Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.10.1998, Az.: 12 M 4206/98

Entziehung der Fahrerlaubnis; Fahrgastbeförderung; Persönliche Zuverlässigkeit; Verkehrsordnungswidrigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.10.1998
Aktenzeichen
12 M 4206/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 14185
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1998:1009.12M4206.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück 14.08.1998 - 2 B 58/98

Fundstelle

  • VerkMitt 1999, Nr 6

Amtlicher Leitsatz

1. Die in § 15e Abs 1 S 1 Nr 2 StVZO normierte Voraussetzung für die Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, daß "keine Bedenken gegen die persönliche Zuverlässigkeit bestehen", ist im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine subjektive Zulassungsvoraussetzung für die Berufsausübung und damit eine Berufswahlregelung, die zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter, welche der Freiheit des einzelnen vorgehen, gerechtfertigt, verhältnismäßig und auch sonst verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Verfassungsrecht (insbesondere Art 12 Abs 1 GG) gebietet auch mit Blick auf die Wirkungen, die der Entzug der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung auf die berufliche Betätigung hat, nicht, Personen, bei denen Bedenken bestehen, daß sie die für die Beförderung von Fahrgästen erforderliche - persönliche - Zuverlässigkeit besitzen, die für die Fahrgastbeförderung erforderliche Erlaubnis zu erteilen oder - treten nachträglich solche Bedenken auf - zu belassen.

2. Das Merkmal der persönlichen Zuverlässigkeit ist eine zusätzliche, von der durch § 15e Abs 1 S 1 Nr 1 StVZO (iVm §§ 4 bis 15 StVZO) erfaßten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu unterscheidende subjektive Zulassungsvoraussetzung und nicht etwa eine Steigerung der in § 4 StVG, § 9 StVZO genannten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in dem Sinne, daß (bestehende, aber ausgeräumte) Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen trotzdem für sich allein noch zur Bejahung von Bedenken an der Zuverlässigkeit genügen könnten. Als von der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen unabhängiges Erfordernis eigener Art ist es ein Instrument sicherheits- und ordnungsrechtlicher Gefahrenabwehr, die "persönliche Zuverlässigkeit" iSd § 15e Abs 1 S 1 Nr 2 Alt 2 StVZO bezeichnet eine persönliche Charaktereigenschaft, die die Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen kennzeichnet und für deren Prüfung wesentlich darauf abzustellen ist, ob der Betroffene sich des Vertrauens, er werde die Beförderung von Fahrgästen ordentlich (dh aber auch: unter Beachtung der für alle geltenden Verkehrsvorschriften) ausführen, würdig erweist oder nicht.

3. Bei der erforderlichen Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit, bei welcher die Gesamtpersönlichkeit des Fahrerlaubnisinhabers zu würdigen ist, sind nicht nur Handlungen, welche spezifischen Bezug zum Verhältnis Fahrerlaubnisinhaber/Fahrgast aufweisen, zu berücksichtigen. Verkehrsbezogene Handlungen (namentlich Straftaten und Ordnungswidrigkeiten) haben nicht schon deswegen unbeachtet zu bleiben, weil sie - auch - Bedeutung für die Beantwortung der Frage haben (können), ob der Inhaber der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung (weiterhin auch) die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aufweist. Zu den Umständen, welche iSd § 15e Abs 1 S 1 Nr 2 Alt 2 StVZO "Bedenken" begründen, also die Befürchtung rechtfertigen können, daß der Inhaber der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung die besonderen Sorgfaltspflichten, die ihm bei der Beförderung ihm anvertrauter Personen obliegen, (auch zukünftig) mißachten werde, können vielmehr auch Verkehrsordnungswidrigkeiten rechnen.

4. Die Berücksichtigung gewichtiger Verkehrsverstöße (hier: erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen) für die Zuverlässigkeitsbeurteilung hängt auch unter Berücksichtigung der aus Art 12 Abs 1 GG folgenden Belange solcher Personen, welche die Fahrgastbeförderung zur Grundlage ihrer beruflichen Tätigkeit gemacht haben, nicht davon ab, daß es zu konkreten Gefährdungen oder gar Schäden (Unfällen mit Personenschäden unter den Fahrgästen) gekommen ist. Bei der Gewichtung von Verkehrsverstößen ist eine überdurchschnittlich hohe jährliche Fahrleistung nicht zu berücksichtigen (kein "Vielfahrerbonus"). Auch fahrlässig begangene Verkehrsordnungswidrigkeiten können jedenfalls dann, wenn sie nicht nur vereinzelt vorkommen, auch unter Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung des Art 12 Abs 1 GG nach § 15k Abs 1 iVm § 15b Abs 1 S 2 Nr 2 Alt 2 StVZO hinreichende Bedenken gegen die persönliche Zuverlässigkeit begründen.