Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 30.03.2004, Az.: 6 B 185/04

besondere Verantwortung; Fahrerlaubnis; Fahrgastbeförderung; Gutachten; Kraftomnibus; medizinisch-psychologisches Gutachten; strafrechtliche Verurteilung; Verantwortung; Verurteilung; Verwertbarkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
30.03.2004
Aktenzeichen
6 B 185/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50567
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 22.04.2004 - AZ: 12 ME 145/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftomnibusses (Klasse D einschließlich ihrer Unter- und Anhängerklassen) darf nach § 2 Abs. 2 Satz 4 StVG i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 2 FeV u.a. dann nicht verlängert werden, wenn durch Tatsachen begründete Zweifel bestehen, ob der Betroffene die nach § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV erforderliche Gewähr bietet, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird.

2. Eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs der minderjährigen Stieftochter begründet so erhebliche Zweifel, dass der Betroffene diese regelmäßig nur durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wird zerstreuen können.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, ihm auf seinen im Februar 2004 gestellten Antrag vorläufig die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für die Klassen D, DE, D1 und D1E zu erteilen, hat keinen Erfolg.

2

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Rechtsuchenden wesentliche Nachteile abzuwenden. Ihrer Natur nach darf eine solche Anordnung jedoch nur eine einstweilige Regelung treffen oder einen vorläufigen Zustand schaffen. Dieser Sicherungszweck der einstweiligen Anordnung verbietet es im Allgemeinen, einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorzugreifen. Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen, wenn wirksamer Rechtsschutz im Klageverfahren nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar ist und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Nachteilen führen würde. Die vom Antragsteller angestrebte einstweilige Anordnung setzt außerdem voraus, dass er in einem eventuell nachfolgenden Klageverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben und eine Verlängerung seiner Fahrerlaubnis der genannten Klassen erreichen wird (Anordnungsanspruch). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.

3

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass die vom Antragsteller begehrte Entscheidung des Gerichts dringlich ist, weil die Geltungsdauer der ihm erteilten Fahrerlaubnis der Klassen D, DE, D1 und D1E  mit Ablauf des 04.03.2004 endete und er als Berufskraftfahrer im öffentlichen Personennahverkehr auf diese Erlaubnis auch zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes angewiesen ist. 

4

Indessen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage kann gegenwärtig nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die von ihm erstrebte Fahrerlaubnis hat, die gemäß § 6 Abs. 1 FeV die Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung einschließt. Ersichtlich zu Recht hat der Antragsgegner es mit dem Bescheid vom 10.03.2004 abgelehnt, dem Verlängerungsantrag des Antragstellers stattzugeben.

5

Nach § 2 Abs. 2 Satz 4 StVG i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) darf eine Fahrerlaubnis der Klassen D (einschließlich ihrer Unter- und Anhängerklassen) nur dann verlängert werden, wenn keine Tatschen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine der sonstigen aus den §§ 7 bis 19 FeV ersichtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis fehlt. Zu den dadurch in Bezug genommenen und aufgrund der Ermächtigung des § 2 Abs. 1 Buchstabe c StVG erlassenen Vorschriften zählt auch § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV, wonach Bewerber um die Fahrerlaubnis der Klassen D oder D1 auch die Gewähr dafür bieten müssen, dass sie der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werden. Diese Vorschrift ersetzt die Vorgängerbestimmung des § 15 e  Abs. 1 Nr. 2 StVZO. Mehr noch als die auf einer Eignungsvermutung beruhende Formulierung des früheren Rechts, wonach „keine Bedenken“ gegen die „persönliche Zuverlässigkeit“ des Betroffenen bestehen durften, fordert die Neufassung, dass eine positive Aussage über die erforderliche besondere Zuverlässigkeit bei der Beförderung von Fahrgästen möglich sein muss. Der Gesetzgeber wollte damit die nach der früheren Rechtslage geltenden Anforderungen an den Erlaubnisinhaber zumindest nicht verringern und demgemäß auch der Rechtsprechung zu § 15 e StVZO nicht entgegentreten. Bereits unter der Geltung des früheren Rechts war geklärt, dass als zuverlässig nur angesehen werden kann, wer die Erwartung rechtfertigt, dass er den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausübung der erlaubnispflichtigen Tätigkeit gerecht werden wird. Wer Anlass zu der Befürchtung bietet, dass er sich im Rahmen der von ihm angestrebten Betätigung über die zum Schutze der Allgemeinheit oder Einzelner vor Schäden und Gefahren erlassenen Vorschriften hinwegsetzen wird, ist auch mit Blick auf die damit für seine Berufsfreiheit nach Art 12 GG verbundenen Folgen nicht zuverlässig (vgl. BVerwG, Urteile vom 26.01.1962, BVerwGE 13, 326, und Beschl. vom 01.09.1970 - 7 B 60.70, Buchholz 242.16 § 15 e StVZO Nr. 1). Ob der Betroffene bei einer Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit vertrauenswürdig ist und sich insbesondere seinen Fahrgästen gegenüber verantwortungsgerecht verhalten wird, hat die Fahrerlaubnisbehörde auch nach dem neuen Recht ebenso wie in anderen Fällen der Gefahrenprävention prognostisch zu beurteilen. Dabei ist es ihr nicht verwehrt, aus seinem bisherigen Verhalten nachteilige Folgerungen für die Zukunft zu ziehen. Insbesondere strafrechtliche Verfehlungen, aber auch Ordnungswidrigkeiten lassen sich gegebenenfalls als Indiz dafür verwerten, dass es mit der besonderen Verantwortung für die Fahrgäste nicht vereinbar wäre, wenn der Betroffene zur Fahrgastbeförderung zugelassen wird oder bleibt. Selbst Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten nichtverkehrsrechtlicher Art können in diesem Zusammenhang bedeutsame Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen erlauben.  Insoweit ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene die ihm vorgehaltenen Zuwiderhandlungen während der Fahrgastbeförderung begangen hat. Es reicht aus, wenn die Art und Weise der Tatausführung Charaktereigenschaften erkennen lässt, die sich im Falle der Personenbeförderung zum Schaden der Allgemeinheit oder der Fahrgäste auswirken können (vgl. BVerwG, Beschl. vom 19.03.1986 - 7 B 19.86, Buchholz 442.16 Nr. 3; VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 17.04.1989 - 10 S 750/89, NVwZ-RR 1990, 164 [VGH Baden-Württemberg 17.04.1989 - 10 S 750/89]Nds. OVG,  Beschl. vom 09.10.1998 - 12 M 4206/98, VerkMitt 1999, Nr. 6, jew. zu § 15e Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVZO a.F.; vgl. ferner - zur vergleichbaren Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung - Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37.A., § 48 FeV, Rn. 12).

