Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 21.11.2002, Az.: 3 A 193/01

Darlehen; Eingliederungshilfe; erweiterte Jugendhilfe; Jugendhilfe; Kostenbeitrag; Sicherungshypothek; Teilaufhebung; Überleitung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
21.11.2002
Aktenzeichen
3 A 193/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42089
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Erweiterte Jugendhilfe nach § 92 Abs. 2 SGB VIII darf nicht dadurch von der Leistung eines Kostenbeitrages abhängig gemacht werden, dass sie darlehensweise unter der Bedingung der Zahlung eines Kostenbeitrages innerhalb einer gewissen Zahlungsfrist erbracht wird.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 20.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2001 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 i.V.m. § 35a SGB VIII über den 02.01.2000 hinaus bis zum 23.05.2001 zuschussweise zu gewähren.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die am 26.09.1978 geborene Klägerin erhielt von dem Beklagten seit dem 11.07.1997 Jugendhilfeleistungen in Form der Hilfe für junge Volljährige in einer stationären Einrichtung für seelisch Behinderte gemäß § 41 i.V.m. § 35a SGB VIII. In dem Bewilligungsbescheid vom 11.08.1997 wird die Hilfe bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres begrenzt. Weiter heißt es in dem Bescheid: „In ganz besonderen Ausnahmefällen kann die Hilfe bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres weitergeführt werden.“ Diese Weitergewährung erfolgte auf den Antrag der Klägerin, ohne dass hierzu ein schriftlicher Bewilligungsbescheid erging.

2

Wegen Einkommens- und Vermögenslosigkeit wurde ein Kostenbeitrag nicht verlangt. Nachdem der Vater der Klägerin am 02.01.2000 verstorben war, bat am 06.01.2000 die Betreuerin der Klägerin den Jugendhilfeträger um Klärung, inwieweit eine Heranziehung der Klägerin zu den Unterbringungskosten aus ererbtem Vermögen erfolgen würde, da die Familie befürchte, die Mutter der Klägerin müsse im Falle einer Heranziehung das ererbte Haus verkaufen. Am 12.01.2000 erklärte die Betreuerin telefonisch, dass die Klägerin überlege, das Erbe auszuschlagen, da die Mutter nicht in der Lage sei, sie auszuzahlen.

3

Bei dem Erbe handelt es sich im Wesentlichen um Grundbesitz, Hof- und Gebäudeflächen sowie „Stückland“. Der Wert des reinen Nachlasses (nach Abzug der Verbindlichkeiten) wurde vom Amtsgericht G. im Erbscheinsverfahren mit 400.000,00 DM angenommen. Die Klägerin wurde zu 1/6 Anteil Erbin neben ihrer Mutter und zwei Geschwistern – Erbschein des Amtsgerichts G. vom 22.03.2000 -.

4

Mit Schreiben vom 09.02.2000, welches der Klägerin persönlich von den Sachbearbeitern des Beklagten an diesem Tage überbracht wurde, wurde sie gemäß § 97a SGB VIII – KJHG - aufgefordert, Auskunft über ihr Einkommen und Vermögen zu erteilen und auf die Möglichkeit der Heranziehung zu den Kosten ihrer Unterbringung hingewiesen.

