Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.05.2001, Az.: L 8 B 105/01

Erstattung von Kosten im Zusammenhang mit einer Untätigkeitsklage; Kostenverteilung nach billigem Ermessen (§ 193 SGG); "Zureichender Grund" i.S. des § 88 SGG

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
31.05.2001
Aktenzeichen
L 8 B 105/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 25200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0531.L8B105.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 10.04.2001 - S 6 AL 182/99

Prozessführer

A.

Prozessgegner

Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, vertreten durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen, Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover,

Sonstige Beteiligte

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 10. April 2001 wird zurückgewiesen.

Gründe

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I.

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten, die ihm im Zusammenhang mit einer Untätigkeitsklage entstanden sind.

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Der Kläger bezieht von der Beklagten Arbeitslosenhilfe (Alhi). Mit Bewilligungsbescheid vom 16. Februar 1999 bewilligte ihm die Beklagte Alhi weiter ab dem 1. Januar 1999 unter Berücksichtigung eines abzusetzenden wöchentlichen Anrechnungsbetrages von 113,54 DM. Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 4. März 1999 Widerspruch ein, den er mit Schreiben vom 23. März 1999 - Eingang 24. März - damit begründete, dass nicht nachvollzogen werden könne, wie sich die Anrechnung von Einkünften auf die Alhi errechnen solle. Mit weiterem Schreiben vom 19. April 1999 erinnerte der Prozessbevollmächtigte an die Erledigung des Verfahrens.

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Mit Schreiben vom 5. Mai 1999 teilte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass weitere Aufwendungen im Rahmen der Einkommensberechnung geltend gemacht werden könnten und bat um Einreichung der entsprechenden Nachweise. Mit Schreiben vom 1. Juli 1999 erinnerte die Beklagte an die Erledigung der Anfrage und setzte eine Frist bis zum 23. August 1999.

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Mit Schreiben vom 27. Juli 1999 - Eingang 29. Juli - erhob der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht (SG) Stade, ohne vorher die Anfragen der Beklagten beantwortet zu haben. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2001 wurde dem Widerspruch teilweise stattgegeben. Daraufhin erklärte der Kläger den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt und beantragte, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

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Die Beklagte lehnte eine Kostentragung ab. Nach ihrer Auffassung habe kein Anlass für eine Untätigkeitsklage bestanden.

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Das SG Stade hat durch Beschluss vom 10. April 2001 festgestellt, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben. Die Beklagte habe über den Widerspruch des Klägers mit zureichendem Grund nicht innerhalb eines Monats entschieden, da noch Ermittlungen durchzuführen gewesen seien.

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Gegen diesen Beschluss hat der Kläger am 4. Mai 2001 Beschwerde eingelegt. Seines Erachtens sei die Klage bereits am 3. April 1999 zulässig gewesen, da zu diesem Zeitpunkt bereits die Monatsfrist des § 88 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelaufen gewesen sei. Im Übrigen seien die angeforderten Unterlagen für die Entscheidung über den Widerspruch ohne Bedeutung gewesen. Die Beklagte habe nämlich seinem Widerspruch teilweise abgeholfen, ohne dass er irgendwelche Unterlagen bei der Beklagten eingereicht habe.

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Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.

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II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG). Sie ist unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend beschlossen, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben.

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Nach § 193 SGG haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auf Antrag eines Beteiligten durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Die Kostenentscheidung ist grundsätzlich unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen, wobei der voraussichtliche Prozesserfolg die Kostenverteilung beeinflusst (Bundessozialgericht - BSG - SozR 1500 § 193 Nr 3).

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Gemäß § 88 Abs 1 und 2 SGG ist in Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit über einen Widerspruch innerhalb eines Monats zu entscheiden, es sei denn, es liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der Widerspruchsbescheid noch nicht erlassen wurde. Welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um einen wichtigen Grund anzunehmen, ist umstritten. So hat der 7. Senat des LSG Niedersachsen im Jahre 1991 entschieden, dass eine Untätigkeitsklage wegen der starken arbeitsmäßigen Belastung der Arbeitsämter nur dann als begründet anzusehen sei, wenn im Einzelfall eine unsachgemäße Verzögerung aus besonderen Gründen feststehe bzw wenn vor Klageerhebung eine Sachstandsanfrage beim Sozialleistungsträger erfolgt sei (LSG Niedersachsen vom 11. November 1991 - L 7 S (Ar) 175/91 -, Breithaupt 1992, S 432).