6

Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsgegner ersichtlich zu Recht angenommen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Antragsteller biete nicht mehr die Gewähr dafür, der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht zu werden.

7

Der Antragsteller ist aufgrund seiner eigenen geständigen Einlassungen durch Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 04.09.2002 wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (seiner Stieftochter) in 72 Fällen, davon in 24 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass eine rechtskräftige Verurteilung dieser Art stets Anlass ist, die erforderliche besondere Zuverlässigkeit eines Inhabers der Fahrerlaubnis der Klasse D in Frage zu stellen.

8

Die aus § 2 Abs. 4 StVG hergeleitete gegenteilige Argumentation des Antragsteller verkennt die o.g. rechtliche Ausgangslage und geht an der Sache vorbei. Dass der Antragsteller die begangenen Straftaten nicht im Zusammenhang mit dem Straßenstraßenverkehr begangen hat, besagt nichts über sein zukünftiges Verhalten.

9

Die dem Antragsteller eingeräumte Gelegenheit, mittels eines medizinisch - psychologischen Gutachtens die Eignungszweifel zu zerstreuen, hat er nicht genutzt. In dem vom Antragsteller vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten vom 02.03.2003 wird ihm wegen der erheblichen Abwehrhaltung gegenüber eigenen Schwächen und insbesondere seiner mangelnden Offenheit nachvollziehbar bescheinigt, dass er die Zweifel an seiner geistigen Eignung für die Beförderung von Fahrgästen nicht entkräftet habe.

10

Soweit der Antragsteller geltend macht, bereits die Anordnung des  Gutachtens sei rechtsfehlerhaft gewesen, kann dem nicht gefolgt werden. Auch mit Blick auf die dazu vom Antragsteller angeführten Umstände (Lebensalter von 52 Jahren, Unterhalts- und sonstige finanzielle Verpflichtungen) ist weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht zu erwägen, seine privaten Interessen an einer Fortführung seiner Berufstätigkeit könnten das zu wahrende öffentliche Interesse an der besonderen Zuverlässigkeit eines Fahrers eines Kraftomnibusses überwiegen.

11

Abgesehen davon wäre die Verwertbarkeit des vorliegenden Gutachtens nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung abhängig (vgl. BVerwG, Beschl. vom 19.03.1996 - 11 B 14/96, Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 26; Nds. OVG, Beschl. vom 27.10.2000 - 12 M 3738/00). Dass der Antragsgegner schließlich nicht eigene Ermessenserwägungen angestellt hat, entspricht der Rechtslage.

12

Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

13

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer, die sich der regelmäßigen Streitwertannahme des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Nds. VBl. 1995, 116) anschließt und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den für ein Hauptsacheverfahren maßgeblichen Streitwert (hier: 5000 Euro für die Fahrerlaubnis der Klasse D zuzüglich 2000 Euro für die vom Antragsteller geltend gemachte überwiegende berufliche Nutzung) halbiert.