5

Am 10.02.2000 schloss die Klägerin mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern einen Erbauseinandersetzungsvertrag (Urkunden-Rolle Nr..... des Notars Dr. S. in W.), in dem die Erbengemeinschaft den Grundbesitz in H., aus dem der ungeteilte Nachlass nach Angaben der Erben nur noch bestand, auf die Mutter der Klägerin übertrug. § 3 Abs. 2 des Erbauseinandersetzungsvertrages lautet: „Die Erschienene zu 4) (die Klägerin) erklärt, dass sie ausdrücklich auf sämtliche Ansprüche aus dem Nachlass ihres Vaters verzichtet.“ Die Mutter der Klägerin ist zwischenzeitlich als Alleineigentümerin des Grundbesitzes im Grundbuch eingetragen. Daraufhin hob der Beklagte seinen Bescheid über die Bewilligung von Jugendhilfeleistungen vom 11.08.1997 mit Bescheid vom 20.07.2000 nach entsprechender Anhörung der Klägerin gemäß „§ 44 SGB X“ mit Wirkung vom 02.01.2000 auf und gewährte der Klägerin ab diesem Zeitpunkt die Leistungen darlehensweise unter der Bedingung, dass die Klägerin sich an den entstehenden Kosten für die Jugendhilfemaßnahme gemäß § 93 Abs. 2 KJHG i.V.m. den §§ 88 und 89 BSHG in Höhe von 66.666,66 DM beteiligte und sie den verlangten Kostenbeitrag durch Bewilligung einer Sicherungshypothek zugunsten des Beklagten im Grundbuch des ererbten Grundstückes sichere, sich insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwerfe und die Verzinslichkeit der Forderung in Höhe von 4 % jährlich ab dem16.08.2001 eintragen lasse. Für den Fall der Nichterfüllung der Bedingung wurde die Einstellung der Hilfeleistung angekündigt und außerdem die Entrichtung des Kostenbeitrages bis spätestens zum 15.08.2001 verlangt. Unter Ziff. 5 des Bescheides leitete der Beklagte ersatzweise und vorsorglich gemäß § 95 Abs. 1 KJHG den der Klägerin „aus dem Nachlass des Vaters zustehenden Pflichtteilsanspruch“ auf sich als zuständigem Träger der Jugendhilfe über und ordnete die sofortige Vollziehung seines Bescheides im Übrigen an. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 09.08.2000 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der angedrohten sofortigen Vollziehung, nachdem sie auch gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem die Festsetzung eines Zwangsgeldes angedroht wurde (Bescheid vom 03.11.2000), Widerspruch eingelegt hatte. Die Widersprüche begründete sie mit Schreiben vom 30.11.2000 dahingehend, sie habe mit notariellem Erbauseinandersetzungsvertrag vom 10. Februar 2000 auf sämtliche Ansprüche aus dem Nachlass ihres Vaters verzichtet. Ihr Verzicht auf den Erbteil beinhalte im Ergebnis das Gleiche wie eine Ausschlagung des Nachlasses. Dieses Recht stehe ihr zu, um sich von den Lasten zu befreien, die mit einer Erbschaft verbunden seien. Der Verzicht sei nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig, sondern Ausdruck des Verhältnisses, dass zu Lebzeiten des Erblassers zwischen ihm und der Klägerin bestanden habe. Sie hätte es psychisch nicht ertragen, das Erbe anzutreten. Ihre Empfindungen gegenüber dem Erblasser hätten es ausgeschlossen, dass eine Annahme des Erbes überhaupt in Betracht komme. Bereits vor Vertragsabschluss über die Erbauseinandersetzung habe sie gegenüber dem Jugendamt deutlich gemacht, dass sie das Erbe nicht annehmen könne. Der Verzicht sei auch keine Schenkung, wie sich aus § 517 BGB ergebe. Da sie damit nicht über verwertbares Vermögen verfüge, komme auch eine darlehensweise Hilfegewährung nicht in Betracht. Schließlich sei die Heranziehung auch dem Umfang nach unzutreffend. Der Verkehrswert der Grundstücke sei mit 250.000,00 DM beziffert worden. Bei der Vermögensheranziehung könne nur vom Nettonachlasswert, also von den Nachlassaktiva nach Abzug sämtlicher Nachlassverbindlichkeiten ausgegangen werden.

6

Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2001 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei zu 1/6 Erbin am Nachlass des Vaters geworden. Mit dem Erbauseinandersetzungsvertrag vom 10.02.2000 habe sie zugunsten ihrer Mutter auf diesen Erbteil verzichtet. Diese Rechtshandlung stelle ausdrücklich keine Erbausschlagung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches dar. Dieser Verzicht sei allerdings nicht wirksam, da er sittenwidrig sei, weil er zu Lasten des Jugendhilfeträgers erfolgt sei. Hätte die Klägerin den Verzicht nicht erklärt, so wäre ihr Vermögen zugefallen, dass sie im Rahmen der Heranziehungsvorschriften für die ihr gewährten Jugendhilfeleistungen hätte einsetzen müssen. Gründe, die dafür sprechen könnten, dass der Vertrag nicht geschlossen sei, um diese Folge abzuwenden, seien nicht gegeben. Der Vater der Klägerin sei seiner Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber bis zu seinem Tode nachgekommen. Aus diesem Grunde sei das Argument, sie habe auf den Erbteil verzichtet, weil sie mit dem Vater nichts zu tun haben wolle, nicht stichhaltig. Mit dem Abschluss des Erbauseinandersetzungsvertrages habe die Klägerin bewusst eine Heranziehung unterlaufen wollen. Infolge der Nichtigkeit des Erbverzichtes sei die Klägerin so zu stellen, als hätte sie diesen Verzicht nicht ausgesprochen. Die Heranziehung zu den Jugendhilfekosten stelle auch keine besondere Härte im Sinne von § 93 Abs. 6 KJHG dar. Vom Jugendamt sei anerkannt worden, dass eine sofortige Verwertung des Vermögens eine Härte darstellen könne und die Jugendhilfe darum darlehensweise weiter gewährt worden. Aus diesem Grunde sei auch zunächst lediglich die Eintragung einer Sicherungshypothek gefordert worden. Es gebe auch keinerlei weitere Gründe für eine Nichtverwertbarkeit des Erbteils. Zwar bestehe der Nachlass im Wesentlichen aus einem Hausgrundstück. Für dieses sei aber § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG nicht einschlägig, da das Grundstück wegen seiner Größe (rd. 3500 m² bebaut mit zwei Häusern) und der Tatsache, dass die Mutter der Klägerin dort allein in einem vollunterkellerten 2-Familienhaus wohne, nicht als Schonvermögen anzusehen sei. Die Klägerin habe gemäß § 2044 BGB auch jederzeit die Erbauseinandersetzung gegenüber den weiteren Miterben verlangen können.

7

Zum Umfang der Heranziehung sei von dem vom Amtsgericht G. im Rahmen der Erbangelegenheit festgestellten Nachlasswert von 400.000,00 DM auszugehen.

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Hiergegen hat die Klägerin am 29.06.2001 Klage erhoben, die sie unter Vertiefung ihrer Ausführungen im Widerspruchsschreiben damit begründet, dass der Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, mit Bescheid vom 20.07.2000 rückwirkend den seinerzeit ergangenen Bewilligungsbescheid aufzuheben, da die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung nicht vorlägen. Im Übrigen sei der Erbverzicht nicht sittenwidrig. Zudem sei ihre Heranziehung gemäß § 92 Abs. 1 SGB VIII nur im Rahmen der Zumutbarkeit möglich. Auch habe der Beklagte in Ziff. 5 seines Bescheides die Überleitung nach § 95 Abs. 1 SGB VIII erklärt. Hierdurch habe er einen Gläubigerwechsel bewirkt. Auch seien die Bescheide deswegen rechtswidrig, weil sowohl die Heranziehung unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit als auch die Überleitung zwar im Ermessen des Beklagten stehende Entscheidungen seien, die gemäß § 35 SGB X entsprechend zu begründen seien. Bei der Heranziehung habe der Beklagte aber nicht erkennen lassen, ob er sein Ermessen ausgeübt habe. Auch sei nicht ersichtlich, ob eine rechtswirksame Ermächtigung vorläge, nach der der Jugendhilfeausschuss den Beklagten rechtswirksam zur Entscheidung über den Widerspruch ermächtigt habe.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 20.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 i.V.m. § 35a SGB VIII über den 02.01.2000 hinaus bis zum 23.05.2001 zuschussweise zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Ansicht, dass der Erbauseinandersetzungsvertrag gegen die guten Sitten verstößt und der Verzicht der Klägerin auf den Erbteil und die Übertragung des Grundbesitzes auf die Mutter gemäß § 138 BGB nichtig seien, da es sich eindeutig um eine Vermögensverfügung zu Lasten des Jugendhilfeträgers handele. Entgegen ihrer ursprünglichen Ankündigung habe die Klägerin die Erbschaft gerade nicht ausgeschlagen. Auch habe sie keine stichhaltigen Gründe im Sinne von § 93 Abs. 6 KJHG für einen Absehen von der Heranziehung des Vermögens vorgetragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Niederschrift des Gerichts und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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1. Der Bescheid des Beklagten vom 19.07.2000 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 23.05.20001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch darauf, dass ihr die Jugendhilfe nicht lediglich darlehensweise gewährt wird. Deswegen ist auch ihr Begehren, den Beklagten zur zuschussweisen Bewilligung der Jugendhilfe zu verpflichten, begründet. Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung und Entscheidung kann dabei nur der Sachverhalt sein, wie er sich bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides, also der letzten behördlichen Entscheidung, darstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.1992 -–5 C 1.88 -, NVwZ 1993, 995 f.).