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Diese Auffassung wird vom erkennenden Senat nicht geteilt. Sie überzeugt nicht, weil die Begründetheit der Untätigkeitsklage ("zureichender Grund” iS des § 88 SGG) zum allein entscheidenden Kriterium erhoben wird. Für die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG sind weitere Gesichtspunkte von Bedeutung, wie zB die Art der Bearbeitung durch die Verwaltung, die Gründe für die Klageerhebung bzw wer zurechenbar die Erledigung des Rechtsstreits herbeigeführt hat (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 6. Auflage, § 193 Rdnr 13). Auch der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen hat in späteren Entscheidungen (Beschluss vom 19. August 1996 - L 7 S/Ar 112/96 -) an der im Beschluss aus dem Jahre 1991 vertretenen Auffassung nicht mehr festgehalten. Der Grund für die Beendigung des Rechtsstreits in den Fällen, in denen über einen Widerspruch erst nach Erhebung einer Untätigkeitsklage entschieden worden ist, wird durch das Gesetz (§ 88 Abs 1 Satz 3 SGG) vorgegeben und darf nicht bei der Kostenentscheidung zu Lasten des die Erledigung des Rechtsstreits erklärenden Klägers berücksichtigt werden.

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Der erkennende Senat geht mit der herrschenden Meinung (Bundesverwaltungsgericht vom 15. November 1974 - VII C 57.12 - Buchholz 310 § 75 VwGO Nr 6; LSG Hessen vom 21. Dezember 1992 - L 5 B 42/92 -, Breithaupt 1993, 606; LSG Rheinland-Pfalz vom 6. Januar 1993 - L 6 SB 82/92 -, Breithaupt 1993, 439; LSG Bremen vom 18. Juli 1997 - L 2 BR 33/96 -, NZS 1998, 151, sa Senatsbeschlüsse vom 6. Januar 1994 - L 8 S (V) 235/93 -, 23. Februar 1994 - L 8 S (Ar) 6/94 - und zuletzt vom 5. März 2001 - L 8 B 350/00 AL -) davon aus, dass bei Erledigung einer Untätigkeitsklage grundsätzlich die Kosten in der Regel der Beklagten zur Last fallen, wenn der Kläger nach den ihm bekannten Umständen mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Entscheidet die Behörde nicht innerhalb der gesetzlichen Sperr- bzw Wartefrist des § 88 SGGüber einen Widerspruch, gibt sie dem Widerspruchsführer Veranlassung zur Erhebung einer Untätigkeitsklage, es sei denn, dieser kann bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung erkennen, dass ein zureichender Grund für die Untätigkeit der Verwaltung bestanden hat. Das ist anzunehmen, wenn die Arbeitsverwaltung zuvor die sachlichen Gründe, die eine Entscheidung verzögern, mitgeteilt hat oder dem Widerspruchsführer diese Gründe anderweitig bekannt sind.

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So verhält es sich hier. Der Kläger wusste, dass die Beklagte vor Entscheidung über den Widerspruch eine Antwort auf ihre Anfrage vom 5. Mai 1999 erwartete, zumal diese am 1. Juli 1999 die Antwort unter Fristsetzung ange-

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mahnt hatte. In einem solchen Fall hat der Kläger, wenn er ohne weiteren Kontakt mit der Beklagten vor Ablauf der von dieser gesetzten Frist Klage erhebt, grundsätzlich keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Verfahrens.

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Anders wäre die Sachlage zu beurteilen, wenn die Beklagte ohne zureichenden Grund Anfragen an den Antragsteller bzw Widerspruchsführer stellen würde, beispielsweise um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 88 SGG zu vereiteln. Der Kläger vertritt hier die Auffassung, die Anfrage sei überflüssig gewesen, was sich darin zeige, dass die Beklagte auch ohne Antwort auf die Anfrage vom 5. Mai 1999 letztlich dem Widerspruch teilweise stattgegeben habe. Der Kläger übersieht dabei, dass die Beklagte den gesamten Sachverhalt von Amts wegen ermitteln muss (§ 20 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X). Im vorliegenden Fall war es durchaus denkbar, dass der Kläger über die von der Beklagten schließlich im Widerspruchsbescheid anerkannten Zinsen für die Betriebswohnung weitere Werbungskosten oder Versicherungsbeiträge hätte geltend machen können, die den Anrechnungsbetrag seines Einkommens auf die Alhi weiter verringert hätte. Die Anfrage der Beklagten vom 5. Mai 1999 war deshalb sachgerecht. Auch die Erinnerung unter Fristsetzung ist nicht zu beanstanden, nachdem der Kläger sich nicht gemeldet hatte. Hätte die Beklagte ohne Weiteres über den Widerspruch entschieden, hätte zu Recht eingewendet werden können, dass dem Kläger nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden wäre. Die Beklagte hat folglich nicht fehlerhaft gehandelt, indem sie über den Widerspruch vorerst nicht entschieden hatte. Bei dieser Sach- und Rechtslage widerspricht es billigem Ermessen, die Beklagte mit den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten.