Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.11.2002, Az.: 6 C 647/02

Aufnahmekapazität; Berechnung; Bewerbungsfrist; Kapazität; Psychologie; Studiengang

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.11.2002
Aktenzeichen
6 C 647/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41893
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Kapazitätsermittlung und der Bildung von Anteilsquoten in der Lehreinheit Psychologie bei der Zuordnung von mehreren Studiengängen zu dieser Lehreinheit.

Tenor:

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten ihres jeweiligen Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für jedes Verfahren auf 4.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragsteller begehren ihre vorläufige Zulassung zum Studium der Psychologie bei der Antragsgegnerin ab dem Wintersemester 2002/03. Die Anträge sind auf eine Zulassung zum 1. Fachsemester gerichtet. Zur Begründung ihrer Anträge tragen die Antragsteller im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin schöpfe ihre Aufnahmekapazität nicht aus und sei in der Lage, über die durch Verordnung festgesetzten Zulassungszahlen hinaus weitere Studienbewerber aufzunehmen. Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf die Antragsbegründungen verwiesen.

2

Die Zahl der im Studiengang Psychologie (Diplom) zu vergebenden Studienplätze ist gemäß § 1 i.V.m. Anlage 1 Abschn. I A der Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2002/03 und zum Sommersemester 2003 - ZZ-VO - vom 28. Juni 2002 (Nds. GVBl. 2002, 326) auf 55 festgesetzt worden. Infolge der Einführung des Studienjahrbetriebes werden nur noch jeweils zum Wintersemester Studienanfänger an der Hochschule in diesem Studiengang aufgenommen.

3

Die Antragsgegnerin tritt den Anträgen entgegen. Sie hält an der von ihr ermittelten Höchstzahl von 55 verteilten Studienplätzen für Studienanfänger im Wintersemester fest. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der Berechnungen der Antragsgegnerin, wird auf die Generalakte "Psychologie/WS 2002/03" Bezug genommen.

4

II. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.

5

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Rechtsuchenden wesentliche Nachteile abzuwenden. Sowohl die Dringlichkeit der begehrten gerichtlichen Entscheidung als auch der Anspruch auf Zulassung zum Studium wegen nicht vollständig ausgeschöpfter Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin in diesem Studiengang sind glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

6

Die auf eine einstweilige Zulassung zum Studium der im 1. Fachsemester an der Antragsgegnerin gerichteten Anträge der Antragsteller zu 14), 15), 16) und 19) können ungeachtet der Frage unausgeschöpfter Aufnahmekapazitäten bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil diese Antragsteller bei der Antragsgegnerin keinen ordnungsgemäßen Zulassungsantrag gestellt haben. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 der Nds. Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen durch die Hochschulen - HochschulvergabeVO - i.d.F. vom 29. August 2002 (Nds. GVBl 2002, 374) muss der Studienbewerber, wenn er die Zulassung zum Studium innerhalb oder außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl beantragt, die Hochschulzugangsberechtigung für den gewählten Studiengang spätestens bis zum Ablauf der jeweiligen Bewerbungsfrist nachweisen. Die Antragsteller haben ihre Hochschulzugangsberechtigung bis zum 15. Oktober 2002, dem Ende der für sie geltendenden Bewerbungsfrist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2b Hochschul-VergabeVO) nicht bei der Antragsgegnerin vorgelegt. Die Bewerbungsfrist ist eine Ausschlussfrist (§ 2 Abs. 1 Hochschul-VergabeVO). Eine Nachfrist konnte die Antragsgegnerin nicht setzen, da eine § 2 Abs. 1 Satz 3 Hochschul-VergabeVO entsprechende Regelung für das Zulassungsverfahren außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl fehlt. Ebenso scheidet eine entsprechende Anwendung dieser Regelung aus, da der im Interesse der Studienbewerber vorgesehene späte Ablauf der Bewerbungsfrist es nicht zulässt, den Beginn des Vergabeverfahrens außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl weiter hinauszuschieben. Nicht ausreichend ist, wenn die Antragsteller die Hochschulzugangsberechtigung dem bei Gericht gestellten Antrag auf Zulassung zum Studium beigefügt haben. Der gerichtliche Zulassungsantrag unterscheidet sich von dem an die Hochschule gerichteten Antrag nach Form und Inhalt und ist deshalb nicht geeignet, diesen auch nur teilweise zu ersetzen oder ihn zu ergänzen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 23.04.1992 - 10 N 5675/91 u.a. -).