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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen für eine über das 21. Lebensjahr hinausgehende Gewährung von Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII durch Übernahme der durch den Aufenthalt in der Einrichtung in C. entstehenden Kosten besteht. Streitig ist allein, ob diese Hilfegewährung von der Entrichtung eines Kostenbeitrages abhängig gemacht und darlehensweise gewährt werden kann. Nach § 41 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird danach in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt, in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden. Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten nach § 41 Abs. 2 SGB VIII der § 27 Abs. 3 sowie die §§ 28-30, 33-36 und 39, 40 SGB VIII entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten oder des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt. Nach § 35a SGB VIII wird Kindern und Jugendlichen, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe gewährt, und zwar auch in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen. Eine entsprechende Hilfe wegen bestehender seelischer Behinderung erhält die Klägerin seit 1997.

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Gemäß § 91 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII wird der junge Volljährige zu den Kosten der Hilfeleistung nach § 41 SGB VIII herangezogen, soweit es sich um eine Hilfe gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 SGB VIII handelt, also um Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in a) Tageseinrichtungen und anderen teilstationären Einrichtungen (§ 35a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII), bzw. b) Einrichtungen über Tag und Nacht, sonstigen Wohnformen und durch geeignete Pflegepersonen (§ 35a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB VIII). Danach hat die Klägerin, soweit sie es vermag, zu den Kosten der Hilfeleistung beizutragen.

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Die Gewährung der Hilfe darf aber, wie sich aus § 92 Abs. 3 SGB VIII ergibt, nicht von dem Kostenbeitrag abhängig gemacht werden. Hiernach tragen die Kosten der Leistungen nach § 91 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII „die Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch insoweit, als den dort genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nach Maßgabe des § 93 SGB VIII zuzumuten ist“. Nach dieser Regelung hat mithin der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die volle Leistung zu gewähren, und zwar unabhängig von einem möglichen Kostenbeitrag (sog. erweiterte Jugendhilfe, vgl. Wiesner/Kaufmann u.a., SGB VIII 1995, § 92 Rz. 4). Der Beklagte hat also zunächst die Kosten voll zu übernehmen, wobei die Möglichkeit bleibt, den Kostenbeitrag (§ 92 Abs. 3 2. Halbs. SGB VIII) gegenüber dem Verpflichteten durch Leistungsbescheid (§ 92 Abs. 4 SGB VIII) festzusetzen. Diese Festsetzung hat aber in einem gesonderten Verfahrensschritt zu erfolgen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.10.1995 – 7 S 1345/93 -, S. 16 – zitiert nach Juris -). Danach ist der Bescheid der Beklagten rechtswidrig, soweit in ihm die Hilfeleistung ab dem 02.01.2000 bzw. ab dem 15.08.2000 nur noch darlehensweise gewährt wird und mit einer Nebenbestimmung abhängig gemacht wird von der Leistung eines Kostenbeitrages. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 93 Abs. 2 SGB VIII. Dieser verweist zwar hinsichtlich der Heranziehung des jungen Volljährigen aus dem Einkommen und dem Vermögen auf die §§ 79, 84, 85 und 88 und 89 des BSHG. Eine Darlehensgewährung im Rahmen der Kostentragung nach § 92 Abs. 2 und 3 SGB VIII bei der allein möglichen nachträglichen Herstellung des Nachranges der öffentlichen Jugendhilfe durch Erhebung eines Kostenbeitrages kommt aber nicht in Betracht (vgl. Hauck/Stühr, Kommentar zum SGB VIII § 93 Rz. 18, s.a. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.10.1995 – 7 S 1345/93 -, a.a.O.).

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Würde man die Gewährung der erweiterten Jugendhilfe von der Leistung eines Kostenbeitrages bzw. der Gewährung einer Sicherheit für diesen Kostenbeitrag abhängig machen, würde das der Zielrichtung des § 92 Abs. 2 SGB VIII, bestimmte Hilfearten ohne Rücksicht auf das Einkommen und Vermögen zu sichern, zuwider laufen. Denn eine solche Verknüpfung birgt die Gefahr in sich, dass erforderliche Hilfemaßnahmen aus finanziellen Gründen nicht in Anspruch genommen werden.

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2.Soweit die Klägerin sich gegen die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 11.08.1997 wendet, ist zunächst fraglich, ob dieser Bewilligungsbescheid noch für die über das 21. Lebensjahr hinausgehende Hilfe Wirkung gezeitigt hat. Auch Jugendhilfe betrifft nicht von vornherein immer einen längeren Regelungszeitraum. Dieser kann sich aber aus dem maßgeblichen Bescheid durch Auslegung ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.06.1996 – 5 B 222.95 -, zitiert nach Juris). Der Bescheid vom 11.08.1997 regelt ausdrücklich nur eine Hilfe bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres.

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Die weitere Hilfe erfolgte konkludent ohne weiteren Bescheid. Die rückwirkende Aufhebung des Bescheides vom 11.08.1997 gemäß – wie es in dem angefochtenen Bescheid heißt - 44 SGB X, aber auch eine etwaige Rücknahme und Aufhebung gemäß den §§ 45 SGB X und 48 SGB X, kommt in jedem Fall nicht in Betracht, da der Bescheid bzw. die konkludent ergangenen Bescheide nach den obigen Ausführungen nicht rechtswidrig gewesen oder mit dem Tode des Vaters der Klägerin rechtswidrig geworden sind.

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3. Rechtswidrig und aufzuheben ist auch die Regelung, dass die Hilfe abhängig gemacht wird von der Eintragung einer Sicherungshypothek zugunsten des Beklagten und der Vorlage eines Nachweises hierüber. Die von der Klägerin als Miterbin geforderte Belastung eines einzelnen Nachlassgegenstandes – hier des Grundbesitzes – ist nicht möglich (vgl. Palandt, 57. Aufl., § 2033 BGB, Rz. 18). Auch wenn der von der Klägerin ausgesprochene „Erbverzicht“ und die Übertragung sämtlicher Miterbenanteile auf die Mutter wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein sollte und das Grundstück deswegen noch Teil des Gesamtvermögens der Erbengemeinschaft wäre, so käme lediglich die Eintragung eines Pfandrechts ins Grundbuch als Verfügungsbeschränkung der Eigentümer im Wege der Berichtigung des Grundbuches in Betracht mit der Folge, dass eine gemeinschaftliche Verfügung über das Grundstück nur mit Zustimmung des Pfandgläubigers möglich wäre (vgl. Palandt, a.a.O., § 2033 BGB, Rz. 18 m.w.N.). Damit ist auch Ziff. 4 des angefochtenen Bescheides, der die Dauer der darlehensweisen Gewährung von der Eintragung einer Hypothek abhängig macht, rechtswidrig und aufzuheben.

