Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 23.03.2004, Az.: 7 A 332/03

Analogberechnung; Angemessenheit; Beihilfefähigkeit; Gebührenrahmen; Heil- und Kostenplan; medizinisch notwendig; prothetische Versorgung; Schwellenwert; Veneers; Verblendschalen

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
23.03.2004
Aktenzeichen
7 A 332/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 15.09.2006 - AZ: 2 LA 956/04

Tenor:

Das beklagte Amt wird verpflichtet, die Beihilfefähigkeit der zahnärztlichen Versorgung der Klägerin entsprechend dem Heil- und Kostenplan vom 25. Februar 2003 mit der Maßgabe anzuerkennen, dass eine Überschreitung des Schwellenwertes des 2,3-fachen Gebührensatzes nicht gerechtfertigt ist.

Die Beihilfeberechnung vom 04. März 2003 sowie der Bescheid vom 22. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2003 werden aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen das beklagte Amt zu ¾, die Klägerin zu ¼; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Den Beteiligten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite zuvor Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für eine Zahnbehandlung der Klägerin.

2

Die Klägerin ist Lehrerin im Schuldienst und beihilfeberechtigt. Unter dem 28. Februar 2003 reichte sie bei dem beklagten Amt einen Heil- und Kostenplan der sie behandelnden Zahnärztin ein, der die Versorgung von zwei Zähnen (Zähne 31 und 42) mit adhäsiven Keramikverblendschalen (sogenannten Veneers) vorsah. Die voraussichtlichen Kosten wurden mit 1.095,97 € angegeben. Für die zahnärztliche Versorgung mit Veneers wurde der Multiplikator der 3,5-fache Satz zu Grunde gelegt.

3

Unter dem 04. März 2003 übersandte das beklagte Amt eine fiktive Beihilfeberechnung, nach der sich ein beihilfefähiger Betrag von (nur) 109,37 €  und (bei einem Beihilfebemessungssatz von 70 %) eine Beihilfe von 76,56 € ergab. Die der Berechnung beigefügten Erläuterungen enthalten den Hinweis, dass es sich bei den Veneers um hauchdünne Keramikschalen handele, die in erster Linie der Ästhetik der Frontzähne dienten. Eine Beihilfefähigkeit sei bei diesen zu kosmetischen Zwecken dienenden Maßnahmen grundsätzlich nicht anzunehmen. Außerdem wird darauf hingewiesen, die Schwellenwertüberschreitung könne nicht durch die Besonderheit der Leistung an sich (diese sei mit dem Punktwert der Gebührennummer honoriert), sondern nur durch in der Person des Patienten liegende besondere Erschwernisgründe gerechtfertigt werden. Unter dem 12. März 2003 reichte die Klägerin ein Schreiben ihrer Zahnärztin mit folgendem Inhalt bei dem beklagten Amt ein: Sie – die Klägerin – leide an einer Kiefergelenkerkrankung (starkes nächtliches Knirschen), weshalb eine prothetische Versorgung der Zähne als dringend medizinisch notwendig angesehen werde. Die Schneidekanten der Zähne hätten sich trotz Anfertigung eines Aufbissbehelfs in kürzester Zeit drastisch verkürzt. Eine Versorgung der Zähne mit Metallverblendkronen werde für kontraindiziert gehalten, da zur Rekonstruktion sehr viel gesunde Zahnhartsubstanz präpariert werden müsse. Die Zähne befänden sich einem karies- und füllungsfreien Zustand. Eine Überschreitung des Schwellensatzes sei erforderlich, weil diese Art prothetischer Versorgung eine exakte Präparationstechnik verlange. Da es sich nicht um eine konventionelle Metallkeramikversorgung, sondern um eine adhäsive Restauration handele, sei die Verwendung spezieller licht-/dualhärtender Spezialkunststoffe und Kofferdamfolie (zur Isolierung der Mundhöhle) erforderlich.

4

Das beklagte Amt holte eine amtsärztliche Stellungnahme vom 03. April 2003 ein. In dieser ist ausgeführt, aus zahnmedizinischer Sicht könnten im Frontzahnbereich sowohl Kronen als auch Veneers Anwendung finden. Veneers seien allerdings bei nicht ausgeschalteter Parafunktion bruchgefährdet. Das Risiko verbleibe beim behandelnden Zahnarzt.