7

Der Antrag der Antragstellerin zu 19) scheitert außerdem daran, dass diese Antragstellerin eine aktuelle eidesstattliche Versicherung nicht vorgelegt hat, obgleich sie vom Gericht hierzu aufgefordert worden ist. Denn eine die Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren ausnahmsweise rechtfertigende Dringlichkeit ist nicht gegeben, wenn die Antragstellerin bereits an einer anderen Hochschule endgültig oder auch nur vorläufig zum angestrebten Studiengang zugelassen worden ist. Aus diesem Grund fordert die Kammer von den Rechtsuchenden regelmäßig eine eidesstattliche Versicherung, dass dies nicht der Fall ist. Die Antragstellerin zu 19) hat einen solchen Nachweis bis zur Entscheidung der Kammer nicht geführt. Die von ihr vorgelegte Erklärung stammt bereits vom Juni 2002 und ist nicht geeignet, den für das Wintersemester 2002/03 maßgeblichen Sachstand glaubhaft zu machen.

8

Dahingestellt bleiben kann, ob die Antragstellerin zu 1) als eine Ausländerin aus einem nicht zur Europäischen Union gehörenden Land ungeachtet der im Bundesgebiet erworbenen Hochschulzugangsberechtigung von der Teilhabe an einer Kapazitätsprüfung ausgeschlossen ist, weil das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG als Anspruchsgrundlage für eine Studienzulassung außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl deutschen Staatsangehörigen vorbehalten ist (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschl. vom 23.03.1993, 10 N 6234/92 u.a.; OVG Münster, Beschl. vom 03.08.1994, DVBl 1995, 433 m.w.N.). Denn diese Antragstellerin kann - wie auch die übrigen Antragsteller - aus den nachfolgenden Gründen mit ihrem Begehren nicht durchdringen.

9

Maßstab für die Überprüfung der von der Antragsgegnerin ermittelten Zulassungszahl ist die Verordnung über die Grundsätze für eine einheitliche Kapazitätsermittlung und -festsetzung zur Vergabe von Studienplätzen, zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. Februar 2000 (Nds. GVBl. 2000, 18) - KapVO -. Die Berechnung aufgrund der KapVO, die bis zu vier Stellen hinter dem Komma und zunächst ohne Rundung durchgeführt wird, ergibt für den von den Antragstellern gewählten Studiengang Psychologie (Diplom) zum Wintersemester 2002/03 eine Aufnahmekapazität von 55 Studienplätzen für Studienanfänger.

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In die Berechnung gehen gem. § 8 Abs. 1 und 3 KapVO alle haushaltsrechtlich besetzbaren Stellen des wissenschaftlichen Lehrpersonals ein, die der Lehreinheit Psychologie zugeordnet sind. Maßgeblich sind insoweit grundsätzlich die am Berechnungsstichtag heranzuziehenden Ansätze des Stellenplans der Antragsgegnerin für das Jahr 2002.