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4. Der angegriffene Bescheid ist auch hinsichtlich der in Ziff. 5 geregelten Überleitung rechtswidrig und aufzuheben. Nach § 95 Abs. 1 SGB VIII kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch schriftliche Anzeige an eine der in § 91 SGB VIII genannten Personen, d.h. der kostentragungspflichtigen Personen, zu denen auch die Klägerin als Volljährige gehört, einen Anspruch gegen einen anderen für die Zeit, für die Jugendhilfe gewährt wird, auf sich überleiten. Dem Grunde nach ist jeder Anspruch überleitbar, also auch ein Pflichtteilsanspruch. Eine Überleitung ist grundsätzlich auch nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der übergeleitete Anspruch nicht besteht (vgl. LPK – SGB VIII, § 95 Rz. 18). Nur wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist, kann die dennoch erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige rechtswidrig sein (vgl. BVerwG, FEVS 43, 99, LPK SGB VIII, § 95 Rz. 18). Ein Fall dieser Negativevidenz ist vorliegend gegeben. Denn im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin gesetzliche Erbin nach ihrem Vater geworden ist, den Nachlass nicht ausgeschlagen hat und dass ein Pflichtteilsanspruch nicht besteht, da das Pflichtteilsrecht nach § 2303 BGB zur Voraussetzung hat, dass ein Abkömmling des Erblassers durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzung ist hier offensichtlich nicht gegeben.

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5. Der angefochtene Bescheid ist auch insoweit rechtswidrig, als die Klägerin zur Leistung eines Kostenbeitrages zu den darlehensweise bewilligten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 66.666,66 DM herangezogen wird. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist ein Verwaltungsakt aufzuheben, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Dies bedeutet, dass auch dann, wenn ein Verwaltungsakt ganz angefochten wird – wie hier -, das Gericht ihn jedenfalls nur dann und nur insoweit aufheben kann, soweit er rechtswidrig ist. Bei Verwaltungsakten mit teilbarem Inhalt muss sich die Aufhebung deshalb auf die Teile beschränken, welche die Rechtsverletzung für den Kläger beinhalten. Voraussetzung für eine nur teilweise Aufhebung eines Verwaltungsaktes bzw. Widerspruchsbescheides ist analog § 44 Abs. 4 VwVfG bzw. § 40 Abs. 4 SGB X aber, dass der in Frage stehende Teil nicht mit den übrigen Teilen des Verwaltungsaktes in einem untrennbaren inneren Zusammenhang steht, vielmehr die übrigen Teile auch selbständig bestehen können und durch die Teilaufhebung nicht eine andere Bedeutung erlangen würden, als sie ihnen im Zusammenhang des ursprünglichen (ganzen Verwaltungsaktes) zukam (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 113, Rz. 16, m.w.N.).

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Grundsätzlich sehen die gesetzlichen Bestimmungen – wie oben dargelegt – bei der erweiterten Jugendhilfe die Heranziehung zu den Kosten durch Leistungsbescheid in einem gesonderten Schritt vor. Im angefochtenen Bescheid ist die Heranziehung zu den Kosten der Jugendhilfemaßnahme aber in einen solchen Zusammenhang zu der darlehensweisen Hilfegewährung und den sonstigen Regelungen des Verwaltungsaktes gestellt worden, dass wegen dieses inneren Zusammenhangs die isolierte Aufhebung von Teilen des Verwaltungsaktes nicht möglich ist. Der Bescheid ist damit insgesamt aufzuheben. Dies bedeutet nicht, dass die Klägerin von einer etwaigen Verpflichtung, einen Kostenbeitrag zu leisten, frei wäre, da der Beklagte die Möglichkeit zu einer erneuten Heranziehung hat. Außerdem kann er nach § 95 SGB VIII etwaige Schenkungsrückforderungsansprüche wegen Notbedarfs der Klägerin gegenüber ihrer Mutter nach § 2385 BGB i.V.m. § 528 BGB auf sich überleiten, da die Klägerin zur Zeit weiterhin Jugendhilfeleistungen erhält.

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Für die Entscheidung des Gerichts kommt es danach nicht darauf an, ob die Übertragung des Erbteiles durch die Klägerin sittenwidrig und damit nichtig ist.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

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Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.