5

Unter dem 22. April 2003 teilte das beklagte Amt der Klägerin mit, die Veneers dienten in erster Linie der Ästhetik der Frontzähne. Eine Beihilfefähigkeit sei deshalb grundsätzlich nicht gegeben. Auch habe die gutachterliche Stellungnahme des Gesundheitsamtes Braunschweig vom 03. April 2003 nicht bestätigt, dass die Behandlung ausschließlich mit einem Veneer erfolgen könne.

6

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das beklagte Amt mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2003 – zugestellt am 21. Mai 2003 – zurück.

7

Am 16. Juni 2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, die vorgesehene Versorgung mit Veneers sei medizinisch notwendig und auch angemessen. Die Aufwendungen seien deshalb beihilfefähig. Der eingeholten gutachterlichen Stellungnahme sei Gegenteiliges nicht zu entnehmen.

8

Die Klägerin beantragt,

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das beklagte Amt zu verpflichten, ihr Beihilfe entsprechend dem Heil- und Kostenplan vom 25. Februar 2003 zu gewähren und die fiktive Beihilfeberechnung vom 04. März 2003 sowie den Bescheid vom 22. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2003 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

10

Das beklagte Amt beantragt,

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die Klage abzuweisen.

12

Es vertieft die in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Gründe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet.

15

Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass die bei ihr vorgesehene zahnärztliche Versorgung entsprechend dem von ihr eingereichten Heil- und Kostenplan vom 25. Februar 2003 dem Grunde nach als beihilfefähig anerkannt wird. Die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

16

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Beihilfe sind § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG und die danach für Landesbeamte für anwendbar erklärten für die Beamten des Bundes geltenden Beihilfevorschriften – BhV -.

17

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Über die Notwendigkeit und Angemessenheit entscheidet die Festsetzungsstelle; sie kann hierzu Gutachten eines Amts- oder Vertrauensarztes (/-zahnarztes) einholen (§ 5 Abs. 1 Satz 4 BhV).

18

Bei der Frage der Notwendigkeit ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Notwendig ist eine Maßnahme, wenn sie zur Erzielung eines bestimmten Heilerfolges medizinisch erforderlich ist. Die Beantwortung dieser Frage ist grundsätzlich der Beurteilung durch einen Arzt oder eine sonstige zur Ausübung der Heilkunde berechtigten Personen vorbehalten, weshalb in der Regel davon auszugehen ist, dass die von einer der genannten Personen selbst ausgeführten Maßnahmen medizinisch notwendig waren (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 23.09.2003 – 5 LB 280/02 -; Topka/Möhle, Kommentar zum Beihilferecht Niedersachsens und des Bundes, Stand: März 2004, § 5 Erl. 2.2). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Die Festsetzungsstelle hat bei der Verausgabung öffentlicher Mittel den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu beachten (vgl. § 34 Abs. 2 BHO) und mithin sich aufdrängenden Zweifeln, ob eine bestimmte Behandlung beihilferechtlich notwendig war, durch Einholung ärztlicher oder vertrauensärztlicher Gutachten oder auf sonstige Weise nachzugehen. Soweit sich dabei ihre Bedenken als begründet erweisen, darf sie den Beihilfeantrag ablehnen, etwa wenn sich aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens die Behandlung als nicht notwendig erweist (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 14.01.1999 – IV S 1086/96 -, NVwZ-RR 1999, 775 f. [VGH Baden-Württemberg 14.01.1999 - 4 S 1086/96]).