11

Danach stehen der Antragsgegnerin für den Studiengang Psychologie insgesamt 14 Stellen zur Verfügung, die sich zusammensetzen aus:

12

6 C 3/4 Stellen (Professor)

13

2 C 1-Stellen (Wiss. Assistent)

14

1 A 15 Stelle (Akad. Direktor)

15

5 BAT II a-Stellen (Wiss. Mitarbeiter befr.)

16

Grundlage der für die einzelnen Stellengruppen unterschiedlich bemessenen Regellehrverpflichtungen ist die Verordnung über die Lehrverpflichtung an Hochschulen vom 11. Februar 2000 - LVVO - (Nds. GVBl. 2000, 18). Gegen die Höhe der darin festgesetzten Regellehrverpflichtungen sind - soweit diese hier maßgeblich sind - verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben.

17

Die Summe der Lehrveranstaltungsstunden beträgt hiernach 84,0 LVS. Zu den Lehrdeputaten der Stelleninhaber von insgesamt 84,0 LVS kommen Lehrauftragsstunden (§ 10 KapVO) im Umfang von 13,0 LVS hinzu, die der Lehreinheit für den Ausbildungsaufwand nach § 13 Abs. 1 KapVO in dem hier maßgeblichen Bemessungszeitraum durchschnittlich je Semester zur Verfügung gestanden haben.

18

Von dem Lehrangebot sind schließlich wegen des Dienstleistungsbedarfs des Studiengangs Medienwissenschaften (Magister) 1,4621 LVS abzuziehen. An der Ausbildung in dem an der Hochschule für Bildende Künste geführten Studiengang, der auf eine Kooperationsvereinbarung der beiden Hochschulen vom 18. Februar 1997 zurückzuführen ist (§ 2 Abs. 7 Satz 2 NHG), ist die Lehreinheit Psychologie in den Pflichtfachbereichen Wahrnehmungslehre und Medienpsychologie (Grundstudium) beteiligt. Der darauf entfallende Curricularnormwertanteil beläuft sich auf 0,1723 und ergibt unter Berücksichtigung der für diesen Studiengang um einen etwaigen Schwund bereinigten Zulassungszahl einen Dienstleistungsbedarf von 1,4621 LVS je Semester (0,1723 x 16,9707 : 2 = 1,4620).

19

Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit einer Prüfungs- oder Studienordnung für diesen der Lehreinheit Psychologie nicht zugeordneten Studiengang sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschl. vom 09.07.2002, Nds. VBl. 2002, 264 m.w.N.).

20

Danach ergibt sich ein bereinigtes Lehrangebot von insgesamt 95,5380 LVS.

21

Aus der Gegenüberstellung von bereinigtem Lehrangebot und bereinigter Lehrnachfrage des Studienganges nach Lehrveranstaltungsstunden wird die personalbezogene Ausbildungskapazität abgeleitet. Die Lehrnachfrage, die dem Betreuungsaufwand aller an der Ausbildung eines Studenten beteiligten Lehreinheiten während des gesamten Studiums entspricht, wird mit dem in der Kapazitätsverordnung festgesetzten Curricularnormwert (CNW) zum Ausdruck gebracht. Dieser CNW beläuft sich für den Studiengang Psychologie (Diplom) auf insgesamt 4,0 (§ 13 Abs. 1 i.V.m. Anl. 2 Abschn. A I KapVO). Den auf die Ausbildung in der Lehreinheit Psychologie (Diplom) entfallenden CNW-Eigenanteil hat die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der Anteile, die auf die ebenfalls am Lehrangebot für den Studiengang Psychologie beteiligten Lehreinheiten Biowissenschaften (0,1999), Pädagogik (0,1333) und Mathematik (0,2666) entfallen, zutreffend mit 3,4002 ermittelt (vgl. hierzu: VG Braunschweig, Beschl. vom 03.05.1991 - 6 C 6055/91 u.a.-; OVG Lüneburg, Beschl. vom 24.09.1991 - 10 N 5449/91 -; Beschl. vom 22.12.1993 - 10 N 5838/93 u.a. -).

22

Sind - wie es hier ab dem Wintersemester 1996 der Fall ist - einer Lehreinheit mehrere Studiengänge zugeordnet, so sind für jeden Studiengang Anteilsquoten zu bilden, die in ihrer Summe die jährliche Gesamt-Aufnahmekapazität der Lehreinheit wiedergeben (§ 12 Abs. 1 KapVO). Die Anteilsquoten werden aus dem Verhältnis der jährlichen Aufnahmekapazität der einzelnen Studiengänge zur Summe der jährlichen Aufnahmekapazität aller Studiengänge dieser Lehreinheit gebildet. Durch Multiplikation der Anteilsquoten mit den Curricularanteilwerten der der Lehreinheit zugeordneten Studiengänge wird ein gewichteter Curricularanteil ermittelt (Formel 4 der Anlage 1 § 6 KapVO), der sich insgesamt auf 3,4234 beläuft und dem bereinigten Lehrangebot gegenüberzustellen ist:

23

Studiengang                                 CAp                   zp                   CAp x zp

24

Psychologie (Diplom)                        3,4002                0,9300             3,1621

25

Psychologie (Magister)                     3,7334                0,0700                0,2613

26

                                                                                                3,4234

27

Dieser Rechengang führt bei Anwendung der Formel 5 zu einer jährlichen Aufnahmekapazität (Ap) von 51,9075 Plätzen für Studienanfänger im Studiengang Psychologie (Diplom) zum Wintersemester 2002/03:

28

Ap = 2 x 95,5380 : 3,4234

29

Ap = 55,8146 x 0,9300

30

Ap = 51,9075

31

Dieses Ergebnis ist gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 16 KapVO um einen Schwundausgleich zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass die Zahl der Abgänge von Studenten in höheren Fachsemestern wegen des Studienabbruches, des Fach- oder eines Hochschulwechsels in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge. Für ein derartiges Schwundverhalten ist nach den Berechnungen der Antragsgegnerin in Bezug auf die Studiendauer von neun Semestern im Studiengang Psychologie (Diplom) ein Wert von 1,0574 anzusetzen. Gegen die Berechnung des Schwundausgleichsfaktors sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschl. vom 13.07.1995 - 10 N 3455/95 - u.a.).

32

Hinsichtlich der Schwundberechnung ist nicht zu beanstanden, dass dort in zwei Fällen Übergangskoeffizienten von höher als 1,0 einbezogen worden sind. Ein Anspruch darauf, dass eine im Verhältnis zur Kohorte oder Zulassungszahl eines Vorsemesters höhere Zahl von Studenten im Folgesemester nicht vollständig berücksichtigt wird, besteht nicht (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 30.07.1996, Nds. Rpfl 1996, 297 m.w.N.). Ob diese Erhöhung seinen Grund in einer „Überbuchung“ hatte und sich die Erwartung, die Zuweisung einer höheren Zahl von Studienplätzen an Studienbewerber werde sich um die voraussichtlichen Nichtannahmen von Studienplätzen ausgleichen, in Einzelfällen nicht erfüllt hatte, kann im Rahmen dieses Verfahrens nicht geklärt werden. Rechtliche Bedenken gegen eine solche Verfahrensweise bestünden ohnehin nicht.

33

Danach beträgt die jährliche Aufnahmekapazität an der Antragsgegnerin insgesamt 54,8869 (51,9075 x 1,0574; gerundet: 55) Studienplätze im Studiengang Psychologie (Diplom). Diese Studienplätze hat die Antragsgegnerin in das Vergabeverfahren für das 1. Fachsemester einbezogen.

34

Soweit einige Antragsteller hilfsweise eine Zulassung innerhalb der festgesetzten Zulassungszahl begehrten, ist das gegen die Antragsgegnerin gerichtete Begehren unzulässig, weil ein solcher Antrag grundsätzlich gegen die zur Verteilung dieser Plätze zuständige ZVS in Dortmund hätte gerichtet werden müssen. Darüber hinaus ist nicht zu erwarten, dass ein Teil dieser Plätze auch nach der Durchführung der Nachrückverfahren unbesetzt bleibt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.