehmen wären. Hierfür müssten die Behandlungsmethoden - ohne zur Schulmedizin zu gehören - wissenschaftlich nachgewiesen zweckmäßig und wirksam sowie wirtschaftlich sein (vgl. Höfler in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 12 SGB V Rdnr. 24 ff.).

Nach dem eigenen Vortrag der Beschwerführerin hat ihre Krankenkasse die Übernahme von Leistungen für diese Behandlungen aus den vorstehenden Gesichtspunkten abgelehnt. Vor diesem Hintergrund ist ihr Vortrag zur medizinischen Indikation dieser Behandlungen widersprüchlich und unzureichend. Insbesondere ist vor diesem Hintergrund nicht ausreichend, dass sie lediglich Bestätigungen der sie behandelnden Ärzte vorlegt, nach denen die Therapien indiziert seien bzw. sinnvoll wirken könnten. Ersichtlich ist hiermit keine wissenschaftlich nachgewiesene medizinische Indikation gemeint, da die Beschwerdeführerin zugleich davon ausgeht, keinen Anspruch auf Kostenübernahme gegenüber ihrer Krankenkasse zu haben. Ebenfalls war deshalb die eidesstattliche Versicherung der Beschwerdeführerin vom 13.12.2007 nicht geeignet, ihren Vortrag schlüssig zu machen. Schon mangels hinreichender Darlegung war deshalb kein Gutachten über die medizinische Indikation der fraglichen Behandlungsmaßnahmen einzuholen.

2.

Aus denselben Gründen kommt keine Erhöhung des pfändungsfreien Betrages aufgrund von Zuzahlungen zu Medikamenten in Betracht. Zuzahlungen in üblicher Höhe sind ohnehin bei der Bemessung des Pauschalbetrages berücksichtigt und begründen damit schon deshalb kein besonderes Bedürfnis.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Aus den genannten Gründen bestanden von Anfang an keine Erfolgsaussichten der eingelegten sofortigen Beschwerde, so dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzuweisen war.

Die Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.