19

Nach diesen Grundsätzen erweist sich im Einzelfall der Klägerin die bei ihr vorgesehene Versorgung mit Verblendschalen als medizinisch notwendig. Die Auffassung der Beihilfefestsetzungsstelle, die Maßnahme habe in erster Linie der Ästhetik der Frontzähne gedient, trägt offenbar nicht. Zwar werden Veneers auch zu rein ästhetischen Korrekturen genutzt. Dies war bei der Klägerin aber nicht der Fall. Vielmehr waren – wie sich aus den von der Amtszahnärztin S. bestätigten Angaben der die Klägerin behandelnden Zahnärztin ergibt - die Schneidekanten der versorgten Zähne aufgrund der Kiefergelenkerkrankung der Klägerin verkürzt und bedurften der prothetischen Versorgung. Die Versorgung mit Veneers – statt mit Kronen – wurde gewählt, weil auf diese Weise sehr viel mehr gesunde Zahnsubstanz erhalten bleibt. Bei der Behandlung mit Veneers werden hauchdünne, metallfreie Keramikfacetten auf die sichtbaren Oberflächen der Zähne geklebt. Dazu muss nur eine minimale Schicht Zahnschmelz, etwa 0,5 mm, abgetragen werden. Bei der Versorgung mit Kronen werden dagegen bis zu 1,2 mm der Zähne abgeschliffen. Die im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Erläuterung ihrer im Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahme angehörte Amtszahnärztin S. hat nachvollziehbar ausgeführt, dass im Falle der Klägerin die Versorgung mit Veneers die „zahnmedizinisch bessere Versorgung“ darstellt, weil es sich um die Versorgung von im Übrigen gesunden Zähnen handelte und bei der gewählten Behandlung weniger gesunde Zahnsubstanz weggeschliffen wird als bei einer alternativ möglichen Versorgung mit Kronen. Die Angaben der Amtszahnärztin sind dahin zu verstehen, dass sich die Versorgung mit Verblendschalen als medizinisch notwendig erweist, weil nur auf diese Weise dem Grundsatz Rechnung getragen werden kann, bei einer zahnmedizinischen Versorgung gesunde Zahnsubstanz nach Möglichkeit zu erhalten. Bei einer Versorgung mit Kronen hätte dieser Grundsatz nicht beachtet werden können und der zahnmedizinische Heilerfolg wäre damit geringer gewesen. Die bei der Klägerin gewählte Versorgung erweist sich damit als dem Grunde nach notwendig im Sinne der Beihilfevorschriften.

20

Die Klage ist abzuweisen, soweit nach dem Heil- und Kostenplan eine Überschreitung des Schwellenwertes auf den 3,5-fachen Satz zugrunde gelegt worden ist. Die vorgesehenen Aufwendungen sind insoweit nicht der Höhe nach angemessen im Sinne von § 5 Abs. 1 BhV. Die Angemessenheit der Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen beurteilt sich ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte; soweit keine begründeten besonderen Umstände vorliegen, kann nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen werden. Hier wurde nach dem Heil- und Kostenplan eine Analogberechnung der Gebührenziffer 220 sowie der 3,5-fache Satz zugrunde gelegt. Die Gebührenziffer 220 betrifft die „Versorgung eines Zahnes durch eine Teilkrone“. Gemäß § 6 Abs. 2 GOZ können selbständige zahnärztliche Leistungen, die erst nach Inkrafttreten der GOZ aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt werden, entsprechend einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Die Analogberechnung als solche ist hier zwischen den Beteiligten nicht streitig. Dagegen ist die Überschreitung des Schwellenwertes nicht gerechtfertigt.

21

Auszugehen ist davon, dass eine Gebühr in der Regel nur zwischen dem einfachen und dem 2,3-fachen des Gebührensatzes bemessen werden darf (§ 5 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbs. GOZ). Ein Überschreiten des 2,3-fachen des Gebührensatzes ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 4, 2. Halbs. GOZ nur zulässig, wenn Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien – Schwierigkeit und Zeitaufwand der einzelnen Leistungen sowie der Umstände bei der Ausführung – dies rechtfertigen. Dabei ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass die Annahme von Besonderheiten der Bemessungskriterien voraussetzt, dass die Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind. Dem Ausnahmecharakter des Überschreitens des Schellenwertes widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein und häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten angewandte Behandlung als eine das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigende Besonderheit angesehen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.05.1996 – 2 C 10.95 – NVwZ 1997, 75 m.w.N.). Somit konnte die Überschreitung des Schwellenwertes nicht mit der „Art (der) prothetischen Versorgung“ begründet werden, wie es die Zahnärztin der Klägerin getan hat. Denn damit werden nicht Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich gerade bei der Behandlung der Klägerin ergeben.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

23

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

24

Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) sind nicht ersichtlich.